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Lotte in Weimar

Im Dokument Sozialistische Filmkunst (Seite 106-112)

Dramaturg Walter Janka hatte Lotte in Weimarschon sehr früh ins Gespräch ge-bracht, als Film-Hommage zum 100. Geburtstag Thomas Manns im Juni 1975.

Nach unseren vergeblichen Bemühungen um drei Gegenwartsstoffe Egon Günthers, ich habe sie in meinem Buch1beschrieben, wollten wir dem Regisseur damit end-lich eine anspruchsvolle Produktionsperspektive sichern.

Doch da stand die delikate Frage der Verfilmungsrechte im Raum. Ein DDR-konformes finanzielles Arrangement war nur noch zu Lebzeiten von Katia Mann zu erhoffen. Mit ihr und Tochter Erika stand Walter Janka in engem Kontakt. Als Leiter des Aufbau-Verlags hatte er die erste zwölfbändige Gesamtausgabe des Zauberersherausgebracht, und die Familie Mann hatte es ihm nach seiner Inhaf-tierung 1957 durch Bittschriften bis zu seiner vorzeitigen Entlassung aus Bautzen Weihnachten 1960 entgolten.

Fünf Jahre vor dem Jubiläum übermittelte ich dem Leiter der HV Film, Günter Klein, unseren Vorschlag mit amtsfreundlicher kulturpolitischer Argumentation.

Wir baten um Information des Kulturministers und die Vollmacht, Katia Mann eine kleine Erlösbeteiligung aus eventuellem Verkauf ins westliche Ausland anzu-bieten – wie schon Marta Feuchtwanger beim Goya-Film. So hofften wir, unge-achtet anderer Preise im Westen, die DDR-Fix-Summe von 25 000 DM auch für den weltweit bekannten Roman des Literatur-Nobel-Preisträgers durchzubringen.

Für den Filmminister wurde zunächst einmal eine Stellungnahme des Aufbau-Verlags angefordert und die Beratung durch Cheflektor Peter Goldammer. Walter Janka verweigerte ein Gespräch mit ihm, Goldammer, in der Französischen Straße.

Er fühlte sich vom Verlag verraten und noch immer diskriminiert. Die unsinnige Verlagsvormundschaft konnte abgewendet werden. Sie hätte das Projekt unwei-gerlich blockiert. Im August 1970 durfte Janka das DEFA-Interesse endlich auch offiziell bestätigen und vertragliche Lösungen wie mit Marta Feuchtwanger zusi-chern. Um die heikle Offenlegung der Verkaufserlöse zu vermeiden, wurde im Mai 1971 eine etwas höhere Devisenzahlung in drei Jahresraten vereinbart.

Für die Dreharbeiten warben wir um das Wohlwollen der Gedenkstätten der deutschen Klassik in Weimar. Der Stab brauchte Zugang zum Goethe-Haus und die Erlaubnis, dem Interhotel Elephant seine historisch verbürgte äußere Gestalt trickreich zurückzugeben. Mit einem Beratervertrag stimmten wir den Generaldi-rektor der Gedenkstätten Helmut Holzhauer freundlich. Als Vorsitzenden der einst gefürchteten Staatlichen Kunstkommission nannten ihn die von ihm oft geschol-tenen Künstler gern »Professor Holzhammer«.

1 Gruppe Babelsberg Unsere nicht gedrehten Filme, Das Neue Berlin 2000

Jankas Besuch mit Egon Günther bei »Frau Thomas Mann« in Kilchberg am Zürichsee war dank seiner langjährigen guten Beziehungen zur Familie erfolg-reich. Er kam mit dem unterschriebenen Vertrag zurück. Die DEFA sorgte immer-hin dafür, daß der Dramaturg mit seiner Frau 1973 der Einladung Katia Manns zu ihrem 90. Geburtstag folgen konnte.

Das Szenarium lag Ende 1973 vor und ging postwendend zur Begutachtung durch Katia und Golo Mann nach Zürich, Erika war da schon tot.

Berlin nahm das Projekt nicht weniger wichtig. Günter Klein, assistiert von zwei Gelehrten, dem kurzzeitigen ersten und letzten Chefdramaturgen der HV Film, Prof. Bernd Bittighöfer und dem Literaturwissenschaftler Heinz Plavius, bestand auf persönlichem Vortrag der Regiekonzeption. Amtlich erwünscht war die »kulturgeschichtliche Vertiefung der Dialektik von Auf- und Abbau des Klas-sikbildes in Gestalt des Goethe-Sohnes August«. Das konnte Egon Günther mit dem Hinweis abwehren, daß das Szenarium bereits um ein Drittel, also ganze 1 000 Meter zu lang sei. Allein bei der Besetzung kam es in der Hauptverwaltung zum Dissens, doch ausnahmsweise nicht mit ihr.

