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Frühromantik als Kommunikationsparadigma : zur Diskursivität und Performanz des kommunikativen Wissens um 1800

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Academic year: 2022

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Frühromantik als Kommunikationsparadigma

Zur Diskursivität und Performanz des kommunikativen Wissens um 1800

Dissertation

Zur Erlangung des akademischen Grades des Doktors der Philosophie an der Universität Konstanz

Geisteswissenschaftliche Sektion, Fachbereich Literaturwissenschaft

vorgelegt von

Patrik Garaj

Tag der mündlichen Prüfung:

27. Juni 2006

Referentin: Prof. Dr. Almut Todorow Referent: Prof. Dr. Albrecht Koschorke

Konstanzer Online-Publikations-System (KOPS) URL: http://www.ub.uni-konstanz.de/kops/volltexte/2007/3276/

URN: http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bsz:352-opus-32768

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Danksagung

Ich bedanke mich ganz herzlich bei Frau Prof. Dr. Almut Todorow, die diese Arbeit betreut hat. Ich bin dankbar für die Aufnahme in die Arbeitsgruppe, für die zahlreichen Vorschläge und kritischen Anmerkungen bei der Konzipierung und Durchführung dieses Promotionsprojektes, sowie für die ständige Unterstützung und Hilfsbereitschaft.

Herrn Prof. Dr. Albrecht Koschorke danke ich für die Übernahme des Zweitgutachtens, für seine Hilfe während der Entstehung dieser Arbeit und für die Impulse, die ich in seinem Forschungskolloquium gewinnen konnte.

Für anregende Diskussionen möchte ich mich bei den Teilnehmern des ‚Kleinen internen Kolloquiums’ bedanken. Es waren Sven Grampp, Bernd Schmid-Ruhe, Bernhard Rapp, Heinz Baumgartner, Michael Frank und Felix Tirschmann.

Für die Korrektur des Manuskripts bin ich vor allem Hannah Müller zu besonderem Dank verpflichtet. Ich danke auch Sven Grampp, Bernhard Rapp und Cordula Eitel, die Teile der Arbeit gelesen und mir Vorschläge für Verbesserungen gemacht haben.

Für die finanzielle Unterstützung, die ich durch ein Stipendium der Landesgraduiertenförderung erhalten habe, möchte ich mich herzlich bedanken.

Bei meiner Mutter bedanke ich mich für die ‚telefonische’ Unterstützung während der Entstehung dieser Arbeit.

Meiner lieben Gabi sollte diese Arbeit mit Dank gewidmet sein.

Sie hat aber viel mehr verdient.

Konstanz, im Dezember 2005 Patrik Garaj

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Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1

1. Frühromantik und Kommunikation: Erste Annäherung 1

2. Thematisch-methodologischer Aufriss 3

2.1. Variationen der Kommunikationsgeschichte 3

2.1.1 Kommunikationsgeschichte versus Mediengeschichte 6 2.1.2 Geschichte interpersonaler Kommunikation 8

2.1.3 Moderne Kommunikation 9

2.2 Geschichte des Wissens über Kommunikation 10

2.2.1 Die ‚andere’ Aktualität der Frühromantik 12

2.2.2 Semantik des frühromantischen Kommunikationswissens 16

2.2.3 Frühromantische Reflexion des Sozialen 17

2.3. Poetologie des performativen Kommunikationswissens 20

Teil I.

Diskursivität des frühromantischen Wissens über Kommunikation

23

1. Aufwertung der Kommunikation: Friedrich Schleiermachers Versuch einer

Theorie des geselligen Betragens (1799) 23

1.1 Schleiermacher als Kommunikationstheoretiker 23

1.2 Schleiermachers Geselligkeitstheorie im geschichtlichen Kontext 26 1.3 Geselligkeitstheorie und die Tradition der Konversationslehre 28

1.4 Orientierungsfunktion der Theorie 32

1.5 Geselligkeit als Strategie der Entdifferenzierung und der Komplexitätsreduktion 34

1.6 Theorem der Wechselwirkung 37

1.7 Die Metamorphose des Schicklichen 40

1.8 Das missing link der Geselligkeitstheorie 45

Exkurs: Adam Müllers Lehre vom Gegensatze (1804) 52

1. Die Notwendigkeit einer Theorie des Sozialen 52

2. Müllers ‚Gegensatzlehre’ als moderne Beobachtungstheorie 53

3. Der ‚blinde Fleck’ der Kommunikation 55

(4)

2. Religiöse Kommunikation: Friedrich Schleiermachers Reden Über die Religion

(1799) 58

2.1 Religion als Kommunikation – ein junges Forschungsfeld 58 2.2 Neubestimmung des Religiösen in Schleiermachers ‚Reden’ 61 2.3 Individualität und Fragmentarität der religiösen Anschauung 63

2.4 Schleiermachers ‚Philosophie der Mitteilung’ 65

2.5 Religiöse Geselligkeit 70

2.6 Medialität der religiösen Mitteilung: Schriftkritik und die Figur des Mittlers 72

2.7 Der ‚Ton’ der religiösen Kommunikation 76

2.8 Das Problem der Inkommunikabilität und dessen ästhetische Lösung 78

3. Kommunikation als Mythologem: Das frühromantische Konzept der Neuen

Mythologie 83

3.1 Von der ‚geselligen Religion’ zur Neuen Mythologie 83

3.2 Die Geselligkeit der Neuen Mythologie 85

3.3 Kommunikative Funktion der (Neuen) Mythologie 89

3.4 Der Mythos der Begründung und die Begründung der Mythologie 91 3.5 Kommunikation und die Gemeinschaftlichkeit des Seins 95 3.6 Frühromantische Reflexion des Gemeinschaftsverlusts 98

3.7 Verschmelzung von Theorie und Praxis 101

Teil II.

Performanz des frühromantischen Wissens über Kommunikation

104

1. Jenseits der Diskursivität: Darstellung und Witz als Erkenntnismodi 104 1.1 Ambivalenz des frühromantischen Kommunikationsparadigmas 104 1.2 Die ‚Räthselsprache’: Exklusionsstrategie oder ‚Denkaufgabe’? 110 1.3 Die Kommunizierbarkeit der Kommunikationstheorie 115 1.4 Die erkenntnistheoretische Komponente der Darstellung 121 1.5 „Darstellung hat Theorie“ – Friedrich G. Klopstocks Darstellungsbegriff 124 1.6 Der ‚witzige Einfall’ und das Aufbrechen der Zeitlichkeit 129 1.7 Das fragmentarische Chaos und die Auflösung des Werks 135

(5)

2. Hinführung zu einer Theorie des performativen Wissens 141 2.1 Von der Darstellungspoetik und der ‚witzigen’ Denkart zur Performativität 141

2.2 Facetten des Performativitätsparadigmas 144

2.3 Arbeit am Begriff 148

2.4 Performative Dimension der Literatur 153

2.5 Performanz und/der Frühromantik 159

2.6 Rückblick: diskursive Aspekte des frühromantischen Kommunikationswissens 161

2.7 Performanz des Wissens 164

3. Performanz des frühromantischen Kommunikationswissens 168 3.1 Konsistenz des frühromantischen Kommunikationsdenkens 168

3.2 Das Moderne der modernen Kommunikation 172

3.3 Theorie des ‚operativen Displacements’ 175

3.4 Die Form aufgeklärter Kommunikation 177

3.5 Die Unwahrscheinlichkeit der Kommunikation kommunizieren 178

3.6 Fragmentarische Kommunikation 184

3.7 Ironische Kommunikation 188

3.8 Die Performanz der Unverständlichkeit 191

Zusammenfassung

196

Literaturverzeichnis 202

(6)

Einleitung

1. Frühromantik und Kommunikation: Erste Annäherung

Den Ansatzpunkt der vorliegenden Arbeit bildet die Beobachtung einer Paradoxie.

Paradoxien sind Aufmerksamkeitserreger, sie spornen den Geist an und fordern Erklärungen, die durchaus auch die Form wissenschaftlichen Arbeitens annehmen können. Das auf diese Weise erweckte Interesse kann allerdings sehr schnell nachlassen, wenn sich herausstellt, dass die betreffende Paradoxie – so wie es auch bei dieser Untersuchung der Fall ist – aus dem Kontext einer Auseinandersetzung mit Texten der deutschen Frühromantik stammt. Das bekannt affirmative Verhältnis des frühromantischen Denkens zur Form des Paradoxen birgt ja die Gefahr, dass ein Hinweis auf Paradoxes in diesem Umfeld sehr leicht seine eventuelle Brisanz verliert und dieses – ganz paradoxiefrei – als Normalität erscheint.

Die vorliegende Studie stellt sich dieser Gefahr und beharrt auf ihrem Gegenstand (deutsche Frühromantik) und ihrem benannten Ansatzpunkt (Paradoxie). Diese Zuversicht ergibt sich aus der Tatsache, dass der Fokus der Untersuchung sich nicht auf die frühromantische Reflexion des Paradoxen richtet, sondern auf eine Widersprüchlichkeit im Programm der Frühromantik selbst. Und zwar auf eine, die, so wird eingangs angenommen, von den frühromantischen selbstreflexiven Mechanismen unbemerkt blieb.

