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Dieser Entwurf hatte wohl nie Aussichten auf Verwirklichung, was nicht am Entwurf selbst, sondern an der besonderen Entstehungssituation lag. Dieses Projekt entstand sozusagen als vereinsinteme Übung. Die mehrmalig pro Jahr ausgeschriebenen Konkurrenzen des Berliner Architekten-Vereins stellten dem Architekten-Nachwuchs auf die Praxis bezogene Aufgaben.

Die Themen dieser Wettbewerbe reichten vom Kerzenleuchter über Kriegerdenkmäler bis zu Kegelbahnen; sie sollten den jungen Architekten die Möglichkeit bieten, ihre Fähigkeiten an Aufgaben, wie sie täglich an einen im Beruf stehenden Architekten herangetragen werden konnten, zu schulen und sich der Kritik der älteren Fachgenossen zu stellen. Die prämierten Entwürfe wurden dann, in Jahrgangs-Mappen zusammengefaßt, publiziert. Im November 1888 lautete eine größere Aufgabe: "Synagoge für Berlin", bei der Bruno Schmitz den zweiten Preis erhielt.278

Das zum Teil fünfgeschossige Gebäude (Abb. 138-141), das man heute wohl ein Gemeinde­

zentrum nennen würde, enthielt nicht nur den Gottesdienstraum, sondern mindestens noch eine Wohnung für den Pförtner, Bäder, Garderoben und einen Trausaal. Weitere Räumlichkeiten waren vorgesehen, sind aber in den Illustrationen des Mappenwerks nicht genauer bezeichnet.

277Ausstellungskatalog "Adolf Loos 1870 - 1933. Raumplan-Wohungsbau",Berlin, Akademie der Künste. 1983- 1984, Nr. 2. 56. 3, Abb. S. 188

278Entwürfe, erfunden und herausgegeben von Mitgliedern des Architekten-Vereins zu Berlin, Jg. 1889, Blatt 3.

Dieser gedruckten Wiedergabe ist zu entnehmen, daß der Entwurf anläßlich einer "außerordentlichen Preisbewerbung Nov. 1888" mit dem zweiten Preis ausgezeichnet wurde.

Sehr wahrscheinlich war das Vorderhaus als Rabbinerhaus gedacht. Diese Aufteilung der Gesamtanlage in ein Vordergebäude, einen Hof und den sich anschliessenden eigentlichen Synagogenraum findet sich schon bei Entwürfen des ausgehenden 18. Jahrhunderts, z.B. in Düsseldorf 1792 von P. Köhler und in Karlsruhe 1798 von F. Weinbrenner.279 Vermutlich aber hat Bruno Schmitz diese oder ähnliche historischen Pläne seinem Entwurf nicht zugrunde gelegt, vielmehr gebot wahrscheinlich die Vielzahl der Räume und Funktionen in Verbindung mit der vorgegebenen Grundrißform eine derartige Lösung.

Das Fassungsvermögen des Kultraumes war auf insgesamt 920 Plätze angelegt. Auf dem länglichen, unregelmäßigen Grundriß von ca. 70 x 30 Metern nimmt der Kultraum ungefähr die Hälfte der Grundfläche ein. Durch den Eingang an der Straßenfassade gelangte man in eine dreischiffige Durchfahrt, deren zwei Joche Kreuzgratgewölbe trugen. Anschließend gelangte man in einen kleinen quergelagerten Hof, über dem sich eine zweite kleinere Fassade, diejenige des eigentlichen Kultraums, erhob. Dieser selbst war dreischiffig und hatte kurze Querhaus­

arme. Über der Vierung erhob sich eine Hängekuppel über Pendentifs, deren Außenhaut als Oktogon mit Zeltdach gebildet war.

Die vom Ritus vorgeschriebenen, getrennten Räume für Frauen sind wie bei fast allen neueren Synagogen als Emporen ausgebildet, die einheitlich durch das Langhaus und die Querarme verliefen; sie ruhten in jedem Seitenschiff auf vier Segmentbogen. Auch über der Vorsynagoge, die sich an den Hof anschloß, befand sich direkt hinter der Fassade eine Empore. Der Kultraum wurde durch eine polygonale Apsis mit 3/8-Schluß abgeschlossen.

