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Wenn du groß bist, lieber Adam

Im Dokument Sozialistische Filmkunst (Seite 95-98)

Es erwartet Sie ein Unikat der Kinogeschichte: Ein Film-Torso aus Szenen in Ori-ginalton, unsynchronisiert, dazu Schrift-Einblendungen von Dialogen und fehlen-den Handlungselementen. Im Wende-Winter 1989/90 wagte Egon Günther das Experiment, seine zweite Regiearbeit wenigstens so vorführbar zu rekonstruieren.

Die Produktion wurde Ende 1966 noch während der Dreharbeiten auf höhere Weisung abgebrochen.

Um das absurde Verbot der kleinen märchenhaften Gegenwartskomödie heute nachzuvollziehen, erscheint ein kurzer Rückblick auf die historische und kultur-politische Situation der frühen 60er Jahre angebracht.

Die Abriegelung Westberlins im August 1961 brachte dem Studio durch den Verlust der S-Bahn-Anbindung Griebnitzsee manche Erschwernisse. Prominente Westberliner Künstler, die der DEFA trotz westlicher Anfeindungen die Treue ge-halten hatten, ihren Wohnsitz aber nicht aufgeben wollten, mußten die DEFA ver-lassen: Kameramänner, Szenen-, Kostüm- und Maskenbildner. Trotzdem traf die zunehmend unpopuläre Abschottung zunächst auch auf Verständnis. Die vom Währungsgefälle und der Westpropaganda angestachelte Übersiedlung Tausender und die Wirtschaftswanderung der »Grenzgänger« waren wenig beliebt bei denen, die bleiben wollten oder mußten. So war es gewiß kein tagespolitischer Opportu-nismus, daß namhafte und kritische Filmleute den Bau der Mauer im Sinne der Partei thematisierten. Manfred Krug schrieb sich die Rolle eines Kampfgruppen-mannes selbst auf den Leib für den Film Der Kinnhaken.Armin Müller-Stahl spielte die Hauptrolle solch eines Uniformierten in einem weiteren Streifen, der die Berliner Ereignisse dokumentarisch einbezog: ...und deine Liebe auch.

Der folgende kurzzeitige Wirtschaftsaufschwung schien mindestens die ökono-mische Notwendigkeit der Mauer zu bestätigen. Ulbricht gedachte mit dem Neuen ökonomischen System der Planung und Leitung den zentralistischen Dirigismus zu-gunsten ökonomischer Regularien zurückzudrängen. Materielle Interessiertheit der Betriebe und Arbeitskollektive, Gewinnbeteiligung für Investitionen und Prämien sollten anstelle höherer Planauflagen die Arbeitsproduktivität steigern.

Nach Chruschtschows neuerlicher scharfer Kritik an Stalin auf dem XII. Par-teitag der KPdSU im Oktober 1961 verschwanden endlich auch in der DDR die letzten Insignien des Stalin-Kults – acht Jahre nach seinem Tod. Damit waren manche Hoffnungen verbunden. Stalin sollte nicht nur aus den Straßenverzeich-nissen verschwinden.

Der täglich von außen in seiner Existenz befehdete und in Frage gestellte Staat suchte zunächst eine stärkere Solidarisierung im Innern zu fördern. Das Politbüro bildete eine Jugendkommissionund verabschiedete 1963 ein Jugendkommuniqué unter der Losung »Der Jugend Vertrauen und Verantwortung«. Im Schutze der Mauer blühte so die Illusion auch unter den Filmleuten, nun könne man endlich

über die eigenen, systeminternen Probleme der sozialistischen Gesellschaft und ihre weitere Entwicklung offen und öffentlich sprechen.

Heiße Eisen wurden angepackt, Tabus gebrochen. Die Justiz geriet gleich mehrfach ins Blickfeld, heikle Entwicklungen unter der Jugend wurden themati-siert, zweifelhafte Leitungspraktiken in Frage gestellt.

Eine verjüngte Studio-Leitung – vom neuen Direktor Jochen Mückenberger über die Hauptverwaltung Film (Dr. Günter Witt) bis zum Kulturminister (Hans Bentzien) – solidarisierte sich mit den Forderungen der Basis nach mehr Eigenverantwortung und Abbau zentralistischer Einflußnahme und Lenkung. Überraschend machte sich Walter Ulbricht selbst eine öffentliche Kritik Frank Beyers zu eigen und forderte auf der II. Bitterfelder Konferenz 1964, »die Zahl der Instanzen um die Hälfte (zu) ver-kleinern, den Apparat (zu) vereinfachen, Schluß zu machen mit dem Hin- und Her-schieben der Verantwortung«. Die seit 1958 nach ungarischem und polnischem Vorbild entstandenen Künstlerischen Arbeitsgruppen bildeten kleine Dramaturgen-kollektive und entschieden zunehmend eigenverantwortlich über alle Phasen der Stoffentwicklung bis zum produktionsreifen Drehbuch. Die Produktionsentschei-dung lag nun im Studio, nicht mehr bei der Hauptverwaltung Film, deren Leiter be-hielt sich lediglich ein Vetorecht vor und die Staatliche Abnahme des fertigen Films.