Ins Visier genommen werden dabei die ‚notorischen’ Topoi des frühromantischen Diskurses:

freie Geselligkeit, (neue) Religion, Neue Mythologie, Witz, Ironie, Fragment, Unverständlichkeit. Bei der Untersuchung wird von der Grundthese ausgegangen, dass sich hinter dieser, auf den ersten Blick stark heterogenen Begriffsreihe ein gemeinsames Moment verbirgt. Als verbindendes Element, so die Annahme, fungiert die spezifisch frühromantische Relationierung von Sozialität, künstlerischer und gedanklicher Imagination und der Suche nach einer geeigneten ästhetischen Ausdrucksform. Aus dem Kontext dieses frühromantischen Gedankenkomplexes stammt auch das beobachtete Paradoxon, das den Anstoß für die vorliegende Arbeit gab. Die Inkonsistenz des hier nur angedeuteten Reflexionszusammenhangs besteht darin, dass im frühromantischen Kreis einerseits – als Reaktion auf bestehende gesellschaftsstrukturelle Verhältnisse – enthusiastische Projekte zur Optimierung des sozialen und damit zusammenhängend auch des geistigen Lebens entwickelt werden, andererseits aber parallel dazu an einem nonkonformen ästhetischen Formrepertoire gearbeitet wird, das als Medium zur Herstellung der angestrebten sozialen Bindung problematisch oder sogar kontraproduktiv erscheint.

(7)

In der vorliegenden Arbeit wird dieses abstrakte, zwischen den Sphären des Sozialen und des Ästhetischen oszillierende Spannungsverhältnis in einer Perspektive gebündelt und präzisiert. Es handelt sich dabei um die Schnittstelle aller sozialen und ästhetischen Phänomene: die Kommunikation. Eine kommunikationsbasierte Herangehensweise ermöglicht zunächst die basale Beobachtung, dass im frühromantischen Kreis erstens der Zusammenhang zwischen Gesellschaftsbildung und Kommunikation theoretisch reflektiert und in Entwürfen alternativer Sozialmodelle appliziert wird, und dass hier zweitens im Bereich der Ästhetik gleichzeitig spezifische Formen literarischer Kommunikation diskursiv vorbereitet und performativ umgesetzt werden. Die ursprüngliche Paradoxie kann vor diesem Hintergrund als eine des frühromantischen Kommunikationsdenkens betrachtet werden. Sie besteht darin, dass in der Frühromantik mit den Konzepten der freien Geselligkeit, der geselligen Religion und der Neuen Mythologie einerseits engagierte, Kommunikation fordernde und fördernde Sozialentwürfe produziert werden, andererseits aber gleichzeitig eine ästhetische Praxis am Werk ist, die mit ihren Formprinzipien des Fragments und der Ironie die Möglichkeiten erfolgreicher Kommunikation destabilisiert bzw. stark limitiert.

Doch nicht der Nachweis dieser Ambivalenz des frühromantischen Denkens bildet das Hauptanliegen vorliegender Untersuchung. Im Zentrum des Interesses steht vielmehr das durch die Fokussierung der skizzierten Paradoxie sichtbar gewordene kommunikationsbezogene Wissensparadigma, das im Kontext der Frühromantik sowohl die Form einer abstrakt-theoretischen Reflexion als auch einer performativ strukturierten Wissensgenerierung annimmt. Das Ziel der Arbeit besteht darin, dieses um 1800 noch in keiner selbstständigen wissenschaftlichen Disziplin gebündelte, sondern in verschiedene diskursive Bereiche zerstreute und im frühromantischen Diskurs auf eine spezifische Weise signifikant gewordene Wissen über Kommunikation zu rekonstruieren. Es wird zu zeigen sein, dass im Kontext der Frühromantik die kommunikationsbezogenen Phänomene auf eine neuartige Weise aufgegriffen werden und dadurch die moderne Form theoretischer Auseinandersetzung mit Kommunikation vorbereitet wird, die im 20. Jahrhundert in einen selbstständigen Forschungs- und Diskurszusammenhang mündet. Der Verweis auf die historische Verortung des frühromantischen Kommunikationsdenkens spielt in der vorliegenden Arbeit zwar eine wichtige Rolle, der Fokus wird allerdings nicht auf die Nachzeichnung theoriegeschichtlicher Kontinuitäten verengt. Das Hauptinteresse gilt der Frühromantik und insbesondere der in ihrem Kontext beobachtbaren Verschränkung diskursiver und ästhetischer bzw. performativer Prozessualität der Wissensproduktion.

(8)

Mit dieser doppelten Artikulationsweise des Wissens hängt auch die Pointe der am Anfang als Initialzündung eingesetzten Paradoxie zusammen. Wie sich im Verlauf der Arbeit zeigen wird, entwerfen die Frühromantiker trotz des scheinbaren performativen Widerspruchs doch kein ‚schizophrenes’ Kommunikationsbild. Die Raffinesse der frühromantischen Kommunikationsreflexion besteht darin, dass sowohl die in ihrem Rahmen entworfenen kommunikationsbasierten Sozialmodelle als auch das ästhetische Programm der irritierenden Kommunikationsformen letztendlich auf derselben Erkenntnis beruhen: dass erfolgreiche Kommunikation unter dem Zeichen der Moderne nicht selbstverständlich bzw. als

‚unwahrscheinlich’ aufzufassen ist. Während die frühromantische Proto-Soziologie diese Beobachtung theoretisch aufgreift und an alternativen Sozialentwürfen arbeitet, die erfolgreiche Kommunikation gewährleisten sollen, führt die frühromantische Poesie die wahrgenommene Kontingenz der modernen Kommunikation performativ vor.

In dieser Konklusion wird zwar die eingangs aufgestellte Paradoxie aufgegeben; was allerdings bleibt, ist das auf dem Weg zu dieser Erkenntnis entstandene Bild des frühromantischen Kommunikationswissens.

2. Thematisch-methodologischer Aufriss

2.1 Variationen der Kommunikationsgeschichte

Durch die zweifache Erscheinungsform des frühromantischen kommunikationsbezogenen Wissens wird auch die Struktur der vorliegenden Arbeit bestimmt. Untersucht wird erstens die diskursive Verarbeitung von Kommunikation im frühromantischen Kreis (Teil I.) und zweitens die spezifische Form frühromantischer ästhetischer Kommunikation (Teil II.). Das gemeinsame Moment dieser beiden Ansätze besteht in der historisch orientierten Fokussierung des Phänomens Kommunikation. Im Zusammenhang mit dieser grundsätzlichen Perspektive stellt sich hinsichtlich der thematischen und methodologischen Verortung der vorliegenden Studie zunächst die Frage nach ihrer Position im Feld der kommunikationsgeschichtlichen Forschung. Um diese Frage beantworten zu können, ist an dieser Stelle zunächst ein kurzer Blick auf die Genealogie der Disziplin

‚Kommunikationsgeschichte’ erforderlich.

Der Grundstein für diesen Forschungsansatz wurde in den frühen 60er Jahren gelegt mit der stattgefundenen Transformation der traditionsreichen Publizistikforschung in eine empirisch-

(9)

sozialwissenschaftliche Kommunikationswissenschaft. Die neue kommunikationstheoretische Perspektive wirkte sich auch auf das Gebiet historisch ausgerichteter Forschung aus. Unter der zentralen Forderung nach einer sowohl methodologischen als auch gegenstandsbezogenen Horizonterweiterung der stagnierenden Pressegeschichtsforschung entwickelte sich die Kommunikationsgeschichte zu einem interdisziplinären Forschungsfeld, zu dessen Ansätzen u.a. historische Publikums- und Wirkungsforschung, Programmgeschichte des Hörfunks und des Fernsehens, Technikgeschichte sowie Geschichte der Kommunikationsberufe und Institutionen zählten.1 Der breite Fokus des kommunikationsgeschichtlichen Forschungsprogramms umfasste nicht nur „alle Formen und Medien menschlicher Kommunikation in der Gesellschaft“, sondern auch „den gesamten Prozeß der Kommunikation von der Aussageentstehung über die Inhalte und das Publikum bis zur Wirkung“.2

Durch diese thematische und methodologische Spannbreite wurde zwar einerseits der Nährboden für zahlreiche Einzeluntersuchungen geschaffen, gleichzeitig wurde dadurch aber andererseits auch die Frage nach dem eigentlichen Profil der ‚Mutterdisziplin’

Kommunikationsgeschichte virulent. Hinsichtlich der chronischen Mehrdeutigkeit und Unschärfe ihres Zentralbegriffs ‚Kommunikation’, vor allem aber im Zusammenhang mit der Breite des Beobachtungshorizonts, der sowohl historisch spezifische Formen als auch Inhalte, Medien und Bedingungen der Kommunikation umfasste, erwies sich eine genauere Bestimmung des Untersuchungsgegenstands, der Erkenntnisinteressen und der Methoden einer genuin als ‚kommunikationsgeschichtlich’ zu titulierenden Forschungsausrichtung als problematisch. Das ursprünglich von der Kommunikationsgeschichte beanspruchte Wirkungsfeld wurde allmählich durch historische Forschungen etablierter bzw. sich genau in diesem Kontext etablierenden Disziplinen, wie z.B. der Soziologie und der Literatur-, Kunst- und Medienwissenschaft beherrscht, die über präzisere methoden- und gegenstandsbezogene Koordinaten verfügten. Die Bezeichnung ‚Kommunikationsgeschichte’ wurde infolge dieser Entwicklung allmählich zu einem vagen und inhaltlich nicht gefüllten umbrella term diverser Spezialuntersuchungen.

