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Performanz des frühromantischen Wissens über Kommunikation

2. Hinführung zu einer Theorie des performativen Wissens

2.2 Facetten des Performativitätsparadigmas

Das vor allem im Kontext der Kulturwissenschaften in den letzten Jahren virulent gewordene Paradigma der Performativität stellt kein konsistentes Theorieganzes dar, sondern ein Gewebe aus unterschiedlichen theoretischen Ansätzen. Um die Relevanz des Performativitätsbegriffs als mögliche Beschreibungskategorie für die Spezifik der frühromantischen Reflexion zu überprüfen, werden im Folgenden zunächst die Hauptströmungen und -ansätze dieses ‚transdisziplinären’ Paradigmas in ihren wesentlichen Zügen skizziert.

Performativität als sprachphilosophische Kategorie

Den ersten Bezugspunkt bildet die Verwendung des Peformativitätsbegriffs in der Sprachphilosophie. John L. Austin führte den Begriff des Performativen im Rahmen seiner Theorie der Sprechakte ein. Zeugnis davon legt vor allem seine 1955 gehaltene und posthum erschienene Vorlesungsreihe How to do Things with Words ab, in der das Performative eine bestimmte Art von Sprechakten – die ‚performativen Äußerungen’ (performative utterances) – bezeichnet.556 Austin bezieht sich bei seiner Begriffsbildung auf die herkömmliche Bedeutung des Verbs to perform: ‚vollziehen’ im Sinne von „man ‚vollzieht’

Handlungen“557. Im Kontext seiner Theorie gewinnt dieses Wort allerdings eine ganz spezifische Bedeutung. Austins Theorie der Sprachakte beruht auf der Unterscheidung zwischen ‚konstativen’ und ‚performativen’ Äußerungen. Während mit Hilfe konstativer Äußerungen Tatsachen behauptet und Sachverhalte beschrieben werden, transzendieren performative sprachliche Äußerungen den Bereich der Sprache, indem sie als Handlungen fungieren. Die entscheidenden Differenzen zwischen den beiden Kategorien der Sprechakte bestehen erstens darin, dass konstative Äußerungen aufgrund ihrer Referenzfunktion auf ihren Wahrheitsgehalt überprüft werden können, während die nicht-referentiellen performativen Äußerungen dem Wahrheitskriterium nicht unterliegen. Der zweite Unterschied besteht darin, dass Konstativa bereits vorhandene Sachverhalte lediglich sprachlich wiedergeben, performative Äußerungen dagegen die von ihnen artikulierten Sachverhalte erst hervorbringen. Performative Sprechakte, so könnte man auch sagen, zeigen sich als eine Möglichkeit, in die Welt einzugreifen, weil sie über die Potenz verfügen, Sachverhalte zu modifizieren bzw. neue zu erschaffen.

Performativität als Paradigma der Kultur- und Sozialwissenschaften

Die zweite Ausprägung des Performativitätsbegriffs entstammt dem Kontext der Anthropologie, Ethnologie und Soziologie der 60er und 70er Jahre. In diesem (hauptsächlich amerikanischen) Forschungsfeld wurde der Begriff des Performativen gebraucht, um eine spezifische Form menschlichen Handelns abgrenzen zu können. Im Visier standen Akte kultureller Praxis, die sich durch ihren Inszenierungscharakter bzw. die Form einer

556 Austin, John L.: Zur Theorie der Sprachakte. (How to do Things with Words). Stuttgart 1972.

557 ebd.; S. 28.

theatralen Aufführung auszeichnen.558 Zum Gegenstand des wissenschaftlichen Interesses wurden dadurch Akte der cultural performance559, in denen eine Kultur artikuliert, vollzogen, archiviert und überliefert wird.

Dieser Forschungsansatz entwickelte sich zu einer generellen Neuausrichtung in den Geistes-, Sozial- und Kulturwissenschaften, die mit dem Stichwort performative turn markiert wird.560 Während im Visier der Anthropologie und Ethnologie hauptsächlich kulturelle Praktiken exotischer Ethnien standen, wird im Zeichen der kulturwissenschaftlichen Neuausrichtung der Blick auf die performativen Aspekte der abendländischen Kultur gerichtet. Die Wende zum Performativen vollzieht sich dabei in einem Spannungsverhältnis zu einer früheren theoretisch-methodologischen Verschiebung – dem linguistic turn. Während sich unter dem Zeichen des linguistic turn der Forschungsfokus auf die Zeichenstruktur kultureller Artefakte richtete, rückt der performative turn den Aufführungs- und Inszenierungscharakter kultureller Praktiken in den Vordergrund. Im Unterschied zur sprachphilosophischen Prägung des Performativitätsbegriffs, die die Ausführungsdimension des Verbs to perform aufgreift, markiert der kulturwissenschaftliche Begriff in erster Linie die Bedeutungsebene der Aufführung. Die Spezifik dieses Performativitätsbegriffs besteht also darin, dass damit nicht nur der Handlungs-, sondern vor allem der Aufführungscharakter kultureller Phänomene bezeichnet wird. In Erika Fischer-Lichtes Bestimmung des Begriffs der ‚Aufführung’ als dem Hauptmerkmal performativer kultureller Praktiken kommt der breite Fokus des neuen wissenschaftlichen Feldes zum Vorschein:

‚Aufführung’ meint ein strukturiertes Programm von Aktivitäten, das zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort von einer Gruppe von Zuschauern durch- bzw. vorgeführt wird. Bei einer Aufführung kann es sich folglich um Rituale, Zeremonien, Feste, Spiele, Sportwettkämpfe, politische Veranstaltungen, Zirkusvorführungen, Striptease Shows, Konzerte, Opern-, Tanz-, Schauspielaufführungen, künstlerische Performances u.a. handeln.561

558 Zu dieser wissenschaftlichen Entwicklung vgl. z.B. Carlson, Marvin: Performance: a critical introduction.

London/New York 1996; S. 13ff.

