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Performanz des frühromantischen Wissens über Kommunikation

3. Performanz des frühromantischen Kommunikationswissens

3.5 Die Unwahrscheinlichkeit der Kommunikation kommunizieren

Während im Zeichen des aufklärerischen ‚operativen Displacements’ also die Informationsseite der Kommunikationsform privilegiert und das Selektionsvolumen auf der

659 Garve, Christian: Von der Popularität des Vortrags. In: ders.: Popularhistorische Schriften. Bd. 2. Hg. v.

Kurt Wölfel. Stuttgart 1974; S. 1039-1066, hier S. 1042.

660 Fuchs, Peter: Moderne Kommunikation, a.a.O.; S. 113f.

661 ebd.; S. 114.

662 Vgl. ebd.; S. 116.

663 Fuchs, Peter: Die Funktion der modernen Lyrik. In: ders.; Schmatz, Ferdinand: „Lieber Herr Fuchs, lieber Herr Schmatz!“. Eine Korrespondenz zwischen Dichtung und Systemtheorie. Opladen 1997; S. 131-144, hier S. 137.

Ebene der Mitteilung eingeschränkt wird, kommt es im Kontext der Frühromantik zu einer anderen Modifikation des kommunikativen ‚Normalarrangements’. Die frühromantische Kommunikation zeichnet sich durch eine immense Potenzierung der Mitteilungs- bzw.

Ausdrucksebene der Kommunikationsform aus. Auf diese Weise wird die Selektionstrias der Operation ‚Kommunikation’ Veränderungen unterzogen, „die jedes Was (jeden Inhalt, jede Bezeichnung, jeden Anschluß) eigentümlich verschwimmen lassen, so als gäbe es nichts, was anders als ungefähr gesagt werden könnte“.664

Die Frühromantik reagiert auf die gesellschaftsstrukturell bedingte Minderung der Chancen für erfolgreiche Kommunikation also nicht – so wie es bei der Aufklärung der Fall war – mit einer Disziplinierung der kommunikativen Abläufe, sondern ganz im Gegenteil mit einer zusätzlichen und durch spezifische ästhetische Mittel genährten Irritation. Aus dieser Perspektive erscheint die Frühromantik auf den ersten Blick als eine kommunikative Konstellation, in deren Rahmen kontingente Anschlussmöglichkeiten produziert und letztendlich – wie Carl Schmitt kritisch anmerkt – „alles zum Anlaß für alles“665 genommen werden kann.

An dieser Stelle kommt die scheinbare Paradoxie des frühromantischen Kommunikationsdenkens erneut in vollem Maße zum Vorschein. Dem Bedürfnis nach Geselligkeit und kommunikativem Austausch, d.h. der Suche nach einem Ort für gelingende Kommunikation, wird eine kommunikative Praxis entgegengestellt, die Anschlussmöglichkeiten verunsichert und die zu bewältigende Komplexität der modernen Welt nicht reduziert, sondern steigert. So gesehen scheint die ‚Schizophrenie’ des frühromantischen Bezugs auf Kommunikation perfekt.

Wie weiter oben bereits erläutert, versucht Gerhard Plumpe dieses paradoxe Bild der Frühromantik mit dem Nachweis zu relativieren, dass das Streben nach Entdifferenzierung und die differenzierte ‚Rede’ der Frühromantik als zwei komplementäre Aspekte der frühromantischen Reaktion auf den Komplexitätszuwachs innerhalb der modernen Gesellschaft betrachtet werden können. An diesem Erklärungsversuch wurde aber bemängelt, dass er keine Antwort auf die Frage bietet, in welchem Sinne die zwei divergierenden Aspekte des Frühromantischen aus einer kommunikationsbezogenen Perspektive als kompatibel angesehen werden können. Wenn Peter Fuchs in diesem Zusammenhang einräumt, dass die Frühromantik auf die störungsanfälligen Kommunikationsverhältnisse mit ‚irritierender’ Kommunikation reagiert, dann lässt sich in dieser frühromantischen poetischen ‚Aktion’ in dem Sinne eine Gemeinsamkeit zu den

