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Performanz des frühromantischen Wissens über Kommunikation

2. Hinführung zu einer Theorie des performativen Wissens

2.3 Arbeit am Begriff

In der kurzen Darstellung der einzelnen Performativitätsansätze sollte deutlich geworden sein, dass sich diese mit der frühromantischen Darstellungspoetik und dem Konzept des Witzes in Verbindung bringen lassen. Gleichzeitig wird erkennbar, dass sich die am Anfang dieses Kapitels angeführten Charakteristika der frühromantischen nicht-diskursiven Reflexion nicht vollständig und sinnvoll mit nur einem der drei Performativitätsansätze umfassen lassen. Es wird vielmehr ersichtlich, dass die frühromantische Denkart mit jeder der genannten Performativitätstheorien in bestimmter Hinsicht korelliert. Als Erstes lässt sich eine Äquivalenz zwischen der hervorbringenden Leistung der amimetischen frühromantischen Poesie und dem nicht-referentiellen Charakter der performativen Äußerungen beobachten. Die Kategorie der ‚Aufführung’ kann man zunächst auf den öffentlichen Auftritt der Frühromantik beziehen; für den kulturwissenschaftlichen Aspekt des Performativen ist aber auch der Handlungscharakter und die interaktive Struktur der

567 Mersch, Dieter: Ereignis und Aura, a.a.O.; S. 163.

568 Vgl. ebd.

frühromantischen Poesie von Interesse. Eine Parallele zu der kunsttheoretischen Ausrichtung des Performativitätsparadigmas ergibt sich in Bezug auf die Ereignishaftigkeit der ‚witzigen’

Wissenserzeugung und die in der frühromantischen Poetik angelegte Erosion des Werkcharakters der Kunst.

Diese ‚Zersplitterung’ der performativen Züge der frühromantischen Poetik deutet also darauf hin, dass der hier angestrebte, auf die Frühromantik zugeschnittene Begriff des Performativen nicht einfach von einem der skizzierten Ansätze abgeleitet werden kann, sondern im Hinblick auf die Spezifika der frühromantischen Denkart konstruiert werden muss. Eine solche ‚Arbeit am Begriff’ stellt im Kontext des Performativitätsparadigmas keine außerordentliche Erscheinung dar. Es gehört zu den Grundmerkmalen der Performativitätsbegriffs, dass er keine feststehende und in allen genannten Bereichen auf gleiche Weise einsetzbare Größe darstellt. Der Performativitätsbegriff ist in den oben skizzierten Kontexten nicht nur unterschiedlich besetzt, sondern es handelt sich auch um einen ‚lebendigen’ Begriff, dessen Bestimmung innerhalb des angedeuteten theoretischen

‚Performativitätsdreiecks’ immer aufs Neue unternommen wird. Die Ergiebigkeit des Performativitätsparadigmas hängt in großem Maße gerade mit der Elastizität des Performativitätsbegriffs zusammen. Um die Koordinaten des im Kontext der Frühromantik einsetzbaren Begriffs des Performativen bestimmen zu können, ist zunächst eine kurze Darstellung dieser theoretischen Diskussion erforderlich.

Die Arbeit am Begriff des Performativen wird durch zwei miteinander verbundene signifikante Aspekte geprägt. Es handelt sich erstens um das Bemühen, das sich rasch ausbreitende Feld der kultur- und kunstwissenschaftlich ausgerichteten performance studies durch konsistente theoretische und methodologische Ansätze zu stützen. Eine performativ orientierte Kulturwissenschaft hat es also zunächst mit der Entwicklung eines theoretischen Rahmens, einer Methodologie und eines Begriffs- bzw. Beschreibungsvokabulars zu tun. Bei dieser Theoriearbeit spielt die Spezifik des Performativen eine tragende Rolle. Hinsichtlich der Hinwendung zur Erforschung kultureller Praktiken, die sich durch ihren Aufführungs- bzw. Inszenierungscharakter auszeichnen, bieten sich zunächst die Theaterwissenschaft und die Ethnologie als theoretische und methodologische Fundamente an.569 Doch der wissenschaftliche Anspruch der neueren Kultur- und Kunstwissenschaft erschöpft sich nicht in dieser Bedeutung des Performativen als inszenierende und aufführende Handlung.

