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Performanz des frühromantischen Wissens über Kommunikation

1. Jenseits der Diskursivität: Darstellung und Witz als Erkenntnismodi

1.4 Die erkenntnistheoretische Komponente der Darstellung

1.4 Die erkenntnistheoretische Komponente der Darstellung

Wie Wolfgang Preisendanz in seiner ‚klassischen’ Studie zur deutschen literarischen Romantik dargelegt hat, bildet das wesentliche Charakteristikum der romantischen Poetologie die „Abkehr vom Grundsatz der Naturnachahmung“.431 Die Dichtungstheorie der Frühromantik432 setzt sich in Folge dessen nicht mehr mit der Frage nach angemessenen Darstellungsformen der äußeren Natur auseinander, sondern positioniert die Aufgabe der Poesie außerhalb des mimetischen Paradigmas.433 Der entscheidende Punkt der frühromantischen Poesieauffassung besteht nämlich in der Überzeugung, dass die Leistung der Dichtung über eine Darstellung von etwas, das es „auch ohne sie, aufgrund eigener Gesetzlichkeit und eigener Konsistenz“434 gäbe, hinausgehen muss. Aus diesem Grund wird der Fokus des frühromantischen Poesieprogramms über die Grenzen des unmittelbar Zugänglichen und Erfassbaren hinaus erweitert. In der frühromantischen Poetik wird der Dichtung die Potenz zugewiesen, Phänomene, die sich einer herkömmlichen poetischen Darstellung bzw. generell jeder Art der Vergegenwärtigung entziehen, dem rezipierenden

431 Vgl. Preisendanz, Wolfgang: Zur Poetik der deutschen Romantik I: Die Abkehr vom Grundsatz der Naturnachahmung. In: Steffen, Hans (Hg.): Die deutsche Romantik. Poetik, Formen und Motive. Göttingen 1970; S. 54-74.

432 Preisendanz spricht zwar von deutscher ‚Romantik’, meint jedoch hauptsächlich die ‚Frühromantik’.

433 Es ist hier nicht der Ort, das Konzept der frühromantischen Poetik detailliert zu erläutern. Es wird im Folgenden nur auf diejenigen Motive des frühromantischen Dichtungsprogramms Bezug genommen, die für den weiteren Argumentationsverlauf ausschlaggebend sind.

434 Preisendanz, Wolfgang: Zur Poetik der deutschen Romantik I, a.a.O.; S. 63.

Bewusstsein zugänglich zu machen. In dieser Hinsicht wird das frühromantische Poesieprogramm durch die Intention zur ‚Darstellung des Undarstellbaren’ geprägt.

Durch diese Bestimmung wird der Gegenstandsbereich der Poesie einer entscheidenden Modifikation unterzogen. Im Visier frühromantischer Dichtung befindet sich folglich nicht die vorgegebene Wirklichkeit, sondern z.B. ‚das Unendliche’, ‚die höchste Realität’, ‚die Welt’ und ‚das Leben’.435 Dieses Gegenstandsrepertoire wird allerdings nicht exklusiv für die Poesie reserviert, sondern bildet gleichzeitig den Kompetenzbereich einer anderen geistigen Tätigkeit – der Philosophie. Aufgrund des gemeinsamen ‚Gegenstandes’ treten Poesie und Philosophie in eine Beziehung, aus der erst die eigentliche Bestimmung des frühromantischen poetologischen Programms hervorgeht. Die Philosophie und die Poesie verfügen über einen gemeinsamen Gegenstand, ihr Differenzierungsmerkmal besteht in der Art und Weise, wie sie ihn „auffaß[en] und behandel[n]“.436 Während die Intention der Philosophie darin besteht, „das Höchste nach Begriffen zu erkennen und zu erklären, und diese Erkenntnis mit systematischer Strenge und Konsequenz wissenschaftlich zu konstruieren“437, wird das ‚Höchste’ in der Poesie „nur angedeutet“.438 Das dichterische

‚Andeuten’ des ‚Unendlichen’ stellt dabei jedoch keine qualitativ niedrigere Form des Weltzugangs als die systematisch organisierte und wissenschaftlich strenge Philosophie dar.

