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Goya oder Der arge Weg der Erkenntnis

Im Dokument Sozialistische Filmkunst (Seite 33-39)

Friedrich Wolf, selbst auch Filmautor, hatte in den 50er Jahren den Chef des Auf-bau Verlages Walter Janka auf die filmischen Qualitäten des Romans aufmerksam gemacht. Sein Sohn und Regisseur Konrad bekannte später freimütig, »ich hatte nicht die Absicht, Feuchtwanger zu verfilmen. Um die Wahrheit zu sagen, zu-nächst habe ich mich sogar dagegen gewehrt.« Janka, Ende1960 aus vierjähriger politischer Haft im Zuchthaus Bautzen entlassen, wollte 1962 mit dieser Verfil-mungsidee seinen dramaturgischen Einstand geben. Er gewann Konis Freund An-gel Wagenstein für die Filmbearbeitung. Dank Jankas freundschaftlicher Bezie-hungen zu Feuchtwanger und seiner Frau Marta noch aus der Zeit als Verleger im mexikanischen Exil und später des Aufbau-Verlags gelang ihm 1963 der für undenkbar gehaltene Erwerb der Weltverfilmungsrechte zu sehr bescheidenen DDR-Bedingungen. Die hatten Frau Feuchtwangers Anwalt sehr irritiert. In den Vertragsverhandlungen berief er sich ausdrücklich auf ihre Instruktionen, »insbe-sondere auf die finanziellen Vorschläge (der DEFA) einzugehen, da ihr mehr an der künstlerischen Herstellung eines ihres Mannes würdigen Filmes liegt als an hohen Honoraren«. Die Filmrechte waren bereits mehrfach an US-Firmen ver-kauft worden, doch stets war die Produktion am Widerstand des Franco-Regimes und den Nachfahren der Herzogin Alba gescheitert. Aus politischen Gründen wa-ren also auch für uns Außenaufnahmen in Spanien ausgeschlossen.

In der Euphorie der frühen 60er Jahre suchte man im Studio nach Welt-, also Westwirkung, wie sie vielleicht nur mit einem solchen epochalen Stoff zu erhof-fen war. Für die Hauptrolle etwa war an Anthony Quinn, Marlon Brando oder Jean-Louis Trintignant gedacht, für die Albaan Jeanne Moreau, für die Königin war Anna Magnani im Gespräch. Der interessierte Koproduzent Artur Brauner

be-nannte umgehend einen Co-Autor, der das Szenarium von Angel Wagenstein so-gleich zerpflückte. Der scheute sich nicht, seinen Eindruckoffen auszusprechen, wonach »ich als Schriftsteller wie ein Kaufmann spreche. Aber wir müssen leider ans Geld denken, an den Verleih, an den Verkauf in andere Länder.« Als Gegenlei-stung für seinen Produktionsanteil und die Gagen einiger internationaler Stars erwartete Brauner von der DEFA die Produktion eines kompletten historischen Films, und zwar Die Nibelungen.Solch ein Geschäft wurde nicht erst mit dem 11. Plenum indiskutabel. Damit war das Projekt für lange Zeit gestorben.

Schon im ersten Briefwechsel hatte Marta Feuchtwanger die Idee einer Ge-meinschaftsproduktion ins Spiel gebracht: »Ich habe herrliche russische Filme gesehen, und ich würde es sehr begrüßen, wenn sich da die Möglichkeit einer Zusammenarbeit böte ...« So begannen 1966 in der Gruppe Babelsbergunsere Wiederbelebungsversuche mit dem Vorschlag für eine Koproduktion mit der Sowjetunion. Meine ausführliche kulturpolitische Argumentation mit Eckdaten der Realisierung und Finanzierung genügte in Berlin nicht. Ohne eine ideolo-gisch-künstlerische Konzeption des Regisseurs fände keine Beratung beim Lei-ter der Hauptverwaltung Filmstatt. Diese Aufforderung war an den Gruppenlei-ter adressiert. Konrad Wolf ließ nun über seinen NamensvetGruppenlei-ter verlauten, er identifiziere sich mit dem Papier der Gruppe. Er denke an eine Regiekonzeption allein »als Erläuterungen und Ergänzungen zum Regiedrehbuch, das nur ge-meinsam von Autor, Regisseur, Szenenbildner und Kameramann ausgearbeitet werden kann«. Das war gleichsam die Forderung nach einem Produktionsbe-schluß. Lange Pause.

