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Performanz des frühromantischen Wissens über Kommunikation

1. Jenseits der Diskursivität: Darstellung und Witz als Erkenntnismodi

1.3 Die Kommunizierbarkeit der Kommunikationstheorie

Der selbstreflexive Bezug auf die eigenen Formen des Ausdrucks und der Präsentation bestimmter Inhalte kommt aber nicht nur bei den ‚esoterischen’ schriftlichen Produkten der Frühromantik zum Vorschein, sondern kann ebenfalls bei den im ersten Teil analysierten Texten beobachtet werden. Dadurch kommt eine wichtige und bisher nicht berücksichtigte Perspektive ins Spiel. Wie im Folgenden zu zeigen sein wird, beschränken sich Schleiermachers Geselligkeitsmodelle und das Konzept der Neuen Mythologie nicht nur auf eine diskursive Auseinandersetzung mit dem Phänomen ‚Kommunikation’, sondern diese wird auf jeweils unterschiedliche Weise von der Reflexion über eine angemessene Artikulationsform des produzierten kommunikativen Wissens begleitet.

417 Novalis: NS 2; S. 290.

418 Vgl. dazu auch Stockinger, Ludwig: ‚Tropen und Räthselsprache’, a.a.O.; bes. S. 186.

Wenn Friedrich Schleiermacher am Anfang seines Geselligkeitsaufsatzes ausdrücklich auf den rein theoretischen Charakter seines Unternehmens hinweist, dann bezieht er damit eine klare Position hinsichtlich der Frage nach einer adäquaten reflexiven Umgangsform mit dem Gegenstand ‚Geselligkeit’. Im direkten Bezug auf seine strikt theoretische Linie prophezeit Schleiermacher – wie bereits im Kap. I.1.4 erwähnt wurde – gleich in der Eröffnungspassage seines Entwurfs die zu erwartenden Rezeptionsschwierigkeiten, auf die sein theoretisches Geselligkeitsmodell voraussichtlich stoßen werde. Die Ursache für das grundsätzliche Misstrauen gegenüber der Sphäre reiner ‚Theorie’ liegt nach Schleiermacher im Falle der Geselligkeit darin, dass sie unmittelbar in die praktische lebensweltliche Erfahrung eingebettet ist:

Die Virtuosen [der Geselligkeit; P.G.] selbst pflegen von allgemein-geltenden, in Formeln ausgedrückten Regeln sehr geringe Begriffe zu haben. Alle Feinheit des geselligen Betragens scheint ihnen so individuell, und das beste in jedem Fall von so viel kleinen Umständen abhängig zu sein, daß man allgemeinen Regeln nicht trauen dürfe, und alle eigne Vollkommenheit aus der Nachahmung bewährter Muster oder aus einem eignen Gefühl hervorgehen müsse.419

Schleiermacher verteidigt seinen theoretischen Standpunkt mit Hilfe einer kritischen Auseinandersetzung mit dem lebenspraktisch fundierten Wissen der Geselligkeitsvirtuosen.

Er weist dabei die Idee eines intuitiven, in die unmittelbare Lebenspraxis inkorporierten und theoriefreien Umgangs mit Geselligkeit nicht generell zurück, sondern betrachtet seinen eigenen theoretischen Standpunkt als eine Ergänzung der geselligen Praxis.420 Schleiermachers Thematisierung des Stellenwerts von Theorie kann daher durchaus als ein Zeichen seiner Sensibilität für das Problem einer angemessenen Reflexion im Bereich kommunikativer Phänomene betrachtet werden.

In Schleiermachers Religionskonzept, in dem er an die Theoreme seiner Geselligkeitstheorie anknüpft, wird die Gestaltung und Präsentation des kommunikationsbezogenen Wissens im Vergleich zu seinem Geselligkeitsentwurf einer signifikanten Modifikation unterzogen. Als Erstes fällt auf, dass Schleiermacher bei der Darlegung seines Religionskonzeptes auf eine begrifflich präzise und streng wissenschaftlich strukturierte Argumentation verzichtet. Die Intention seiner ‚Reden’ liegt nicht in einer wissenschaftlich untermauerten Erläuterung der von ihm postulierten Notwendigkeit eines ‚geselligen’ Fundaments der Religiosität. Das entscheidende Merkmal der ‚Reden’ besteht in Schleiermachers Versuch, seinen eigenen

419 Schleiermacher, Friedrich: KGA I.2; S. 166f.

420 ebd.; S. 166.