Die sich aufzulösen drohende kommunikationsgeschichtliche Forschungsperspektive erlebte allerdings in den letzten Jahren eine Renaissance. Als prägnantes Zeichen dieser Erneuerung

1 Zur Grundlegung der Kommunikationsgeschichte vgl. v.a. Bobrowsky, Manfred; Langenbucher, Wolfgang R.

(Hg.): Wege zur Kommunikationsgeschichte. München 1987 und Bobrowsky, Manfred; Duchkowitsch, Wolfgang; Haas, Hannes (Hg.): Medien- und Kommunikationsgeschichte. Ein Textbuch zur Einführung. Wien 1987.

2 Bohrmann, Hans: Methodenprobleme einer Kommunikationsgeschichtsschreibung. In: Bobrowsky, Manfred;

Langenbucher, Wolfgang R. (Hg.): Wege zur Kommunikationsgeschichte, a.a.O.; S. 44-48, hier S. 45.

(10)

kann die Gründung des Jahrbuchs für Kommunikationsgeschichte betrachtet werden, dessen Herausgeber sich eine methodologisch-konzeptuelle Neugrundlegung der Kommunikationsgeschichte zum Ziel gesetzt haben.3 Den Ausgangspunkt bildet dabei das Bestreben, die kommunikationsgeschichtliche Forschung wieder stärker an den theoretischen Rahmen der Kommunikationswissenschaft zu binden. Da jedoch in diesem neu angesetzten Forschungszusammenhang mit dem Begriff ‚Kommunikation’ nach wie vor hauptsächlich die öffentlichen und massenmedial strukturierten Kommunikationsprozesse assoziiert werden, bleibt auch bei dieser kommunikationsgeschichtlichen Perspektive die Abgrenzung gegenüber anderen Forschungszusammenhängen, insbesondere aber gegenüber der Mediengeschichte uneindeutig und nicht ausreichend geklärt. Aus diesem Blickwinkel erscheint die ‚Kommunikationsgeschichte’ oft nur noch als ein Synonym für mediengeschichtliche Forschung. Die meisten der neueren, unter der Bezeichnung

‚Kommunikationsgeschichte’ agierenden Forschungsansätze zeigen sich bei genauerer Überprüfung letztendlich als medienhistorische Unternehmen.4 Im Hinblick auf die andauernde Konjunktur medienwissenschaftlicher Forschung wird die menschliche Kommunikation auch in historischer Hinsicht fast ausschließlich als Medienkommunikation aufgefasst.

Diese grob skizzierte Genealogie der historisch orientierten Erforschung von Kommunikation, die gegenwärtig in einen allumfassenden mediengeschichtlichen Forschungskomplex zu münden scheint, ist für die vorliegende Studie insofern relevant, da diese sich dem Thema Kommunikation ebenfalls aus einer historischen Perspektive nähert, die Frage der Medialität dabei allerdings nicht in den Mittelpunkt stellt. So gesehen zeigen sich weder die florierende Historiographie der Medien noch die neuere massenmedial orientierte Kommunikationsgeschichtsschreibung als geeignete methodologische Stützpunkte für die vorliegende Untersuchung. Es wird im Folgenden zu zeigen sein, dass der hier vertretene kommunikationsgeschichtliche Ansatz sich trotzdem in keinem theoretischen bzw. methodologischen ‚Vakuum’ befindet.

3 Vgl. Böning, Holger; Kutsch, Arnulf; Stöber, Rudolf: Vorwort. In: Jahrbuch für Kommunikationsgeschichte 1 (1999); S. V-VI, hier V.

4 Vgl. z.B. Wilke, Jürgen: Grundzüge der Medien- und Kommunikationsgeschichte. Von den Anfängen bis ins 20. Jahrhundert. Köln u.a. 2000. Wilkes Fokus beschränkt sich fast ausschließlich auf die Geschichte massenmedial vermittelter Kommunikation.

(11)

2.1.1 Kommunikationsgeschichte versus Mediengeschichte

Der Blick richtet sich in diesem Zusammenhang zunächst auf die in der gegenwärtigen Forschung beobachtbaren Theorieansätze, die auf der Legitimität einer kommunikationsgeschichtlichen Perspektive beharren und dabei ausdrücklich gegen die erwähnte Nivellierung der Kommunikationsgeschichte zugunsten der Mediengeschichte argumentieren.5 Den Ansatzpunkt dieser kommunikationsgeschichtlichen Theorieinitiative bildet die grundsätzliche These, dass die Medialität zwar einen wichtigen Aspekt der menschlichen Kommunikation darstellt, dass der Fokus einer betont

‚kommunikationsgeschichtlichen’ Forschungsperspektive allerdings nicht nur auf die mediale Ebene der Kommunikation beschränkt werden kann. In seinen „konzeptionellen Überlegungen“ zum Status kommunikationsgeschichtlicher Forschung geht Volker Depkat davon aus, dass die Kommunikationsgeschichte grundsätzlich als ein der Mediengeschichte übergeordnetes wissenschaftliches Unternehmen aufgefasst werden muss.6 Diese nicht nur auf das Feld des Medialen beschränkte kommunikationsgeschichtliche Perspektive wird folglich als eine „Geschichte der sozialen Kommunikation“ konzipiert.7 Im Visier dieser Forschungsausrichtung befindet sich der Entwicklungsprozess kommunikativer Praktiken,

„durch die Gesellschaften ihre Ordnung im Laufe der Jahrhunderte konstituiert, stabilisiert und reproduziert haben“.8 Im Rahmen dieses Ansatzes kommt es nicht zur vollkommenen Ausklammerung der Medialität, diese stellt allerdings nur einen der zu untersuchenden Aspekte von Kommunikation dar.

Bei der Profilierung dieses kommunikationsgeschichtlichen Forschungsblicks spielt die Präzisierung des Kommunikationsbegriffs eine entscheidende Rolle. Mit dem Bezug auf die v.a. durch Jürgen Habermas und Niklas Luhmann vertretene soziologische, technizistisch- medial nicht verkürzte Auffassung von Kommunikation wird hier nicht nur die im Gründungstext des Jahrbuchs für Kommunikationsgeschichte geforderte genuin kommunikationstheoretische Basis für historische Kommunikationsforschung geliefert, sondern es wird gleichzeitig auch ein Unterscheidungsmerkmal gegenüber der Mediengeschichte markiert. Die Kommunikation wird dabei als soziale Praxis bestimmt, die in institutionell, sozial und regional differenzierten und historisch sich ändernden Räumen

5 Als exemplarisch für diese Position vgl. v.a. Depkat, Volker: Kommunikationsgeschichte zwischen Mediengeschichte und der Geschichte sozialer Kommunikation. Versuch einer konzeptionellen Klärung. In:

Spieß, Karl-Heinz (Hg.): Medien der Kommunikation im Mittelalter. Wiesbaden/Stuttgart 2003; S. 9-48.

6 ebd.; S. 11.

7 ebd.; S. 10.

8 ebd.

(12)

stattfindet. Die Aufgabe der notwendig interdisziplinär angelegten kommunikationsgeschichtlichen Forschung wird dann darin gesehen, die historische Variabilität bestimmter ‚kommunikativer Situationen’ zu analysieren.

Die Theorieansätze von Habermas und Luhmann zeichnen sich in diesem Zusammenhang besonders dadurch aus, dass sie beide als Kommunikationstheorien angelegt und gleichzeitig als Universaltheorien der Gesellschaft konzipiert sind. In beiden Theorien wird der Kommunikation eine zentrale Rolle für die Möglichkeit sozialer Ordnung zugeschrieben.

Aus den divergierenden Bestimmungen des Charakters und der Funktion sozialer Kommunikation ergeben sich bei Habermas und Luhmann allerdings unterschiedliche Konsequenzen für ein kommunikationsgeschichtliches Forschungsprogramm.

Eine mögliche Anwendung des Kommunikationskonzepts von Habermas im Bereich geschichtlicher Forschung zeigt sich z.B. in der Rekonstruktion historisch spezifischer

‚Rationalität’ bestimmter kommunikativer Praktiken. Eine durch Habermas’ Theorieansatz gestützte historische Analyse fokussiert soziale Kommunikation im Hinblick auf Prozesse der Normbildung bzw. in Bezug auf „soziale Geltung von Aussagen innerhalb eines machtgefügten gesellschaftlichen Kontextes.“9

Beim Rückgriff auf den Luhmannschen Theorieansatz im kommunikationsgeschichtlichen Forschungskontext erscheint die systemsoziologische Bestimmung des Kommunikationsbegriffs als entscheidend. Anders als bei der Kommunikationsauffassung von Habermas, die sich um die Theoreme der Verständigung, des intersubjektiv geteilten Konsenses und der Handlungskoordinierung formiert, steht bei der Systemtheorie die Frage nach der Anschlussfähigkeit der Kommunikation im Mittelpunkt. Ein systemtheoretisch orientierter Ansatz von Kommunikationsgeschichte bestünde dann in der Analyse der Gewährleistung anschlussfähiger Kommunikation im Hinblick auf historisch spezifische soziale und kulturelle Bedingungen.

