• Keine Ergebnisse gefunden

Von der Darstellungspoetik und der ‚witzigen’ Denkart zur Performativität

Performanz des frühromantischen Wissens über Kommunikation

2. Hinführung zu einer Theorie des performativen Wissens

2.1 Von der Darstellungspoetik und der ‚witzigen’ Denkart zur Performativität

Im vorangehenden Kapitel wurde gezeigt, dass die frühromantischen Konzepte der

‚Darstellung’ und des Witzes als zwei alternative Erkenntnis- und Vergegenwärtigungsmodi betrachtet werden können, deren gemeinsames Hauptmerkmal in ihrer Differenz zum diskursiv strukturierten und artikulierten Denken besteht. Dabei fällt auf, dass es sich sowohl bei der darstellerischen ‚Andeutung’ des unmittelbar nicht zugänglichen ‚Absoluten’ als auch bei der ‚witzigen’ Denkform um poetologische Konzepte handelt, deren Benennungen zwar aus dem Inventar der traditionellen Dichtungs- bzw. Kunsttheorie stammen, dass ihre eigentliche Leistung jedoch in einer signifikanten Modifikation und Neubestimmung der durch die überlieferten Begriffe bestimmten künstlerischen Verfahren besteht. Das frühromantische Konzept der ‚Darstellung’ zielt eben nicht auf das mit diesem Begriff üblicherweise verbundene Verfahren des Abbildens und der Repräsentation, sondern ist auf eine ‚andere’ Art und Weise des Weltzugangs ausgerichtet. Auch bei der frühromantischen Auffassung vom Witz handelt es sich weder um die Aktualisierung einer literarischen Kurzform, noch um den Bezug auf die traditionelle Auffassung vom Witz als einer Erkenntniskraft, sondern um ein komplexes, jenseits der diskursiv-argumentativen Denkstrukturen positioniertes Modell interaktiv strukturierter Wissenserzeugung.

Wie sich also zeigt, wird die Spezifik der frühromantischen ‚Darstellung’ und des Witzes als

‚anderer’ Erkenntnisformen nicht eindeutig begrifflich festgehalten, sondern kommt in Andeutungen oder in Umschreibungen bereits vorhandener Konzepte und Begrifflichkeiten zum Vorschein. So wird die darstellerische Tätigkeit z.B. in Bezug auf ihre Potenz, „das Seyn für sich auf gewisse Weise daseyn zu lassen“545 charakterisiert, oder im Gegensatz zu dem auf ‚sicheres’ Wissen zielenden diskursiven Denken als „Andeutung des Unendlichen“546 bzw. als „Anspielung aufs Unendliche“547 bezeichnet. Außerdem manifestiert sich die frühromantische Poetik der ‚Darstellung’ in dem „deutende[n]

Anspielen“ des Absoluten und einer „allegorische[n] Erkenntnis“.548 Wie weiter oben gezeigt wurde, beschränkt sich die frühromantische Poetik des Witzes wiederum fast

545 Novalis: NS 2; S. 106.

546 Schlegel, Friedrich: KFSA 12; S. 211, vgl. auch KFSA 13; S. 174 u. KFSA 11; S. 119.

547 Schlegel, Friedrich: KFSA 18; S. 416.

548 Schlegel, Friedrich: KFSA 12; S. 208f.

ausschließlich auf metaphorische Umschreibungen dieses epistemologischen Phänomens (Blitz, Explosion, Berührung u.a.).