Da kam ein Gipfeltreffen gerade recht. Konrad Wolf wurde im Dezember 1967 mit Ich war neunzehnins Sekretariat des Zentralkomitees gebeten. Er nutzte die günstige Gelegenheit und die gute Stimmung nach der Filmvorführung, um mit einem von uns ausgearbeiteten Grundsatzpapier, Vorlage genannt, für sein neues Projekt zu werben. Parallel dazu mußten wir Kulturminister Gysi und den Stell-vertreter des Vorsitzenden des Ministerrates, Alexander Abusch, informieren, da-mit sie sich nicht von einer Basis-Initiative übergangen fühlten. All das war nötig, um neben dem Parteiweg die staatliche Kulturschiene Berlin-Moskau wenigstens als zweites Gleis zu nutzen.

Vier Monate später wurde ich gebeten, ein Dankschreiben zu entwerfen für die Zusage der Koproduktion, immerhin erstmalig unter deutscher Allein-Regie.

Darin sollte Filmminister Wagner sein Vis-à-vis im Staatlichen Komitee für Kine-matographie der UdSSR um die Nominierung eines Partnerstudios bitten und um Verhandlung über einen verbindlichen Vorvertrag.

Im Juli 1968 endlich war es so weit. Mit Konrad Wolf und Produktionsleiter Herbert Ehler, begleitet von einem hohen Funktionär der Hauptverwaltung Film, konnten wir nach Moskau aufbrechen. Der Stellvertreter des Vorsitzenden des Komitees, Arshanski, delegierte unser Angebot wunschgemäß an das nicht eben autarke, doch etwas Moskau-fernere große Lenfilm-Studio in Leningrad.

Dort trafen wir ihn zu unserer Überraschung wenig später als Produktionschef und konstruktiven Verhandlungspartner. Als Berater für die sowjetische Seite hat-ten wir den Literatur-Professor Alexander Dymschitz ins Gespräch gebracht. Der hoch angesehene, ja legendäre Kulturoffizier im Berlin der Nachkriegszeit, galt noch immer als unumstrittene kulturpolitische Autorität. Er wurde zum einflußrei-chen Fürsprecher des Projekts in der sowjetiseinflußrei-chen Filmhierarchie. Walter Janka akzeptierte gern, daß wir ihm im Filmabspann für seine Mittlerrolle den Status ei-nes Co-Dramaturgen zuschrieben. Die Erinnerung an mehrere anregende Begeg-nungen in Moskau, Berlin und Kleinmachnow sind unvergessen.

Wolf und Wagenstein beorderten erst einmal mich zur Diskussion der letzten Szenarienfassung mit der Studioleitung nach Leningrad. Dort traf ich auf eine kleine, vielseitig gebildete, recht energische Chefdramaturgin. Ihre Buchanalyse war erwartungsgemäß von ganz ähnlichen ideologischen Bedenklichkeiten be-stimmt, denen wir schon zu Hause begegnet waren. Sie warnte vor der »Gefahr falscher Aktualisierung, gefährlicher Analogien in der Gestaltung des Verhältnis-ses von Künstler und Gesellschaft, von Geist und Macht, Politik und Kunst«.

GoyasBeziehung zur Herzogin Albamüsse als sozialer Konflikt gestaltet wer-den und dürfe »nicht als Idylle, als Brücke zwischen wer-den Klassen« erscheinen.

Auch das Bild der spanischen Liberalen, denen Goyawichtige Denkanstöße ver-dankte, über die er aber hinausgegangen sei, solle verdeutlicht werden. Vor allem aber sei die Rolle des spanischen Volkesfür die Entwicklung des prominenten Hofmalers stärker ins Blickfeld zu rücken.

Nicht nur GoyasKonflikt mit der absolutistischen Macht und katholischen In-quisition schien anspielungsverdächtig, auch seine hartnäckige Weigerung, seine Kunst ganz direkt in den Dienst der bürgerlich-liberalen Parteipolitik zu stellen.

Gerade das aber fordert der von den Mächtigen verfolgte Politiker Jovellanos, der Goyaseine Rückkehr aus dem Exil verdankt. In einem mehrstündigen Gespräch hatten wir Ernst Busch gewonnen, lange nach Ende seiner Theaterkarriere und trotz seiner kriegsbedingten Gesichtslähmung erstmalig eine DEFA-Rolle zu übernehmen.

Die nachdenklich vorgetragenen Einwände von Lenfilm waren offenbar mehr als Warnschilder gedacht, weniger als verbindliche Änderungsauflagen. So wagte man auch nicht, wie sonst üblich, einen sowjetischen Mitautor für die Drehbuch-arbeit ins Gespräch zu bringen. Man war zufrieden mit unserem Versprechen, dies alles zu bedenken und nach Möglichkeit im Regiebuch zu berücksichtigen.

Wir wollten mit der wichtigsten Bezugsfigur, Goyaskritischem Malerfreund und Gehilfen Esteve, die Stimme des Volkes stark zur Geltung bringen. Älter als im Roman, gewann die Figur in der Gestaltung durch Fred Düren tatsächlich mehr Einfluß auf die politische und künstlerische Position des arrivierten Hofma-lers. So wird Goyazum Herausforderer der Inquisition, zum künstlerischen Re-präsentanten der revolutionären Bewegung, gipfelnd in seinem aufrührerischen Gemälde der Erschießung der Aufständischen.