Da die philosophische Reflexion im Hinblick auf die ‚Unendlichkeit’ ihres Gegenstandes nicht auf positive Erkenntnis zielt, sondern im Bewusstsein ihrer nie aufhebbaren Defizienz sich zum Prozess einer ‚unendlichen Annäherung’439 formiert, gewinnt die Poesie – als eine alternative Option des Zugangs zur ‚höchsten Realität’ – ihre Kraft und Legitimation.

Friedrich Schlegel fasst die Relation zwischen philosophischer Reflexion und der Dichtung in seinen Kölner Philosophievorlesungen folgendermaßen zusammen: „Die Philosophie ist Wissenschaft, die Poesie Darstellung des Unendlichen.“440 Martin Götze hat in seiner Studie zur Frühromantik detailliert die Beziehung zwischen der idealistischen Philosophie Fichtescher Prägung und der frühromantischen ‚Poetik der Darstellung’ ausgearbeitet.441 Nach Götze formiert sich das frühromantische Darstellungsparadigma vor dem Hintergrund der bereits bei Friedrich Schiller angelegten Auffassung von Poesie als einer ‚Darstellung

435 Vgl. Schlegel, Friedrich: KFSA 12; S. 165ff.

436 ebd.; S. 165.

437 ebd.; S. 166.

438 ebd.

439 Vgl. Frank, Manfred: ‚Unendliche Annäherung’. Die Anfänge der philosophischen Frühromantik. Frankfurt a.M. 1997.

440 Schlegel, Friedrich: KFSA 12; S. 165. [Kursivierung im Original]

441 Vgl. Götze, Martin: Ironie und absolute Darstellung. Philosophie und Poetik in der Frühromantik. Paderborn u.a. 2001.

des Absoluten’442. Im Falle der Frühromantik handelt es sich um eine Reaktion auf das bei Fichte sich abzeichnende Problem des Unvermögens der reflexiven Erkenntnismittel, das höchste Prinzip bzw. das ‚Absolute’ zu erfassen.443 Das wesentliche Motiv des frühromantischen poetologischen Programms bildet demnach die Reflexion der Möglichkeit einer Darstellung des ‚Absoluten’.444 Aus dieser Perspektive ergibt sich die Aufgabe der Poesie – einer Bemerkung Friedrich Schlegels folgend – ausdrücklich aus einem Defizit der Philosophie: „Aus [der] Unvollkommenheit der Form des Wissens geht das Bedürfnis der Darstellung hervor.“445 Die frühromantische Poetik wird auf diese Weise nach Götze zu einer „philosophisch fundierte[n] Theorie einer ästhetischen Darstellung des Absoluten“.446 Der entscheidende Punkt dieser Poesieauffassung liegt in der Neubestimmung des Darstellungsbegriffs. Auf diese begriffliche Verschiebung deutet bereits der logische Widerspruch in der Forderung nach einer ‚Darstellung des Undarstellbaren’, aus dem ersichtlich wird, dass ‚Undarstellbares’ eben nicht durch herkömmliche, d.h. mimetische Darstellungsprozesse zugänglich gemacht werden kann. Das Verfahren der frühromantischen Darstellung zielt nicht auf eine ästhetische Repräsentation des Vorgegebenen, sondern gewinnt aufgrund seiner Potenz zur Vergegenwärtigung des Unverfügbaren eine erkenntnistheoretische Komponente. Friedrich Schlegel hebt in seinen Philosophievorlesungen ausdrücklich die ‚nahe Beziehung’ zwischen Darstellung und Erkenntnis hervor.447 Wenn er behauptet, dass die Frage „WAS kann ich wissen?“ nur „die eine Hälfte d[es] Problems“ darstellt, die durch „die andere Hälfte“ nämlich: „WIE kann ich es wissen?“448 ergänzt werden muss, dann zeigen sich die systematisierende Philosophie und die darstellende Poesie als zwei gleichwertige Aktanten dieser Konstellation. Nach Novalis’

Auffassung besteht die spezifische Leistung der poetischen Darstellung darin, „das Seyn für sich auf gewisse Weise daseyn zu lassen“.449

Beim frühromantischen Übergang von einer philosophisch fundierten zu einer ästhetischen Art der Vergegenwärtigung des ‚Absoluten’ kommt es zu einer Neugestaltung des Verhältnisses zwischen theoretisch-diskursiver Reflexion und der ‚darstellenden’ Poesie, die vor allem in dem Nachweis der epistemologischen Komponente der Darstellung zum

442 Vgl. Schiller, Friedrich: Über naive und sentimentalische Dichtung. In: ders.: Werke in drei Bänden. Hg. v.

Herbert G. Göpfert u. Mitw. v. Gerhard Fricke. Bd. 2. München 1966; S. 540-606, hier. S. 582.

