• Keine Ergebnisse gefunden

Der Dritte

Im Dokument Sozialistische Filmkunst (Seite 100-106)

Zur gleichen Stunde wie unsere Veranstaltung beginnt im Filmmuseum Potsdam eine Filmnacht, die Egon Günther in sein 81. Lebensjahr hinein begleitet. So sei es erlaubt, seinem sechsten Kinofilm ein paar filmbiographische Informationen voranzuschicken. Günthers anheimelnder Tonfall verrät noch nach sechs Jahr-zehnten seine erzgebirgische Herkunft und Kindheit in Schneeberg. Der Arbeiter-sohn lernte Schlosser und Konstruktionszeichner. Dann wurde auch er noch Sol-dat. Die Erfahrung in einer Fallschirmtruppe auf Kreta reflektierte er in seinem zweiten Roman. Der Kretische Kriegerzählt von der verlustreichen faschistischen Eroberung der Insel im Kampf gegen das griechisch-englische Expeditionskorps und vom einheimischen Widerstand gegen die Besetzung bis zur Befreiung im Mai 1945.

Das Kriegserlebnis und die Sozialisation im Osten prägten Günthers weitere Biographie und seine spätere künstlerische Arbeit. Hier konnte er nach kurzer Kriegsgefangenschaft Neulehrer werden und 1948 – 51 an der Karl-Marx-Univer-sität in Leipzig Germanistik, Pädagogik und Philosophie studieren. Es folgte die Arbeit als Lehrer und Verlagslektor, schließlich ein kurzes Volontariat am Berliner Ensemble.

Der junge Mann hatte frühe literarische Neigungen bereits mit Laienspielen und Dramen erprobt. Ein Gedichtband gemeinsam mit Reiner Kunze trug noch den optimistischen Titel Die Zukunft sitzt am Tische.Mit solchen literarischen Ta-lentbeweisen empfahl sich Egon Günther 1958 der DEFA in Babelsberg als Dra-maturg und Autor. In vier Jahren entstanden fünf Filme nach seinen Szenarien:

1960 Der Fremdeund Ärzte, 1963 Jetzt und in der Stunde meines Todes,1964 Alaskafüchse. Unter dem Titel Das Kleidhatte Konrad Petzold im Herbst 1961 Egon Günthers Version von Andersens Märchen Des Kaisers neue Kleidergerade abgedreht, geschnitten und vorgemischt, als die Grenze zu Westberlin dicht-gemacht war. Der eben neu ernannte Studiodirektor Jochen Mückenberger bean-tragte gar nicht erst die Staatliche Abnahme. »Vierzig Prozent«, so erinnerte er sich später, »spielten sich vor, auf oder hinter einer Stadtmauer ab… Jeder Satz dort hatte eine Beziehung zur Gegenwart und der Situation, die gerade eingetreten war.« So wurde Egon Günther lange vor dem 11. Plenum mit seinem ersten Film-verbot konfrontiert. Es darf sehr bezweifelt werden, ob die Parabel vom nackten Kaiser, den das Volk verlacht, das ihn eben noch bejubelte, die Abnahmehürde selbst ohne diese unvorhersehbaren Mauer-Analogien genommen hätte.

Zunehmend unzufrieden mit der Inszenierung seiner Szenarien, war der so erfahrene Filmautor Egon Günther längst für die eigene Regie prädestiniert.

Zusammen mit seiner Frau Helga Schütz schrieb sich Egon Günther 1964 sein Regie-Debüt: Lots Weib. Das war eine kleine Gegenwartsgeschichte, von eher

unüblicher DEFA-Art: Eine emanzipierte Frau, Sportlehrerin und Mutter zweier Kinder, möchte ihre in Routine erstarrte Ehe beenden, doch ihrem Mann, Offizier der Volksmarine, genügt die funktionierende Wochenendbeziehung. Er verweigert die Scheidung, die sein Ansehen als vorbildlicher Genosse zu beschädigen droht.

Nur mit der List eines kleinen Kaufhausdiebstahls samt den erwarteten und man-chen überrasman-chenden Reaktionen der Umwelt bis zum Gericht erzwingt die junge Frau die gewünschte Trennung. Dem provokanten Fabel-Plot entsprach ein heite-rer, zuweilen ironischer Grundton der Inszenierung, der menschliche Schwächen und fragwürdige gesellschaftliche Verhaltensmuster kritisch beleuchtete, ohne sie schwergewichtig zu problematisieren. Da war ein neuer, frischer Ton im DEFA-Gegenwartsfilm angeschlagen, der ganz und gar Günthers Arbeitsdevise ent-sprach: »Ich will versuchen, Filme zu machen, die auffallen. Die sollen ruhig Feh-ler haben, aber nicht unaufrichtig, lau oder mittelmäßig sein.«

Um Ernstes auf komödiantische Weise zu vermitteln, hatte er noch während der Arbeit am Adam an einem erhofften Anschlußprojekt mitgeschrieben, einer Filmfassung von Helmut Baierls Schauspiel Frau Flinz. In dialektischer Umkehr der Mutter-Courage-Konzeption, wiederum für Helene Weigel erfunden, stand das nationalpreisgekrönte Stück noch immer auf dem Spielplan.