Der von Volker Depkat vorgeschlagene Ansatz einer sozialtheoretisch gestützten Erneuerung der Kommunikationsgeschichte zeigt sich für die vorliegende Arbeit deswegen als inspirativ, weil hier der historische Wandel von Kommunikation nicht (nur) in Bezug auf mediale Entwicklungen analysiert, sondern als eingebettet in kulturelle und gesellschaftliche Veränderungsprozesse betrachtet wird. Vermieden werden sollen allerdings Probleme, die dieser ‚globale’ Blick auf die historische Entwicklung von Kommunikation mit sich bringt.

Der gravierendste Schwachpunkt dieses Ansatzes besteht darin, dass man bei der Analyse

9 Depkat, Volker: Kommunikationsgeschichte, a.a.O.; S. 25. Vgl. in diesem Zusammenhang nach wie vor als grundlegend: Habermas, Jürgen Strukturwandel der Öffentlichkeit. Untersuchungen zu einer Kategorie der bürgerlichen Gesellschaft. Neuwied/Berlin 1962.

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einer gegebenen ‚kommunikativen Situation’ zunächst mit einer überkomplexen Fülle an Daten, Indizien und Beziehungen konfrontiert wird. Im theoretischen Rahmen dieser Forschungsperspektive werden allerdings keine Kriterien festgelegt, nach denen zu entscheiden wäre, welche Aspekte der zu analysierenden kommunikativen Prozesse in Betracht gezogen werden sollen und welche nicht. Angesichts der nicht zu bewältigenden Materialfülle ist man bei Einzelforschungen zwangsläufig zu Selektionsverfahren gezwungen, die nicht nur den geforderten ganzheitlichen Blick auf die Verfasstheit der Kommunikation in einer bestimmten historischen Situation in Frage stellen, sondern gleichzeitig den Eindruck von Beliebigkeit vermitteln.

Im Hinblick auf diese Gefahren wird der Untersuchungsgegenstand der vorliegenden Studie streng eingeschränkt. Angestrebt wird nicht das Gesamtbild der kommunikativen Praxis ‚um 1800’, sondern lediglich die diskursiv-theoretische Aufarbeitung und die ästhetische

‚Verformung’ von Kommunikation im Kontext des deutschen Frühromantikerkreises.

2.1.2 Geschichte interpersonaler Kommunikation

Ein anderes Beispiel für einen neueren, nicht medial verengten kommunikationsgeschichtlichen Ansatz stellt die Erforschung historischer Formen interpersonaler Kommunikation dar.10 Das neu erwachte wissenschaftliche Interesse an der

„Kommunikation zwischen Personen“ gründet in der These, dass Formen direkter kommunikativer Beziehungen nicht als „invariante und triviale“, sondern als „kulturell wie historisch relative und gesellschaftlich höchst bedeutsame Phänomene“ betrachtet werden müssen.11 Bei dieser Forschungsausrichtung wird die mediale Ebene der kommunikativen Prozesse ebenfalls nicht vollkommen ausgeblendet, der Fokus richtet sich aber vor allem auf die Spezifik interpersonaler kommunikativer Akte, die aufgrund ihrer Überschaubarkeit einen Gegenpart zu den komplexen Formen massenmedial vermittelter Kommunikation darstellen. Worauf es bei diesen mikrosoziologisch angelegten Untersuchungen ankommt, ist die „genaue Rekonstruktion und umfassende Kontextualisierung bestimmter Kommunikationssituationen“, die „neue Einblicke in das Spannungsfeld von Privatheit und Öffentlichkeit“ ermöglichen sollen.12

10 Vgl. z.B. die jüngste Veröffentlichung zu diesem Thema: Föllmer, Moritz (Hg.): Sehnsucht nach Nähe.

Interpersonale Kommunikation in Deutschland seit dem 19. Jahrhundert. Stuttgart 2004.

11 Föllmer, Moritz: Einleitung. Interpersonale Kommunikation und Moderne in Deutschland. In: ders. (Hg.):

Sehnsucht nach Nähe, a.a.O.; S. 9-44, hier S. 9.

12 ebd.; S. 10.

(14)

Diese Art kommunikationsgeschichtlicher Forschung ist für die vorliegende Studie insofern interessant, als in dieser u.a. die Aufwertung direkter und interpersonaler Kommunikation im Kontext der Frühromantik thematisiert wird. Zwischen der hier skizzierten, auf personale Kommunikation ausgerichteten historischen Perspektive und dem Ansatz der vorliegenden Arbeit besteht allerdings eine Differenz in Bezug auf die Quellenauswertung. Während die meist zeitgeschichtlich orientierten historischen Analysen interpersonaler Kommunikation sich methodologisch hauptsächlich auf die soziologischen Ansätze von Erving Goffman und Thomas Luckmann13 stützen und auf dieser theoretischen Grundlage empirisches Material auswerten, ist die Untersuchung interpersonaler Kommunikation in der vorliegenden Arbeit auf die diskursive bzw. theoretische Reflexion dieser Form von Kommunikation in den überlieferten Texten des frühromantischen Kreises angewiesen.

2.1.3 Moderne Kommunikation

Eine spezifische Variante historisch orientierter Beobachtung von Kommunikation, die sich für die vorliegende Arbeit als besonders anregend zeigt, stammt von dem Systemtheoretiker Peter Fuchs.14 Ohne sein Unternehmen dezidiert als ‚Kommunikationsgeschichte’ zu bezeichnen, entwickelt Fuchs einen historisch situierbaren Begriff der „modernen Kommunikation“, bei dessen Bestimmung die mediale Seite kommunikativer Akte vollkommen ausgeblendet wird. Der springende Punkt von Fuchs’ Ansatz besteht eben darin, dass die von ihm postulierte Modernität der Kommunikation weder mit einem bestimmten Wandel der gesellschaftlichen Verhältnisse, noch mit Entwicklungen im Bereich der technischen Medien verbunden ist. Bei Fuchs’ systemtheoretisch angelegter Kommunikationsauffassung stellt sich die Frage nach der Historizität kommunikativer Akte ausschließlich auf der operativen Ebene der Kommunikation. Das entscheidende Kriterium dieses kommunikationsgeschichtlichen Modells ist die beobachtbare und beschreibbare Variabilität des Prozesscharakters von Kommunikation. Es sind die historisch lokalisierbaren Verschiebungen innerhalb des aus Information, Mitteilung und Verstehen bestehenden Selektionsgefüges der Operation ‚Kommunikation’, die bei diesem Modell die Modernität der Kommunikation bestimmen.

13 Vgl. Föllmer, Moritz: Einleitung. Interpersonale Kommunikation und Moderne in Deutschland, a.a.O.; S.

12ff.

14 Vgl. v.a. Fuchs, Peter: Moderne Kommunikation. Zur Theorie des operativen Displacements. Frankfurt a.M.

1993. Zu einer ausführlichen Auseinandersetzung mit Peter Fuchs’ Ansatz vgl. Kap. II.3.2 u. II.3.3.

(15)

Fuchs’ Ansatz zeigt sich für die vorliegende Studie vor allem deswegen anschlussfähig, weil hier der Ursprung spezifisch moderner Kommunikation im Spannungsverhältnis zwischen

‚aufklärerischer’ und ‚romantischer’ Form des ‚Kommunikationsdisplacements’, d.h. der Verformung der Kommunikationsform, verortet wird. Fuchs’ abstrakte und dezidiert soziologische Analyse der romantischen Kommunikation wird in der vorliegenden Untersuchung allerdings, wie im Folgenden erläutert wird, um die von ihm bewusst ausgeblendete frühromantische diskursive Auseinandersetzung mit dem Wesen der Kommunikation ergänzt.

2.2 Geschichte des Wissens über Kommunikation

Ein wichtiger Punkt der historisch orientierten Kommunikationstheorie von Fuchs besteht darin, dass die in dessen Rahmen vorgenommene Unterscheidung zwischen aufklärerischer und romantischer Form der Kommunikation nicht nur zwei geschichtlich genau positionierbare und abgrenzbare Phänomene markiert, sondern dass dadurch eine grundsätzliche Matrix des Kommunizierens unter den Bedingungen der Moderne entworfen wird. Die als aufklärerisch und romantisch bezeichneten Formen der Kommunikation werden von Fuchs als basale Beschreibungskriterien für das gesamte, bis in die Gegenwart reichende Feld der modernen Kommunikation konzipiert.

