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Diskursivität des frühromantisches Wissens über Kommunikation

1. Aufwertung der Kommunikation: Friedrich Schleiermachers Versuch einer Theorie des geselligen Betragens (1799)

1.1 Schleiermacher als Kommunikationstheoretiker

Das frühromantische Kommunikationsparadigma wird hier mit Blick auf das Denken Friedrich Schleiermachers eröffnet. Es muss allerdings gleich hinzugefügt werden, dass mit einer kommunikationsorientierten Fokussierung des Werks von Schleiermacher an dieser Stelle kein absolutes Neuland betreten wird. So erfolgte bereits in den 70er Jahren in Bezug auf die sozialphilosophisch ausgerichteten Kommunikationstheorien von Jürgen Habermas44 und Karl-Otto Apel45 eine Neuperspektivierung von Schleiermachers Denkansätzen. Es war vor allem Schleiermachers als „Kunst der Gesprächführung“46 und d.h. ohnehin grundsätzlich kommunikativ bestimmtes Konzept der Dialektik, das vor dem Hintergrund der theoretischen Aufarbeitung intersubjektiver Verständigung bei Habermas und Apel eine Aktualisierung erlebte.

Ein frühes und prominentes Beispiel für solch eine kommunikationstheoretisch versierte Neupositionierung Schleiermachers stellt Manfred Franks programmatische Studie Das individuelle Allgemeine (1977) dar.47 Der literaturtheoretische Ansatzpunkt dieser Arbeit besteht bekanntlich in einem Rückbezug auf Schleiermachers Hermeneutik als einer möglichen Vermittlungsinstanz im Methodologiestreit der 70er Jahre zwischen der sinnverstehenden Interpretation und der strukturalen Textanalyse. Bei der Erläuterung des Hermeneutikkonzepts von Schleiermacher setzt Frank bei dessen Dialektik an, die er in Anlehnung an Habermas als „das allgemeine Organon, welches das Hin und Her kontroverser Positionen im Hinblick auf intersubjektive Übereinstimmung [...] methodisch

44 Vgl. v.a. Habermas, Jürgen: Vorbereitende Bemerkungen zu einer Theorie der kommunikativen Kompetenz.

In: ders.; Luhmann, Niklas: Theorie der Gesellschaft oder Sozialthechnologie. Was leistet die Systemforschung? Frankfurt a.M. 1971; S. 101-141.

45 Vgl. v.a. Apel, Karl-Otto: Die erkenntnisanthropologische Funktion der Kommunikationsgemeinschaft und die Grundlagen der Hermeneutik. In: Information und Kommunikation. Alpbach 1967; S. 163-171 und ders.:

Das Kommunikationsapriori und die Begründung der Geisteswissenschaften. In: Simon-Schaefer, Roland;

Zimmerli, Walther Ch. (Hg.): Wissenschaftstheorie der Geisteswissenschaften. Hamburg 1975; S. 23-59.

46 Schleiermacher, Friedrich: Dialektik. Hg. u. eingel. v. Manfred Frank. Bd. 2. Frankfurt a.M. 2001; S. 47.

47 Frank, Manfred: Das individuelle Allgemeine. Textstrukturierung und -interpretation nach Schleiermacher.

Frankfurt a.M. 1977.

regelt“ paraphrasiert.48 Franks Parallelisierung der Theorieansätze von Schleiermacher und Habermas beschränkt sich freilich nicht nur auf einen Abgleich der Begriffsinventare, sondern zielt auf den Nachweis von Strukturähnlichkeiten. In Schleiermachers Dialektik beobachtet Frank eine Vorbereitung der Habermas‘schen Grundsatztheoreme, wie z.B. der auf der Virtualisierung von Geltungsansprüchen aufbauenden und auf Konsens ausgerichteten intersubjektiven Kommunikation.49 Franks kommunikationstheoretische Fokussierung des dialektischen Ansatzes von Schleiermacher bildet allerdings nur einen Argumentationsstrang seiner Studie und wird deshalb nur skizzenhaft und nicht systematisch ausgearbeitet.

Ein weiteres Beispiel für eine kommunikationstheoretische Re-Lektüre Schleiermachers stellt Udo Kliebischs Studie Transzendentalphilosophie als Kommunikationstheorie (1981) dar, bei der die kommunikative Struktur von Schleiermachers Dialektik im Zentrum steht.50 Kliebisch geht es ähnlich wie Frank um eine Positionierung des dialektischen Ansatzes von Schleiermacher im Kontext des aktuellen kommunikationstheoretischen Diskurses. Den Referenzpunkt bildet in diesem Fall der transzendental-hermeneutische Ansatz Karl-Otto Apels. Eine Parallele zu Apels Erkenntnistheorie erkennt Kliebisch in Schleiermachers Idee der „kommunikativen Verhandlung rational argumentierender Individuen“, auf der seine

