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Die ‚Räthselsprache’: Exklusionsstrategie oder ‚Denkaufgabe’?

Performanz des frühromantischen Wissens über Kommunikation

1. Jenseits der Diskursivität: Darstellung und Witz als Erkenntnismodi

1.2 Die ‚Räthselsprache’: Exklusionsstrategie oder ‚Denkaufgabe’?

Als ein prägnantes und häufig hervorgehobenes Beispiel für das angebliche frühromantische Streben nach Exklusivität dient folgendes Zitat aus der Fragmentsammlung Glauben und Liebe (1798) von Novalis: „Wenn man mit Wenigen, in einer großen, gemischten Gesellschaft etwas heimliches reden will, und man sitzt nicht neben einander, so muß man in einer besondern Sprache reden.“393 In dieser Passage kommt die Essenz des Erscheinungsbildes der Frühromantik in der öffentlichen Wahrnehmung zum Vorschein. Es

391 Petersdorf, Dirk von: Mysterienrede, a.a.O.; S. 300.

392 Vgl. ebd.; S. 3.

393 Novalis: NS 2; S. 485.

handelt sich um das Bild einer elitären, nach außen geschlossenen, literarisch agierenden Gemeinschaft, die ihre Identität an eine „von den profanen Zeichen und Deutungsmustern ihrer Umwelt“394 sich abhebende eigene Sprache bindet. Der frühromantische Diskurs erscheint aus der Außenperspektive als eine im Medium einer „Räthselsprache“395, d.h. eines spezifisch kodierten Zeichensystems geführte Kommunikation zwischen Eingeweihten, die Nichtinvolvierte ausschließt. In diesem Szenario einer esoterischen Isolierung wird die Grundstruktur geheimer Gemeinschaften erkennbar, die sich durch die Exklusivität der internen kommunikativen Interaktion und durch die Abgrenzung gegenüber der Außenwelt auszeichnet.

Es ist allerdings wichtig darauf hinzuweisen, dass die zitierte Passage kein Urteil eines außenstehenden Beobachters darstellt, sondern unmittelbar aus dem Kontext des frühromantischen Diskurses stammt. In der Vorrede zu Glauben und Liebe ist es in Novalis’

Gestalt also die Frühromantik selbst, die sich mit dem Verhältnis zwischen dem Einsatz bestimmter kommunikativen Ausdrucksformen und den Mechanismen der Identitätsbildung einer sozialen Gruppe auseinander setzt. Novalis thematisiert in seiner Fragmentsammlung ausdrücklich ein Selektionsverfahren, dessen Differenzierungskriterium das Verstehen bzw.

Nichtverstehen einer kodifizierten Botschaft darstellt und dessen Konsequenz eine Trennungslinie zwischen den ausgeschlossenen ‚Profanen’ und dem Kreis der

‚Eingeweihten’ ist.396

Es sei am Rande erwähnt, dass paradoxerweise selbst die prominentesten Adressaten der Fragmentsammlung Glauben und Liebe, d.h. der preußische König Friedrich Wilhelm III.

und seine Gattin Luise, den Text nicht verstanden und sich also zu den ‚Eingeweihten’ nicht zählen durften. Die Verstehensprobleme des königlichen Paares veranschaulicht eine anekdotische Schilderung von Friedrich Schlegel, die in einem Brief an Novalis vom Ende Juli 1798 zu finden ist:

Der König hat den Glauben und Liebe gelesen aber nicht verstanden, und daher dem Obristlieutenant Köckeritz Ordre gegeben, ihn zu lesen. Weil dieser ihn aber gleichfalls nicht verstanden, hat er den Consistorialrath Niemeyer zu Rathe gezogen. Dieser hat auch nicht verstanden, worüber er höchlich entrüstet geweßen und gemeynt hat, es müsse gewiß einer von den beyden Schlegeln geschrieben haben. Es ist nämlich für ihn wie für mehrere Philister Axiom: Was man nicht versteht, hat ein Schlegel geschrieben.397

