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Das Problem der Inkommunikabilität und dessen ästhetische Lösung

Exkurs: Adam Müllers Lehre vom Gegensatze (1804)

2. Religiöse Kommunikation: Friedrich Schleiermachers Reden Über die Religion (1799)

2.8 Das Problem der Inkommunikabilität und dessen ästhetische Lösung

der kommunikativen Beziehung dienen soll.

Schleiermacher war sich dieser Mängel seiner kommunikativ strukturierten Religionsauffassung offensichtlich bewusst, da er in der letzten seiner Reden eine Wendung eingeschlagen hat, mit der die benannten Probleme gelöst werden sollten. Dies soll folgende längere Passage verdeutlichen:

[E]in Individuum der Religion, wie wir es suchen, kann nicht anders zu Stande gebracht werden, als dadurch, daß irgend eine einzelne Anschauung des Universums aus freier Willkühr - denn anders kann es nicht geschehen weil eine jede gleiche Ansprüche darauf hätte - zum Centralpunkt der ganzen Religion gemacht, und Alles darin auf sie bezogen wird. Dadurch kommt auf einmal ein bestimmter Geist und ein gemeinschaftlicher Charakter in das Ganze; Alles wird fixirt was vorher vieldeutig und unbestimmbar war; von den unendlich vielen verschiednen Ansichten und Beziehungen einzelner Elemente, welche Alle möglich waren, und Alle dargestellt werden sollten, wird durch jede solche Formation Eine durchaus realisirt; alle einzelnen Elemente erscheinen nun von einer gleichnamigen Seite, von der, welche jenem Mittelpunkt zugekehrt ist, und alle Gefühle erhalten eben dadurch einen gemeinschaftlichen Ton und werden lebendiger und eingreifender in einander. Nur in der Totalität aller nach dieser Construction möglichen Formen kann die ganze Religion wirklich gegeben werden, und sie wird also nur in einer unendlichen Succeßion kommender und wieder vergehender Gestalten dargestellt, und nur was in einer von diesen Formen liegt trägt zu ihrer vollendeten Darstellung etwas bei.258

Wie man sieht, gehört es zum Schicksal einer thematisch unbestimmten und hierarchisch nicht strukturierten Kommunikationsgemeinschaft, dass sie ihre Konstituierung dem Zufall überlassen muss. Schleiermachers Religion, der weder Gott noch eine spezifische Doktrin als Fundament und Zentrum dienen, wählt ‚aus freier Willkühr’ ein Fragment aus, das ohne bestimmten Grund zum Mittelpunkt erhoben wird und in dessen Wirkungskreis sich dann der ‚gemeinschaftliche Ton’ der religiösen ‚Gesellschaft’ entwickelt.

2.8 Das Problem der Inkommunikabilität und dessen ästhetische Lösung

Doch auch mit dieser Einsicht in die Zufälligkeit der Religionsgründung ist Schleiermachers Szenario noch nicht komplett. Zu den oben skizzierten Problemen, die die religiöse Kommunikation erschweren, tritt noch ein weiteres hinzu. Schleiermachers interaktiv konzipiertes Modell der Religionsgemeinschaft suggeriert nämlich die Vorstellung, dass die

258 Schleiermacher, Friedrich: KGA I.2; S. 303f. [Kursivierung von mir; P.G.]

kommunikative Übermittlung subjektiver religiöser Erfahrung grundsätzlich möglich ist. Es ist ein wichtiger Zug von Schleiermachers Religionstheorie, dass er diese Annahme nicht als selbstverständlich gelten lässt, sondern sie zu einem Kommunikationsproblem umformuliert.

Zu der grundsätzlichen Frage der Mitteilbarkeit von Bewusstseinsinhalten äußert sich Schleiermacher folgendermaßen:

Unsere Meinungen und Lehrsätze können wir Andern wohl mittheilen, dazu bedürfen wir nur Worte, und sie nur der auffaßenden und nachbildenden Kraft des Geistes: aber wir wißen sehr wohl daß das nur die Schatten unserer Anschauungen und unserer Gefühle sind, und ohne diese mit uns zu theilen würden sie nicht verstehen was sie sagen und was sie zu denken glauben.259

Im Falle religiöser Kommunikation zeigt sich die Lage noch schwieriger, da die religiöse Anschauung des Universums als ein mystisches Erlebnis betrachtet werden kann, das weder

„reflexiv im Denken noch praktisch im Handeln einholbar ist.“260 Schleiermachers weiter oben geschilderte Reflexion der Autonomie von Bewusstseinsprozessen wird in Bezug auf religiöse Kommunikation also noch weiter differenziert. Im Bereich des Religiösen werden Kommunikationsaktanten nämlich nicht nur mit der Intransparenz der Sinnproduktion im Bewusstsein konfrontiert, sondern sie haben darüber hinaus mit dem grundsätzlichen Problem der Kommunizierbarkeit des individuellen religiösen Erlebnisses zu tun.