Entscheidend ist dabei aber, dass die strikte Konzentration auf die operative Ebene der Kommunikation und die durch ausschließlich soziologisches Forschungsinteresse begründete Ausblendung ihrer Inhalte, Träger und Bedingungen den Blick auf ein unbesetztes Forschungsfeld eröffnen, dessen ‚Bearbeitung’ die Kompetenzen einer rein abstrakten Theorie übersteigt. Wie Fuchs selbst einräumt, ist die aufklärerische bzw.

romantische Form der Kommunikation dem heutigen Forscherblick nur ‚indirekt’, d.h. nicht in ihrer ursprünglichen Prozessualität zugänglich. Aus diesem Grund ist eine historische Analyse auf schriftlich bzw. drucktechnisch fixierte Kommunikationsakte angewiesen.

Fuchs’ Ansatz besteht aber eben nicht in einer Analyse der kommunizierten Inhalte, sondern lediglich in dem Versuch, auf der ‚Oberfläche’ des überlieferten Textmaterials die betreffende Form der Kommunikation zu diagnostizieren und zu beschreiben.

Diese Konzentration auf die formale Struktur der Kommunikation kann in Bezug auf die eigentümlichen Verformungen der Kommunikation im frühromantischen Kontext, wie auch im zweiten Teil dieser Arbeit ausführlich gezeigt wird, durchaus gerechtfertigt und auch

(16)

effektiv sein. Die Form aufgeklärter Kommunikation zeichnet sich allerdings durch derart signifikante Merkmale nicht aus, und deswegen erweist sich bei ihrer Klassifizierung eine

‚Oberflächenuntersuchung’ als nicht ausreichend. In diesem Fall kommen andere Bestimmungsmerkmale ins Spiel, die eben auf der von Fuchs ausgeblendeten ‚inhaltlichen’

Ebene der Diskurse über Kommunikation angesiedelt sind. Fuchs lässt bei seinem Ansatz den Umstand außer Acht, dass zum Inhalt des Kommunizierens auch die Kommunikation selbst werden kann. Auch im Rahmen einer rein formorientierten Analyse der Kommunikation muss aber die Tatsache mitberücksichtigt werden, dass kommunikative Akte nicht nur stattfinden, sondern auch erlebt, wahrgenommen und zum Gegenstand weiterer Kommunikation gemacht werden. Das gilt nicht nur für das Alltagsgespräch, sondern auch für eine theoretisch bzw. wissenschaftlich organisierte Auseinandersetzung mit dem Phänomen Kommunikation. Insbesondere in Situationen des Wandels gesellschaftlicher Makrostrukturen, zu denen auch die durch Aufklärung und Romantik markierte geschichtliche Periode gezählt werden kann, wird die Kommunikation verstärkt durch reflexive Verarbeitungsprozesse begleitet. Man kann Fuchs zwar zustimmen, dass die Aufklärer und die Romantiker jeweils eine bestimmte Art des Kommunizierens entwickeln, wichtig ist außerdem aber auch, dass diese Verformungen der Kommunikationsstruktur durch die Produktion eines spezifisch kommunikationsbezogenen Wissens begleitet werden, das auf unterschiedliche Weise artikuliert und verwaltet wird.

Um genau diese Ebene des kommunikativen Wissens wird in der vorliegenden Untersuchung die abstrakt-soziologisch angelegte historische Perspektive von Fuchs ergänzt.

Es wird dabei davon ausgegangen, dass nicht nur die operative Ebene der Kommunikation, sondern auch das sie reflektierende Wissen über eine historische Dimension verfügt. Wenn man in der aufklärerischen und romantischen ‚modernen’ Kommunikation nicht nur ein formspezifisches, sondern auch ein reflexives Phänomen erkennt, dann wird darin die Geburtsstunde einer theoretischen Auseinandersetzung mit Kommunikation erkennbar, deren Fortführung bis zu den im 20. Jahrhundert ausdifferenzierten kommunikationswissenschaftlichen Diskursen reicht.

(17)

2.2.1 Die ‚andere’ Aktualität der Frühromantik

Durch die Verknüpfung des frühromantischen Kommunikationswissens mit gegenwärtigen kommunikationstheoretischen Ansätzen wird in der vorliegenden Studie die in der Forschung oft frequentierte These von der Aktualität der (früh)romantischen Denkansätze aufgegriffen.15 Die generelle Aktualitätsthese stützt sich auf das starke Imaginationspotential des frühromantischen Programms, das sich in den zahlreichen ‚Renaissancen’ bestimmter Themen, Motive und Darstellungsformen aus dem Repertoire dieser „erste[n]

großangelegte[n] und doch hochgradig disperse[n] Theorie der Neuzeit“16 manifestiert. Die Aktualisierung des frühromantischen Denkens beginnt bereits in der zeitgenössischen Rezeption (u.a. bei Schiller, Hegel und Goethe) und führt über die Wiederentdeckung der Romantik um 1870 bei Dilthey und Haym bis zur Reflexion der Frühromantik im Kreis der neomarxistisch orientierten Denker und der Kritischen Theorie (Benjamin, Marcuse, Lukács, Horkheimer, Adorno). In der Nachkriegszeit wird das frühromantische Gedankengut wiederbelebt vor allem in den Diskursen der philosophischen Hermeneutik, der Rezeptionsästhetik und der Dekonstruktion.

Vor allem die letztgenannten Formen der Wiederaufnahme frühromantischer Motive bündelt der von Ernst Behler und Jochen Hörisch herausgegebene, hauptsächlich literaturwissenschaftlich ausgerichtete Sammelband zur „Aktualität der Frühromantik“17, dessen Grundanliegen darin besteht, die Frühromantik „direkt mit der Gegenwart zu verbinden und nach Vergegenwärtigungen frühromantischer Denkmotive in den letzten Jahrzehnten sowie in der unmittelbaren Gegenwart zu fragen“.18 In diesem Zusammenhang wird die Frühromantik vor allem als Vorbereitung der modernen Hermeneutik bzw. als Referenzpunkt in der Auseinandersetzung zwischen Dekonstruktion und traditioneller Interpretationstheorie betrachtet. Vor dem Hintergrund der allgemeinen Aktualitätsthese eröffnet sich folglich ein breites Feld von Einzelforschungen, die sich vorwiegend mit der frühromantischen Reflexion der Bedeutung, des Zeichens und des Verstehens auseinander setzen.

Die vorliegende Arbeit wählt in dieser Hinsicht eine andere Perspektive, da hier die Frage nach der Aktualität des frühromantischen Denkens gezielt in Bezug auf das in ihrem

15 Vgl. v.a. Behler, Ernst; Hörisch, Jochen (Hg.): Die Aktualität der Frühromantik. Paderborn/München u.a.

1987 und Arnold, Heinz L. (Hg.): Die Aktualität der Romantik. Edition Text+Kritik. München 1999.

16 Behler, Ernst; Hörisch, Jochen: Vorwort. In: dies. (Hg.): Die Aktualität der Frühromantik, a.a.O.; S. 7-11, hier S. 7.

17 Vgl. Fußnote 16.

18 Behler, Ernst; Hörisch, Jochen: Vorwort, a.a.O.; S. 9.

(18)

Rahmen entwickelte kommunikationsbezogene Wissen gestellt wird. Wie oben bereits erwähnt, wird der frühromantische Diskurs dadurch in einem theoriegeschichtlichen Rahmen verortet, dessen aktuellen Referenzpunkt die gegenwärtige Kommunikationswissenschaft und -theorie darstellt. Mit dieser Art der Aktualisierung des frühromantischen Denkens wird in der vorliegenden Arbeit zwar kein genuin neues Forschungsfeld eröffnet, doch die Fragmentarität der bisherigen Ansätze und das Fehlen einer systematisierenden Perspektive liefern ausreichende Legitimationsgründe für dieses Unternehmen.

Die beobachteten Defizite betreffen dabei nicht nur die Frühromantikforschung, sondern gelten für die Erfassung der Genese des modernen kommunikationsbezogenen Wissens generell. Obwohl Karl-Heinz Göttert bereits 1988 in Bezug auf den Stand der geschichtlichen Aufarbeitung des Kommunikationswissens urteilte, dass „[d]er Weg zur modernen Kommunikationsauffassung [...] nur teilweise überblickbar“ und „die Eigenart historischer Positionen lückenhaft erforscht“19 ist, hat sich seitdem an dieser Situation nicht viel geändert. Die historisch ausgerichteten Kultur- und Sozialwissenschaften orientieren sich, wie weiter oben bereits angedeutet, vor allem auf die Erforschung von Aktanten, Trägern, Inhalten und gesellschaftlichen Bedingungen kommunikativer Akte. Wenn kommunikationsrelevantes Wissen zum Untersuchungsgegenstand gemacht wird, dann handelt es sich meistens um historisch markante Formen der Medienreflexion. Eine Geschichte des modernen abstrakten Kommunikationsdenkens bleibt nach wie vor defizitär.20

Für die vorliegende Studie ist entscheidend, dass man innerhalb dieses systematisch nicht gebündelten theoriegeschichtlichen Forschungskontextes in Bezug auf Frühromantik zwei Haupttendenzen erkennen kann, in denen auf unterschiedliche Weise die Aktualität des frühromantischen Kommunikationswissens hergeleitet wird. Diese beiden – weiter oben bereits erwähnten – Ansätze, die den Bezug auf das frühromantische Kommunikationswissen gegenwärtig am stärksten prägen, sind die verständigungsorientierte Theorie kommunikativen Handelns von Jürgen Habermas und die systemsoziologische Kommunikationstheorie Niklas Luhmanns. Die Relationierung des frühromantischen Diskurses mit der Systemtheorie und der Theorie kommunikativen Handelns wird vor allem dadurch ermöglicht, dass sowohl Habermas als auch Luhmann ein Konzept der Moderne

19 Göttert, Karl-Heinz: Kommunikationsideale. Untersuchungen zur europäischen Konversationstheorie.

München 1988; S. 9.