Im früheren Filmchef Anton Ackermann gewannen wir einen kulturpolitischen Anwalt für unser schon einmal totgesagtes Projekt. Ende 1968 fügten wir seine Stellungnahme zum Drehbuch unserem Antrag auf Produktionsfreigabe bei. Mit genauem Gespür für die ideologischen »Bedenkenträger« lobte er die Weiter-führung des Films über Feuchtwangers Roman hinaus bis zur Volkserhebung in der bürgerlich-demokratischen Revolution und ihrem Widerschein in Goyas Gra-phik-Zyklus Schrecken des Krieges.Er unterstrich die Bedeutung der wenigen Szenen, in denen das Volk Gestalt gewinnt und lobte die Darstellung von Goyas konfliktreichem Weg mit all seinen menschlichen Schwächen. In diesem Kunst-werk werde echte fromme Gottgläubigkeit respektvoll gegen die Inquisition und reaktionäre volksfeindliche Politik des hohen Klerus verteidigt, ohne die Gefühle ehrlicher Gläubiger zu verletzen. Ackermann betonte sein größtes Vertrauen in die Fähigkeiten und die geschmackvolle künstlerische Gestaltung des Regisseurs.

Marta Feuchtwanger begutachtete alle Stadien der Bucharbeit. Ihren Ehren-doktor-Titel im Briefkopf hatte sie sich längst verdient. Nun lernten wir ihre punktgenaue Lektüre und ihre klugen kritischen Rückfragen und Vorschläge auch zum Regiebuch schätzen. Erst auf ihr Anraten hin wurde eine der stärksten Sze-nen zwischen Goyaund der Albaaus dem Roman übernommen – die Szene, in der Cayetanazum schlafenden Goyaspricht. Doch nicht nur das. »Ihre Dialog-Striche waren so gut, daß wir sie widerspruchslos übernommen haben.«

1971 folgte sie Konrad Wolfs Einladung, sich den Film in Berlin anzusehen, bevor er in die Öffentlichkeit kommen sollte. Ihr frühes Urteil war ihm wichtiger als ihre repräsentative Teilnahme an der Berliner Premiere. So hatte man endlich Gelegenheit, die rüstige alte Dame persönlich kennenzulernen. Man konnte sie trotz ihres hohen Alters getrost eine exotische Schönheit nennen. Die Regierung bedankte sich für ihr großes und uneigennütziges Engagement für den Film und die Pflege des Feuchtwanger-Werks mit dem Orden Stern der Völkerfreundschaft in Gold,der höchsten Auszeichnung, die ausländischen Bürgern vorbehalten war.

Goya, in zwei verschiedenen Filmformaten gedreht, wurde Konrad Wolfs schwierigste und langwierigste Filmarbeit. Die Atelieraufnahmen fanden in Le-ningrad und Babelsberg statt, die Außenaufnahmen in Bulgarien und auf der Krim. Der Kameramann und Bundesbürger Peter Hellmich konnte einige Doku-mentaraufnahmen in Spanien drehen. Für die großen Prozessionen lieferte uns das südliche Ambiente des kroatischen Dubrovnik einen glaubwürdigen historischen Hintergrund. Um den immensen Aufwand an Dekorationen, historischen Kostü-men und Requisiten zu minimieren, wurden in monatelanger Vorarbeit von Regis-seur, Szenenbildner und den Kameramännern die Anforderungen an jede einzelne Aufnahme verabredet. Szenenbildner Alfred Hirschmeier hielt das Ergebnis in hunderten von Einstellungsskizzen in einem kompletten optischen Drehbuch fest.

Auf 1 300 handschriftlichen Seiten dokumentierte die Assistenzregisseurin alle künstlerischen und technischen Details der künftigen Realisierung, die den Um-fang eines normalen Regiedrehbuchs für Stab und Schauspieler gesprengt hätten.

Die Berliner Premiere der 70-mm-Version im Kinotheater Kosmos 1971 wurde zum großen kulturpolitischen Ereignis, geadelt durch den Nationalpreis I. Klasse für Au-tor, Regisseur, Szenenbildner und beide Kameramänner. Einziger Wermutstropfen im Freudenbecher: Nur der Initiator und unermüdliche Betreiber des Vorhabens, Dramaturg Walter Janka, war aus unserer Vorschlagsliste gestrichen worden.