Der Regisseur, in seinen Intentionen allseits ermutigt, hatte zunächst kühne Vorstellungen von einer prominenten internationalen Besetzung der heimlichen Hauptrolle des Romans, des alten Goethe, nämlich mit dem Weltstar Max von Sy-dow, dem vielmaligen Hauptdarsteller Ingmar Bergmans. Ungeachtet aller Zwei-fel, ob sich denn diese so gar nicht porträtähnliche Wahl allein schon aus finan-ziellen Gründen realisieren ließe, wußte ich den ausgefallenen Dienstreiseantrag mit den schönsten Hoffnungen zu begründen.

Unsere Verfilmung werde an internationaler, vor allem Festival-Reputation mit einem solchen Namen sehr gewinnen und die Verkaufschancen über den deutsch-sprachigen Raum hinaus erheblich verbessern. Der DEFA-Außenhandel, nicht nur dem Kultur-, sondern auch dem Außenhandelsministerium unterstellt, sah solche Besetzungswünsche ungern. Man fürchtete, später für etwaige Valutaforderungen in Anspruch genommen zu werden. Immerhin, Egon Günther konnte die Offerte in Stockholm persönlich überbringen.

Die Antwort des vielbeschäftigten Schauspielers wäre auf dem Postweg billi-ger zu haben gewesen. Von Sydow zeigte sich vom DEFA-Regisseur und dem Rollenangebot geehrt, doch andere Filmaufgaben und feste Theaterverpflichtun-gen standen seinem Interesse entgeTheaterverpflichtun-gen.

Nun dachte der Regisseur an Wolf Kaiser. Der einstige Star des Berliner En-semble, inzwischen fast eine Art Serien-Held des Fernsehens in öffentlich hoch gelobten, unter Kollegen recht umstrittenen Gegenwartsfilmen, neigte kräftig zum Chargieren. Ihn wollte Walter Janka als Goethe um keinen Preis akzeptieren.

Günter Klein beendete die Debatte mit der sehr überraschenden Auskunft, die HV mische sich in künstlerische Fragen nicht ein. Das war allerdings neu.

Prof. Albert Wilkening, nach dem 11. Plenum nur noch Produktionschef, schlug vor, Martin Hellberg für die Goethe-Rolle zu gewinnen. Er sah sich dabei

auch in der moralischen Pflicht, dem langjährigen, nicht immer glücklichen DEFA-Regisseur und großartigen Darsteller eine ihm gemäße Aufgabe zu über-tragen. Hellberg, zuletzt Generalintendant des Staatstheaters Schwerin, war vom Rat des Bezirks auf skandalöse Weise fristlos gekündigt und in den vorzeitigen Ruhestand versetzt worden. Der Weltfriedens- und mehrfache Nationalpreisträger lebte mit seiner neuen jungen Familie inzwischen in der Thüringer Provinz. Er hatte zwar schon einen Platz in Günthers Besetzungsliste, aber nur in einer eher bescheidenen Charge, neben anderen an Goethes Tafel zum »kleinen« Empfang zu Ehren der von weit her gereisten alternden Jugendliebe Lotte, alias Charlotte Kestner, geb. Buff, die einst dem Dichter Modell stand für den Werther-Roman.

Hellberg bekannte, er habe aus Ehrfurcht vor der Goethe-Gestalt zunächst ein-mal gezögert. Doch er mußte nicht lange überredet werden und sah in dieser Auf-gabe bald schon die ihm gebührende Rolle seines weiteren Lebens. Als er seinen jungen Regiekollegen allerdings mit einer eigenen Drehbuch-Version für seinen Part konfrontierte, war es um Egon Günthers Fassung und sprichwörtliche Lie-benswürdigkeit geschehen. Doch nach einem recht prinzipiellen Gespräch, mode-riert vom erfahrenen Produktionsleiter Erich Albrecht, war fortan die wünschens-werte Harmonie im Atelier gesichert, die Rollenverteilung am »Set« definitiv geklärt.

