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Beethoven – Tage aus einem Leben

Im Dokument Sozialistische Filmkunst (Seite 166-170)

Ein biographischer Film über den Komponisten gehörte zu den frühesten Plänen der Gruppe Babelsbergschon in den 60er Jahren, angeregt noch von der Musik-dramaturgin Lotti Schawohl. Wir lenkten unsere ersten Schritte zum renommierten Beethoven-Forscher Professor Harry Goldschmidt. Er versprach eine Filmerzäh-lung um Josephine von Brunsvik, die er als Beethovens »unsterbliche Geliebte«

identifiziert zu haben glaubte. Renate Richter, die wir in dieser Rolle sogleich er-leben werden, hätte es sicherlich gern gesehen, wenn ihr Part mehr als eine Rück-blende eingenommen hätte. Doch Goldschmidts Aufzeichnung weitete sich unter der Hand zum vielseitigen Roman aus. Eine Filmstruktur war nicht zu erkennen und selbst lesewillige Regisseure waren nicht für eine erste Lektüre zu gewinnen.

Der junge Pychologe und psychoanalytische Beethoven-Forscher Stefan Wolf orientierte uns später auf einen anderen, sehr dramatischen biographischen Vor-gang: nämlich Beethovens gescheiterte Bemühung, seine Beziehungskrisen in ei-ner Vaterrolle für seinen halbwaisen Neffen zu kompensieren. Das gipfelte im Suizidversuch des Adoptivsohnes. Beide Ansätze schienen uns bei aller gewünsch-ten Dramatisierung das Beethoven-Bild allzu sehr zu verengen.

Walter Janka brachte als Szenaristen Günter Kunert ins Gespräch, der in seinen Erinnerungen1997 freimütig preisgab, »unmusikalisch (zu) sein« und vor Beginn seiner intensiven Studien »von Beethoven nur den Song of Joyzu kennen, sonst nichts«.1Kunert hatte mit Egon Günther in unserer Gruppe Johannes R. Bechers autobiographischen Roman Abschiedfilmisch genial adaptiert. Und wir schätzten ihn als Hörspiel-Autor biographischer Novellen um Albrecht Dürer, Heinrich Heine und Heinrich von Kleist.

Aus mehrfacher Zusammenarbeit mit Horst Seemann wußten wir von seinem Regieinteresse an einem großen biographischen Film. Den leidenschaftlichen Klavierspieler, auch von Beethoven-Stücken, bewegte der komplexe Lebensstoff des »compositeur«. So auch sein erster Titelvorschlag. Nach dem Film Zeit zu leben, 1969 mit einem Nationalpreis gekrönt, und drei weiteren im Kino recht er-folgreichen, doch künstlerisch sehr umstrittenen Gegenwartsfilmen, schien seine anspruchsvolle Themenwahl der Leitung und manchem Kollegen problematisch.

Doch wir vertrauten seinem Talent, das mit seiner bisherigen Filmographie nicht erschöpft schien.

Horst Seemanns buntes Œuvre und politisches Renommee schien den kritischen Zeitgenossen und unorthodoxen Autor Kunert nicht im mindesten zu irritieren.

Mehr noch mag verwundern, daß er widerspruchslos auch den Dramaturgen akzeptierte, den Horst Seemann in der Hauptverwaltung Film gefunden hatte. Das

1 Günter Kunert, Erinnerungen, 1999, S. 367 f.

war eine taktisch kluge Idee. Eben dieser Dr. Franz Jahrow war einer der eifrig-sten Argument-Erfinder für die Filmverbote nach dem 11. Plenum. Seine böswil-ligen Mißdeutungen des Barlach-Films begründeten 1966 die Verweigerung der Filmzulassung. Nun also war er eingebunden in ein frühzeitig erkennbares non-konformistisches Konzept sowohl in thematischer wie künstlerisch-stilistischer Hinsicht.

Von Günter Kunert war kein bürgerlicher Genie-Kult, kein sozialistisch etiket-tiertes tragisches Heldenepos zu gewärtigen. Aber auch kein braver historisieren-der Lebensbericht nach Schulbuchmuster.