664 Fuchs, Peter: Moderne Kommunikation, a.a.O.; S. 82.

665 Schmitt, Carl: Politische Romantik. München/Leipzig 1925; S. 19.

parallel verlaufenden Entdifferenzierungsbestrebungen erkennen, dass die ästhetische Depräzisierung der kommunikativen Anschlussmöglichkeiten als ein performativer Hinweis auf die generelle Tendenz des Unwahrscheinlichwerdens erfolgreicher Kommunikation im Zeichen der Moderne gedeutet werden kann. So gesehen würde es sich dabei um eine

‚Aussage’ über die vorhandenen Kommunikationsverhältnisse handeln, die nicht diskursiv entwickelt und argumentativ begründet wäre, sondern deren Leistung in der Lenkung der Aufmerksamkeit des Rezipienten auf ihre eigene Erscheinungsform bestehen würde.

Es ist gerade das frühromantische ‚operative Displacement’, d.h. die für die Frühromantik charakteristische Verschiebung innerhalb des Selektionsgefüges der Kommunikation, die eine solche ‚Aussage’ ermöglicht und dadurch die vermutete Paradoxie des frühromantischen Kommunikationsdenkens aufzuheben scheint. Das für die Frühromantik typische ‚Displacement’ zeichnet sich nämlich dadurch aus, dass auf Grund der markanten Potenzierung der Mitteilungsseite der Kommunikation zwar die Anschlüsse an die Informationsebene erheblich erschwert werden, dass aber gerade dadurch die Aufmerksamkeit auf die Mitteilung gelenkt wird. Unter diesen Umständen kann, und wie es scheint, auch soll hauptsächlich an die Mitteilungsseite der frühromantischen Kommunikationsofferten angeschlossen werden, durch die eine bestimmte Information geliefert wird. Geschaffen wird dadurch die für die Frühromantik charakteristische Option einer – weiter oben in anderen Zusammenhängen bereits thematisierten (vgl. Kap. II.1.4) –

‚indirekten’ Vergegenwärtigungsform, deren Potenz in diesem Fall darin gründet, dass

„unterhalb der Thematizität [kommunikativer] Prozesse [...] eine operative Ebene der Kommunikation arbeitet, in der (faßbarer) Sinn eigentümlich verteilt, austariert und zugewiesen wird“.666 In Bezug auf das frühromantische ‚Displacement’ bedeutet dies, dass auf diese Weise die Mitteilungsselektion zur Information erhoben wird: „Das ‚Wie’ der Mitteilung beginnt ihr ‚Was’ in Anschlußselektionen zu dominieren.“667 Entscheidend ist dabei, dass dadurch das ursprünglich ausschließlich negativ wahrgenommene Irritationspotential der frühromantischen poetischen Formen einen positiven Informations- bzw. Erkenntniswert erhält.

Es lässt sich an dieser Stelle vorläufig zusammenfassen, dass sowohl in der Aufklärung als auch in der Frühromantik über die Auswirkungen des gesellschaftsstrukturellen Umbaus auf die Kommunikationsbedingungen reflektiert wird, dass sich die Reaktionen auf diese Situation im Hinblick auf ihre Art und Weise jedoch voneinander stark unterscheiden.

Während die Aufklärung anhand von Disziplinierungsmaßnahmen über die als kritisch

666 Fuchs, Peter: Moderne Kommunikation; a.a.O.; S. 149.

667 ebd.; S. 102.

diagnostizierte Situation informiert und die gefährdeten Kommunikationsströme intakt halten will, klärt die Frühromantik über das status quo dadurch auf, dass sie die kontingent gewordene Kommunikation mit Hilfe einer poetischen ‚Aktion’ ‚erlebbar’ macht. Aus dieser Perspektive handelt es sich in beiden Fällen um eine aufklärerische Haltung, die lediglich zwei unterschiedliche Artikulationsformen annimmt.

Doch die Differenz zwischen der aufklärerischen und der frühromantischen Kommunikationsreflexion beruht nicht nur auf den unterschiedlich gestalteten Formen des

‚Aufklärens’. Ein wesentlicher Unterschied besteht in der grundsätzlichen Auffassung von Kommunikation. Es wurde bereits darauf hingewesen, dass es sich im Kontext der Aufklärung im Hinblick auf das Streben nach einem rauschfreien Austausch um ein Verständnis des Kommunizierens handelt, das maßgeblich durch die Vorstellung einer auf der Übertragung von Inhalten basierenden interaktiven Beziehung geprägt wird.