Die Verwandlung des vitalen Mimen in den altehrwürdigen Dichter, Denker und Staatsmann gelang überzeugend. Hellberg hatte das imposante Kostüm von Christiane Dorst und das glaubwürdige Maskenbild Günther Hermsteins durch braune Haftschalen komplettiert und war so naturnah in die Haut des Idols ge-schlüpft. Später erwarb er das Kostüm, um noch lange danach Goethe-Lesungen im Originalgewand zu zelebrieren. Eine frühe Autogramm-Postkarte im ordenge-schmückten schwarzen Rock des Staatsministers trägt das Datum vom 11. Juli 1975 und die altväterliche Widmung »Meinem immer zu lebendigem Ringen an-regenden Dieter Wolf sein alter ›Goethe‹ alias Prof. Martin Hellberg – Dein Mar-tin «. Na, wenn das nichts ist ...

Die Probeaufnahmen hatten noch gar nicht recht begonnen, die Besetzung der Lotte-Darstellerin jedenfalls war noch nicht spruchreif, auch wenn schon mal die

»Oma vom Dienst«, Mathilde Danegger, genannt wurde. Da kam es zu dem ein-maligen Vorgang in der Produktionsgeschichte der DEFA. Lilli Palmer bekundete dem Studio über ihre Agentur und Egon Günther per Telefon persönlich ihr drin-gendes Interesse. Dieses Angebot, so erzählt der Regisseur, sei auf heftigen Wi-derstand gestoßen. Nicht nur der DDR-Aktricen, die die Hauptrolle für sich er-hofften. Das habe ihn auf die Idee gebracht, den Ex-England-Emigranten Kurt Hager höchstselbst um die Genehmigung zu bitten, »die englische Staatsan-gehörige und große Schauspielerin« zu besetzen. Der Erfolg ist bekannt.

Die Zusammenarbeit mit dem Weltstar erwies sich ungeachtet mancher Skep-sis als konfliktfrei. Sie wunderte sich allein über das im Westen unvorstellbare Privileg ihrer mitfilmenden Kollegen der Berliner Theater, die zuweilen erst

ver-spätet von ihren morgendlichen Proben kamen oder wegen der Abendvorstellung den Drehort verfrüht verließen. In der Zeit ihres DDR-Aufenthalts jedenfalls wa-ren von ihr keinerlei Beanstandungen zu höwa-ren. Im Gegenteil. Sie lobte in Kennt-nis anderer Praktiken die moderaten Tagespensen und die ruhige, kreative Atmo-sphäre im Atelier. Als sie einmal von Zensur und davon klagen hörte, daß es

»hinter den Kulissen« zuweilen heiß hergehe, wußte sie Trost. Das Politbüro sei doch weit und selten zu vernehmen, im Westbetrieb stehe der Produzent täglich hinter der Kamera ...

Mit so verständnisinnigen Urteilen war es bald nach der Welturaufführung im Mai 1975 in Cannes vorbei. Hier präsentierte sie noch ihrenFilm in schönster Harmonie gemeinsam mit Egon Günther, Jutta Hoffmann und Martin Hellberg.

Zur Berliner Premiere am 6. Juni aber wollte sie nicht erscheinen, weil ihr Wunsch nach einer »gesamtdeutschen Premiere in Lübeck«, nicht erfüllt wurde. Selbst wenn solch ein Ereignis dort am Geburtstag Thomas Manns organisierbar gewe-sen wäre, die DDR war zu Beginn neuer West-Ost-Beziehungen an einer Demon-stration für die drüben gepredigte »einheitliche deutsche Kulturnation« nicht interessiert. Das von Berlin geforderte Kulturabkommen zwischen beiden deut-schen Staaten war noch in weiter Ferne, und das lag keineswegs an der DDR.

Selbstverständlich wollte man eine repräsentative Delegation gern in die Bundes-republik entsenden, sobald sich ein Verleiher gefunden hätte ...

Das Berliner Premierenpublikum jedenfalls feierte die Beteiligten mit langem Applaus, der sicherlich auch der abwesenden Frau Palmer galt. Sie aber glaubte wohl, einer hämisch-giftigen Öffentlichkeit im Westen eine Art Rechtfertigung für ihre Mitarbeit an einem DEFA-Film zu schulden, als sie neugierigen Journali-sten nur noch Abfälliges über ihren Ausflug in den OJournali-sten zu berichten wußte.

Drei Jahre nach dem Ausscheiden aus der Festanstellung endete mit Lotte in WeimarWalter Jankas so erfolgreiche Arbeit als Dramaturg, die er nach seinem kämpferischen Lebensweg und seiner so verdienstvollen Verlegertätigkeit in sei-nen Memoiren nur noch als sinnvollen Broterwerb betrachten wollte. Ein gutes Jahrzehnt verspätet erhielt er den Heinrich-Greif-Preis, den wir für ihn schon nach der Premiere des Goya-Films beantragt hatten ...