443 Vgl. Götze, Martin: Ironie und absolute Darstellung, a.a.O.; S. 13.

444 Vgl. ebd.

445 Schlegel, Friedrich: KFSA 12; S. 365.

446 Götze, Martin: Ironie und absolute Darstellung, a.a.O.; S. 18.

447 Vgl. Schlegel, Friedrich: KFSA 12; S. 366.

448 Schlegel, Friedrich: KFSA 18; S. 33. Zit. nach Götze, Martin: Ironie und absolute Darstellung, a.a.O.; S.

137.

449 Novalis: NS 2; S. 106. [Kursivierung im Original]

Vorschein kommt. Immer wenn Unverfügbarkeit im Spiel ist – so Martin Götze – übernimmt die poetische Darstellung von der Wissenschaft die Aufgabe eines

„entdeckerischen Erkenntnisvehikel[s]“.450 Die Intention der frühromantischen Poetik besteht in dieser Hinsicht folglich darin, „das (sprachliche) Kunstwerk als eine Form der Explikation zu entwerfen, die – im Unterschied zur theoretischen Reflexion – im Stande [ist], absolute Darstellung, mithin eine Vergegenwärtigung des „Unbedingten“ und

„Unendlichen“ zu leisten“.451

Das Entscheidende des frühromantischen Darstellungsparadigmas besteht also in der Abkehr von dem statischen Abbildverhältnis, in dem das Darstellungsobjekt als vorgegeben und die Tätigkeit des Darstellens als dessen bloße Verdopplung verstanden wird. Die frühromantische Poesie bildet also nicht ab, sondern bringt im Akt der Darstellung ihren Gegenstand überhaupt erst hervor. In diesem Sinne ist die Wirklichkeit (die ‚Welt’, das

‚Leben’ bzw. das ‚Absolute’) nicht der Ausgangspunkt, sondern „das Resultat poetischer Imagination und Reflexion“.452 In diesem Sinne wird die Darstellung zum Akt „absolute[r]

Produktion“.453

1.5 „Darstellung hat Theorie“ – Friedrich G. Klopstocks Darstellungsbegriff

Um die erkenntnisrelevante Komponente der frühromantischen Darstellungspoetik zu verdeutlichen, erweist sich ein Blick auf die Darstellungstheorie von Friedrich G. Klopstock als hilfreich. Wilfried Menninghaus hat darauf hingewiesen, dass Klopstocks Poetik in der Genealogie des Darstellungsparadigmas in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts eine prominente Rolle spielt. Menninghaus geht von der Beobachtung aus, dass der Begriff der Darstellung in philosophischen und poetologischen Texten vor 1774 kaum präsent war. Im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts wird er in diesen Diskursen allerdings auf eine signifikante Weise manifest. Es ist gerade die Poetik Klopstocks, die mit ihrem Konzept der Darstellung eine „theoriegeschichtliche Umwälzung“454 mit sich bringt. Klopstocks poetologisches Paradigma wird zur Initialzündung des ‚Darstellungsdenkens’, in dessen

450 Hart Nibbrig, Christiaan L.: Zum Drum und Dran einer Fragestellung. Ein Vorgeschmack. In: ders. (Hg.):

Was heißt ‚Darstellen’? Frankfurt a.M. 1994; S. 7-14, hier S. 11.

451 Götze, Martin: Ironie und absolute Darstellung, a.a.O.; S. 14. [Kursivierung im Original]

452 Preisendanz, Wolfgang: Zur Poetik der deutschen Romantik I, a.a.O.; S. 61.

453 ebd.

454 Menninghaus, Winfried: ‚Darstellung’. Friedrich Gottlieb Klopstocks Eröffnung eines neuen Paradigmas.

In: Hart-Nibbrig, Christiaan L. (Hg.): Was heißt ‚Darstellen’? Frankfurt a.M. 1994; S. 205-226, hier S. 205.

