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Beschreibung eines Sommers

Im Dokument Sozialistische Filmkunst (Seite 184-189)

Die Zahl der bekannten antifaschistischen DEFA-Filme ist Legion. Schwerer fällt es schon, sich der wichtigsten Gegenwartsfilme zu erinnern, die in Babelsberg entstanden. Zu den interessantesten und erfolgreichsten aus der Frühzeit gehört Beschreibung eines Sommers.

Da trafen zu Beginn der 60er Jahre gleich mehrere glückliche Umstände zu-sammen. Das Studio hatte es in den 50er Jahren mit einer extrem zentralistischen Berliner Administration zu tun. Da gab es zunächst eine von der Parteispitze ein-gesetzte DEFA-Kommission hochrangiger Funktionäre. Dem folgte das Staat-liche Komitee für Filmwesen unter Anton Ackermann, dann die Doppelherrschaft einer Hauptverwaltung Film. Über ihr thronte nämlich Hans Rodenberg als stell-vertretender Kulturminister für den Filmbereich. Nun aber kam es zu einer frei-lich nur kurzen Phase größerer Entscheidungsfreiräume an der Basis.

Das Studio bekam eine verjüngte Leitungsspitze, drei Männer, fast gleichaltrig, die sich bereits aus gemeinsamer kulturpolitischer Zusammenarbeit kannten und verstanden: als Chefdramaturg Klaus Wischnewski, als Parteisekretär, eben pro-moviert, Werner Kühn und als Generaldirektor Jochen Mückenberger. Alle drei wurden schon fünf Jahre später, nach dem Desaster des 11. Plenums, mehr oder weniger sanft aus dem Studio entfernt. Erst einmal aber hatte der Studiochef die volle Verantwortung für die Produktion, Hauptverwaltung und Kulturministerium wollten sich mit Anleitung und Kontrolle begnügen.

Mückenberger erinnert sich so: »Bei Beschreibung eines Sommersbekam ich, als ich das Buch abgenommen hatte, einen Brief von Hans Rodenberg, meinem vorgesetzten Minister. In dem stand, daß er das Drehbuch und das ganze Vorha-ben als parteifeindlich einschätze. Eine stärkere Kritik konnte man gar nicht äußern. Er begründete das auch. Aber der letzte Satz war: ›Da im Politbürobe-schluß du als Verantwortlicher eingesetzt worden bist, hast du zu entscheiden, nun entscheide.‹(...) Wir drehten den Film (...) Wir sagten, das ist unser Beitrag zum nächsten Parteitag. Er ist dann in der Rede von Walter Ulbricht (es war der Tag der Premiere) gelobt worden – obwohl er ihn bis dahin gar nicht gesehen hatte.«

So weit Mückenberger. Vorsorglich hatten die Berliner Filmverantwortlichen die Premiere erst einmal in das Kulturhaus des Kombinats in Schwedt ausgelagert und den Berlin-Einsatz nicht etwa im Kino Kosmos, sondern im etwas abseits ge-legenen Colosseum gestartet. Der Mut der Babelsberger Filmleute und Leitung aber atmete einen weit verbreiteten Zeitgeist. So kam es zu einem Kinoerfolg, der sich nicht wiederholen sollte: An die drei Millionen Zuschauer nach einem Jahr Laufzeit.

Entscheidend aber war ein anderes Zusammentreffen: Das von Autor und Re-gisseur. Beide um die dreißig, schrieben, von der Dramaturgie ermuntert, das

Drehbuch sogleich gemeinsam bald nach Erscheinen von Karl-Heinz Jakobs’

Romanerstling. Das ersparte ihnen die üblichen literarischen Vorstufen mit all ihren Debatten und Abnahmeprozeduren.

Die Entschlußfreude der Leitung trug dazu bei, daß Kirsten unmittelbar nach seinem viel gelobten Gegenwartsfilm Auf der Sonnenseiteunbeschwert in die Produktionsvorbereitung und Dreharbeit einsteigen konnte.