394 Petersdorf, Dirk von: Mysterienrede, a.a.O.; S. 3.

395 Novalis: NS 2; S. 485.

396 Vgl. ebd.

397 Schlegel, Friedrich: KFSA 24; S. 154.

In diesen Kontext kann man auch Schlegels andernorts geäußerte Bemerkung einordnen, in der es heißt, dass Unverständlichkeit scheinbar paradoxerweise einen möglichen Weg zur Popularität bildet.398 Die Relation zwischen poetisch verschlüsselter Sprache und sozialen Ex- bzw. Inklusionsprozessen wird bei Schlegel allerdings nicht nur zum Anlass für ironische Witzeleien, sondern ähnlich wie bei Novalis auch zum Gegenstand ernsthafter Auseinandersetzung. Als ein Beispiel für die Reflexion des genannten Zusammenhangs kann sein in Form eines Lehrbriefes verfasster, an Dorothea Veit – seine damalige Geliebte und spätere Frau – gerichteter Essay Über die Philosophie gelten.399 Einen der zentralen Punkte dieses Textes stellt das Problem einer angemessenen Darstellungsform philosophischer Gedanken dar. Aufgrund der ungleichmäßigen Verteilung intellektueller und imaginativer Begabung beim Publikum wird nach Schlegel im Bereich der literarischen und philosophischen Produktion als eine Art Durchschnittsmuster das Modell eines „wohl proportionierten Leser[s]“ in Anspruch genommen.400 Im Hinblick auf seine eigene philosophisch-literarische Tätigkeit gibt aber Schlegel bezüglich des genannten rezeptionstheoretischen Leser-Konzepts zu erkennen, dass „eine solche Durchschnittsfigur eben nicht die Person“ ist, für die er sich „vorzüglich begeistern könnte“.401 Hinsichtlich des Stellenwerts des philosophischen Denkens und als Schutz vor seiner Profanierung wird nach Schlegel eine Darstellungsform der Philosophie erforderlich, die die abstrakten Inhalte zwar in einer angemessenen und rezipierbaren Form zugänglich macht, sich aber aufgrund ihrer dem darzustellenden Gegenstand entsprechend anspruchsvollen Gestalt gleichzeitig notwendigerweise auch als sozialer Selektionsmechanismus auswirkt. Eine adäquat dargestellte Philosophie soll nach Schlegel eben nicht von allen verstanden werden, sondern nur von denjenigen, die sie „verstehen sollen“.402 Eine Bemerkung dieser Art trägt zweifelsohne auch zur negativen Wahrnehmung der Frühromantik als einer elitären Gruppe bei, deren Intention in der „Eingrenzung des Publikums auf den Kreis der künstlerisch kreativen Freunde, auf die als poetische Vorbilder akzeptierten Dichter der älteren Generation, auf die dem Dichter in Liebe verbundenen Menschen, im Extremfall auf die Person des Schreibenden selbst“ liegt.403

398 Vgl. Schlegel, Friedrich: KFSA 2; S. 156.

399 Schlegel, Friedrich: Über die Philosophie. An Dorothea. In: KFSA 8; S. 41-61.

400 ebd.; S. 61.

401 ebd.

402 ebd.; S. 60.

403 Frühwald, Wolfgang: Romantische Lyrik im Spannungsfeld von Esoterik und Öffentlichkeit. In:

Mandelkow, Karl R. (Hg.): Europäische Romantik I. (Neues Handbuch der Literaturwissenschaft 14) Wiesbaden 1982; S. 355-392, hier S. 359.

Die von Novalis und Friedrich Schlegel in den erwähnten Passagen entworfenen Modelle der Artikulation und der damit zusammenhängenden gesellschaftlichen Verteilung des Wissens müssen allerdings nicht zwangsläufig als Manifeste einer hermetisch geschlossenen Kommunikationsgemeinschaft betrachtet werden. Man muss vor allem darauf hinweisen, dass es sich in beiden Fällen um die Reflexion der eigenen Schreib- und Ausdruckweise handelt. Die unmittelbare Thematisierung der sich selektiv auswirkenden poetisch verschlüsselten ‚Räthselsprache’ kann und muss deswegen als eine von Novalis und Schlegel angebotene ‚Anleitung’ zur Lektüre ihrer eigenen Texte gelesen werden. Novalis und Schlegel präsentieren ihre Texte zweifellos in einer kommunikativen Absicht, sie deuten beide aber gleichzeitig ausdrücklich darauf an, dass das Verständnis bzw. ein sinnvoller Anschluss an ihre ‚poetischen Philosopheme’404 eine gewisse intellektuelle Leistung erfordert. Sowohl Novalis als auch Schlegel aktualisieren in den erwähnten Textpassagen zwar das Modell einer kommunikativen Konstellation, in der bestimmte Kommunikationsangebote nur für ‚Eingeweihte’ zur Verfügung gestellt werden. Bei der Produktion ihrer eigenen Texte nehmen sie daher offensichtlich – dem Beispiel Julius’ aus Friedrich Schlegels Roman Lucinde (1799) folgend – ihr „unbezweifeltes Verwirrungsrecht“405 und die „unbedingte[] Freiheit der Mittheilung“406 in vollem Maße in Anspruch. Doch die endgültige Entscheidung über die Aufnahme in die Gemeinschaft der