20 Als einer der wenigen Versuche in dieser Richtung kann Norbert Bolz’ geschichtliche Skizze des Kommunikationsdenkens betrachtet werden. Vgl. dazu: Bolz, Norbert: Am Ende der Gutenberg-Galaxis. Die neuen Kommunikationsverhältnisse. München 1993; S. 11ff. Eine Geschichte der ‚Idee der Kommunikation’

entwirft auch Michel Serres. Er bezieht sich dabei allerdings nicht ausdrücklich auf die gegenwärtigen soziologischen Kommunikationstheorien. Vgl. Serres, Michel: Hermes I. Kommunikation. Berlin 1991.

(19)

entwickeln, in dem sie ihre eigenen theoretischen Ansätze verorten. Indem sie also Modernität entwerfen, zeigen sie gleichzeitig eine Entwicklungslinie auf, in der sie sich selbst befinden. Die Frühromantik, die einen signifikanten Markierungspunkt der anbrechenden Moderne darstellt, erscheint in dieser Hinsicht als eine wichtige Referenz für beide Theorien.

Vor dem Hintergrund der von Habermas thematisierten modernespezifischen Auswirkungen der Rationalisierung auf die ‚Lebenswelt’ werden die frühromantischen Sozialmodelle hauptsächlich als frühe Reflexionsformen dieses Problems betrachtet. Wie noch in den einzelnen Kapiteln des ersten Teils gezeigt wird, sind die bisherigen kommunikationsorientierten Analysen der freien Geselligkeit, der frühromantischen Religionsauffassung und auch des Konzepts der Neuen Mythologie maßgeblich durch die verständigungsorientierte Auffassung von Kommunikation geprägt.

Doch (früh)romantische Motive spielen auch bei den Grundannahmen der Systemsoziologie eine wichtige Rolle. Niklas Luhmann formulierte seinen wissenschaftlichen Ansatz ursprünglich als das Programm einer „soziologischen Aufklärung“21, das auf einer gegenseitigen Neupositionierung von Soziologie, Aufklärung und Romantik aufgebaut war.

Luhmanns Ausgangspunkt bildete dabei die These, dass die Vernunftaufklärung der Soziologie als wissenschaftlicher Disziplin nicht vorgearbeitet hat. Darin war jedoch nicht die Absicht einer vollkommenen ‚Austreibung’ der Aufklärung aus der Soziologie angelegt, sondern vielmehr das Bestreben, aufklärerische Momente im Bereich soziologischer Forschung unter einem erweiterten Aufklärungsbegriff zu retten. Luhmann fasste Aufklärung in diesem Zusammenhang auf als die „Erweiterung des menschlichen Vermögens, die Komplexität der Welt zu erfassen und zu reduzieren“.22 Soziologie wird dadurch nicht zu einer Form der angewandten, sondern der „abgeklärte[n] Aufklärung“23. Sie stellt den Versuch dar, der Aufklärung ihre Grenzen zu gewinnen. Es war nach Luhmann eben die ihre Grenzen nicht reflektierende Aufklärungsutopie, die die Romantik herausforderte. Luhmanns systemisch und nicht kritisch-rational angelegte Systemtheorie zeigt sich in dieser Hinsicht als die jüngste Erbin der Romantik. Aus dieser Perspektive betrachtet stellt das Projekt der soziologischen Aufklärung eigentlich eine „moderne soziologische Romantik“ dar.24

21 Luhmann, Niklas: Soziologische Aufklärung. In: ders.: Soziologische Aufklärung 1. Opladen 61991; S. 66- 91.

22 ebd.; S. 67.

23 ebd.

24 Vgl. Fritscher, Wolfgang: Niklas Luhmanns soziologische Aufklärung als moderne soziologische Romantik.

In: Soziale Systeme 2 (1996); S. 35-51.

(20)

Wie man sieht, dient romantikaffines Denken sowohl im Bereich der verständigungsorientierten Kommunikationstheorie25 als auch in der Systemsoziologie26 als ein wichtiger Bezugspunkt. Dass darin kein Widerspruch gesehen werden muss, zeigt z.B.

Alvin W. Gouldners historisch angelegte Klassifikation des soziologischen Denkens, die auf der Unterscheidung zwischen ‚klassischen’ und ‚romantischen’ Ansätzen aufgebaut ist.27 In diesem Schema werden sowohl der Ansatz von Habermas als auch der von Luhmann der romantischen Sektion zugeordnet. Gouldner beobachtet die Weiterführung der Romantik in der von Schleiermacher vorbereiteten Hermeneutik und dem auf ihr aufbauenden soziologischen Ansatz der Kritischen Theorie, der nicht auf Gesetzmäßigkeiten, sondern auf Interpretation und Verständnis sozialer Phänomene ausgerichtet ist. In diesen Koordinaten positioniert Gouldner auch den sozialphilosophischen Ansatz von Habermas. Auf der anderen Seite betrachtet Gouldner die Methodik der Systemforschung als eine kreative Zusammensetzung verschiedener Elemente, worin er ein romantisch-ironisches Verfahren erkennt.28

Auch die vorliegende Untersuchung setzt sich nicht zum Ziel, den frühromantischen kommunikationsbezogenen Denkansatz einer dieser beiden Theorien unterzuordnen. Bei der hier vertretenen ‚Aktualitätsthese’ geht es um die grundsätzliche Gegenwärtigkeit der frühromantischen Modernität, die sowohl in Bezug auf Systemsoziologie als auch auf die verständigungsorientierte Kommunikationstheorie zum Vorschein kommt.

Es ist in diesem Zusammenhang allerdings noch wichtig darauf hinzuweisen, dass die Kommunikationstheorien von Habermas, Luhmann u.a. in der vorliegenden Arbeit auf eine doppelte Art und Weise präsent sind. In erster Linie fungieren sie als theoretische Instrumente für die Beschreibung frühromantischer Kommunikationsreflexion. Gleichzeitig wird aber davon ausgegangen, dass die theoretischen Ansätze in dem beobachteten frühromantischen Diskurs ihre Grundlage haben. Dieses zirkuläre Verhältnis wirkt sich auf

25 Vgl. exemplarisch dazu die von Hans-Georg Gadamer gezogene Linie zwischen der ‚romantischen’

Hermeneutik Friedrich Schleiermachers und den Positionen der Kritischen Theorie und der Sozialphilosophie von Jürgen Habermas. Vgl. Gadamer, Hans-Georg: Hermeneutik. In: Klibansky, Raymond (Hg.):

Contemporary Philosophy. Bd. 3. Metaphysics, Phenomenology, Language and Structure. Firenze 1969; S.

360-372.

26 Zum Verhältnis zwischen Romantik und Systemtheorie vgl. auch: Menninghaus, Winfried: Unendliche Verdopplung. Die frühromantische Grundlegung der Kunsttheorie im Begriff der absoluten Selbstreflexion.

Frankfurt a.M. 1987; S. 208ff. Vgl. auch die Äußerung von Peter Fuchs: „Es ist im übrigen kein Zufall, daß Systemtheorie und Romantik als nahe beieinanderliegend beobachtet werden können, weil die Systemtheorie zu beobachten gestattet, wofür die Romantik Symptom ist.“ In: Fuchs, Peter: Moderne Kommunikation, a.a.O.;

S. 84.

27 Vgl. Gouldner, Alwin W.: Romantisches und klassisches Denken. Tiefenstrukturen in den Sozialwissenschaften. In: ders.: Reziprozität und Autonomie. Ausgewählte Aufsätze. Frankfurt a.M. 1984; S.

165-214, hier 175ff.

28 ebd.; S. 84.