Goya oder Der arge Weg der Erkenntnis

nach dem Roman von Lion Feuchtwanger

Produktionsländer Deutsche Demokratische Republik/Sowjetunion Premierendatum 16. September 1971 (Voraufführung am 19. Juli im Berliner Kino »Kosmos« in Anwesenheit von Marta Feuchtwanger und Mitgliedern der Akademie der Künste der DDR)

Produzenten DEFA-Studio für Spielfilme Potsdam-Babelsberg, Gruppe »Babelsberg«/Studio Lenfilm, Leningrad Verleih PROGRESS Film-Verleih 70-mm-Film

Auszeichnungen VII. Internationale Filmfestspiele Moskau 1971, Spezialpreis der Jury; Das Kollektiv – Konrad Wolf,

Angel Wagenstein, Konstantin Ryshow, Alfred Hirschmeier, Werner Bergmann – erhielt 1971 den Nationalpreis I. Klasse; das Kollektiv – Fred Düren, Rolf Hoppe, Donatas Banionis – erhielt 1971 den Kunstpreis der DDR;

Prädikat »Besonders wertvoll«

Buch Angel Wagenstein Regie Konrad Wolf

Assistenz-Regie: Doris Borkmann, Wladimir Stepanow Regieassistenz: Ludmila Galba, Iris Gusner,

Jürgen Klauß, Wladimir Sinilo, Emilija Suchorukowa Dramaturgie Alexander Dymschitz, Walter Janka

Kamera Werner Bergmann und Konstantin Ryshow Bauten Alfred Hirschmeier und Waleri Jurkewitsch Kostüm Ludmila Schildknecht und Joachim Dittrich

Maske Günter Hermstein, Ursula Funk, Jürgen Holzapfel, Inge Merten und Galina Wassiljewa

plastische Maske: Eduard Fischer

Schnitt Alexandra Borowskaja

Ton Eduard Wanunz, Garri Bjelenki und Jefim Judin Beratung Dr. Karl-Heinz Barck, Dr. Hansjoachim Felber,

Prof. Irina Lewina und Prof. Dawid Prizker Musik Faradsh und Kara Karajew,

Paco Ibanez (Lieder der Rosario),

Ausführung: Leningrader Staatliche Philharmonie, Dirigent: Rauf Abdulajew

Gitarrensolo: Juri Smirnow

Produktionsleitung Herbert Ehler und Genrich Chochlow

Darstellende deutsche Stimme

Goya: Donatas Banionis Kurt Böwe Esteve: Fred Düren

Herzogin Alba: Olivera Vuco Annemone Haase Karl IV.: Rolf Hoppe

Königin Maria Luisa: Tatjana Lolowa Ursula Braun Jovellanos: Ernst Busch

Otero: Martin Flörchinger Quintana: Arno Wyzniewski Maria Rosario: Carmen Herold Bermudez: Gustaw Holoubek

Guillemardet: Michail Kasakow Klaus Piontek Godoy: Wolfgang Kieling

Dona Lucia: Irén Sütö Abate: Andrzej Szalawski Großinquisitor: Mieczyslaw Voit

Pepa: Ljudmila Tschurssina, Gil: Peter Slabakov Goyas Mutter: Veriko Andshaparidse

Josepha: Ariadna Schengelaja

Eufemia: Nunuta Hodos, Padilla: Georgij Pawlow San Adrian: Igor Wasiljew, Ortiz: Günter Schubert Velasco: Kurt Radeke

Bote der Inquisition: Walter Bechstein in weiteren Rollen/als Stimmen: Gerry Wolff, Wolfgang Lohse, Hans-Dieter Leinhos,

Natascha Nesowiz, Fredy Barten, Michael Gerber, Slobodan Dimitrijeviç, Aurora Pan, Igor Dimitrijew, Friedrich Richter, Erhard John, Petar Spaic, Djoko Rosic, Harald Moszdorf, Peter Grünstein, René Kasch, Maria Lenk, Herbert Pfister, Regine Kühn, Hans-Jochim Felber, Ralf Haufe, Elke Boßmann, Anton Nalis, Shana Jeremejewa, Frank Raschke, Gerit Kling, Georgi Teich, Alexej Sokolowitsch, Karl-Heinz Weiß, Predrag Milinkoviç

Zum Inhalt

Goya ist Erster Hofmaler Karls IV. geworden. Seine Bilder zieren die Schlösser des Königs und der Granden. Aber er ist vor allem Spanier. In leidenschaftlicher Liebe fühlt er sich zu Herzogin Alba hingezogen, gleichzeitig haßt er die hochnäsige Aristokratin in ihr, die ihn nach Belieben wie einen Lakaien behandelt. Diese Widersprüche beeinflussen seine Kunst.

Durch Freund Esteve erfährt er von der revolutionären Bewegung seines Volkes, begegnet der Sängerin Maria Rosario, die von der Inquisition verurteilt wird, und wird schließlich selbst Opfer der Inquisition.

Im Dokument Sozialistische Filmkunst (Seite 33-39)