Lotte in Weimar

Produktionsland DDR, 1974/1975

Produktionsfirma DEFA-Studio für Spielfilme (Potsdam-Babelsberg) (Künstlerische Arbeitsgruppe »Babelsberg«) Produktionsleitung Erich Albrecht

Aufnahmeleitung Dieter Krüger, Karl-Heinz Rüsike, Theo Scheibler Erstverleih Progreß-Filmverleih, Berlin

Uraufführung 15. Mai 1975, Berlin Kino International Regie Egon Günther

Regieassistenz: Elke Niebelschütz Drehbuch / Szenarium Egon Günther

Dramaturgie Walter Janka Kamera Erich Gusko

Kamera-Aissistenz: Ingo Raatzke Standfotos: Wolfgang Ebert Licht Horst Döring

Bauten Harald Horn

Bauausführung: Erich Kulicke, Franz F. Fürst, Wolfgang Kiehl

Kunstmaler: Alfred Born Requisite Wolfgang Wintz (Bühnenmeister)

Außenrequisite: Werner Gießler Kostüme Christiane Dorst

Maske Günter Hermstein, Ursula Funk, Inge Merten, Monika Mörke, Eberhard Neufink

Schnitt Rita Hiller Ton Wolfgang Höfer

Mischung: Gerhard Ribbeck Musik Gustav Mahler (6. Sinfonie a-Moll)

Musik-Ausführung: Václav Neumann Darstellende Lotte: Lilli Palmer

Goethe: Martin Hellberg Kellner Mager: Rolf Ludwig

Goethes Sohn August: Hilmar Baumann Adele Schopenhauer: Jutta Hoffmann Ottilie von Pogwisch: Johanna Glas Lottes Tochter: Monika Lennartz Prof. Meyer: Norbert Christian

Darstellende Dr. Riemer: Hans-Joachim Hegewald Landkammerrat Ridel: Walter Lendrich Diener Carl: Dieter Mann

Zofe Klärchen: Angelika Ritter Amalie Ridel: Annemone Hase Frau Riemer: Gisela Stoll Frau Meyer: Christa Lehmann Frau Kirms: Linde Sommer Frau Coudray: Sonja Hörbing Stephan Schütze: Viktor Deiß

Hofkammerrat Kirms: Hans-Dieter Schlegel Oberbaurat Coudray: Peter Köhnke Bergrat Werner: Wilhelm Gröhl Bauer: Fred Delmare

Rühring: Wolfgang Greese

Ferdinand Heinke: Thomas Neumann Frau Elmenreich: Barbara Brecht-Schall Miss Cuzzle: Ute Hübner

Hausdiener: Axel Triebel Junge Lotte: Martina Wilke Junger Goethe: Hilmar Eichhorn Junger Kestner: Thomas Thieme in weitereren Rollen: Hans-Gerd Schäfer, Detlef Heintze, Berko Acker, Rainer Etzenberg, Kurt Götz, Paul Arenkens, Gertrud Adam, Thomas Schäfer, Klaus Powollik-Ronay, Hannes Stelzer, Horst Giesen, Horst Graeve, Irene Freymann, Frank Wuttig, John Peet,

Hans-Peter Körner, Melchior Vulpius, Heinz Laggies, Matthias Molter, Joachim Uhlitzsch,

Katharina Zschoche, Friedrich Teitge, Werner Kanitz, Gerd Zimmermann, Jörg Gillner,

Jochen Diestelmann, Beatrice Brandenburg Zum Inhalt

Goethes Jugendliebe Charlotte Kestner (Werthers Lotte) kommt nach 40 Jahren auf die Idee, den Jugendfreund und Staatsminister in Weimar zu besuchen. Goethe will sie auf kei-nen Fall allein empfangen. Der Besuch gerät zu einer Enttäuschung. Es gibt nicht mehr als einen Anstandsbesuch im Rahmen eines Mittagessens mit der Weimarer Hofgesellschaft und ein Billet für Goethes Theaterloge. Es bleibt offen, ob ein letztes Gespräch nach dem Theater in Goethes Kutsche zwischen Lotte und dem Dichterfürsten wirklich stattgefunden hat.

Im Dokument Sozialistische Filmkunst (Seite 106-112)