An dieser Stelle kommt der zweite Aspekt der Begriffsdiskussion ins Spiel. Auf der Suche nach einem theoretischen Paradigma bietet sich für die performativ ausgerichteten

569 Vgl. Fischer-Lichte, Erika: Vom ‚Text’ zur ‚Performance’. Der ‚performative turn’ in den Kulturwissenschaften. In: Kunstforum 152 (2000); S. 61-63, hier S. 62.

Kulturwissenschaften als Erstes eben Austins sprachphilosophische Position an. Eine zentrale Komponente der Diskussion um das kulturwissenschaftliche Paradigma des Performativen bildet also eine kritische Auseinandersetzung mit der sprachphilosophischen Bestimmung des Performativitätsbegriffs. Diese Sondierung des sprachphilosophischen Performativitätsdenkens auf seine Ergiebigkeit für kultur- bzw. kunstspezifische Phänomene hin richtet sich zunächst auf grundsätzliche Berührungspunkte dieser beiden Positionen. So zeigt bereits ein flüchtiger Blick, dass Austins performative Äußerungen und z.B. die neuen Formen des künstlerischen Ausdrucks zunächst in dem Sinne über ein gemeinsames Moment verfügen, dass mit dem Begriff des Performativen auf beiden Seiten das Moment der Handlung und des Vollzugs markiert wird. Sowohl in der Sprachphilosophie Austins als auch bei der ästhetischen Theorie der performativen Künste handelt es sich um den Verweis auf den Handlungscharakter ursprünglich außerhalb des Handlungsparadigmas positionierter Phänomene.

Aus der Perspektive der Sprachphilosophie hören aber bei diesem Punkt die Gemeinsamkeiten auch auf. Entscheidend ist dabei die Differenz zwischen den Phänomenen, die mit den Begriffen ‚Performativität’ in der Sprachphilosophie und ‚Performance’ in der Kunsttheorie bezeichnet werden. Einander gegenübergestellt werden dadurch eine Form sprachlichen Handelns, die auf das Begriffspaar konstativ/performativ verweist und eine inszenierte, meistens körperliche Aufführung eines künstlerischen Aktes. Der wichtigste Unterschied zwischen den beiden Formen des Handelns besteht darin, dass performative Äußerungen ‚ernste’ Handlungen darstellen, während jeder künstlerischen Performance der

‚Unernst’ des Inszenierten und Theatralen anhaftet. Austin formuliert seine Position zum Verhältnis zwischen der Performativität sprachlicher Handlungen und den Akten der Inszenierung folgendermaßen:

In einer ganz besonderen Weise sind performative Äußerungen unernst oder nichtig, wenn ein Schauspieler sie auf der Bühne tut oder wenn sie in einem Gedicht vorkommen oder wenn jemand sie zu sich selbst sagt. Jede Äußerung kann diesen Szenenwechsel in gleicher Weise erleben. Unter solchen Umständen wird die Sprache auf ganz bestimmte, dabei verständliche und durchschaubare Weise unernst gebraucht, und zwar wird der gewöhnliche Gebrauch parasitär ausgenutzt. Das gehört zur Lehre von der Auszehrung [etiolation] der Sprache. All das schließen wir aus unserer Betrachtung aus.570

In dieser Passage stellt Austin der sprachphilosophischen Performativität direkt die inszenierten Akte der Aufführung gegenüber. Austins Argumentation ist indiesem Punkt

570 Austin, John L.: Zur Theorie der Sprachakte, a.a.O.; S. 41f.

eindeutig. Er unterscheidet explizit zwischen ‚ernstem’ (serious) und dem ‚unernstem’ (not serious) bzw. parasitärem (parasitic) Gebrauch der Sprache, wie es z.B. bei einer Theateraufführung oder im literarischen Text der Fall ist. Performativität im Sinne einer Inszenierung stellt für Austin einen der Gründe für ‚nicht gelungene Äußerungen’ (unhappy utterances) dar. ‚Unhappy’ sind jene Sprechakte, bei denen die Performativität, d.h. die Potenz, eine bestimmte Handlung durch Sprache zu vollziehen, gerade durch die Inszenierung bzw. die Absenz einer bestimmten Intention verhindert wird.

