• Keine Ergebnisse gefunden

Medialität der religiösen Mitteilung: Schriftkritik und die Figur des Mittlers

Exkurs: Adam Müllers Lehre vom Gegensatze (1804)

2. Religiöse Kommunikation: Friedrich Schleiermachers Reden Über die Religion (1799)

2.6 Medialität der religiösen Mitteilung: Schriftkritik und die Figur des Mittlers

Schleiermacher konzipiert sein Religionsmodell ganz im Sinne der im Geselligkeitsaufsatz postulierten Maximen als ein soziales Gebilde, das auf direkter kommunikativer Interaktion zwischen anwesenden Personen beruht. Das Wechselwirkungsverhältnis zwischen den Mitgliedern einer religiösen Gemeinschaft realisiert sich in Form mündlicher

231 Luckmann, Thomas: Die unsichtbare Religion, a.a.O.; S. 171.

232 Luhmann, Niklas: Religion als Kommunikation, a.a.O.; S. 137.

233 Vgl. Schleiermacher, Friedrich: KGA I.2; S. 194.

Kommunikation. Bei dieser grundsätzlichen Bestimmung der religiösen Sozialität benutzt Schleiermacher die Metapher der „Stadt Gottes“, deren ‚Bürger’ sich in einem gemeinsamen Wahrnehmungsraum befinden und im Rahmen einer unmittelbaren Face-to-face-Kommunikation gegenseitig aufeinander einwirken.234

Wenn man Schleiermachers ‚Reden’ nicht nur als eine Abhandlung über das Wesen der Religiosität, sondern als eine Art Selbstbeschreibung der Religion betrachtet, dann kann man in ihnen ein signifikantes Beispiel für eine medienbezogene religiöse Reflexion erkennen. So gesehen besinnt sich die Religion in den ‚Reden’ auf „den ihr adäquaten Kommunikationsmodus, sie macht Präferenzen geltend und selegiert“.235 Schleiermacher favorisiert in seinem kommunikativen Religionsmodell entscheidend die mündliche Sprache als ein geeignetes Artikulationsmedium des Religiösen vor dem geschriebenen bzw.

gedruckten Wort. Der erste Grund für die Ablehnung einer medialen Vermittlung der Religion hängt mit seiner Hypostasierung der individuellen religiösen Erfahrung zusammen.

Diese kann nach Schleiermacher nämlich nicht auf dem Umweg über die Lektüre religiöser Schriften erworben werden, sondern muss aus der unmittelbaren persönlichen Anschauung des Transzendenten hervorgehen: „[W]er von ihr [der Religion; P.G.] etwas ausspricht, muß es nothwendig gehabt haben, denn er hat es nirgends gehört. Vor allem was ich als ihr Werk preise und fühle steht wohl wenig in heiligen Büchern.“236

Das zweite Argument gegen die mediale Zwischenschaltung im Prozess religiöser Kommunikation hängt mit der Beschaffenheit des Mediums Schrift zusammen.

Schleiermacher formuliert seine Einwände wie folgt:

[R]eligiöse Mittheilung ist nicht in Büchern zu suchen, wie etwa andere Begriffe und Erkenntniße. Zuviel geht verloren von dem ursprünglichen Eindruk in diesem Medium, worin alles verschlukt wird, was nicht in die einförmigen Zeichen paßt, in denen es wieder hervorgehen soll, wo Alles einer doppelten und dreifachen Darstellung bedürfte, indem das ursprünglich Darstellende wieder müßte dargestellt werden, und dennoch die Wirkung auf den ganzen Menschen in ihrer großen Einheit nur schlecht nachgezeichnet werden könnte durch vervielfältigte Reflexion; nur wenn sie verjagt ist aus der Gesellschaft der Lebendigen, muß sie ihr vielfaches Leben verbergen im todten Buchstaben. 237

234 Vgl. Schleiermacher, Friedrich: KGA I.2; S. 269.

235 Tyrell, Harmann: ‚Das Gesellige in der Religion’, a.a.O.; S. 37.

236 Schleiermacher, Friedrich: KGA I.2; S. 195.

237 ebd.; S. 268.

Schleiermachers Polemik gegen die mediale Vermittlung religiöser Anschauung korrespondiert mit seinem kritischen Verhältnis zur dogmatischen Schrift- bzw.