Dieser für die DEFA-Praxis ungewöhnlich kurze Weg von der literarischen Vorlage zur Filmadaption und ins Kino bewahrte dem Lebensmaterial die Frische und beflügelte die Diskussion auch um den Roman, der inzwischen in vierter Auf-lage auf dem Markt war.

Jakobs führte den Erfolg auf die Verbindung der Liebesgeschichte mit der ganz besonderen, durchaus abenteuerlichen Aufbau-Situation der Großbaustelle des Erdölverarbeitungswerks Schwedt Ende der 50er Jahre zurück. Seine gesell-schaftliche Brisanz aber bekam – zumal der Film – durch die für die DEFA neue, gänzlich unverklemmt erzählte Liebe der verheirateten Genossin und FDJ-Funk-tionärin Gritzum zupackenden Bauingenieur Tom, der sich politischer Verantwor-tung oder gar Unterordnung zu entziehen sucht. Gerade weil die erotische Bezie-hung nicht als Dreiecksgeschichte erzählt wird, der Ehepartner Gritstritt im Film nicht in Erscheinung, provozierte das viele Fragen der Zuschauer, aber auch der Kritiker. Horst Knietzsch stellte im Neuen Deutschlandschon im Titel seiner Kri-tik die polemische Frage: »Liebe für einen Sommer?« Der offene Schluß ließ solch eine Vermutung immerhin zu, auch wenn die letzte Szene zwischen den Lie-benden eher GritsTrennung vom Ehepartner nahelegt.

Das heftigste öffentliche Für und Wider aber war mit der Frage verbunden, ob die intime Beziehung zweier Menschen, ob Liebe und Partnerschaft die ganz und gar private Angelegenheit der Betroffenen sei oder ob nicht vielmehr das Kollek-tiv, letztlich »die Partei« – gerade auf einer »Großbaustelle des Sozialismus« – das Recht, ja, die Pflicht habe, für ein moralisch untadeliges Miteinander eines je-den Paares zu sorgen. Obwohl der Film eben diese recht zeitbedingte Botschaft aussandte, wenn auch nicht doktrinär und agitatorisch, trug das seiner Wirkung keinen Abbruch. Im Gegenteil, es reizte auch zum Widerspruch, mindestens zur Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Haltungen der Filmfiguren. Daß die »Rolle der Partei« im Film weniger als im Buch in Erscheinung tritt, hatte ja Hans Rodenberg gerade zu seinem negativen Urteil veranlaßt. Gerade dieser Ver-zicht wurde zu einer Voraussetzung breiter Kinoresonanz.

Aber auch etwas anderes ist bemerkenswert. Die heute geradezu naiv anmu-tende Zukunftsgewißheit seiner Protagonisten, durchaus auch die von Autor und Regisseur, traf offenbar auf eine massenhafte Stimmung im Lande. Und das knapp zwei Jahre nach dem heute so verteufelten Mauerbau.

Im Filmt träumen die jungen Sozialisten davon, den ganzen afrikanischen Kon-tinent zu bewässern, ja selbst vom weltweiten Sieg des Kommunismus. Im Ro-man machte Jakobs eine Figur noch zum Propheten für die baldige Vollendung

des Kommunismus in der DDR. Darauf wurde im Film wohlweislich verzichtet.

Schon wenige Jahre später machte auch bei uns die Anfrage an Radio Jerewan die Runde: »Wann wird Kommunismus sein?« – Salomonisch die Antwort: »Der Kommunismus ist schon am Horizont sichtbar.« Zusatzfrage: »Was ist Hori-zont?« »Horizont ist eine gedachte Linie, die sich bei Annäherung nach hinten verschiebt.«

Das erste Jahrfünft der 60er Jahre jedenfalls war noch sehr von Aufbruchelan und Optimismus bestimmt. Das hatte sich schon im Titel von Ralf Kirstens eben vorangegangenem Gegenwartsfilm in neuer Leichtigkeit und Lockerheit ausge-prägt: Auf der Sonnenseite.