Tradition auch die weiter oben skizzierte frühromantische Poetik der Darstellung zu verorten ist.455

Klopstocks dichtungstheoretischer Ansatz kann zunächst generell ebenfalls zu der für die Frühromantik charakteristischen ‚Abkehr vom Grundsatz der Naturnachahmung’ gerechnet werden. Klopstock setzt in seinem poetologischen Programm nicht auf mimetische Verfahren, sondern zielt in erster Linie auf die mit dem Bereich des sprachlichen Ausdrucks verbundene Wirkungspotenz der Dichtung. Im Zentrum der Klopstockschen Poetologie stehen Aspekte des dichterischen Umgangs mit grammatischen, syntaktischen und lexikalischen Eigentümlichkeiten der sprachlichen Mittel. Klopstocks poetologisches Denken konzentriert sich dabei auf die Relationen zwischen den in der Dichtung eingesetzten sprachlichen Ausdrucksmitteln, d.h. vor allem auf die metrischen und rhythmischen Aspekte der poetischen Sprache.

Einen der zentralen Begriffe der amimetischen Poetik Klopstocks stellt der Begriff der

‚Bewegung’ bzw. der ‚Wortbewegung’ dar. Die ‚Bewegung der Wörter’ manifestiert auf der formalen Ebene der poetischen Sprache (des Verses) entweder in der Silbenlänge (‚Zeitausdruck’) oder im positionalen Verhältnis der Silben in ihrer Abfolge (‚Tonverhalt’).456 Klopstock bringt die Dichtung in diesem Zusammenhang in ein Analogieverhältnis zum Tanz und zur Musik, indem er die tänzerischen Bewegungen des Körpers mit der rhythmischen Bewegung der Wörter vergleicht. Das für diese Arbeit eigentlich Interessante an Klopstocks Metrik besteht jedoch darin, dass er die Motorik der Zeitwerte und der Positionsverteilungen auf der Ebene des sprachlichen Ausdrucks mit der Motorik der Sinnlichkeit und der Leidenschaften des rezipierenden Bewusstseins in eine unmittelbare Verbindung setzt.457 Die ‚Bewegung’ der Wörter bringt nach Klopstock die rezipierende Seele in Bewegung.

Diese Bestimmung zeigt sich zunächst als eine Aktualisierung des klassisch rhetorischen Theorems des movere. Klopstock unterzieht diese aus der Rhetorik stammende Wirkungsabsicht aber einer signifikanten Modifikation. Die auf das ‚In-Bewegung-Setzen’

des Gemüts zielende Wirkung der Poesie wird bei Klopstock nicht an den Einsatz rhetorischer Figuren gebunden, sondern an die Kraft der metrischen ‚Bewegung’ der poetischen Mittel. In Klopstocks Theorie der ‚Wortbewegung’ wird die Potenz des movere

455 Vgl. Menninghaus, Winfried: ‚Darstellung’, a.a.O.; S. 205-226.

456 Vgl. Klopstock, Friedrich G.: Vom deutschen Hexameter. In: ders.: Gedanken über die Natur der Poesie.

Dihtungstheoretische Schriften. Hg. v. Winfried Menninghaus. Frankfurt a.M. 1989; S. 60-156, hier S. 126f.

[Zitate aus dieser Ausgabe werden im Folgenden belegt mit: GNP; Seitenzahl]

457 Vgl. Menninghaus, Winfried: Klopstocks Poetik der ‚schnellen Bewegung’. In: Klopstock, Friedrich G.:

Gedanken über die Natur der Poesie. Dihtungstheoretische Schriften. Hg. v. Winfried Menninghaus. Frankfurt a.M. 1989; S. 259-361, hier S. 308.

nicht bzw. nicht primär auf der inhaltlichen Ebene der poetischen Aussage positioniert, sondern hängt vor allem mit ihrer metrisch-rhythmischen Struktur zusammen. In Klopstocks Theorie der ‚Wortbewegung’ wird die rezipierende Aktivität „von der paradigmatischen Achse der Wortbedeutungen auf die syntagmatische Achse der Verhältnisse der Silben untereinander“ abgelenkt.458

