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Wolz. Leben und Verklärung eines deutschen Anarchisten

Im Dokument Sozialistische Filmkunst (Seite 138-142)

Mit einigen wenigen Vorbemerkungen zur Entstehungsgeschichte möchte ich vor allem den Autor Günther Rücker zu Wort kommen lassen, der nicht bei uns sein kann.

Der Wolz-Film eröffnete am 31. Januar das DEFA-Kinojahr 1974 im größten Berliner Filmtheater Kosmos. Verleih und Lichtspielwesen gewährten diesen Startplatz stets nur in Erwartung eines massenhaften Andrangs. Diese Hoffnung wurde nicht enttäuscht.

Das Studio wurde nach sowjetischem Beispiel schon in frühen DEFA-Zeiten auf das Genre des historisch-biographischen Films orientiert. Da dachte man vor allem an die Führer der Arbeiterklasse. 1953 setzte es Parteischelte sogar für den schönen Film Die Unbesiegbaren.In der anrührenden Geschichte einer sozial-demokratischen Arbeiterfamilie in der Zeit des Bismarckschen Sozialistengeset-zes traten nämlich die Altvorderen August Bebel und Wilhelm Liebknecht nur in Episodenrollen auf, in porträtgetreuer Maske dargestellt von Karl Paryla und Erwin Geschonneck. Nach zwei Filmen über Ernst Thälmann und dem zweiten über Karl Liebknecht gab es Überlegungen, Stefan Heyms Lassalle-Roman zu adaptieren. Doch das stieß sogleich auf die maliziöse Frage: Und das vor einem Karl-Marx-Film? Oder der etwa in einer Nebenrolle?

Günther Rücker trug sich schon länger mit der Absicht, einen Film über Max Hoelz zu schreiben. Doch die schillernde historische Figur, sein dramatisches Schicksal in der Zeit des mitteldeutschen Arbeiteraufstands, seine Verfolgung und jahrelange Zuchthaushaft sicherten ihm noch keinen Platz im thematischen Pro-duktionsplan des Studios. Schon gar nicht sein fragwürdiges, jedenfalls tragisches Ende 1930 im Alter von nur 44 Jahren in Stalins Sowjetunion.

So fehlte dem Autor zunächst der gesellschaftliche Impuls, ausgerechnet diese in der Parteigeschichte umstrittene, im Mansfeldischen aber geradezu sagenum-wobene Gestalt zum zentralen Helden zu wählen. Und da stand noch ein anderes Warnschild im Wege: Die heikle, öffentlich eher schamhaft verkürzte Geschichte der von Fraktions- und Führungskämpfen gezeichneten Kommunistischen Partei.

Doch der Stoff ließ Rücker nicht los.

Die weniger frostigen frühen 70er Jahre schienen dem Projekt gewogen. Ganz parteiamtlich hieß es jetzt: »Wir können weder auf die Entdeckungen der Wissen-schaften noch auf die Entdeckungen der Künste verzichten«. Kurt Hager ermun-terte die Künstler als »Entdecker neuer Wirklichkeiten« ausdrücklich, zu »neuen Stoffen vorzudringen«.

Auch das Dogma vom »positiven Helden« war inzwischen aus der Kunstpro-duktion verschwunden, weitgehend sogar aus der Programmatik, wenigstens ex-pressis verbis.

Trotzdem entschied sich Günther Rücker früh und endgültig für einen freien li-terarischen Umgang mit der Historie, für die bloße Anlehnung an den authenti-schen Lebensbericht. Das befreite ihn vom Zwang exakter zeitgeschichtlicher Re-konstruktion zugunsten einer eher parabelhaften literarischen Gestaltung. Er wollte eine Legende erzählen. Also: Leben und Verklärung eines deutschen Anar-chisten.So schützte er den Film auch vor den Erwartungen und dem Urteil allzu akribischer Parteihistoriker. Geschichte interessierte Günther Rücker aber stets nur in bezug auf die Gegenwart und ihre geistigen Herausforderungen. Nach sol-chem Anlaß befragt, sagte er: »Mitte der 60er Jahre belebten sich linker Radika-lismus, Maoismus und Anarchismus. Ich hielt es für an der Zeit, einen Film zu schreiben, der besonders der Jugend sagt, ›Liebe Leute, was ihr da hört, ist so neu nun wiederum nicht, es hat seine Unfähigkeit in der Geschichte bewiesen‹.« Ein so fast didaktisch anmutendes Anliegen war Rückers künstlerisches Credo eigent-lich nicht.

Ohne es auszusprechen, mag der Autor dabei auch an die heimlichen Sympa-thien gedacht haben, die es im Lande durchaus für Che Guevaras Guerillakampf in Bolivien gab, obwohl sich die Partei längst von jedem »Export der Revolution«

losgesagt hatte. Stärkere und offiziell beargwöhnte jugendliche Anteilnahme aber galt der westdeutschen Studentenrevolte, ja, selbst den fragwürdigen Aktionen der RAF und ihrem individuellen Terror gegen Repräsentanten des verhaßten restau-rativen gesellschaftlichen Systems. Im Juni 1972 wurde Ulrike Meinhof verhaftet.

»Nicht umsonst«, so Rücker im Interview, »ist der Max Hoelz bis heute (....) eine ganz große, fast legendäre Figur, obwohl es (...) eine wohlformulierte Kritik an seiner Haltung gibt. Wir denken an ihn mit Zorn, mit Ärger und zugleich auch mit Trauer.«

Ein Helden-Typus mit solch ambivalenter ideeller, ästhetischer und emotiona-ler Wertung und Wirkung war im DEFA-Historienfilm neu und blieb singulär bis zum Film über den Dichter Hans Fallada von Roland Gräf 1988.