Doch nicht nur die Frühromantik selbst, sondern auch die Frühromantikforschung greift bei der Charakteristik der ‚darstellerischen’ und ‚witzigen’ Erkenntnismodi auf ähnlich unspezifische Bezeichnungen zurück. Wenn z.B. die frühromantische Poetik als ein Bestreben betrachtet wird, „die unmögliche Darstellung dennoch zu leisten“549, dann stellt sich die Frage nach der Option einer klaren begrifflichen Erfassung dieser spezifischen

‚Leistung’, die über die wenig aussagekräftige Umschreibung als ‚Überwindung der unmöglichen Darstellung’ hinaus reicht. Oder wenn die frühromantische Ironie als eine Artikulationsform aufgefasst wird, die „das Gesagte [...] vernichtet und so an das verweist, was jenseits aller Semantik eigentlich gemeint war: das ‚Unendliche’“550, dann ist zu fragen, wie jenes ironische ‚Vernichten’ und ‚Verweisen’ begrifflich präziser gefasst werden könnte.

Das Ziel dieses Kapitels besteht vor diesem Hintergrund darin, den soeben aufgewiesenen Mangel zu überwinden, d.h. die nicht-diskursiven Verfahren des frühromantischen Denkens auf den Begriff zu bringen. Dieses Vorhaben wird durch die Überzeugung gestützt, dass erst im Rahmen einer begrifflich klar umgrenzten und theoretisch gestützten Reflexion der

‚anderen’ frühromantischen Erkenntnismodi die Differenz zu den Strukturen des diskursiven Denkens deutlich gemacht werden kann. Die hier entwickelte begriffliche und theoretische Präzisierung soll dann im letzten Kapitel dieser Arbeit die Grundlage für die Analyse der alternativen Form des frühromantischen Kommunikationsdenkens bieten.

Bevor die poetischen Verfahren des ‚Darstellens’ und des Witzes unter das anvisierte theoretische Paradigma subsumiert werden, sollen im Folgenden die Merkmale der beiden Erkenntnismodi zusammengefasst werden, in denen sich bereits die Grundannahmen dieses Paradigmas bemerkbar machen. Wie im vorigen Kapitel gezeigt wurde, zeichnen sich die Konzepte der ‚Darstellung’ und des Witzes durch folgende signifikante Aspekte aus:

(1) Im Zusammenhang mit der Abkehr der frühromantischen Poetik von dem mimetischen Paradigma rückt die schöpferische bzw. hervorbringende Leistung der Poesie in den Vordergrund. Sowohl die Darstellungspoetik als auch das Konzept der ‚witzigen’ Denkform zielen nicht auf die Nachahmung einer vorgegebenen Wirklichkeit, sondern bringen ihre Objekte selbst hervor. Bei der frühromantischen Poesie handelt es sich also um die Abkehr von der Repräsentationsleistung der Literatur und um die Zuwendung zu einer neuen Form der ästhetischen Aussage.

549 Menninghaus, Winfried: ‚Darstellung’, a.a.O.; S. 217.

550 Frank, Manfred: Einführung in die frühromantische Ästhetik. Vorlesungen. Frankfurt a.M. 1989; S. 361.

(2) Die frühromantische Poetik hebt den Vollzugs- bzw. Handlungscharakter der Poesie hervor. Es handelt sich dabei nicht nur um den Aspekt der ‚permanenten Progressivität’, d.h.

um die Auffassung von Poesie als eines Phänomens, das „ewig nur werden, nie vollendet sein kann“.551 Klopstocks Poetik zielt ausdrücklich auf eine grundlegende Modifikation der aristotelischen Opposition von praxis und poiesis, indem sie nicht die Handlung als Gegenstand der Dichtung betrachtet, sondern die Poesie selbst als Handlung auffasst.552 Diese poetologische Position führt Klopstock in seiner Theorie der ‚Wortbewegung’ aus. In der Fokussierung der „ekstatische[n] rhythmische[n] Bewegung“ und des „Strömen[s] und Rauschen[s] des Textes“553 kommt die ‚Aktion’ des Textes zum Vorschein.554

(3) Ein signifikantes Moment stellt die interaktive Struktur der ‚darstellerischen’ und