559 Zum Begriff cultural performance vgl. Singer, Milton: Traditional India. Structure and Change.

Philadelphia 1959.

560 Vgl. v.a. Wirth, Uwe (Hg.): Performanz. Zwischen Sprachphilosophie und Kulturwissenschaften. Frankfurt a.M. 2002.

561 Fischer-Lichte, Erika: Performativität und Ereignis. In: dies.; Horn, Christian; Umathum, Sandra; Warstat, Matthias (Hg.): Performativität und Ereignis. Tübingen/Basel 2003; S. 11-37, hier S. 15.

Aus diesem umfangreichen Fundus an Untersuchungsgegenständen formiert sich das interdisziplinär angelegte Feld der performance studies.562

Performance als künstlerische Praktik und ästhetisches Modell

Die dritte Dimension des Performativitätsparadigmas stellt einen Teilbereich des kulturwissenschaftlichen Ansatzes dar und ist im Kontext der kunstwissenschaftlichen Forschung anzusiedeln. Den Ansatzpunkt dieser Ausrichtung bildet eine signifikante Entwicklung in den bildenden Künsten des 20. Jahrhunderts. Es handelt sich um eine Transformation künstlerischen Schaffens, die sich vor allem durch den Aufführungs- bzw.

Vollzugscharakter und die Ereignishaftigkeit der neuen künstlerischen Ausdrucksformen auszeichnet. Fischer-Lichte bezeichnet diese Tendenz als eine „performative[] Wende in den Künsten“563. Im Visier der neueren kunstwissenschaftlichen Forschung stehen also z.B.

„Happening und Fluxus, die zeitgenössische Performance-Art, de[r] Event, aber auch die Konzept- und die zeitlich terminierte Installationskunst“.564 Der Begriff des Performativen wird in diesem Kontext zunächst analog zu der Begriffsprägung in den Kulturwissenschaften eingesetzt. Auch im Bereich der Kunst meint Performativität zunächst den Akt der Aufführung vor einem Publikum und die Dimension des praktischen Vollzugs. Mit dieser Bedeutung hängt auch die Bezeichnung performance art zusammen, die im Mittelpunkt dieses kunstwissenschaftlichen Ansatzes steht.

Die Grundlage dieser Ausrichtung des Performativitätsparadigmas bildet die These, dass die Kunstwerke der oben genannten Art nicht mehr mit den Begriffen herkömmlicher Ästhetiken zu erfassen sind. Um die performativen Künste angemessen beschreiben und analysieren zu können, ist deshalb ein neues wissenschaftliches Modell – eine ‚Ästhetik des Performativen’ – erforderlich.565 Als Hauptbezugspunkte dieser neuen Ästhetik gelten die für die performativen Künste charakteristische Abwendung von dem Paradigma der Repräsentation und der Wechsel vom Werkcharakter der Kunst zur Ereignishaftigkeit des künstlerischen Aktes. Es handelt sich dabei also um die Abkehr von einem Verständnis der Kunst, bei dem der Bezug auf ein Artefakt konstitutiv ist.566

562 Vgl. z.B. Schechner, Richard: Performance Studies. An Introduction. New York/London 2002.

563 Fischer-Lichte, Erika: Ästhetik des Performativen. Frankfurt a.M. 2004; S. 30.

564 Mersch, Dieter: Ereignis und Aura, a.a.O.; S. 19.

565 Vgl. Fischer-Lichte, Erika: Ästhetik des Performativen, a.a.O.; S. 30 und auch Mersch, Dieter: Ereignis und Aura, a.a.O.; S. 19.

566 Vgl. Fischer-Lichte, Erika: Grenzgänge und Tauschhandel. Auf dem Wege zu einer performativen Kultur.

In: With, Uwe (Hg.): Performanz. Zwischen Sprachphilosophie und Kulturwissenschaften. Frankfurt a.M.

2002; S. 277-300, hier S. 285f.

Mit der Differenz zwischen ‚Werk’ und ‚Ereignis’ werden nach Dieter Mersch zwei gegenläufige Traditionen im Bereich der bildenden Künste markiert: die Werkästhetik und die Ereignisästhetik .567 Der ersten lässt sich nach Mersch generell die gesamte neuzeitliche Kunst zuordnen, der zweiten die ‚Postavantgarde’, d.h. die Kunst der letzten fünfzig Jahre.

Diese Differenz charakterisiert gleichzeitig einen Wandel in der Kunstgeschichte, die Mersch ähnlich wie Fischer-Lichte als eine ‚performative Wende’ bezeichnet.568 Nach dieser Auffassung wird bei einer Performance kein Kunstwerk geschaffen, sondern ein Ereignis initiiert, für dessen Vollzug die Interaktionsbeziehung zwischen dem Autor und den Rezipienten von entscheidender Bedeutung ist.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das gemeinsame Moment aller drei genannten Facetten der Theorie des Performativen zunächst darin besteht, dass sie an die Intention einer theoretischen Neuerung gekoppelt sind. Austins Entdeckung der performativen Dimension sprachlicher Äußerungen, die ‚performative Wende’ im Sinne einer neuen kulturwissenschaftlichen Optik und auch die Forderung nach einer ‚Ästhetik des Performativen’ im kunstwissenschaftlichen Kontext – alle diese Ansätze zielen auf die Durchsetzung eines neuen theoretischen Paradigmas.

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