In diesem Klima entstand die erste Komödie über die unmittelbare Nachkriegs-zeit und die kleinen Händel mit der bislang öffentlich nur heroisierten sowjeti-schen Besatzungsmacht: Frank Beyers Karbid und Sauerampfer. Beschreibung ei-nes Sommersvon Ralf Kirsten und Karl-Heinz Jakobs erzählte von einer in der Parteiorganisation heftig umstrittenen Baustellenliebe und wurde zum Kino-Hit.

Zum Kassenknüller brachte es sogar ein Polit-Krimi: For eyes onlyoffenbarte erstmals den Einsatz eines Top-Agenten in einer amerikanischen Geheimdienst-zentrale in der Bundesrepublik.

Konrad Wolf begann die Adaption des bald befehdeten Romans Der geteilte Himmelnoch während des Vorabdrucks in der Studentenzeitung forum. Er igno-rierte den Vorwurf, da werde die deutsche Teilung auf ihren tragischen Aspekte hin reflektiert. Und Der Fall Gleiwitzbereicherte die Tradition des antifaschisti-schen Films durch eine andere Sicht und neue stilistische Gestalt.

Am 25. Novemver 1965 hatte ein geradezu prophetischer Titel Premiere: Der Frühling braucht Zeitvon Günter Stahnke. Nur drei Wochen später nämlich sollte eine neuerliche ideologische Eiszeit die Kulturlandschaft überziehen. Im Film er-mittelt nach einer winterlichen Betriebshavarie der Staatsanwalt gegen einen lei-tenden Ingenieur wegen Fahrlässigkeit oder gar Sabotage. In Wahrheit aber geht es um die Folgen falsch verstandener Termintreue und Plandisziplin, die ein ehr-geiziger Werkdirektor gegen technische Bedenken des Fachmannes durchsetzt, angespornt von der übergeordneten Leitung, toleriert von einem unterwürfigen Gewerkschaftsfunktionär. Die Brisanz des Stoffes war offensichtlich, doch noch sahen wir uns in voller Übereinstimmung mit der Bitterfelder Konferenz und Wal-ter Ulbricht: »Große Konflikte in der LiWal-teratur und Kunst können nicht nur

priva-ter Natur sein, ihnen liegen echte gesellschaftliche Widersprüche zugrunde (...) Von den bedeutenden Schwierigkeiten, die im Prozeß der Arbeit auftreten, werden die Werktätigen jedoch nicht ›erdrückt‹, vielmehr wachsen sie in ihrer Bewälti-gung zu vielseitig gebildeten Persönlichkeiten, wächst die Gemeinschaft, das so-zialistische Kollektiv.« Und schließlich hatte unsere Story einen optimistischen, positivenSchluß: Der zunächst recht forsche Ankläger sorgt zum guten Ende für Entlastung und Entlassung des Unschuldigen aus der U-Haft.

Nach einem Roman von Manfred Bieler, der keine Druckerlaubnis erhalten hatte, drehte Kurt Maetzig den Film Das Kaninchen bin ich.Hier erscheint der Richter in weniger freundlichem Licht. Das war die erste und letzte kritische Aus-einandersetzung mit der Bevormundung der Justiz durch wechselnde parteipoliti-sche Doktrinen am Beispiel eines negativen Helden – eines willfährigen opportu-nistischen Richters.

Der Film Denk bloß nicht, ich heuleder jungen Autoren Manfred Freitag und Jochen Nestler, Regie Frank Vogel, folgte der Aufforderung des Jugendkommuni-qués, die realen Probleme und Widersprüche ernst zu nehmen, die es in der Ent-wicklung und Erziehung der Nachkriegsgeneration zu jungen Sozialisten zuneh-mend gab. Auch hier stand im Mittelpunkt ein sogenannter gebrochener Held, ein wegen politischer Aufmüpfigkeit relegierter Oberschüler, der im Grunde nur ge-gen Doppelzüngigkeit und opportunistische Heuchelei in der Schule aufbegehrt.