Auftritt nach dem von ihm entworfenen Modell des kommunikativen Umgangs zwischen religiösen Menschen zu gestalten und zu vollziehen. Der Artikulationsmodus der ‚Reden’

richtet sich also nach dem von Schleiermacher selbst entworfenen Szenario einer angemessenen Form der Religionsvermittlung. Insofern kann Schleiermachers Präsentation seiner Religionsauffassung als ein Beitrag zu dem von ihm geforderten religiösen Gespräch betrachtet werden. In den ‚Reden’ wird nicht nur diskursiv-argumentativ der Frage nach der Funktion geselliger Kommunikation im Bereich des religiösen Lebens nachgegangen, sondern es wird gleichzeitig versucht, das dadurch gewonnene Wissen praktisch umzusetzen. Hartmann Tyrell kommentiert Schleiermachers kommunikativen Auftritt folgendermaßen:

Schleiermacher nennt seine Darlegungen ‚Reden’, mehr noch: ‚Reden an’, und der geschriebene und gedruckte Text will dem entsprechen, was im Text über die religiöse Rhetorik gesagt ist. Der Text will kein abstrakt-argumentativer Gedankengang für sich sein, er steckt voll von erfüllter ‚Rede’ und von direkten Ich-Ansprachen seiner Adressaten, er steckt voll Emphase, der Feierlichkeit und eher des ‚größeren Stils’, den er für die rednerische Mitteilung der Religion fordert; er steckt voller Unmittelbarkeitssuggestion, als fließe er direkt aus dem religiösen Gefühl und sei unmittelbare ‚Herzensergießung’. Mit anderen Worten: er will selber sein, was er als ‚religiöse Rede’ beschreibt. Und ferner: Er suggeriert Interaktions- und Personnähe, also Direktansprachen und Oralität, soweit es eben geht!421

Schleiermacher kommuniziert also in seinen ‚Reden’ nicht nur über Religion, sondern ist gleichzeitig bemüht, religiös zu kommunizieren. Er nimmt dabei in Kauf, dass er die von ihm selbst kritisierte Form schriftlich organisierter religiöser Kommunikation (vgl. Kap.

I.2.6) in Anspruch nehmen muss. Sein öffentlicher Auftritt ist allerdings darauf ausgerichtet, die Indirektheit der Textkommunikation „in dieser selbst zu dementieren und [zu]

unterlaufen“422, indem er die von ihm präferierte Interaktivität und Oralität mit Hilfe eines rhetorischen Stilgestus simuliert. Das Entscheidende von Schleiermachers ‚Reden’ besteht aber darin, dass hier – im Gegensatz zu seinem Geselligkeitsaufsatz – das generierte kommunikative Wissen unmittelbar in seinen eigenen Artikulationsmodus einfließt.

Im frühromantischen Konzept der Neuen Mythologie nimmt das Verhältnis zwischen diskursivem Kommunikationsdenken und der Art und Weise seiner Präsentation eine noch differenziertere Gestalt an. Wie im dritten Kapitel des ersten Teils dieser Arbeit bereits angedeutet wurde, wird im Mythologiediskurs der Frühromantik nicht nur der kommunikative Akt der Mitteilung als ein basales Mythologem markiert, sondern die auf

421 Tyrell, Hartmann: ‚Das Gesellige in der Religion’, a.a.O.; S. 38.

422 ebd.; S. 39.

dieser Erkenntnis aufbauende ‚Theorie’423 im selben Prozess als poetische und kommunikativ strukturierte Praxis vollzogen. Während in Schleiermachers Geselligkeitsaufsatz das Kommunikationsdenken explizit im Bereich der Theorie angesiedelt wird und dieses sich folglich zu einem analytisch-abstrakt strukturierten Wissensparadigma formiert, dessen Aussagekraft von der logischen Konsistenz des entworfenen Theoriegebäudes abhängt, verhält es sich bei seinem Religionsmodell und dem Mythologiekonzept anders. Die Aussage über die notwendig kommunikative Verfasstheit der Religion wird in Schleiermachers ‚Reden’ nicht nur als Produkt eines rhetorisch strukturierten Argumentationszusammenhangs manifest, sondern sie ist auch auf der Ausdrucksebene des Textes ablesbar. Diese doppelte Struktur des Wissensdesigns ist auch bei der Rede über die Mythologie zu beobachten. In der ‚Mythologie’-Rede wird sowohl auf einen wissenschaftlich-begrifflichen als auch auf einen persuasiv-rhetorischen Argumentationsaufbau verzichtet. Der Ruf nach der Notwendigkeit eines mythologischen Mittelpunkts der Poesie nimmt nicht die Form eines nachvollziehbar gegliederten theoretischen Paradigmas an, sondern wird in einem ästhetischen Akt der Selbstbegründung als ‚Rede’ über die Neue Mythologie vollzogen. Oder wie Stefan Matuschek pointiert bemerkt: „Es gibt keine ‚Neue Mythologie’, sondern nur die Rede über sie.“424