Und da sind wir schon bei der letzten und sicherlich wichtigsten Voraussetzung für den unglaublichen Publikumserfolg des Films, der nicht allein mit der Popula-rität des Buches erklärt werden kann. Das sind die Besetzung der Hauptrollen mit Christel Bodenstein und Manfred Krug und die Art, wie sich die beiden in Kir-stens Regie entfalten durften.

Manfred Krug war seit 1957 nach vielen kleinen Rollen und einer größeren 1960 erst mit dem Kirsten-Film Auf der Sonnenseitezum Publikumsliebling ge-worden. Hier konnte er zum ersten Mal seine ganz eigene Darstellungsweise ent-wickeln. Diese Mischung aus unverstellter Authentizität, ja, dokumentarer Direkt-heit und ironisch-Direkt-heiterer Distanz im Spiel mit der Kamera fand ihre ideale Entsprechung in der Story-Anleihe bei seiner eigenen, ganz und gar unheldischen Lebensgeschichte.

Jakobs Figur des in jeder Hinsicht zupackenden Bauingenieurs nun schien ge-radezu wie für Krug geschrieben. Das Pathos dieser Zeit und ihrer kämpferischen Losungen ist diesem Tom Breitsprecher fremd. Mit der Autorität des Fachmannes behauptet er seine anarchisch anmutende politische Ungebundenheit, seine Ver-weigerung jeglicher Anpassung oder »Unterordnung unter das Kollektiv«. Mit diesem freundlich-frechen Individualisten, der zugleich ein unnachgiebiger Leiter und unverzichtbarer Garant für Qualitätsarbeit ist, mit diesem harten Hund mit dem weichen Herzen konnten sich viele im Publikum identifizieren. Heute er-scheint uns die Figur fast wie eine Vorläufergestalt des Brigadiers Ballain Spur der Steine.

Nun aber kommen wir endlich zur nicht weniger wichtigen Erfolgsgarantie unseres Films. Das war – Sie werden es ahnen – die Besetzung der weiblichen Hauptrolle mit Christel Bodenstein. Sie war noch vor Manfred Krug ein Publi-kumsschwarm, gewiß der einzige weibliche DEFA-Filmstar dieser Zeit. Von Kurt Maetzig eher zufällig entdeckt und doch nicht besetzt, spielte sie 1956 in Slatan Dudows Gesellschaftssatire Der Hauptmann von Kölneine kleine, aber wichtige Rolle. Danach verzauberte sie das junge Publikum gleich zweimal als Prinzessin im Tapferen Schneiderleinund mit größerem Spielraum und märchenhaftem Cha-rakterwandel im Singenden klingenden Bäumchen. Die diplomierte Tänzerin spielte noch während des Schauspielstudiums an der Babelsberger

Filmhoch-schule und sogleich danach eine Hauptrolle nach der anderen. So auch bei Günter Reisch in Maibowleund Silvesterpunsch, dort als singende Primaballerina auf dem Eis. Und Martin Hellberg gab ihr die Rolle der Franziskain seiner Lessing-Verfilmung Minna von Barnhelm.

Mit solch einem Rollen-Spektrum und einer beispiellosen Leinwand-Präsenz ausgestattet, mußte die neue Aufgabe, zumal an der Seite von Manfred Krug, eben zur Traumrolle werden. Und Christel Bodenstein nutzte diese Chance. Die Lie-besgeschichte zwischen dieser so geradlinigen, pflicht- und zielbewußten Jugend-funktionärin und dem rauhbeinigen, sarkastischen Skeptiker wurde von ihr und ihrem Partner mit DEFA-unüblicher Offenherzigkeit gespielt und von Kirsten und seinem Kameramann Hans Heinrich als anrührende und dramatische Wild-Ost-Story mit Aufbau-Verve ins Bild gesetzt.