Wenn man sich auf die Unterscheidung zwischen ‚rational’ und ‚irrational’ stützt, dann kann man sagen, dass der religiöse Sinn, der nicht auf rationalen Gründen, sondern auf dem Gefühl aufbaut, weder intersubjektiv verständlich zu machen noch kommunikativ übertragbar ist. Der grundsätzlich irrationale religiöse Sinn zeigt sich aus dieser Perspektive als inkommunikabel. Die grundsätzliche Irrationalität des Religiösen limitiert den Erfolg einer jeden religiösen Kommunikation.261 Das Entscheidende bei diesem Punkt besteht darin, dass Schleiermacher die von ihm diagnostizierte Inkommunikabilität der religiösen Anschauung nicht als ein Problem des Verstehens betrachtet. Wie die folgende Passage aus den ‚Reden’ belegt, polemisiert der ‚vor- bzw. anti-hermeneutische’262 Schleiermacher sogar nachhaltig gegen die „Wut des Verstehens“ im Bereich des Religiösen:

259 Schleiermacher, Friedrich: KGA I.2; S. 250.

260 Firsching, Horst; Schlegel, Matthias: Religiöse Innerlichkeit und Geselligkeit, a.a.O.; S. 35.

261 Vgl. dazu Tyrell, Hartmann: ‚Das Gesellige in der Religion’, a.a.O.; S. 34.

262 Vgl. Hörisch, Jochen: Der Mittler und die Wut des Verstehens. Schleiermachers frühromantische Anti-Hermeneutik. In: Behler, Ernst; Hörisch, Jochen (Hg.): Die Aktualität der Frühromantik. Paderborn u.a. 1987;

S. 19-32, hier S. 24.

Mit Schmerzen sehe ich es täglich wie die Wut des Verstehens den Sinn gar nicht aufkommen läßt, und wie Alles sich vereinigt den Menschen an das Endliche und an einen sehr kleinen Punkt desselben zu befestigen damit das Unendliche ihm so weit als möglich aus den Augen gerückt werde. Wer hindert das Gedeihen der Religion? Nicht die Zweifler und Spötter; wenn diese auch gern den Willen mitteilen, keine Religion zu haben, so stören sie doch die Natur nicht, welche sie hervorbringen will; auch nicht die Sittenlosen, wie man meint, ihr Streben und Wirken ist einer ganz andern Kraft entgegengesetzt als dieser; sondern die Verständigen.263

Bei dem jungen ‚Antihermeneuten’ Schleiermacher schließen sich also Religiosität und Hermeneutik aus.264 Doch wodurch soll – so ist an dieser Stelle zu fragen – nach der Absage an das ‚verstehenssichere‘ Anschließenkönnen und in Anbetracht des fehlenden thematischen Zentrums – überhaupt noch die Konsistenz der religiösen Kommunikation gewährleistet werden?

Bei der Beantwortung dieser Frage zeigt sich ein Rückblick auf Schleiermachers Geselligkeitstheorie als hilfreich. In seinem Theorieentwurf unterscheidet Schleiermacher zwei Merkmale der kommunikativen Wechselwirkung, deren Beachtung für die Konstitution und den Erhalt einer jeden geselligen Verbindung unentbehrlich ist. Jeder Kommunikationswillige wird von Schleiermacher ermahnt, den ‚Ton’ und die ‚Manier’ der

‚Gesellschaft’ zu wahren. Während es bei der Salongeselligkeit vor allem darauf ankommt, unter der Berücksichtigung der persönlichen Interessen anwesender Personen ein angemessenes Thema (‚Ton’) für die Unterredung zu finden, wird dies im Bereich der religiösen Geselligkeit angesichts der Komplexität des vorhandenen Themenvorrats (‚Universum’) gar nicht erst angestrebt. Die Rolle des Garanten für anschlussfähige Kommunikation wird im religiösen Kontext – und hier zeigt sich die Antwort auf die oben gestellte Frage – nicht einem adäquaten Thema, sondern dem passenden Ausdruck (‚Manier’) zugewiesen.