Wie sich in Bezug auf das eben Erläuterte zeigt, muss die im ersten Teil dieser Arbeit entworfene Charakteristik der frühromantischen Produktion des kommunikationsbezogenen Wissens um eine wichtige Dimension erweitert werden. Es handelt sich dabei um die Feststellung, dass die Prozesse der diskursiven Wissensgenerierung in der Frühromantik stets von der – explizit oder implizit präsenten – Reflexion über die angemessene Darstellungsform und d.h. über die Kommunizierbarkeit des erworbenen Kommunikationswissens begleitet werden. In dieser Suche nach dem adäquaten Ausdruck wird das grundsätzliche Problem einer jeden Kommunikationstheorie erkennbar. Es handelt sich dabei um die Tatsache, dass auch theoretische Aussagen über Kommunikation nur kommunikativ vermittelt werden können. Jede Kommunikationstheorie ist also nur als eine

‚Kommunikabilie’, d.h. als eine mit einer bestimmten Bedeutung aufgeladene und mit den Mitteln einer entsprechenden Begriffssemantik artikulierte thematische Aussage möglich.425 Das ist – wie Peter Fuchs bemerkt – einerseits trivial, insofern „jede Theorie das Problem hat, daß sie nicht das Land ist, das sie kartographiert“.426 Andererseits zeigt sich darin aber

423 Vgl. Schlegel, Friedrich: KFSA 2; S. 323.

424 Matuschek, Stefan: „Doch Homeride zu sein, auch nur als letzter, ist schön.“, a.a.O.; S. 125.

425 Vgl. Fuchs, Peter: Moderne Kommunikation, a.a.O.; S. 152.

426 ebd.; S. 151. [Kursivierung im Original]

ein – die Kommunikationstheorie auf eine besondere Weise betreffendes – Problem, da jede Theorie der Kommunikation immer auch über sich selbst referiert: „Sie ist selbstreferent, sie sitzt den Unterscheidungen auf, die sie beobachten will.“427 So gesehen ist jede theoretische Reflexion kommunikativer Phänomene vor das Problem gestellt, ihre eigene Art der Wissensvermittlung mit dem von ihr vertretenen Kommunikationsmodell in Einklang zu bringen. Eben weil jede Theorie der Kommunikation nur als ein Komplex von

‚Kommunikabilien’ wahrnehmbar ist, hat sie es mit dem grundsätzlichen Problem ihrer eigenen Darstellung zu tun.428 Jacques Derrida hat in diesem Zusammenhang darauf aufmerksam gemacht, dass jeder Versuch, die Bedeutung des Begriffs ‚Kommunikation’

festzulegen, d.h. zu bestimmen, was dieser Begriff ‚kommuniziert’, bereits eine Bestimmung des Phänomens ‚Kommunikation’ suggeriert – nämlich, dass Kommunikation als die Übermittlung eines bestimmten Sinns zu verstehen ist.429 Dies hat zur Folge, dass jede Theorie, die diese Definition der Kommunikation nicht teilt, in letzter Konsequenz über einen eigenen Kommunikationsmodus verfügen müsste.

Wie weiter oben in Bezug auf die Geselligkeitstheorie, das Religionskonzept und die Idee der Neuen Mythologie bereits angedeutet wurde, spielt die Frage der Präsentation des Kommunikationswissens im frühromantischen Diskurs eine wichtige Rolle. Mit dem Nachweis der frühromantischen Sensibilität für die Problematik der Vermittlung des diskursiv erzeugten Wissens über Kommunikation ist allerdings noch keine Antwort auf die eingangs gestellte Frage gegeben, ob der Einsatz ‚esoterischer’ Sprachformen und der nonkonforme öffentliche Auftritt der Frühromantik als eine Inkonsequenz, als ein Zeichen der Instabilität des im ersten Teil umrissenen frühromantischen Kommunikationsprogramms betrachtet werden soll.

Vor dem Hintergrund der dargelegten Sensibilität der Frühromantiker für das Problem der angemessenen Artikulation des kommunikativen Wissens bietet es sich aber an, die Unverständlichkeit des Athenäums aus einer anderen Perspektive zu betrachten. Wie in Bezug auf Schleiermachers Religionsauffassung und das Konzept der Neuen Mythologie deutlich geworden ist, informiert die Frühromantik über Kommunikation nicht nur anhand eines diskursiv erzeugten Wissens, sondern auch auf der formalen Ebene ihrer Äußerungen.