Dramaturg und Gruppenchef empfahlen der Leitung sein Szenarium als »... im positiven Sinne eigenwillig«. »Aus zunächst scheinbar zusammenhanglosen Epi-soden (Kapiteln) entsteht ein in sich geschlossenes Persönlichkeitsbild, das auf ei-ner materialistisch-dialektischen Charakteranalyse aufbaut, inei-nere psychische Wesensmerkmale und Konflikte und äußere gesellschaftliche Umstände und Ein-flüsse in sich einschließt und in ihrer Wechselwirkung deutlich werden läßt.«2So also unsere Argumentationshilfe für die Entscheidungsträger. Wir bekannten uns demonstrativ zur episodischen Dramaturgie, trennten uns vom historisierenden

»compositeur« und ergänzten Kunerts schlichten Namens-Titel. Nun hieß der Film nach seiner Struktur: Beethoven – Tage aus einem Leben.

Kunert konzentrierte die Charakterstudie auf die Zeit zwischen 1813 und 1819, beginnend im Doppelsinn mit dem Paukenschlag der spektakulären Aufführung der Schlachtensinfonie bis zur Zeit der fortschreitenden Ertaubung und den ersten Intentionen zur 9. Sinfonie. Dabei verfolgte er keine strenge Chronologie.

Die schwierigen Lebensumstände, der Kampf ums liebe Geld, die ständigen Wohnungswechsel, der Ärger mit dem Personal, die vormundschaftliche Sorge um den Neffen, das heikle Verhältnis zu beiden Brüdern wie zur Schwägerin wur-den von Kunert nuancenreich beschrieben. Es herrschte schon im Buch eine schöne Balance zwischen Tragik und Komik, berührender Nähe und freundlicher Distanz.

Thematisch kreisen die Episoden zuweilen mit stark gegenwärtigem Bezug um existenzielle Probleme: die Abhängigkeit des Künstlers vom Auftraggeber und den Konsumenten, die »Freiheit der Kunst« unter absolutistischen Verhältnissen oder erste Begleiterscheinungen der Kommerzialisierung der Musikproduktion und Musikverbreitung.

Diese offensichtlich ewigen Fragen sind provozierend aktuell ins anachronisti-sche Schlußbild gebracht: Beethovens letzter Umzug führt ihn 1976 per Pferde-fuhrwerk über die Karl-Marx-Allee. 30 Jahre später will der Autor so die damals prophetisch anmutende Frage provoziert haben: »Geht er von uns fort, oder kommt er zu uns!?«

2 Peter Ahrens, Weltbühne Nr. 44/1976.

Der ehemalige Chefdramaturg Klaus Wischnewski deutete als Weltbühnen-Kritiker Peter Ahrens diesen Schluß anders: »Nicht Gag, nicht Apotheose, son-dern leise drängende Frage ›Was wäre, wenn‹. Das soziale Klima, die Problem-solidarität der Leute in der DDR machte diesen Schluß möglich, sinnfällig und tragfähig. Der Beethoven-Film ist einer der bedeutenden Filme der DEFA, der be-ste des Regisseurs Horst Seemann, ein bleibendes künstlerisches Dokument der geistigen und moralischen Befindlichkeit in der Zeit.«2Und Günter Kunerts Anteil daran wollen wir nicht geringschätzen.

Konrad Wolfs Goya-Interpret, Donatas Banionis, kehrte als Beethovenzur DEFA zurück. Um ihn herum versammelte Seemann ein exzellentes Darsteller-Ensemble, voran als Beethovens Bruder KarlHans Teuscher, der dem Titelhelden auch seine prägende Synchronstimme lieh. Alle ausnahmslos episodischen Rollen sind mit großartigen Individualisten und Komödianten besetzt, Stefan Lisewski als Bruder Johann, Wolfgang Greese als Dr. Malfatti, Fred Delmare als Musik-automatenbauer Mälzel, Eberhard Esche, Gerry Wolff und Rolf Hoppe als nähere Freunde oder Erika Pelikowsky, Katja Paryla und Anne-Else Paetzold als kurz-zeitige Haushälterinnen. Auch die emotional genau berechnete Musikauswahl traf Horst Seemann selbst.