Dies bedeutet jedoch nicht, dass Klopstock die poetische Sprache als inhaltslos und referenzfrei betrachtet. Der springende Punkt seiner Poetik liegt in der Behauptung, dass das durch die ‚Wortbewegung’ angeregte rezipierende Bewusstsein nicht nur ‚mechanisch’ eine Bewegung in sich aufnimmt und lediglich als ein Resonanzkörper dient, sondern dass es durch die Kraft des Impulses auf eine „Realität sui generis“ ausgerichtet wird, die sich

„‚schneller’ einstellt als die erst hermeneutisch zu erschließende Dimension des Wortsinns“.459 Klopstock formuliert diese Position folgendermaßen:

Wir bekommen die Vorstellungen, welche die Worte, ihrem Sinne nach, in uns hervorbringen, nicht völlig so schnell, als die, welche durch die Worte, ihrer Bewegung nach, entstehn. Dort verwandeln wir das Zeichen erst in das Bezeichnete; hier dünkt uns die Bewegung geradezu das durch sie Ausgedrückte zu sein.460

Wie man dieser Passage entnehmen kann, ergibt sich aus Klopstocks Konzentration auf die rhythmische Bewegung der Wörter ein dichtungstheoretischer Ansatz, in dessen Rahmen poetische Sprache „weder als Transport von Signifikaten noch als reine Lautlichkeit der Signifikanten“ aufgefasst wird.461 In diesem Grundsatz der Poetik Klopstocks, der die Bewegungspotenz der metrisch bedingten ‚Wortbewegung’ über die inhaltliche Seite der Dichtung stellt, dabei aber gleichzeitig der Poesie die Fähigkeit zur Vergegenwärtigung einer bestimmten ‚Wirklichkeit’ nicht abspricht, deutet sich eine wichtige Korrespondenz zur frühromantischen Darstellungstheorie an: Das poetische Verfügbarmachen des Unverfügbaren.

Weil nämlich die Bewegungskraft an die formale Seite des poetischen Ausdrucks gebunden und wie oben angedeutet vor bzw. außerhalb der Aktivierung des Wortsinnes zum Einsatz kommt, stellt sie die Möglichkeit dar, Gegenstände gegenwärtig zu machen, die man nicht in Worte fassen kann. In Klopstocks Dialog Von der Darstellung (1779) wird diese Potenz folgendermaßen erläutert: „Der Dichter kann diejenigen Empfindungen, für welche die

458 Menninghaus, Winfried: Klopstocks Poetik der ‚schnellen Bewegung’, a.a.O.; S. 332.

459 ebd.

460 Klopstock, Friedrich G.: GNP; S. 148.

461 Menninghaus, Winfried: ‚Darstellung’, a.a.O.; S. 208.

Sprache keine Worte hat [...] durch die Stärke und die Stellung der völlig ausgedrückten ähnlichen, mit ausdrücken. [...] Oder auch wohl nur darauf deuten.“462

In diesem Zitat kommt die Äquivalenz zwischen Klopstocks Theorie der ‚Wortbewegung’

und seinem Begriff der Darstellung zum Vorschein. So wie bereits in Bezug auf das frühromantische Darstellungsdenken erläutert, entzieht sich auch Klopstocks Darstellungsbegriff der tradierten Bedeutung aus dem Kontext des mimetischen Paradigmas bzw. der „re-präsentationistische[n] Logik der nachträglichen Verkörperung eines Vorgegebenen“.463 Gerade in dieser Umdeutung des Darstellungsbegriffs liegt die hier interessierende Leistung der Klopstockschen Poetik, die aus dieser Perspektive als Vorbereitung der frühromantischen Darstellungstheorie betrachtet werden kann.