Während jedoch das diskursive Wissen auf der inhaltlichen Ebene der Texte für das aufnehmende Bewusstsein unmittelbar präsent und direkt zugänglich ist, wird für die

427 Fuchs, Peter: Moderne Kommunikation, a.a.O.; S. 151f.

428 Vgl. ebd.; S. 152f.

429 Vgl. Derrida, Jacques: Signatur Ereignis Kontext. In: ders.: Randgänge der Philosophie. Wien 1988; S. 291-314, hier S. 291.

Aktivierung der ‚Aussage’ auf der Ausdrucksseite der Texte eine zusätzliche Rezeptionsleistung erforderlich. Ähnlich wie bei den Produkten der ‚Räthselsprache’ zeigt sich die auf der Ausdrucksebene positionierte Information als ein Appell an die Imaginationskraft des Lesers. Im Hinblick auf das im frühromantischen Diskurs präsente Problem der Darstellbarkeit kommunikativen Wissens kann nun die Hypothese aufgestellt werden, dass auch ‚Kommunikation’ zu jenen Gegenständen gezählt werden kann, für deren Artikulation Novalis in seiner Vorrede zu Glauben und Liebe eine ‚besondere’ Sprache fordert.

Hinsichtlich der appellativen und d.h. nicht der Verschleierung dienenden Funktion der

‚Räthselsprache’ und des Einsatzes indirekter Formen der Wissensvermittlung drängt sich die grundsätzliche Frage auf, ob die Irritation der Verstehensmöglichkeiten bei der Leserschaft des Athenäums tatsächlich nur als Folge der literarischen Willkür ihrer Autoren zu betrachten ist, oder ob es sich dabei um eine nicht wahrgenommene – weil nicht entschlüsselte – Aussage über Kommunikation handeln könnte. Genau in diese Richtung weisen die Überlegungen von Rüdiger Bubner, der die Situation hinsichtlich der Rezeptionsschwierigkeiten des Athenäums folgendermaßen zusammenfasst:

Ob die Leser zu borniert waren, um der Publikation [dem Athenäum; P.G.] weiter zu folgen, oder ob die Präsentation vor der Öffentlichkeit gerade auf Nichtverstehen zielte, bleibt offen. Im ersten Fall wäre zu vermuten, daß auch Belehrung über den Grund der Unverständlichkeit den Mangel an Kommunikation nicht beheben würde. Im zweiten Fall müßte gelten, daß der Abbruch des Austausches mit den Lesern in der Verwirrungsabsicht gelegen hatte und das publizistische Adieu als Einladung zum Weiterdenken zu gelten hätte. Das Räsonieren über den Mißerfolg will als konsequente Fortsetzung der Bemühung angesehen werden.430

Zu welchem Zweck das ‚Räsonieren über den Mißerfolg’ geführt und was der Gegenstand des gemeinsamen ‚Weiterdenkens’ werden sollte, lässt Bubner offen. Der entscheidende Punkt dieses Szenarios besteht aber darin, dass die frühromantische ‚Einladung zum Weiterdenken’ in diesem Fall nicht im Kontext eines diskursiv strukturierten und thematisch bestimmten Wissensparadigmas stattfindet, sondern ganz im Gegenteil auf der irritierenden Erfahrung des Nichtverstehens und der Unterbrechung der kommunikativen Beziehung gründet. Bubners Diagnose inspiriert zu der im Folgenden zu erläuternden und zu begründenden These, dass im Rahmen des frühromantischen reflexiven Umgangs mit kommunikativen Phänomenen auch verzerrte bzw. sogar unterbrochene Kommunikation

430 Bubner, Rüdiger: Die Auflösung philosophischer Systematik in ironische Geselligkeit. In: Bohrer, Karl Heinz (Hg.): Sprachen der Ironie – Sprachen des Ernstes. Frankfurt a.M. 2000; S. 159-173, hier S. 170.

einen positiven Erkenntniswert haben kann, indem sie die Aufmerksamkeit auf sich selbst und dadurch auch auf die Hintergründe und Ursachen ihres Scheiterns lenkt. Dieser Impuls zum Nachdenken über Kommunikation wird nicht diskursiv bzw. argumentativ vorbereitet, sondern hat die Form einer in der negativen Erfahrung angelegten Erkenntnispotenz, die erst unter der Mitwirkung der Einbildungskraft des Rezipienten aktiviert werden kann.

Diese Form eines nicht diskursiv strukturierten Zugangs zur Welt stellt im Kontext der Frühromantik keine Randerscheinung dar, sondern ist im Rahmen ihres poetologischen Programms fest verankert. Bevor der ‚alternative’ frühromantische Umgang mit kommunikativem Wissen näher untersucht wird (Kap. II.3), soll im Folgenden an zwei signifikanten Beispielen (Darstellung und Witz) die jenseits des diskursiven Denkens zu positionierende epistemologische Potenz der frühromantischen Poesie erläutert werden.

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