„kommunikative Dialektik“ beruht.51 Die grundlegende Gemeinsamkeit von Schleiermachers und Apels Position besteht nach Kliebisch in der Erkundung der transzendentalen Bedingungen von Kommunikation, was beiden Ansätzen die Qualität einer

„Philosophie der Kommunikation“ verleiht.52

Schleiermachers Position in der Genealogie der ‚Theorie kommunikativen Handelns’53 thematisiert in seiner religionsphilosophisch ausgerichteten Studie auch Gunther Wenz.54 Als Ansatzpunkt dient ihm dabei ebenfalls Schleiermachers dialektisches Modell des Gesprächs. Wenz’ Studie, die im Wesentlichen der oben skizzierten Argumentationslogik von Frank und Kliebisch folgt, ist an dieser Stelle deswegen erwähnenswert, weil hier

48 Frank, Manfred: Das individuelle Allgemeine, a.a.O.; S. 122.

49 Vgl. ebd.; S. 124ff.

50 Kliebisch, Udo: Transzendentalphilosophie als Kommunikationstheorie. Eine Interpretation der Dialektik Friedrich Schleiermachers vor dem Hintergrund der Erkenntnistheorie Karl-Otto Apels. Bochum 1981; S. 153.

51 Vgl. ebd.; S. 104.

52 ebd.; S. 1.

53 Vgl. Habermas, Jürgen: Theorie des kommunikativen Handelns. 2 Bde. Frankfurt a.M. 1995.

54 Wenz, Gunter: Verständigungsorientierte Subjektivität. Eine Erinnerung an den Kommunikationstheoretiker F.D.E. Schleiermacher. In: Arens, Edmund (Hg.): Habermas und die Theologie. Beiträge zur theologischen Rezeption, Diskussion und Kritik der Theorie kommunikativen Handelns. Düsseldorf 1989; S. 224-240, hier S.

229.

Schleiermacher ausdrücklich als „Kommunikationstheoretiker“55 bezeichnet wird. Dadurch erfährt Schleiermachers Werk ganz explizit eine neuartige theoriegeschichtliche Verortung.

Es lässt sich im Hinblick auf die drei angeführten exemplarischen Ansätze zusammenfassen, dass die bisherige kommunikationsorientierte Rezeption von Schleiermachers Denken sich fast ausschließlich auf dessen Konzept der Dialektik konzentrierte. Und obwohl Schleiermacher sich erst seit 1811 systematisch mit den Fragen der Dialektik beschäftigte, wird das dialektische Basismodell auch für die Analyse seiner früheren Arbeiten herangezogen.56 Das Konzept der Dialektik wird auf diese Weise zum allgegenwärtigen und dominierenden Prinzip in der Entwicklung von Schleiermachers Denken, ja sogar zu einem a priori seines Werks erhoben. Durch die auf diese Weise hergestellte Kontinuität wird jedoch, so hier die These, nicht nur das spezifische Potential der ‚vordialektischen’ Phase Schleiermachers unterschätzt, sondern auch ein theoriegeschichtliches Szenario entworfen, nach dem Schleiermacher ausschließlich als ein Vorbote verständigungsorientierter Kommunikationstheorien zu betrachten ist.

Die in der vorliegenden Arbeit unternommene kommunikationsorientierte Fokussierung Schleiermachers setzt sich von den erwähnten Positionen in mehreren Punkten ab. Das Interesse konzentriert sich auf Schleiermachers frühe Schriften aus seiner Berliner Zeit (1796-1802), insbesondere auf seinen Versuch einer Theorie des geselligen Betragens (1799) und die Reden Über die Religion (1799). Die Perspektive der Analyse wird dabei gerade nicht auf Schleiermachers späteren dialektischen Ansatz reduziert. Stattdessen werden beide Texte in Beziehung zueinander und auch zu anderen Arbeiten Schleiermachers aus dieser Zeit gesetzt. Außerdem wird die oft unterbelichtete Anbindung Schleiermachers an die Imaginations- und Sozialräume des frühromantischen Kreises berücksichtigt, v.a.

hinsichtlich dessen Anregungspotentials für seine theoretischen Schriften. Vor diesem Hintergrund wird der kommunikationstheoretische Ansatz des ‚frühromantischen’

Schleiermacher ausgearbeitet, und dessen oben skizzierte Verortung in den Koordinaten der philosophischen Gesprächsdialektik bzw. der modernen verständigungsorientierten Kommunikationstheorie kritisch überprüft.

55 Wenz, Gunter: Verständigungsorientierte Subjektivität, a.a.O.; S. 229.

56 Vgl. ebd.; S. 230. Wenz sieht bereits in Schleiermachers Reden Über die Religion die Dialektik des Gesprächs am Werk.

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