Das Konzept der Darstellung als einer Potenz zur ‚Bewegung’ und einer spezifischen Vergegenwärtigungsform erläutert Klopstock in seiner Schrift Die deutsche Gelehrtenrepublik (1774) mit Hilfe der Unterscheidung zwischen dem Terminus der

‚Darstellung’ und den Begriffen der ‚Abhandlung’ und der ‚Beschreibung’. Diese Differenzierung spielt im Gesamtkontext der Deutschen Gelehrtenrepublik eine wichtige Rolle. Die Differenzierungsmerkmale bei der Aufteilung der ‚Republik’ in bestimmte Schichten (‚Pöbel’, ‚Volk’, ‚Zünfte’ und ‚Aldermänner’) bilden erstens der Umfang des angeeigneten Wissens und zweitens die Art und Weise der Eingliederung in die Strukturen der kommunikativen Verteilung des Wissens in der Gesellschaft. In dieser Hinsicht kann Klopstocks ‚Gelehrtenrepublik’ als ein Modell der gesellschaftlichen Wissensverwaltung betrachtet werden. Bei seiner Unterscheidung zwischen den Bereichen der ‚Unter-’ und

‚Oberzünfte’ stellt die Fähigkeit zu entdecken und zu erfinden, d.h. neues Wissen zu generieren, das entscheidende Kriterium dar.464 Wichtig ist dabei vor allem – und hier kommt der Darstellungsbegriff zum Einsatz –, dass die wissensproduzierenden ‚Oberzünfte’

der ‚Gelehrtenrepublik’ in ‚darstellende’ und ‚abhandelnde’ aufgeteilt werden.465 Diese Unterscheidung hängt mit Klopstocks Ansicht zusammen, dass die Potenz einer

‚Abhandlung’ oder ‚Beschreibung’ nicht dafür ausreicht, ‚leblose Dinge’ in Bewegung zu zeigen, sondern lediglich dazu, diese nur als „leblose einem selber leblosen Blick zu unterwerfen“.466 Eine ‚Belebung’ des behandelten Gegenstands kommt nach Klopstock erst

462 Klopstock, Friedrich Gottlieb: GNP; S. 171.

463 Menninghaus, Winfried: Klopstocks Poetik der ‚schnellen Bewegung’, a.a.O.; S. 332.

464 Klopstock, Friedrich Gottlieb: Die deutsche Gelehrtenrepublik. In: ders: Werke und Briefe. Historisch-Kritische Ausgabe. Hg. v. Horst Gronemeyer, Elisabeth Höpker-Herberg, Klaus Hurlebusch u. Rose-Maria Hurlebusch. Abt. Werke: VII (I), Die deutsche Gelehrtenrepublik. Bd. I: Text. Hg. v. Rose-Maria Hurlebusch.

Berlin/New York 1975; S. 8.

465 Vgl. ebd.; S. 9.

466 Menninghaus, Winfried: ‚Darstellung’, a.a.O.; S. 210.

im Akt der Darstellung zustande. Das gilt nicht nur für den Bereich der Dichtung, sondern auch für andere darstellende Zünfte wie die Geschichtsschreibung und die Rhetorik.467 Bei dem Hinweis auf ‚Bewegung’ geht es auch hier nicht nur darum, durch Darstellung bestimmte Gegenstände ‚in Bewegung’ zu zeigen bzw. zu bringen, sondern auch das rezipierende Bewusstsein in Bewegung zu setzen.

Bei Klopstocks Aufwertung des Darstellungsparadigmas auf der Ebene der Wissensproduktion handelt es nicht nur um ein „Vergnügen an der Form“.468 In seiner Poetik der Darstellung wird die Opposition zwischen Form und Inhalt aufgehoben bzw.

modifiziert. Die darstellende Tätigkeit stellt in diesem Zusammenhang nicht nur einen Akt der Formgebung dar, sondern ihre Bestimmung reicht darüber hinaus. Klopstock fasst die Leistung der Darstellung in einer prägenden Formel zusammen: „Darstellung hat Theorie“.469 Nach dieser Definition kann Darstellung nicht nur als ein Formphänomen betrachtet werden, sondern wird – so wie in der Frühromantik auch – ausdrücklich in erkenntnistheoretische Kontexte eingebunden.