Die Straßenfassade (Abb. 138) hatte fünf Achsen zu fünf Geschossen, die beiden äußeren Achsen waren als Scheinrisalite gestaltet. Im Erdgeschoß ist eine durchgehende Bogenstellung angeordnet; die Bogen ruhen auf gedrungenen Säulen beziehungsweise Pfeilern, die äußeren Bogen sind durch Türen und Fenster geschlossen und tragen in den Spandrillen vegetabile Auszierung; alle Bogen sind alternierend aus hellen und dunklen Steinen gesetzt. Die drei mittleren Achsen sind durch glatte Wandvorlagen voneinander getrennt, und in den drei ersten Obergeschossen zweigeteilt, im vierten Obergeschoß dreigeteilt. Im ersten und zweiten

Obergeschoß befinden sich einfache Rechteckfenster ohne Rahmung, diejenigen im Erdgeschoß tragen als Verdachung kleine wimpergartige Giebel mit eingeschlossenenm Dreipaß. Die

Fenster im dritten Obergeschoß haben einen halbrunden Abschluß, auch hier findet sich in der Bogenmauerung ein Farbwechsel. Im letzten Obergeschoß sind die je drei gekuppelten

Rundbogenfensterchen zu einer Bogenreihe zusammengefaßt, die in einer ähnlichen Anordnung in den Außenachsen weitergeführt wird. Die Risalite weisen über dem Erdgeschoß eine in allen Geschossen durchgehende vertikale Dreiteilung auf, wobei die Öffnungen im ersten und

279Vgl. Harold Hammer-Schenk: Die Architektur der Synagoge von 1780 bis 1933, in: Ausstellungskatalog

"Die Architektur der Synagoge", Frankfurt, Deutsches Architekurmuseum. 11. November 1988 bis 12. Februar 1989, S. 157-286, hier S. 163-171

zweiten Obergeschoß durch Rundbögen abgeschlossen werden. Die Fenstergruppen der Risalite im zweiten und dritten Obergeschoß sind anscheinend als erkerartige Rundungen ausgeformt, und geben der Fassade zusätzliche plastische Akzente. Die Mittelrisalite tragen in der Dachzone einen mit Pflanzenwerk und Schriftbändem ornamentierten Dreiecksgiebel, der von einem vegetabilen Gebilde bekrönt und von zwei kreuzblumenartigen Verzierungen auf Sockeln flankiert wird.

Die Wandfläche der Fassade ist durch Öffnungen in allen Geschossen weitgehend aufgelöst.

Der starken vertikalen Akzentuierung durch die die Achsen trennenden Wand Vorlagen und durch die die Achsen senkrecht gliedernden Teile kontrastieren deutlich ausgeprägte horizontale Gliederungselemente, die aber nur über dem ersten und dritten Obergeschoß über die ganze Breite der Fassade geführt sind.

Das System der verschiedenen Öffnungen der Fassade, die Korrespondenz zwischen den großen Rundungen der Erdgeschoß-Bogen und den kleineren Bogen der oberen beiden

Geschosse, sowie die ausgeklügelte Anordnung von vertikalen und horizontalen Gliederungen lassen das Streben des Architekten erkennen, der Fassadenkomposition einen ausgewogenen Cahrakter zu verleihen. Dem steht offensichtlich der Wunsch nach Ausschmückung entgegen, der den Architekten wohl auch dazu veranlaßt haben mag, sogar in der Dachdeckung

- wahrscheinlich durch bunt glasierte Ziegel - eine ornamentale Gestaltung anzubringen, die aber nur in der Fernsicht ihre Wirkung gehabt hätte. Auf die sakrale Funktion des hinter der Fassade befindlichen Gebäudes verweist die Architektur lediglich durch die Dreipaß-Wimperge im ersten Obergeschoß und die wohl schmiedeeisernen vier Gebilde auf den "Kreuzblumen"

seitlich der Risalitgiebel in der Dachzone.