Schleiermachers ‚Reden’ zeichnen sich im Vergleich mit seiner Geselligkeitstheorie durch eine markante Aufwertung der Ausdrucksebene kommunikativer Beziehungen aus. Was nur verständlich ist, da „das Transzendente selbst nicht kommunikabel ist“, und deswegen

„mittels anschaulicher Vorstellungen konkretisiert werden“ muss.265 Auf diese Weise wird Unvertrautes in Vertrautes ‚übersetzt’. Schleiermacher selbst bezeichnet die „symbolischen Handlungen“ als die einzig angemessene Form religiöser Geselligkeit, die er von den

263 Schleiermacher, Friedrich: KGA I.2; S. 253.

264 Vgl. Hörisch, Jochen: Der Mittler und die Wut des Verstehens, a.a.O.; S. 25.

265 Tyrell, Hartmann; Krech, Volkhard; Knoblauch, Hubert: Religiöse Kommunikation, a.a.O.; S. 10.

‚abstrakten’ Mitteilungsformen in Gestalt von Begriffen, Meinungen und Lehrsätzen streng unterscheidet.266

Das Phänomen des Ausdrucks kommt vor allem in Schleiermachers Behandlung der angemessenen Form religiöser Wechselwirkung zum Vorschein. Es wirkt zunächst überraschend, dass er dabei die Predigt gegenüber dem ‚gemeinen Gespräch’ favorisiert. Der Grund dafür liegt darin, dass die Übermittlung der religiösen Erfahrung nach Schleiermacher eine bestimmte Ernsthaftigkeit und Feierlichkeit erfordert und deswegen vom Alltagsgespräch abgesondert werden muss: „Wo Freude und Lachen auch wohnen, und der Ernst selbst sich nachgiebig paaren soll mit Scherz und Wiz, da kann kein Raum sein für dasjenige, was von heiliger Scheu und Ehrfurcht immerdar umgeben sein muß.“267 Außerdem erfordert die Mitteilung religiöser Ansichten eine gewisse Vorbereitung, die im Alltagsgespräch nicht immer gewährleistet werden kann: „In dieser Manier eines leichten und schnellen Wechsels treffender Einfälle laßen sich göttliche Dinge nicht behandeln.“268 Die Mitteilung der Religion erfordert nach Schleiermacher einen höheren Stil. Die angemessene Form der kommunikativen Vermittlung des Religiösen ist daher die im Einklang mit den Prinzipien der Redekunst vorbereitete und vor einer Gemeindeversammlung vorgetragene Predigt: „[E]s [ist] unmöglich Religion anders auszusprechen und mitzutheilen als rednerisch, in aller Anstrengung und Kunst der Sprache, und willig dazu nehmend den Dienst aller Künste, welche der flüchtigen und beweglichen Rede beistehen können.“269 Wenn aber Schleiermacher behauptet, dass die „Mitteilung der Religion nicht anders als rhetorisch sein kann“270, dann ist damit nicht die von ihm selbst kritisierte persuasive Rhetorik gemeint, sondern eine „nicht-intentionale Rhetorik“271 des poetischen Ausdrucks.

Die Figur des predigenden Mittlers wird bei Schleiermacher also nicht mit der klassisch-rhetorischen Fertigkeit der Überredung ausgestattet, sondern mit der Potenz, in einem durch die „poetische[] Intentionslosigkeit“272 geprägten Akt der ‚Übersetzung’ das unendliche Universum zu vergegenwärtigen. Nach Schleiermachers Darstellung fühlt sich der Mittler nach seinen „Ausflügen ins Unendliche“ genötigt, „allem Inneren auch ein äußeres Dasein“

266 Vgl. Schleiermacher, Friedrich: KGA I.2; S. 276.

267 ebd.; S. 268.

268 ebd.

269 ebd.; S. 269.

270 ebd.; S. 211.

271 Zabka, Thomas: Rede und Rhetorik in der deutschen Frühromantik. In: Rhetorik. Ein internationales Jahrbuch 12 (1993); S. 84-93, hier S. 89.

272 ebd.; S. 91.

zu geben.273 Dies geschieht in Form einer „endliche[n] Größe“, eines „mittheilbaren Gegenstand[s]“ und zwar in der Gestalt von Bildern oder Worten.274 Das von dem Mittler

‚übersetzte’ Erlebnis des Unendlichen nimmt für die Anderen eine endliche Form an und zwar als ein „Gegenstand des Genußes“.275

Die Artikulation des inneren Erlebnisses erhält dadurch eine ästhetische Form. Bei seiner sprachlichen Darbietung der eigenen religiösen Erfahrung übernimmt jedes Gemeindemitglied die Rolle eines Redners, Dichters oder Künstlers. Die Kommunikation des Unkommunikablen geschieht also auf einem ‚Umweg’, in Form symbolischer, metaphorischer, gleichnishafter und allegorischer Ausdruckweise. Der notwendig tropische Charakter der religiösen Sprache signalisiert jedoch nicht, dass die Religion auf rednerischen Schmuck angewiesen wäre. In der rednerischen Mitteilung des Religiösen kommt es nur darauf an, alle sprachlichen Möglichkeiten auszuschöpfen, um die Religion „in angemeßener Kraft und Würde darzustellen“.276

273 Vgl. Schleiermacher, Friedrich: KGA I.2; S. 193.

274 Vgl. ebd.

275 ebd.; S. 194.

276 ebd.; S. 269.

3. Kommunikation als Mythologem: Das frühromantische Konzept der Neuen

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