Bei Klopstocks Unterscheidung zwischen der ‚Abhandlung’ bzw. ’Beschreibung’ und der

‚Darstellung’ ist vor allem von Belang, dass die ‚Abhandlung’ Theorie ist, während die Darstellung Theorie hat.470 In dieser Unterscheidung wird ein entscheidendes Merkmal des darstellerischen Aktes erkennbar. Es handelt sich darum, dass die Darstellung, um

‚theoretisch’ zu sein, nicht unbedingt auch die formalen und strukturellen Kriterien des theoretischen Denkens erfüllen muss. Um die Darstellung mit einer bestimmten theoretischen Aussagekraft aufzuladen, ist es also nicht erforderlich, den Bereich des Poetischen zu verlassen. Klopstock unterscheidet auf diese Weise explizit zwischen zwei Formen der Theorie- bzw. Wissensgenerierung. Neben der begrifflich gestützten und diskursiv strukturierten Wissensproduktion entwirft er ein Konzept des Theoretischen, in dessen Mittelpunkt sich weder eine bestimmte Axiomatik noch eine Methodologie, sondern der erkenntnisrelevante Akt der Formgebung befindet. Man kann mit Winfried Menninghaus auch sagen, dass im Akt der Darstellung das „immanente theoretische Moment der künstlerischen Form“471 zum Vorschein kommt.

Mit Klopstocks Spaltung des Theoriebegriffs kommt es auf der Ebene der poetischen Produktion zu einer Verschiebung. Die Tätigkeit der Darstellung fungiert in Klopstocks Poetologie nicht mehr als eine sekundäre Stufe des poetischen Prozesses, d.h. als

467 Vgl. Klopstock, Friedrich Gottlieb: Die deutsche Gelehrtenrepublik, a.a.O.; S. 8.

468 Menninghaus, Winfried: ‚Darstellung’, a.a.O.; S. 210.

469 Klopstock, Friedrich Gottlieb: Die deutsche Gelehrtenrepublik, a.a.O; S. 9.

470 Vgl. ebd.

471 Menninghaus, Winfried: Klopstocks Poetik der ‚schnellen Bewegung’, a.a.O.; S. 335.

Ausführung einer ihr vorausliegenden Erfindung. Klopstocks Poetik zielt nicht auf die Darstellung eines gefundenen Stoffes, sondern konzentriert sich vielmehr auf die Potenz zur Erfindung neuartiger Darstellungsformen. In der Invention neuer Darstellungsformen liegt auch die eigentliche ‚theoretische’ Leistung dieser Art von Formgebung. Aus einer rhetoriktheoretischen Perspektive betrachtet bedeutet es, dass in Klopstock Poetik der Akt der Darstellung nicht auf die Funktion der elocutio zu reduzieren ist, sondern ausdrücklich über die Supplierung des Ausdrucks und des Stils hinausgeht. Nach Menninghaus kommt es dadurch zur Verschiebung des gesamten rhetorischen Systems: „Als Darstellung ordnet sich die elocutio nämlich alle anderen Teile der Rhetorik unter und wird koextensiv mit dem Rhetorischen überhaupt.“472 Mit dieser Unterordnung des ganzen rhetorischen Systems unter die elocutio wird auch das erkenntnisbezogene Moment der inventio in den Bereich der Darstellung verschoben. Wie weiter oben bereits angedeutet, wird die elocutio damit

‚theoretisch’.

In diesem Konzept einer theoretisch aufgewerteten elocutio bzw. der erkenntnistheoretisch relevanten Darstellung lässt sich eine Korrespondenz zu Novalis’ weiter oben erläutertem Verständnis der ‚Räthselsprache’ erkennen. Wie bereits gezeigt, bezieht sich das epistemologische Moment der ‚Verschlüsselung’ einer Botschaft weniger auf deren Inhalt, sondern vielmehr auf deren Ausdruckseite. Auch Novalis’ Inventorik konzentriert sich nicht vordergründig auf die Produktion von neuen Stoffen, sondern favorisiert entschieden die Suche nach einer neuen Form der poetischen Mitteilung: „Alle Wahrheit ist Uralt. Der Reiz der Neuheit liegt nur in den Variationen des Ausdrucks.“473 Die Notwendigkeit neuartiger Artikulationsformen konstatiert auf eine ähnliche Weise auch Friedrich Schlegel:

Alle höchsten Wahrheiten jeder Art sind durchaus trivial, und eben darum ist nichts notwendiger, als sie immer neu und womöglich immer paradoxer auszudrücken, damit es nicht vergessen wird, daß sie noch da sind, und daß sie eigentlich nie ganz ausgesprochen werden können.474

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