(21)

die vorliegende Arbeit in dem Sinne aus, dass in ihr ein wechselseitiges Bedingungsverhältnis von Gegenstand und Theorie virulent wird.29

2.2.2 Semantik des frühromantischen Kommunikationswissens

Das frühromantische Kommunikationswissen wird im ersten Teil der Arbeit zunächst in Bezug auf das dort sich ausbildende semantisch-begriffliche Inventar untersucht, das bei der diskursiven Behandlung kommunikativer Phänomene zum Einsatz kommt. Auch hier kommt der oben skizzierte ambivalente Einsatz gegenwärtiger Theorien, d.h. als Gegenstand und Beschreibungsmittel, zum Ausdruck. Als geeigneter theoretischer Rahmen für die Analyse dieses Prozesses zeigt sich nämlich Luhmanns wissenssoziologischer Ansatz, der von dem Bedingungszusammenhang zwischen der Gesellschaftsstruktur und der sie beschreibenden Semantik ausgeht. Luhmanns geschichtliche Fokussierung der „Veränderungen in der Ideen- und Begriffswelt, die den Übergang zur modernen Gesellschaft begleiten und signalisieren“30 beruht auf der zentralen These, dass die Wandlung der Gesellschaftsstruktur bzw. der Übergang zu einer neuen Differenzierungsform einen direkten Einfluss auf die semantische Ebene der Selbstbeschreibung der Gesellschaft hat. Das gesellschaftliche semantische Inventar entwickelt sich nach diesem Modell nicht nur aus seinen eigenen Traditionen heraus, sondern wird von gesellschaftlichen Strukturänderungen geprägt. In diesem Sinne stellt die gesellschaftliche Semantik „ein Korrelat sozialstruktureller Veränderungen“ dar.31

Bei der Analyse des frühromantischen Diskurses wird in der vorliegenden Studie auch Luhmanns Klassifizierung der gesellschaftlichen Semantik aufgegriffen, in der zwischen dem Bereich einer ‚gepflegten Semantik’, die die bewahrenswerten Erscheinungsformen sozialer Kommunikation verwaltet, und einer elementaren Form des Prozessierens von Sinn, d.h. der Semantik des Alltags, unterschieden wird.32 In die Kategorie der ‚gepflegten Semantik’ gehören institutionalisierte Formen gesellschaftlicher Selbstbeschreibung, die z.B.

die Gestalt theoretischer und wissenschaftlicher Reflexion, aber auch literarischer Fiktion annehmen können. Die ‚gepflegte Semantik’ verfügt über keine separate ‚ideale Existenz‘,

29 Zu einem ähnlich ambivalenten Einsatz gegenwärtiger Theorien als methodologischer Grundlage und gleichzeitig als Gegenstand der Untersuchung vgl. Schmidt, Benjamin M.: Denker ohne Gott und Vater.

Schiller, Schlegel und der Entwurf von Modernität. Stuttgart/Weimar 2001.

30 Luhmann, Niklas: Gesellschaftsstruktur und Semantik. Studien zur Wissenssoziologie der modernen Gesellschaft, Bd. 1, Frankfurt a.M. 1993; S. 7.

31 ebd.

32 Vgl. ebd.; S. 19f.

(22)

und obwohl sie in der Hierarchie der gesellschaftlichen Wissensproduktion im Vergleich zur alltäglichen Aushandlung von Sinn höher eingestuft wird, spielt auch bei ihr die Rückbeziehbarkeit auf den sozialen Alltag eine wichtige Rolle.

Im ersten Teil der vorliegenden Arbeit werden die prägenden Motive der in unterschiedlichen Formen erscheinenden spezifisch frühromantischen kommunikationsbezogenen Semantik untersucht. Es wird zu zeigen sein, dass die Frühromantik bei ihrer diskursiven Auseinandersetzung mit sozialen Phänomenen sehr oft auf eine kommunikationsorientierte Semantik zurückgreift. Auch wenn der Begriff der Kommunikation in frühromantischen Diskursen kaum präsent ist, wird deren Semantik durch auffalend oft frequentierte ‚kommunikationsnahe’ Begriffe wie z.B. Mitteilung, Wechselwirkung, Geselligkeit und Gespräch geprägt.

2.2.3 Frühromantische Reflexion des Sozialen

Nach Luhmann wird der Einfluss der sich ändernden Gesellschaftsstruktur auf die Semantik am signifikantesten in derjenigen Phase der gesellschaftlichen Evolution, in der sich die Form der primären Systemdifferenzierung ändert. Dieses Übergangsstadium bringt eine

„akute Erfahrung von Komplexität, Kontingenz und Selektivität in Handlungsverknüpfungen“33 mit sich, die auf die Formierung einer neuen Semantik unmittelbaren Einfluss hat.

In genau diesen Koordinaten kann die frühromantische Reflexion der sich ändernden gesellschaftlichen Situation positioniert werden. Das neue kommunikationsbezogene Wissen wird angeregt vor allem durch die Wahrnehmung der Auswirkungen des gesellschaftlichen Strukturwandels auf das Leben des Individuums. Im Zuge der um 1800 kulminierenden Umstellung des Gesellschaftssystems von der stratifikatorischen auf die funktionale Differenzierung werden die Kommunikationsbedingungen modifiziert und dadurch auch der moderne Mensch im Gesamtgefüge der Gesellschaft neu positioniert. Es kann als ein Zeichen des frühromantischen ‚Krisenbewusstseins’ betrachtet werden, dass hier das Verhältnis zwischen Individualität und deren gesellschaftlicher Verankerung im Zusammenhang mit den Auswirkungen des Wandels der gesellschaftlichen Differenzierungsform auf soziale, bürgerliche, familiale und religiöse Verortung des Individuums reflektiert wird. Angesichts dieser Situation wird im frühromantischen Diskurs

33 Luhmann, Niklas: Gesellschaftsstruktur und Semantik, a.a.O.; S. 24.

(23)

eine adäquate und aktuelle Beschreibung der Gesellschaft und der in ihr stattfindenden Kommunikationen gefordert.34

Bei der Konstitution des neuen Reflexionsinventars wird ersichtlich, dass die Begrifflichkeiten und Theoreme der Rhetorik und der an sie anknüpfenden Konversationstheorie, die bis dahin das Wissen über Kommunikation verwalteten, für die diskursive Erfassung der neuen Kommunikationsstruktur nicht ausreichen, und deswegen ergänzt bzw. durch eine neuartige Beschreibungssemantik ersetzt werden müssen. Beim Transformationsprozess dieser klassischen Wissensbereiche handelt es sich jedoch nicht nur um eine Optimierung und Anpassung der Begriffe, sondern um die Verschiebung des Blicks auf bisher unterbelichtete Aspekte der Kommunikation. In einer Situation, in der erfolgreiche Kommunikation aufgrund der Spezialisierung der Lebensbereiche und der wachsenden gesellschaftlichen Komplexität immer unwahrscheinlicher wird, treten die Regeln eines überzeugenden Redeauftritts und die Vorschriften und Normen angemessener Konversation in den Hintergrund. Das Interesse richtet sich vielmehr auf die Ursachen des Kontingentwerdens der Kommunikation und auf die Möglichkeiten diesem Zustand entgegenzuwirken.

Die Reflexion kommunikativer Prozesse wird im Kontext der Frühromantik noch nicht durch eine selbstständige wissenschaftliche Disziplin gebündelt und organisiert. Es bildet sich jedoch ein signifikanter Diskurszusammenhang, auf dessen Ebene das kommunikationsbezogene Wissen beobachtbar wird. Das frühromantische Wissen über Kommunikation erscheint in Form eines ‚Interdiskurses’, der unterschiedliche Bereiche durchzieht und sich durch heterogene Artikulationsformen auszeichnet. Mit Michel Foucault könnte man in diesem Zusammenhang sagen, dass zu dieser Zeit „trotz des Fehlens jeglicher etablierten Disziplin eine diskursive Praxis am Werk [war], die ihre Regelmäßigkeit und ihre Konsistenz hatte“35. Genau diese, in verschiedene Texte und ästhetische Praktiken eingebettete Selbstbeschreibung der frühromantischen Gesellschaft bildet den Untersuchungsgegenstand der vorliegenden Studie.

Im ersten Teil der Arbeit werden die drei prägnantesten Erscheinungsformen des frühromantischen diskursiv organisierten Kommunikationswissens analysiert. Als erstes wird Friedrich Schleiermachers Theorie der Geselligkeit behandelt, in der die neue Form des Kommunikationsdenkens auf eine signifikante Weise zum Vorschein kommt.

34 Diese These bildet auch den Ansatzpunkt von Andreas Göbels Studie Naturphilosophie und moderne Gesellschaft. Ein romantisches Kapitel aus der Vorgeschichte der Soziologie. In: Athenäum. Jahrbuch für Romantik 5 (1995); S. 253-286. Göbel konzentriert sich in seiner Analyse allerdings ausdrücklich auf den Diskurs der Naturphilosophie, in dem er eine Quelle der romantischen sozialorientierten Semantik erkennt.