Die frühromantische Reflexion der kommunikativen Verhältnisse, die die vorhandene Situation nicht diskursiv ‚erläutert’, sondern ihre Auswirkungen anhand einer Inszenierung

‚zur Schau stellt’, signalisiert im Vergleich dazu ein differenzierteres Kommunikationsverständnis. Einen Hinweis dafür gibt eben die frühromantische

‚Entdeckung’, dass auch die Ausdrucksebene der Kommunikation als ein Medium für Information dienen kann. Hinter dieser poetischen Strategie deutet sich ein Kommunikationsverständnis an, das auf die Übertragungsmetapher nicht reduziert werden kann. Das frühromantische ‚Jonglieren’ mit der Informations- und Mitteilungsebene zeugt von einem Denken der Kommunikation, das das ‚Verstehen’ nicht auf eine gelungene Übertragungsleistung zwischen zwei oder mehreren Aktanten zurückführt, sondern darin einen Selektionsakt erkennt, in dem zwar sinnvoll, aber grundsätzlich kontingent zwischen der Informations- und der Mitteilungsseite einer Äußerung unterschieden und dadurch wiederum der Ausgangspunkt für anschließende Selektionen gebildet wird. Es handelt sich also um ein Verständnis von Kommunikation, in dem die notwendig eingeschränkte Koordinierbarkeit der multiplen Selektionsprozesse erkannt und davon die Einsicht der geringen Wahrscheinlichkeit erfolgreicher Kommunikation abgeleitet wird.

Eine derartige Kommunikationsauffassung ist auf zweierlei Art und Weise artikulierbar. Wie weiter oben (Kap. II.1.3) bereits angedeutet wurde, hat es jede Reflexion der Kommunikation mit der Frage einer angemessenen Präsentation zu tun, was in diesem Fall auf eine besondere Weise zum Vorschein kommt. Das Wissen über die

‚Unwahrscheinlichkeit der Kommunikation’ kann erstens in Form einer ‚reinen Theorie’

artikuliert werden, d.h. im Medium einer Metasprache, die bei der Erläuterung des Wesens

von Kommunikation einen selbstreflexiven Bezug auf ihre eigene kommunikative Beschaffenheit ausblendet. Ansätze einer solchen Kommunikationstheorie sind in Schleiermachers Auseinandersetzung mit der Geselligkeit zu beobachten.

Als eine zweite Option bietet sich eine Kommunikationsreflexion an, die über die grundsätzliche Labilität der Kommunikation informiert und gleichzeitig auch selbst als eine Demonstration der Unwahrscheinlichkeitsthese erkennbar wird. Es handelt sich dabei also um einen ‚theoretischen’ kommunikativen Akt, bei dem – um den performativen Widerspruch zu vermeiden – nicht auf der Informationsebene über die Unwahrscheinlichkeit der Kommunikation referiert werden kann. Bei einer solchen Form der Wissensvermittlung muss also die Mitteilungsseite in Anspruch genommen werden. Und genau darin besteht der performative Zug einer solchen Wissensform. Der ‚darzustellende’ Gegenstand darf weder direkt abgebildet noch diskursiv erläutert werden. Die Vergegenwärtigung muss die Form einer ‚Aufführung’ bzw. ‚Zur-Schau-Stellung’ annehmen, die durch ihre Ereignishaftigkeit eine Veränderung im Wahrnehmungs- und Denkapparat des Rezipienten verursacht.

Mit dieser alternativen Option des Wissensdesigns ist allerdings ein Problem verbunden. Im Rahmen einer ‚normalen’ Kommunikation wäre es nämlich schwierig, auf der Mitteilungsseite so über die Unwahrscheinlichkeit der Kommunikation zu referieren, dass sinnvoll angeschlossen werden könnte. In diesem Fall könnte nicht verstehenssicher zwischen der eigentlichen Information und der Mitteilung der Aussage unterschieden werden. Um die ‚Aussage’ über die Beschaffenheit der Kommunikation wahrnehmbar zu machen, muss also die Artikulationsform von den herkömmlichen Verfahren des Kommunizierens abweichen.