Buchreligion238:

Jede heilige Schrift ist nur ein Mausoleum der Religion, ein Denkmal, daß ein großer Geist da war, der nicht mehr da ist; denn wenn er noch lebte und wirkte, wie würde er einen so großen Werth auf den todten Buchstaben legen, der nur ein schwacher Abdruk von ihm sein kann? Nicht der hat Religion, der an eine heilige Schrift glaubt, sondern welcher keiner bedarf, und wohl selbst eine machen könnte.239

Obwohl Schleiermacher die schriftliche und die drucktechnisch-mediale Vermittlung religiöser Anschauung ablehnt, hält er an einer bestimmten Form der Medialität fest. Diese wird verkörpert durch die Figur des Predigers, dem die Position eines Mittlers zwischen dem

‚unendlichen’ Universum und dem in seinen Wahrnehmungskapazitäten limitierten Individuum zugewiesen wird. Als Mittler bezeichnet Schleiermacher diejenigen Mitglieder der religiösen Gemeinde, die die Fähigkeit besitzen, zwischen den entgegengesetzten Kräften der Aneignung und der Mitteilung von religiöser Anschauung ein Gleichgewicht herzustellen. Es handelt sich dabei um „Gesandte der Gottheit“, die als Dolmetscher des göttlichen Willens und als „Mittler zwischen dem eingeschränkten Menschen und der unendlichen Menschheit“240 agieren. Nach Schleiermachers Vorstellung bedarf „[j]eder Mensch [...] eines Mittlers, eines Anführers der seinen Sinn für Religion aus dem ersten Schlummer weke und ihm eine erste Richtung gebe“.241 Aus dieser scheinbar ungleichen Beziehung entwickelt sich in Schleiermachers Religionsmodell jedoch kein institutionalisiertes Abhängigkeitsverhältnis. Die Fähigkeit des religiösen Redners, eine Verbindung zum Universum zu initiieren, wird nicht wie in der institutionalisierten Kirche an eine bestimmte Position gebunden: „Wenn einer hervortritt vor den Übrigen ist es nicht ein Amt oder eine Verabredung die ihn berechtigt.“242

Schleiermachers Religionsgedanke beruht also auf einer genuin nicht-hierarchischen Struktur. Obwohl er an der traditionellen Rollenverteilung zwischen Prediger und Gemeinde festhält, herrscht im Prozess der von ihm dargestellten religiösen Kommunikation das Prinzip der „vollkommensten Gleichheit“.243 Oder wie Schleiermacher an einer anderen

238 Zum Thema ‚Buchreligion’ vgl. Lang, Bernhard: Buchreligion. In: Cancik, Hubert u.a. (Hg.): Handbuch religionswissenschaftlicher Grundbegriffe. Bd. 2. Stuttgart u.a. 1990; S. 143-165.

239 Schleiermacher, Friedrich: KGA I.2; S. 242.

240 ebd.; S. 193.

241 ebd.; S. 242.

242 ebd.; S. 269.

243 ebd.

Stelle bemerkt: „Ich sehe nichts, als daß alles Eins ist und daß Alle Unterschiede, die es in der Religion selbst wirklich giebt, eben durch die gesellige Verbindung sanft in einander fließen.“244 Die Verabschiedung hierarchischer Strukturen wird dadurch ermöglicht, dass die in jeder kommunikativen Situation sich konstituierende Rollenverteilung nicht auf Dauer fixiert wird, sondern flexibel bleibt. In Schleiermachers religiösem Wechselwirkungsverhältnis übernimmt jedes Mitglied die Rolle des Priesters und gleichzeitig eines Laien.245 Darin zeigt sich auch, dass Schleiermachers Favorisierung der Predigt der geforderten Wechselseitigkeit der religiösen Kommunikation nicht widerspricht.

Die Fähigkeit zum fließenden Wechsel zwischen der Prediger- und der Laien-Position, über die jedes Gemeindemitglied verfügt, verhindert die unerwünschte Einseitigkeit des Kommunikationsflusses und sorgt für Interaktion:

Jeder ist Priester, indem er die Andern zu sich hinzieht auf das Feld, welches er sich besonders zugeeignet hat, und wo er sich als Virtuosen darstellen kann: jeder ist Laie, indem er der Kunst und Weisung eines Andern dahin folgt, wo er selbst Fremder ist in der Religion.246

Die scheinbare Differenz zwischen Priestern und Laien einer religiösen Gemeinde ist nach Schleiermacher nur „ein Unterschied des Zustandes und der Verrichtungen“.247 Die Gemeinschaft der Gläubigen bildet ein „priesterliches Volk“, eine „vollkommne Republik, wo Jeder abwechselnd Führer und Volk ist, jeder derselben Kraft im Andern folgt, die er auch in sich fühlt, und womit auch Er die Andern regiert“.248 Die strikt nicht-hierarchische Struktur des Religionsmodells von Schleiermacher hängt auch mit dem Umstand zusammen, dass das bei jedem Gemeindemitglied sich einstellende Bedürfnis nach einem Mittler nur einen „vorübergehende[n] Zustand“249 darstellt. Nachdem unter der Mitwirkung des Mittlers in dem ‚Novizen’ die Fähigkeit zur religiösen Anschauung geweckt und ihr eine Richtung gegeben wird, entwickelt sich diese aus eigener Kraft selbstständig weiter.

244 Schleiermacher, Friedrich: KGA I.2; S. 270.

245 Vgl. ebd.

246 ebd.

247 ebd.

248 ebd.

249 ebd.; S. 242.

Outline

ÄHNLICHE DOKUMENTE