‚witzigen’ Konstellation dar. Hier geht es um die Auffassung von ‚Darstellung’ und Witz als bestimmter Potenzen, die erst durch einen Impuls des Rezipienten aktiviert werden und sich dann zu einem Wechselwirkungsverhältnis gegenseitig sich erregender Instanzen entfalten können. Hierfür ist Friedrich Schlegels Auffassung von der Beziehung zwischen einem

‚synthetischen’ Schriftsteller und seinem Leser bezeichnend, der nicht als „ruhend und tot, sondern [als] lebendig und entgegenwirkend“555 ‚konstruiert’ wird. Die Wirkungskraft des poetischen Kunstwerks wurzelt in dieser Hinsicht nicht in seiner materiellen Gestalt, sondern wird erst im Vollzug des Wechselwirkungsverhältnisses mit dem Rezipienten aktiviert.

(4) Bezeichnend ist auch der spezifische zeitliche Modus dieser poetischen Akte.

Insbesondere der Witz zeichnet sich durch sein plötzliches Erscheinen und seine Ereignishaftigkeit aus. Die Plötzlichkeit des ‚witzigen Einfalls’ und der Verweis auf die Schnelligkeit der ‚Wortbewegung’ in Klopstocks Poetik deuten dabei nicht nur auf die zeitliche Struktur ihrer Artikulation hin, sondern sie beziehen sich auch auf die Art und Weise der rezipierenden Wahrnehmung. Die Abkehr von einem hermeneutisch strukturierten Darstellungs- und Rezeptionsmodus manifestiert sich also nicht nur in der Kontingenz und der Unmittelbarkeit des ‚witzigen Einfalls’, sondern auch in seiner augenblicklich zündenden Wirkung im wahrnehmenden Bewusstsein.

551 Schlegel, Friedrich: KFSA 2; S. 183.

552 Vgl. dazu Menninghaus, Winfried: ‚Darstellung’, a.a.O.; S. 208.

553 Menninghaus, Winfried: Klopstocks Poetik der ‚schnellen Bewegung’, a.a.O.; S. 274.

554 Vgl. Klopstock, Friedrich G.: GNP; S. 181.

555 Schlegel, Friedrich: KFSA 2; S. 161.

(5) Ein weiteres charakteristisches Merkmal der Darstellungspoetik und des Konzepts des Witzes bildet die mit der spezifischen zeitlichen Struktur zusammenhängende Tendenz zur Auflösung des Werks bzw. die Abkehr vom Werkcharakter der Kunst. Die in der frühromantischen Poesie häufig auftauchende Form des Fragments stellt dabei nur einen Aspekt des ‚abwesenden’ Werks dar. Die Erosion der Werksubstanz zeigt sich ebenfalls nicht nur in der Funktion der Poesie, das undarstellbare ‚Absolute’ im Akt einer permanenten Annäherung, d.h. in Form eines nicht finalisierbaren Kontinuums poetischer Praxis, gegenwärtig zu machen. Die Tendenz zur Auflösung des Werkganzen in fragmentarische Texte erscheint dabei vor allem als textuelle Manifestation der Kontingenz und der Plötzlichkeitsstruktur der ‚witzigen’ Denkform.

In den angeführten Merkmalen der frühromantischen Poetik – d.h. dem Vollzugscharakter der Poesie, der interaktiven Beziehung zwischen dem Autor und dem Rezipienten, der Aufwertung des ästhetischen Augenblicks und der Abkehr vom Werkcharakter der künstlerischen Tätigkeit – deuten sich Aspekte eines theoretischen Programms an, das die aktuelle theoretisch-methodologische Diskussion in den Kultur- und Sozialwissenschaften prägt. Es handelt sich um das Paradigma der Performativität. Bevor weiter unten die Legitimation einer performativitätstheoretischen Fokussierung der frühromantischen Poetik überprüft wird, sollen im Folgenden zunächst die Entwicklungstendenzen und der Kontext des Performativitätsbegriffs skizziert werden.

Outline

ÄHNLICHE DOKUMENTE