An dieser Stelle ist erneut an die frühromantischen Techniken eines ‚Verfügbarmachens des Unverfügbaren’ zu erinnern. Bei einem nicht-diskursiven Verweis auf die Störungsanfälligkeit der Kommunikation handelt es sich nämlich um ein ähnliches Problem, wie es bei der frühromantischen ‚Darstellung des Undarstellbaren’ der Fall war. Dabei handelte es sich, um es nur kurz zu rekapitulieren, um die Einsicht, dass jeder Versuch, das

‚Absolute’ zu vergegenwärtigen, mit der Schwierigkeit zu kämpfen hat, dass das ‚Absolute’

im Akt der Vermittlung seinen Charakter des Absoluten notwendigerweise verliert. Die Leistung der Frühromantik in der Konfrontation mit diesem Problem besteht darin, , an die Stelle einer theoretischen bzw. philosophischen die ästhetische ‚Darstellung’ des

‚Absoluten’ zu setzen, mit deren Hilfe das Unendliche zwar nicht dargestellt, aber

‚angedeutet’ werden kann. Für das Phänomen ‚Kommunikation’ bietet sich das Verfahren der frühromantischen Darstellungspoetik in dieser Hinsicht auch an. Auch auf

Kommunikation lässt sich nämlich die von Friedrich Schlegel geäußerte Ansicht beziehen, dass der Mensch „[d]arstellen will und soll [...] gerade das was er nicht vorstellen kann“.668 Im Falle der ‚Darstellung’ der ‚unwahrscheinlichen’ Kommunikation verhält es sich so, dass erst der Wechsel auf die ästhetische Ebene es ermöglicht, die Aufmerksamkeit auf die formale Seite der Aussage zu lenken, über die Information über Kommunikation transportiert wird. Aus der Alltäglichkeit kann die ästhetische Kommunikation ausbrechen, indem sie die herkömmliche Kommunikationsform persifliert und dadurch beobachtbar macht. Es handelt sich dabei um eine ‚poetische Leistung’ bzw. um die Erfindung einer neuen Präsentationsform des Wissens über Kommunikation. Es geht um eine ‚Darstellung’, die in Klopstocks Sinne ‚Theorie hat’ (vgl. Kap. II.1.5), d.h. es handelt sich nicht nur um einen Akt der Formgebung, sondern auch der Wissensgenerierung.

Es lässt sich an dieser Stelle zusammenfassen, dass die frühromantische Betonung der Mitteilungsseite der Kommunikation, die sich irritierend auf das Publikum auswirkt, nicht als Ausdruck eines künstlerisches anything goes zu betrachten ist, sondern als Zeichen für eine bestimmte Auffassung von Kommunikation. Die ‚Aussagekraft’ des frühromantischen Displacements muss in dieser Hinsicht maßgeblich erweitert werden. Die Frühromantik

‚inszeniert’ mit ihrer durch die Potenzierung der Mitteilungsseite irritierenden

‚Räthselsprache’ also nicht nur die beobachteten Kommunikationsverhältnisse – was letztendlich nur auf eine Duplizierung der im ‚wirklichen’ Leben gewonnenen Erfahrung hinauslaufen würde. Die Frühromantik nimmt also nicht nur die aktuellen Kommunikationsprobleme, sondern auch die basale Operation der Kommunikation ins Visier. Sie fasst Kommunikation als ein Problem auf, bindet dessen Lösung allerdings nicht primär an die Bekämpfung von Störfaktoren in den medialen Kanälen, sondern klärt in einem selbstreflexiven und performativen Akt über die unabwendbare Anfälligkeit der Kommunikation für Störungen auf.

Im Folgenden ist nun zu zeigen, welche Rolle die konkreten Formen der frühromantischen

‚irritierenden’ Kommunikation, d.h. vor allem das Fragment und die Ironie, in der frühromantischen ‚performativen’ Kommunikationstheorie spielen.

668 Schlegel, Friedrich: KFSA 18; S. 341.

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