Der Bundesbürger Karl-Heinz Jakobs des Jahres 1986 wurde während einer USA-Reise von seinen professoralen Gastgebern mit einer Aufführung dieses Films überrascht. Er fürchtete schon das Schlimmste an Reaktionen auf sein sozialistisches Frühwerk während der Aufführung oder danach in der Diskussion.

Doch nichts von dem geschah. Im Gegenteil, die Amerikaner waren vom Film durchaus angetan. Mit den Mustern mancher Wild-West-Filme vertraut, war ihnen hier trotz geographischer, sozialer und politischer Ferne des Spielorts viel Ver-gleichbares entgegengekommen.

Mal sehen, wie es uns beim Wiedersehen heute damit ergeht. Auf jeden Fall freuen wir uns, noch einmal der jungen Christel Bodenstein zu begegnen und das in ihrer vielleicht beeindruckendsten filmischen Gestalt. Die Wiederaufführung in diesem Kreis ist nicht zuletzt unsere kleine nachträgliche Gratulation zu ihrem run-den Geburtstag, run-den man ihr dank ihrer noch immer jugendlichen Statur und ihrem vitalen Temperament kaum glauben mag. Herzlichen Glückwunsch, Christel.

Beschreibung eines Sommers

nach der Vorlage des Romans von Karl-Heinz Jakobs

Produktionsland DDR, 1962/1963

Produktionsfirma DEFA-Studio für Spielfilme (Potsdam-Babelsberg) (Künstlerische Arbeitsgruppe »60«)

Erstverleih Progreß-Filmverleih, Berlin

Uraufführung 17. Januar 1963, Berlin, Kino Colosseum Produktionsleitung Werner Liebscher

Aufnahmeleitung Otto Ziesenitz

Regie Ralf Kirsten

Regieassistenz: Hanna Georgi Drehbuch Karl-Heinz Jakobs, Ralf Kirsten Dramaturgie Klaus Wischnewski

Kamera Hans Heinrich

Kamera-Assistenz: Hans-Joachim Zillmer Standfotos:Max Teschner

Licht Hans Helmstädt

Bauten Hans Poppe, Jochen Keller Außenrequisite: Günter Zaleike Kostüme Helga Scherff

Maske Günter Hermstein, Ursula Funk Schnitt Christel Röhl

Ton Günther Witt Musik Wolfgang Lesser Darstellende Tom: Manfred Krug

Grit: Christel Bodenstein Schibulla: Günther Grabbert Lilo: Johanna Clas

Regine: Marita Böhme Dschik: Peter Reusse Grell: Horst Jonischkan Kamernus: Erik Veldre Tenser: Hans-Peter Reinecke Wirtin: Liska Merbach

Mädchen in der Bar: Helga von Wangenheim 1. Jugendlicher: Ernst Forstreuter

2. Jugendlicher: Achim Wenk

3. Jugendlicher: Heinz Herbert Lyschik Zum Inhalt

Auf der Großbaustelle Schwedt an der Oder, wo ein neuer Industriekomplex entsteht, tref-fen der Ingenieur Tom Breitsprecher und die FDJ-Sekretärin Grit aufeinander. Tom ist ein guter Fachmann, den Politik nicht interessiert. Nachlässigkeit und Unvermögen der bunt zusammengewürfelten Jugendbrigade regen ihn auf. Grit hat sich vor ihrer in die Krise geratenen Ehe auf die Großbaustelle geflüchtet. Sie lässt sich auf einen zunächst unver-bindlichen Flirt mit Tom ein, dem der Ruf vorauseilt, ein Frauenheld zu sein. Bald entsteht zwischen beiden echte Zuneigung. Grit gerät in Konflikte, da die Moralvorstellungen der 50er Jahre noch recht eng sind und das Kollektiv von ihr vorbildliches Verhalten auch in privater Hinsicht erwartet. Doch Grit steht zu ihrer Liebe und schafft klare Verhältnisse.

Im Dokument Sozialistische Filmkunst (Seite 184-189)