Die Studioabnahme und die Staatliche Zulassung gingen mit viel Lob gänzlich problemlos über die Bühne. So unterstützte der Studiodirektor unseren Antrag auf das Staatliche Prädikat »Besonders wertvoll« noch vor dem Kinoeinsatz.

Nur Autor Kunert wußte sich 1990 im Interview für die Zeitschrift Film und Fernsehenan »gewisse Schwierigkeiten« des Films in der »Zeit der Schurken«3 zu erinnern. Merkwürdig. Dieselbe Zeitschrift hatte den Literaturwissenschaftler und Filmkritiker Dieter Schiller im Oktoberheft 1976 mit einer großen Würdi-gung zu Wort kommen lassen, immerhin unter der Überschrift »Etwas über Frei-heit und Kunst«.

Politbüromitglied Werner Lamberz, zuständig für Agitation und Propaganda, war überraschend zur Premiere am 14. Oktober 1976 erschienen und nahm am kleinen Sektumtrunk im Foyer des Kino International teil. Horst Seemann hatte ihn von der Bühne herab ganz unprotokollarisch namentlich und wie mit einem Hilferuf begrüßt und eingeladen: »Wir haben diese Aufmerksamkeit sehr nötig«, rief er in den Saal. Im Gespräch mit Kunert lobte Lamberz den Film als »Meister-werk und wunderbar«.

Kunerts gewendetes Gedächtnis sah den Film nach der Premiere in »kleinere Kinos verbannt«, nach einer Woche sogar »aus dem Programm« genommen. In seinen Erinnerungen1997 verlegte er die Premiere aus der nun anrüchigen DDR-Geburtstags-Nähe im Oktober in den »trüben November« der Biermann-Kontro-verse, doch nicht nur das, sondern auch gleich noch aus der Karl-Marx-Allee und

2 Peter Ahrens, Weltbühne Nr. 44/1976.

3 Sonntag Nr. 36/1990.

dem Kino International in die »Schönhauser Allee, kaum die beste Premieren-adresse«.4

Die Kritiker kürten Beethovenzum »besten Film des Jahres« 1976. Eine Nomi-nierung für ein internationales A-Festival scheint dem Film aber nicht vergönnt gewesen. Da allerdings wollen wir einen Zusammenhang mit Kunerts Rolle im bald ausbrechenden Streit um Biermanns Ausbürgerung nicht völlig ausschließen.

Immerhin erhielt der Film die Auszeichnung als »beste musikalische Auf-führung« auf der 3. Internationalen Musikfilmwoche im nordspanischen Santan-der. Horst Seemann aber mußte noch bis 1982 auf den erhofften zweiten National-preis warten, den er schließlich unter Hervorhebung eines Fernsehfilms für sein Gesamtwerk erhielt. Er hat danach noch großartige Kino- und Fernsehfilme ge-dreht, denken Sie nur an Lewins Mühleoder Hotel Polan und seine Gäste.

Das Ende der DEFA markiert zugleich das Ende von Seemanns Filmographie.

Sein Drehbuch über Dietrich Bonhoeffer ging trotz des Engagements von Katha-rina Trebitsch vom Studio Hamburg für eine letzte Koproduktion mit der DEFA nicht mehr in Produktion. Das ZDF verweigerte die Mitfinanzierung. Es war einer der bedauerlichsten Fälle unter den »nicht gedrehten Filmen« der Gruppe Babels-berg.Vielleicht hätte Horst Seemann mit dieser Arbeit den Einstieg in die markt-wirtschaftliche Filmpraxis geschafft.

Eberhard Esche erinnerte sich in einer Veranstaltung der Akademie der Künste an ein schmerzliches Erlebnis. Nach einer Lesung in München fragte ihn eine Dame aus dem Publikum, ob er etwa einen »gewissen Herrn Seemann« kenne, der arbeite bei ihr als Gärtner und behaupte, Filmregisseur gewesen zu sein. Horst Seemann starb bereits im Jahr 2000, mit erst 63 Jahren. Wir freuen uns über die Wiederbegegnung mit einem seiner besten Filme.

4 Günter Kunert, Erinnerungen, a. a. O. S. 373.

Im Dokument Sozialistische Filmkunst (Seite 166-170)