Nach seinem Regiedebüt in Babelsberg und dem Achtungserfolg für Die be-sten Jahrehätte Günther Rücker jederzeit auch die Regie des Wolzübernehmen können. An Erfahrung mangelte es ihm wahrlich nicht nach der Inszenierung sei-ner zahlreichen Hörspiele. Er kannte nicht nur alle Darsteller der Berlisei-ner Büh-nen. Mit vielen hatte er intensiv zusammengearbeitet, mit nicht wenigen war er befreundet.

Zwei Gründe nannte er selbst für seine Abneigung, in den Regiestuhl zurück-zukehren.

»Ich war nach so langer Zeit – das erste Szenarium wurde vor acht Jahren ge-schrieben – etwas müde geworden. Ich hätte die große Kraft für die Vorbereitung des Films, die sehr kompliziert war, nicht mehr aufgebracht. Mir schien es not-wendig, daß ein Neuer hinzukam mit vollem Einsatz und voller Kritikfähigkeit.

Und da kam Günter Reisch.« Mit ihm hatte er 1955/56 seine Spielfilmarbeit be-gonnen – Junges Gemüse.

Doch er hatte noch einen allgemeineren Beweggrund, es bei der Bucharbeit zu belassen. »Filmregie ist ein Beruf, und ich habe ihn nicht gelernt, ein harter, im Detail nicht sehr leicht erlernbarer Beruf, den man ununterbrochen ausüben muß, wenn man es zur souveränen Beherrschung der Mittel bringen will.«

Und an anderer Stelle sprach er über die recht profanen Umstände des Alltags dieser Profession, die so freundlich verharmlosend auch als »Spielleitung« be-zeichnet wird.

»Ein Dreivierteljahr Arbeit! Kampf gegen Plan, Materie, Zufälle. Die Momente, in denen du mit dem Schauspieler die Figur baust, sind die wenigsten, Sekunden unter Tagen und Wochen von Wust.«

»Muß ich denn meine Tage damit zubringen, auf Sonne zu warten oder auf den Schauspieler?« Letzteres allerdings war eine sehr DDR-typische und DEFA-eigene Malaise, die das Studio an die Gunst der Intendanten und jeweiligen Büh-nen-Regisseure auslieferte. Drehplan und Tagesdispositionen mußten nicht nur den Abendspielplan der Theater berücksichtigen. Oft wartete man am Drehort, weil sich kurzfristig angesetzte morgendliche Stückproben verzögerten. Dazu ka-men die Unwägbarkeiten einer mindestens einstündigen Anfahrt aus der Haupt-stadt der DDR südlich um Westberlin herum zum Studio in Babelsberg oder noch länger zu einem Außenschauplatz.

Von diesen und anderen Bedingungen und Beschwernissen der Realisierung dieses anspruchsvollen zeitgeschichtlichen Films kann Günter Reisch ihnen nun die kompetenteste Auskunft geben, vor allem zur internationalen Besetzung gleich zweier Hauptrollen und der beeindruckenden Wahl der Motive und Schau-plätze.

Wolz. Leben und Verklärung eines deutschen Anarchisten

Produktionsland DDR, 1964/1965

Produktionsfirma DEFA-Studio für Spielfilme (Potsdam-Babelsberg) (Künstlerische Arbeitsgruppe »Berlin«)

Produktionsleitung Manfred Renger

Erstverleih Progreß-Filmverleih, Berlin

Uraufführung 31. Januar 1974, Filmtheater Kosmos, Berlin Regie Günter Reisch

Drehbuch Werner Beck Scenarium Günther Rücker

Kamera Jürgen Brauer Bauten Dieter Adam Kostüme Ewald Forchner

Schnitt Bärbel Weigel Musik Karl-Ernst Sasse

Darstellende Ignaz Wolz: Regimantas Adomaitis Agnes: Heidemarie Wenzel Ludwig: Stanislav Lubsˇin

Morgner, Wolz’ Begleiter: Jörg Panknin Kassierer: Peter Hölzel

Rudi: Rainer Kleinstück Arthur: Günter Wolf Gustav: Herwart Grosse Geiger: Václav Kotva

in weiteren Rollen: Helga Göring, Helmut Schreiber Stanislav Lyubshin, Astrid Bless

Zum Inhalt

Der Soldat Ignaz Wolz entwickelt nach dem Ersten Weltkrieg unbändigen Haß auf die kapi-talistischen Kriegsgewinnler und startet 1919 seine eigene Revolution: Mit einigen Anhän-gern enteignet er Grund- und Fabrikbesitzer und verteilt die Reichtümer in der armen Be-völkerung. Aus dem organisierten Klassenkampf hält er sich aber heraus und kann sich mit einem ehemaligen Kameraden, dem Kommunisten Ludwig, nicht auf eine Zusammenarbeit einigen. Nach weiteren Einzelaktionen landet er im Zuchthaus. Sieben Jahre später wird er aufgrund von Massenprotesten freigelassen, kann sich aber nun erst recht in keine Struktu-ren mehr einfügen. Er tStruktu-rennt sich von ehemaligen Weggenossen und verläßt schließlich Deutschland, da niemand mehr seinen anarchistischen Ideen folgen will.

Im Dokument Sozialistische Filmkunst (Seite 138-142)