35 Foucault, Michel: Archäologie des Wissens. Frankfurt a.M. 1997; S. 255.

(24)

Schleiermacher bezieht sich zwar noch auf die Argumentationsmuster der klassischen Konversationstheorie und auf die Begrifflichkeiten der klassischen Rhetorik, diese werden allerdings in die Form einer Kommunikationstheorie transformiert, die bei den Auswirkungen der neuen Gesellschaftsstruktur auf die Kommunikationsmöglichkeiten des modernen Individuums ansetzt und die kommunikative Wechselwirkung als das basale Moment der menschlichen Sozialität auffasst. Im zweiten Kapitel richtet sich der Blick auf Schleiermachers ‚Reden’ Über die Religion, in denen ein Modell des Religiösen entworfen wird, das sich durch das Streben nach einer Potenzierung kommunikativer Interaktionsprozesse auszeichnet. Schleiermacher greift in den ‚Reden’ seine Geselligkeitstheorie wieder auf und konzipiert die religiöse Gemeinschaft als ein auf Hierarchien verzichtendes Kommunikationsnetz, dessen Grundlage die unter den Gemeindemitgliedern stattfindende gegenseitige Mitteilung der religiösen Anschauungen bildet. Im dritten Kapitel des ersten Teils wird das frühromantische Konzept der Neuen Mythologie aus einer kommunikationsorientierten Perspektive betrachtet. Es wird gezeigt, dass auch die Neue Mythologie als ein Zeichen der Sehnsucht nach kommunikativer Bindung zu betrachten ist und dass darin die Kommunikation selbst als ein grundlegendes Mythologem aufgefasst wird.

In Schleiermachers Geselligkeitstheorie, seinem Religionsmodell und dem Konzept der Neuen Mythologie wird der Kommunikation die Rolle eines sozialitätsstiftenden Elements zugewiesen. Wie diese drei Beispiele zeigen, werden im frühromantischen Diskurs mit Hilfe einer kommunikationsbezogenen Semantik soziale Alternativmodelle zur wahrgenommenen Umstrukturierung der Gesellschaft produziert. Auf diese Weise versuchen die Frühromantiker dem allgemeinen Zerfallsprozess der sozialen Bindungen durch kommunikationsfördernde Konzepte entgegenzuwirken. In dieser Hinsicht korrespondiert der in dieser Arbeit vertretene Ansatz mit der These Gerhard Plumpes, nach der

die romantische Doktrin eine Reaktion auf vollzogene soziale Differenzierung in spezifische Systeme und Diskurse darstellt, die die Konsequenzen solcher Differenzierung [...] luzide wie nie zuvor durchdenkt [...]

[und] von dem Projekt getragen ist, die soziale Differenzierung insgesamt wieder aufzuheben und durch integrative, totalisierende Konzepte zu ersetzen.36

36 Plumpe, Gerhard: Ästhetische Kommunikation der Moderne. Bd.1: Von Kant bis Hegel. Opladen 1993; S.

152.

(25)

2.3 Poetologie des performativen Kommunikationswissens

Wie weiter oben bereits angedeutet, zeichnet sich der frühromantische Diskurs nicht nur durch eine intensive theoretisch-reflexive Auseinandersetzung mit dem Phänomen Kommunikation aus, sondern ebenfalls durch die Produktion signifikanter ästhetischer Kommunikationsformen. Das Entscheidende dabei ist – und darin liegt die grundlegende These dieser Arbeit –, dass im Kontext des frühromantischen Denkens auch auf der Ebene des ästhetischen Ausdrucks bestimmte ‚Aussagen’ über Kommunikation generiert und zur Verfügung gestellt werden. Das Spezifikum der Frühromantik besteht in dieser Hinsicht gerade darin, dass in ihrem Rahmen nicht nur diskursiv-argumentativ und unter dem Einsatz eines bestimmten semantisch-begrifflichen Inventars über Kommunikation reflektiert wird, sondern dass kommunikationsbezogenes Wissen auch im Prozessieren nicht-diskursiv strukturierter ästhetischer Akte erzeugt und artikuliert wird. Der Analyse dieser

‚alternativen’ Form der Wissensgenerierung ist der zweite Teil der vorliegenden Arbeit gewidmet.

Den Ansatzpunkt bildet dabei die Feststellung, dass im poetologischen Programm der Frühromantik über erkenntnisrelevante Aspekte der ästhetisch geformten Sprache reflektiert wird. Dies wird zunächst im Hinblick auf die für die Frühromantik charakteristische Korrelierung von Philosophie und Poesie erläutert, um dann in Bezug auf die frühromantische Poetik der Darstellung und das Konzept des Witzes die theoretische Potenz der außerhalb der diskursiven Verfahren angesiedelten Erkenntnismodi nachzuweisen. Vor diesem Hintergrund werden dann die frühromantischen Konzepte der Ironie und des Fragments als spezifische Formen ‚irritierender’ Kommunikation ins Visier genommen. Es wird dabei davon ausgegangen, dass Ironie und Fragment – als Ausdrucksmittel einer ästhetischen ‚Kommunikationsavantgarde’ – sich mit den diskursiv entwickelten und auf Förderung erfolgreicher Kommunikation ausgerichteten Entdifferenzierungsmodellen in einem Spannungsverhältnis befinden. Im zweiten Schritt wird zu zeigen sein, ob und inwiefern die charakteristischen Formprinzipien der frühromantischen Ästhetik auch als Medien eines bestimmten kommunikationsbezogenen Wissens betrachtet werden können. Im Mittelpunkt des Interesses wird dabei die Frage stehen, in welchem Verhältnis sich die ästhetischen Vergegenwärtigungsformen des kommunikativen Wissens zu der diskursiv organisierten frühromantischen ‚Kommunikationstheorie’ befinden.

Im Hinblick auf die zweifache Artikulation des frühromantischen Kommunikationswissens in Form eines theoretisch-begrifflichen Diskurses und einer spezifischen ästhetischen Praxis

(26)

bietet sich für die vorliegende Arbeit als ein möglicher methodologischer Referenzpunkt die von Joseph Vogl ausgearbeitete Perspektive einer literatur- bzw. kulturwissenschaftlich angelegten Geschichte des Wissens.37 Für die Analyse der frühromantischen Wissensgenerierung und -verwaltung zeigt sich vor allem Vogls Grundmaxime anregend, nach der „die Herstellung von Wissensobjekten und Aussagen unmittelbar mit der Frage nach deren Inszenierung und Darstellbarkeit“ verknüpft werden kann.38

Vogls Begriff des Wissens bewegt sich in den Koordinaten der auf Foucault zurückgehenden Unterscheidung zwischen einer ‚Geschichte des Wissens’ und der Wissenschaftsgeschichte.

Das von der organisierten Wissenschaftlichkeit abgekoppelte Wissen verläuft nach diesem Modell über Äußerungsweisen verschiedener Art und kann gleichermaßen „in einem literarischen Text, in einem wissenschaftlichen Experiment, in einer Verordnung oder in einem alltäglichen Satz“ vorkommen.39 Die Gegenstände eines bestimmten Wissens werden also nicht nur in bereits bestehenden und institutionalisierten Wissenschaftsdiskursen und durch diese bereitgestellt und konstituiert.

Im Gegensatz zu einer wissenschaftsgeschichtlich angelegten Perspektive konzentriert sich Vogls Ansatz auf die Analyse „der Regeln und Verfahren, nach denen sich ein Äußerungszusammenhang ausbildet und abschließt“.40 Bei dieser Herangehensweise wird

„das Auftauchen neuer Wissensobjekte und Erkenntnisbereiche zugleich als Form ihrer Inszenierung“ begriffen.41 Aus der Diskussion über eine ‚Poetik des Wissens’, die vor allem im Rahmen der Geschichtswissenschaften (etwa bei Jacques Ranciére und Hayden White) zu verfolgen war, leitet Vogl seine These ab, dass „jeder epistemologischen Klärung [...] eine ästhetische Entscheidung [vorausgeht]“.42 Auf dieser Grundlage entwirft Vogl die Forschungsperspektive einer ‚Poetologie des Wissens’, die sich „nicht am Gesagten, sondern am Sagen“ orientiert und damit der These folgt, dass „jede Wissensform einen performativen Charakter entwickelt“.43

Es ist gerade der ‚performative Charakter’ des frühromantischen Kommunikationswissens, der sich in den ästhetischen Praktiken der Frühromantik abzeichnet und im zweiten Teil dieser Arbeit systematisch untersucht werden soll. Da Vogl keinen exakt bestimmten Begriff des Performativen benutzt, wird es in erster Linie darum gehen, im Hinblick auf das aktuelle,

37 Vgl. v.a. Vogl, Joseph: Für eine Poetologie des Wissens. In: Richter, Karl u.a. (Hg.): Die Literatur und die Wissenschaften 1770-1930. Walter Müller Seidel zum 75. Geburtstag. Stuttgart 1997; S. 107-127 und ders.:

Einleitung. In: ders. (Hg.): Poetologien des Wissens um 1800. München 1999; S. 7-16.

38 Vogl, Joseph: Einleitung. In: ders. (Hg.): Poetologien des Wissens, a.a.O.; S. 7.

39 ebd.; S. 11.

40 ebd.; S. 13.

41 ebd.

42 ebd.; S. 13f.

43 Vogl, Joseph: Für eine Poetologie des Wissens, a.a.O.; S.121. [Kursivierung von mir; P.G.]

(27)

‚transdisziplinär’ angelegte und breit gefächerte Paradigma des Performativen die Koordinate einer für die Erfassung des frühromantischen Kommunikationsdenkens adäquaten Perspektive zu bestimmen. Daran anschließend wird die performative Dimension des frühromantischen Wissens über Kommunikation erläutert und ihre Beziehung zum diskursiven Denken offengelegt.

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