Die beiden Filme waren noch nicht veröffentlicht, noch nicht einmal staatlich zugelassen, da trat am 16. Dezember 1965 das ZK der SED zu seiner 11. Tagung zusammen. In Moskau hatte Leonid Breshnew inzwischen Chruschtschow ab-gelöst. Moskauer Kritik am DDR-Wirtschaftskurs und ein langfristiges Handels-abkommen drohten die ökonomischen Probleme der DDR weiter zu verschärfen, von der westlichen Embargo-Politik kräftig befördert. Einen Tag vor der Unter-zeichnung der Verträge beging der Wirtschaftsexperte im Politbüro, der Planungs-und stellvertretende Regierungschef Erich Apel Selbstmord.

So wurde das angekündigte Wirtschaftsplenum zum Kunst- und Kulturtribunal umfunktioniert. Mit dem Bericht Erich Honeckers begann ein Rundumschlag gegen Kunst, Publizistik und Jugendkultur. Darin wurden »Modernismus«, »Skeptizis-mus«, »Nihilis»Skeptizis-mus«, »moralzersetzende Philosophien«, »Pornographie« und andere Formen der »amerikanischen Lebensweise« entdeckt. Der Leipziger SED-Bezirk-schef Paul Fröhlich geißelte »widerwärtige dekadente Lebensformen«, etwa »in Gestalt der Beatles«. Er forderte vom Finanzminister Sanktionen gegen die DEFA.

Kurt Hager suchte die tiefere Ursache unserer ideologischen Verirrungen vor allem in der »Entfremdungstheorie«, der »Nachahmung Kafkas« in solchen Filmen wie Der Frühling braucht Zeitund Das Kaninchen bin ich.»Wenn in den Beziehungen zwischen dem einzelnen und dem sozialistischen Staat und seinen Organen eine ausgesprochene Kälte vorherrscht, wenn ein feindseliger Kontrast des Individuums zu Leitern, Funktionären, Eltern, Lehrern konstruiert wird, so haben die betreffen-den Autoren ein ›gebrochenes Verhältnis‹ zu unserem Staat.«

Zur Demonstration unserer moralischen und ideologischen Verfehlungen wur-den dem Plenum die genannten Filme von Vogel und Maetzig vorgeführt. Weitere Buch- und Filmtitel wurden samt ihren Schöpfern und Leitern einer geradezu in-quisitorischen Stimmung im Saal ausgeliefert.

Eine einzige, verlorene Stimme wagte Widerspruch, mahnte Mäßigung im Umgang mit Kunst und Künstlern an – die von Christa Wolf, Kandidatin der ZK.

Das war sie danach nicht mehr lang. Und sie ahnte wohl bereits, daß auch ihr neuer Film Fräulein Schmetterling(Drehbuch mit Gerhard Wolf, Regie Kurt Bar-thel) in den Strudel weiterer Verdikte hineingerissen würde bis zum Verbot von Frank Beyers Spur der Steinenach kurzer Laufzeit Anfang Juli 1966.

Eine externe Kommission nahm inzwischen alle in Arbeit befindlichen Filme und Bücher ins Visier und schickte eine halbe Jahresproduktion in den Keller.

Selbst zeitgeschichtliche Titel blieben nicht verschont: Die Russen kommenvon Claus Küchenmeister und Heiner Carow, ein Barlach-Film von Ralf Kirsten – Der verlorene Engel.In der Mehrzahl aber traf es Gegenwartsgeschichten: Jahrgang 45von Jürgen Böttcher, Karla von Ulrich Plenzdorf und Herrmann Zschoche, Berlin um die Eckevon Wolfgang Kohlhaase und Gerhard Klein, selbst eine harmlose Kriminalkomödie, Hände hoch oder ich schieße!, von Rudi Strahl und Hans-Joachim Kasprzick mußte dran glauben.

Sie alle hatten wohl Walter Ulbrichts ernste Mahnung auf der Bitterfelder Kon-ferenz nicht richtig verstanden oder überhören wollen: »Ein Künstler, der die Wahr-heit und das Ganze im Auge hat, kann nicht vom Blickpunkt eines empirischen Be-obachters schaffen. Er braucht unbedingt den Blickwinkel des Planers und Leiters«.

Wessen Blickwinkel war da wohl gemeint? Letztlich wohl der der Parteiführung.

Vielleicht entdecken Sie heute, warum dem kleinen Adammit seiner Zauber-lampe damals der »Blickpunkt des Planers und Leiters« abgesprochen wurde. Die Dramaturgin des Films, Traudl Kühn, und ihr Mann, Dr. Werner Kühn, damals Parteisekretär im DEFA-Spielfilmstudio, können in der Diskussion danach helfen, das Geheimnis zu lüften.

Im Dokument Sozialistische Filmkunst (Seite 95-98)