Die zurückliegende Fassade (Abb. 139) des Synagogenraums ist dagegen eindeutig als Äußeres eines Sakralraums gestaltet, was vor allem durch eine große Fensterrose im Obergeschoß und zwei in ihren Abschlüssen miniaturhaft-verspielt wirkende Türmchen zu Seiten der Fassade bewirkt wird. Die Mittelachse der Fassade ist risalitartig leicht nach vorne gezogen. Eine kleine Vorhalle mit dreiteiliger Bogenstellung ist der Fassade im Erdgeschoß vorgelagert, die Bogen sind durch einfache, bis in Kapitellhöhe reichende Gitter abschließbar. Der mittlere Bogen ist größer als die ihn flankierenden, ein reich ornamentierter Giebel mit Schriftbändem und einer Inschrifttafel bekrönt ihn; von den beiden Balustraden über den seitlichen Bogen der Vorhalle wird der Giebel durch zwei Fialen geschieden. Vor der Vorhalle noch, befinden sich als Vorsprünge der Hofseitenwand die Untergeschosse der Türme, die zur Empore führende Nebentreppenhäuser in sich aufnehmen. Über dem Anschlag des Vorhallen-Pultdaches befinden sich zwei zweiteilige Rundbogenfenster mit eingezogenem Horizontalsturz; über diesem, in der Halbkreisfläche des Fensters, taucht in der Verglasung bereits das Kreismotiv der Rosette auf. Die Mittelachse ist auch hier wieder durch ein aufwendiger gerahmtes Rund­

bogenfenster betont. Das erste Obergeschoß wird durch ein schmales Gesims horizontal

abgeschlossen. Im obersten Geschoß dieser Fassade, die im Zentrum eine Rosette mit Davidstem und umgebenden zwölf Kreisen als Maßwerk trägt, ist die Wandfläche horizontal durch unterschiedliche Oberflächengestaltung der Wandfläche geteilt. Die obere Hälfte der Wand ist mit Fliesen verkleidet, was vermutlich, wie auch der verschiedentlich angewandte Farbwechsel, als Anspielung auf die Architektur des Orients gemeint ist. Der "orientalische"

Stil, oft verkürzend auch der "maurische" Stil genannt, diente besonders im späterenl9.

Jahrhundert zur Charakterisierung der Sakralbauten des jüdischen Kultus.280 Allerdings hat Bruno Schmitz im vorliegenden Entwurf "maurische" Details mit "gotischen" und auch

"romanischen" in einer Stilmischung angewendet.

Über der Fensterrose ragt ein kleiner Dreiecksgiebel auf, der mit Pflanzenwerk ornamentiert ist, seitlich wird die Rosette durch zwei bis in die Dachzone reichende Fialen begleitet. Die

seitlichen Achsen des obersten Geschosses nehmen Inschrifttafeln auf, die von einem kleinen Rundbogen auf Kapitellchen bekrönt werden, der in den gekachelten Streifen der Wand einschneidet; zwei kleinere Rundbogen sind in diesen Rundbogen eingestellt.

Das Innere der Synagoge nimmt den Farbwechsel der Steinlagen beider Fassaden in den verschiedenen Baugliedem wieder auf (Abb. 140). Die Wandflächen sind durch Inschriften, Schriftbänder und vegetabile Ornamentik ausgeschmückt.

In den Entwürfen zu den beiden Fassaden versuchte Bruno Schmitz, durch Mischung ver­

schiedener Stile einen neuen, eigenen Stil zu entwickeln, der das Gebäude von Profanbauten wie von den christlichen Sakralbauten absetzt. In der klar und streng, fast wuchtig wirkenden Straßenfassade sind die architektonischen Einzelformen teilweise aus der romanischen

Architektur abgeleitet, die Ornamente verweisen mit ihrem reichen Blattgeschlinge auf spätere Zeiten. Die Gesamtanlage dieser Fassade ist mit ihrer Durchfensterung als modern zu be­

zeichnen, vielleicht hat man hier bereits einen ersten Einfluß der Architektur des nordameri­

kanischen Architekten Henry Hobson Richardsons zu sehen.

Direkte Zitate aus der gotischen Architektur hat der Architekt in seinem Entwurf vermieden, denn diese war spätestens seit der Romantik mit christlichen Inhalten verbunden worden. Es tauchen zwar gotisierende Gebilde auf, die Fialen oder Kreuzblumen ähneln, diese sind aber in den Einzelheiten in die Architektursprache von Renaissance und Barock übersetzt worden.

Dieser Entwurf für eine Synagoge und das Projekt zur Ergänzung der Fassade des Freiberger Doms im Jahr 1910 sind neben den Entwürfen für einige Grabdenkmäler die einzigen auf Sakralarchitektur bezogenen Arbeiten Bruno Schmitz'. Für die Tatsache, daß Bruno Schmitz sich ansonsten nie mit dem Bau einer Kirche befaßte, sind in den Quellen weder Gründe noch Andeutungen zu ermitteln.

280Ebenda, S.194ff