‚kommunikativ Kompetenten’ wird dabei letztendlich nicht der Willkür der Produzenten überlassen, sondern ausschließlich an das Imaginationspotential des Lesers gebunden.

Im Unterschied zu den Strukturen geheimer Gesellschaften wird im Rahmen des frühromantischen Bündnisses nicht auf die Bewahrung bestimmter exklusiver Inhalte (‚Ton’) abgezielt, sondern hier wird die ‚Rätselhaftigkeit’ auf die Ebene der Artikulationsformen (‚Bilder’) bezogen.407 Es ist gerade der „gewisse[] Mystizismus des Ausdrucks“, der nach Friedrich Schlegel das Fundament der frühromantischen Gemeinschaft der „unsichtbare[n] Kirche“ bildet.408 Der frühromantische Artikulationsmodus wird geprägt durch das „Verfahren der Verrätselung“, das allerdings nicht als poetischer Anarchismus zu betrachten ist, sondern als ein Bestreben, „auf das verborgene Geheimnis neugierig zu

404 Vgl. Novalis: NS 2; S. 291.

405 Schlegel, Friedrich: KFSA 5; S. 9.

406 Schleiermacher, Friedrich: KGA I.3; S. 221. Schleiermacher verweist in seiner Rezension zu Schlegels Roman Lucinde auf die vom Publikum übersehene selbstreflexive Forderung nach der ‚Freiheit der Mittheilung’, die über die Struktur und die eingesetzten poetischen Mittel informiert und dadurch einen möglichen Zugang zum Text bietet.

407 Vgl. Novalis: NS 2; S. 290.

408 Schlegel, Friedrich: KFSA 2; S. 243f.

machen und eine Suchbewegung initiieren“.409 Es liegt in der Potenz des geheimnisvollen

„mystischen Ausdrucks“410, dass er sich beim Rezipienten als ein „Gedankenreiz“411 auswirkt und dadurch dessen Fantasie anregt. Diese Funktionsbestimmung der poetischen Sprache, die man als eine Art „produktive[r] Irritation“412 bezeichnen könnte, unterstreicht auch ein Fragment Friedrich Schlegels, in dem er sich mit der Beschaffenheit eines „gute[n]

Rätsel[s]“413 auseinander setzt. Schlegels Begriff des ‚Rätsels’, in dem man eine Parallele zu Novalis’ ‚Geheimniß’ sehen kann, bezieht sich ebenfalls auf keine unzugängliche bzw. nur für Erwählte sich erschließende Botschaft. Auch das Schlegelsche ‚Rätsel’ verfügt über einen auf den Bereich des Intellekts und auf die Einbildungskraft zielenden ‚Reiz’.414 Das Grundmerkmal des frühromantischen poetischen ‚Rätsels’ und ‚Geheimnisses’ – um es noch einmal zu unterstreichen – liegt nicht in einer kontrollierten Unverfügbarkeit, sondern ausdrücklich darin, dass es „erraten sein will“.415

Die frühromantische Erkenntnis, dass bestimmte Gegenstände der menschlichen Reflexion notwendigerweise einen ‚esoterischen’ Ausdruck erfordern, der nicht als die Willkür des Produzenten zu deuten ist, findet sich in einer Formulierung Friedrich W.J. Schellings in ausgeprägter Form:

Es ist ein Verbrechen an der Menschheit, Grundsätze zu verbergen, die allgemein mittheilbar sind. Aber die Natur selbst hat dieser Mittheilbarkeit Grenzen gesetzt; sie hat – für die Würdigen eine Philosophie aufbewahrt, die durch sich selbst zur esoterischen wird, weil sie nicht gelernt, nicht nachgeheuchelt, nicht auch von geheimen Feinden und Ausspähern nachgesprochen werden kann – ein Symbol für den Bund freier Geister, an dem sie sich alle erkennen, das sie nicht zu verbergen brauchen, und das doch, nur ihnen verständlich, für die andern ein ewiges Räthsel seyn wird.416

409 Stockinger, Ludwig: ‚Tropen und Räthselsprache’. Esoterik und Öffentlichkeit bei Friedrich von Hardenberg (Novalis). In: Müller, Klaus-Detlev; Pasternack, Gerhard u.a. (Hg.): Geschichtlichkeit und Aktualität. Studien zur deutschen Literatur seit der Romantik. Festschrift für Hans-Joachim Mähl zum 65.

Geburtstag. Tübingen 1988; S. 182-206, hier S. 201.

410 Novalis: NS 2; S. 290.

411 ebd..

412 Althaus, Thomas: Geistige Syntax. Einige Sätze zur Entwicklung des Essays im 18. Jahrhundert, zu einer möglichen Theorie der Gattung und zu Friedrich Schlegels Essay ‚Über die Unverständlichkeit’. In: „die in dem alten Haus der Sprache wohnen“. Beiträge zum Sprachdenken in der Literaturgeschichte. Helmut Arntzen zum 60. Geburtstag. Münster 1991; S. 159-171, hier S. 167.

413 Schlegel, Friedrich: KFSA 2; S. 158.

414 Dass die bewusste Irritation des Rezipienten aber auch zu einer Überreaktion führen kann, illustriert Friedrich Schlegels Kommentar zur negativen Aufnahme seines Romans Lucinde: „Man vergiebt es ja gern, wenn jemand ein Aergerniß an der Lucinde nimmt, wie kann man aber nichts, als Aergerniß dran nehmen?“

KFSA 24; S. 299.

415 Schlegel, Friedrich: KFSA 2; S. 158.

416 Schelling, Friedrich W.J.: Philosophische Briefe über Dogmatismus und Kritizismus (1795). In: ders.:

Schellings Werke. Nach der Originalausgabe in neuer Anordnung hg. v. Manfred Schröter. Erster Hauptband.

Jugendschriften 1793-1798. München 1958; S. 205-265, hier S. 308.

Aus dieser Perspektive betrachtet wird das am Anfang dieses Kapitels skizzierte, negativ besetzte Bild der Frühromantik als eines exklusiven Zirkels zum Grundgerüst eines poetologischen Programms, in dessen Rahmen poetisch verschlüsselte ‚mystische’ Sprache nicht als Vehikel willkürlicher sozialer und künstlerischer Abgrenzung fungiert, sondern erstens als ein notwendiges Medium zur Artikulation von „zarten, mißbrauchbaren Gegenständen“417 und zweitens als ein Appell an das Imaginationspotential der Rezipienten in Anspruch genommen wird.418 Bevor weiter unten (Kap. II.1.4) die Poetik der frühromantischen ‚Räthselsprache’ als ein mögliches ‚alternatives’ Medium des frühromantischen Kommunikationsdenkens ausführlicher untersucht wird, soll an dieser Stelle hinsichtlich der angeführten Texte von Novalis und Friedrich Schlegel zunächst festgehalten werden, dass in ihnen ihre eigene ‚Funktionsweise’, oder weiter gefasst, die Rezeptionsbedingungen des frühromantischen Schreibstils generell zum Thema gemacht werden. Vor allem Novalis’ Fragmentsammlung Glauben und Liebe stellt mit ihrer programmatischen Vorrede ein Beispiel für einen Text dar, der unmittelbar über seine kommunikative Verfasstheit und einen möglichen Rezeptions- bzw. Zugangsmodus Auskunft gibt. Die Eröffnungspassage von Glauben und Liebe zeugt aber vor allem davon, dass die frühromantische Thematisierung von Kommunikation sich nicht nur auf einen theoretisch-abstrakten Umgang mit diesem Phänomen beschränkt, sondern von der Reflexion der eigenen kommunikativen Praxis begleitet wird.

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