Obwohl sich darin eine unüberbrückbare Differenz zwischen zwei Performativitätsmodi abzeichnet, war es paradoxerweise eben diese Spannung zwischen den beiden Bestimmungen des Performativitätsbegriffs, die sich als Initialzündung des performative turn in den Kulturwissenschaften auswirkte. Am Anfang stand nämlich die Frage, ob man bei den unterschiedlich besetzten Performativitätsbegriffen dennoch von einem gemeinsamen Fundament ausgehen kann. In der theoretischen Diskussion ging es folglich zuerst darum, trotz der oben angedeuteten Differenz die den beiden Begriffsbestimmungen gemeinsamen Momente herauszuarbeiten. In den Mittelpunkt rückte also die Schnittstelle zwischen den Begriffen der Performativität und der Performance.571

Der erste Verknüpfungspunkt zwischen dem sprachphilosophischen Ansatz und der Theorie der inszenierten (künstlerischen) Handlungen hängt mit der von Austin thematisierten Frage nach dem Gelingen performativer Äußerungen zusammen. Für das Gelingen performativer Sprechakte ist von Belang, dass bei ihrer Ausführung auch eine Reihe nichtsprachlicher Bedingungen erfüllt sein muss. Performative Äußerungen können die soziale Wirklichkeit nur verändern, wenn entsprechende soziale und institutionelle Bedingungen berücksichtigt werden. Zu diesen zählt z.B., dass bestimmte Äußerungen nur von befugten Personen und unter Einhaltung ritualisierter Prozeduren artikuliert werden dürfen. Aus diesem Grund sind die performativen Äußerungen nach Fischer-Lichte nicht nur als Akte eines bestimmten Vollzugs, sondern gleichzeitig als Aufführungsakte zu betrachten: „Die performative Äußerung richtet sich immer an eine Gemeinschaft, die durch die jeweils Anwesenden vertreten wird. Sie bedeutet in diesem Sinne die Aufführung eines sozialen Aktes.“572 Sybille Krämer weist ebenfalls darauf hin, dass die unmittelbar Anwesenden eines

571 Als Überblick zu diesem Thema vgl. Schumacher, Eckhard: Performativität und Performance. In: Wirth, Uwe (Hg.): Performanz. Zwischen Sprachphilosophie und Kulturwissenschaften. Frankfurt a.M. 2002; S. 383-402.

572 Fischer-Lichte, Erika: Ästhetik des Performativen, a.a.O.; S. 32. Vgl. auch Parker, Andrew; Kosofsky Sedgwick, Eve (Hg.): Performativity and Peformance. New York/London 1995.

performativen Sprechaktes im strengen Sinne nicht die Adressaten der Äußerung sind.573 Der Akt der zeremoniellen Rede richtet sich an die ‚Öffentlichkeit’. Die Performativa sind also nicht als Komponente einer interpersonalen Kommunikation anzusehen – sie werden nicht an Hörer, sondern an ‚Zu-hörer’, d.h. an ein Publikum gerichtet.574 In diesem Publikumsbezug wurzelt nach Kramer der Aufführungscharakter der performativen Äußerungen. Mit diesem Verweis auf die Aufführungsdimension performativer Sprechakte wird also eine Relation zum Kontext der performativen kulturellen Praktiken hergestellt.

Ein weiterer Berührungspunkt zwischen Austins Sprachphilosophie und der kultur- bzw.

kunstwissenschaftlich angelegten Performativitätstheorie ergibt sich aus der Beschaffenheit der performativen Äußerungen. Die Hauptmerkmale dieser Art des sprachlichen Handelns bestehen erstens in ihrer Selbstreferentialität, d.h. insofern sie das bedeuten, was sie tun, und zweitens in ihrer bereits erwähnten Potenz zur Wirklichkeitskonstituierung, d.h. da sie „die soziale Wirklichkeit herstellen, von der sie sprechen“.575 Obwohl Austin seine Theorie ausdrücklich auf Sprechhandlungen beschränkt, sieht Fischer-Lichte gerade in den Aspekten der Selbstreferentialität und der Potenz zur Wirklichkeitskonstituierung die Möglichkeit der Anwendung von Austins Theorie im Rahmen einer ‚Ästhetik des Performativen’.

Künstlerische Performances zeichnen sich nämlich dadurch aus, dass ihr Sinn sich nicht aus einer referentiellen Beziehung auf ein ‚Äußeres’ erschließt, sondern ausdrücklich nur im Vollzug der performativen Handlung angelegt ist. Daraus folgt aber auch, dass die Intention des Schaffenden nicht auf die materielle Verkörperung einer Idee im Kunstwerk zielt, sondern auf die Initiierung einer Interaktionsbeziehung zwischen dem Autor und dem Publikum gerichtet ist, die sich wiederum z.B. auf gegebene soziale Beziehungsstrukturen auswirken kann.

Mit dem Aspekt der Wirklichkeitskonstituierung hängt ein weiterer Bezugspunkt zwischen den Performativitätsauffassungen in der Sprachphilosophie und der Kulturtheorie. Es handelt sich um das Merkmal der Ereignishaftigkeit. Sowohl performative Äußerungen als auch Aufführungen der performativen Künste bringen etwas hervor, das erst im Augenblick der Artikulation zu existieren beginnt. Fischer-Lichte fasst den Fokus des Performativitätsparadigmas vor dem Hintergrund des Austin'schen sprachphilosophischen Ansatzes folgendermaßen zusammen:

573 Krämer, Sybille: Sprache – Stimme – Schrift: Sieben Gedanken über Performativität als Medialität. In:

Wirth, Uwe: Performanz, a.a.O.; S. 323-346, hier S. 335.

574 Vgl. ebd.

575 Fischer-Lichte, Erika: Ästhetik des Performativen, a.a.O.; S. 32.

Aufführungen sind immer performativ, insofern mit dem Begriff des Performativen der Vollzug von Handlungen, die Selbstreferentialität der Handlungen und ihr wirklichkeitskonstituierender Charakter gemeint sind. Aufführungen sind immer Ereignisse, insofern sie einmalig und unwiederholbar sind.576

Trotz der angedeuteten gemeinsamen Merkmale wird aber in der Diskussion davon ausgegangen, dass der Begriff des Performativen im Kontext einer Ästhetik des Performativen einer Modifizierung bedarf.577 Der wichtigste Unterschied besteht darin, dass die Aufführungen der performativen Künste sich fast ausschließlich an das unmittelbar anwesende Publikum richten, was bei den performativen Äußerungen nicht der Fall ist.

Außerdem werden die Gelingensbedingungen bei einer künstlerischen Performance nicht durch gesellschaftliche Normen vorgegeben. Wie bereits angedeutet, hängt das ‚Gelingen’

einer Performance in großem Maße von der zustandegekommenen Interaktionsbeziehung zwischen dem Aufführenden und den Rezipienten zusammen. Eine weitere Differenz – die sich bereits in dem obigen Zitat von Fischer-Lichte abzeichnet – besteht darin, dass die performativen Äußerungen sich meistens in einer bloßen Wiederholung vorgegebener und ritualisierter Abläufe vollziehen. Im Gegensatz dazu zielt performative Kunst ausdrücklich auf die Einzigartigkeit, Exklusivität und Singularität des künstlerischen Ereignisses.

Während es bei künstlerischen Aktionen in erster Linie um die Kreierung intensiver interaktiver Beziehungen geht, kommt es bei ritualisiertem Sprachgebrauch „weniger auf Sinn und Bedeutung der Worte an, nicht auf die tatsächlichen Intentionen der Beteiligten und erst recht nicht auf ihre mentalen Zustände“ an.578

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