Die Titelheldin, Landarbeiterfrau aus dem Böhmischen, hat ihre Heimat und ihren Mann an den Krieg verloren, nun verliert sie ihre listig geretteten fünf Söhne an den neuen Staat, den sie beargwöhnt wie den alten. Ihr Gegenspieler, der Parteifunktionär Fritz Weiler, bekam in der Filmfassung mehr Gewicht und gab ihrer Wandlung bis zur Vorsitzenden einer frühen LPG stärker als im Stück die wichtigsten Impulse. Doch gerade diese Beziehung zwischen Partei und Volk führte zum Streit und Produktionsverbot für die inzwischen dritte Drehbuch-fassung, ausgerechnet am 6. Oktober 1966: »Nach nochmaliger Überprüfung möchten wir die am 1. 7. 1966 erfolgte Freigabe durch die HV Film zurückziehen.

Obwohl im Drehbuch die für die Weiterentwicklung des Szenariums gegebenen Hinweise im wesentlichen berücksichtigt wurden, erscheint aufgrund zurücklie-gender Erfahrungen die Verfilmung nicht geeignet. Mit freundlichem Gruß i.V.

Schauer.«

Dem spärlichen Schriftsatz war eine heftige Debatte mit den Vertretern der HV Film im Studio vorangegangen. Die sahen im Gegensatz zur Handlungszeit der 50er Jahre inzwischen »die Landwirtschaft in großem Aufschwung begriffen«

und »die Dialektik der Beziehung von Partei, Klasse, Führung und Masse nicht erfaßt«. »In der gegenwärtigen Etappe übernimmt die Kunst eine prinzipiell neue Aufgabe als Planer und Leiter gesellschaftlicher Prozesse. Es geht um die Unter-ordnung unter die Führung der Partei als einzig möglichem Weg der weiteren Ent-wicklung. Gefährliche Experimente um die Frage Spontaneität und Bewußtheit dürfen nicht gemacht werden.« Da tönte noch einmal das 11. Plenum, und es drohte der nächste, der VII. Parteitag »zu einer Zeit, in der die führende Rolle der Partei immer mehr verstärkt wird«, so die Prophezeiung.

Zum Glück konnten wir gerade in dieser Zeit die Bucharbeit für die Becher-Adaption Abschiedbeginnen, so daß für den Mitautor Günther keine lähmende Arbeitspause entstand.

Nach dem Verbot des kleinen Adamund der Katastrophe der Kino-Sperre für die zunächst hoch gelobte Becher-Verfilmung lockte Adlershof den Regisseur mit einem interessanten Fernseh-Angebot. Da eigene Intentionen für Gegenwarts-geschichten im Studio wiederum auf Ablehnung und Skepsis stießen, man kann es in meinen Erinnerungen nachlesen, kehrte Günther gern in die Geschichte und zum Kriegsthema zurück.

Für den Bildschirm inszenierte er die zweiteilige Roman-Adaption Junge Frau von 1914nach Arnold Zweig. Merkwürdiger Zufall: Der Fernsehfilm beginnt, wo Abschiedendet – mit dem Kriegsanfang 1914, den die wiederum jungen Protago-nisten in München erleben. Auch diesmal ist das Thema die Absage der Jungen an die bürgerliche Gesellschaft. Drei Jahre später folgte in Günthers Regie die drei-teilige Fernsehversion Erziehung vor Verdun,wieder nach Zweig. Auch dies ein packender Antikriegsfilm und ein bestechend vielschichtiges Gesellschaftspan-orama. Zugleich nutzte Günther das historische Sujet für ein ästhetisches Experi-ment. Für unterschiedliche thematische Sequenzen wählte er verschiedene Farb-tönungen der Kopie, für das bürgerliche Ambiente der Titelfigur gelb-bräunlich, das kältere Grünlich-gelb für die Kriegsbilder sowie das Dokumentarfilmmaterial aus DDR- und französischen Archiven. Dem Regisseur galt die Nachinszenierung von Kampfszenen à la Hollywood oder Babelsberg als realitätsfeindlich. Den Ge-genwartsbezug verstärkte er durch eine quasi-dokumentare Ebene: Man sieht den Hauptdarsteller Klaus Piontek am Anfang und am Ende im zeitgenössischen Frankreich, so auch im Beinhaus von Douaumont, einem Beispiel fragwürdiger Geschichtsvermarktung. Per Zufall geriet ihm dort auch noch eine martialische Abschiedsparade für einen General vor die Kamera, neben anderen Stilmitteln der Verfremdung ein Versuch, das Sujet zu enthistorisieren.

Zu unser aller Überraschung inszenierte Egon Günther zwischen den histori-schen Panoramen ein Gegenwartsstück für Adlershof, freilich nach eigenem Drehbuch. Der öffentlich hoch gelobte Szenarist Benito Wogatzki, das Produk-tionsthema und der symbolträchtige Titel Anlaufließen eine weitere zeitgenös-sische Bildschirmpropagierung der wissenschaftlich-technischen Revolution in einem Betrieb des Apparatebaus befürchten. Doch Günther ging es nur vorder-gründig um den schwierigen Anlauf der Serienfertigung elektronischer Aggre-gate. Ins Zentrum rückte er die Liebesgeschichte zwischen einer jungen, emanzi-pierten Arbeiterin und einem Forschungsingenieur.

Durch eine für Adlershof überraschend unkonventionelle, ja untypisch zu nen-nende Besetzung der Hauptrollen mit Jutta Hoffmann und Eberhard Esche wurde diese Arbeit zum Bildschirmereignis in der Gegenwartsdramatik. Egon Günther erprobte einen wiederum gänzlich unorthodoxen Inszenierungsstil. Er nutzte be-argwöhnte Mittel des Cinema verité, aber auch Verfremdungstechniken. Die

Dar-steller treten zuweilen aus ihrer Rolle heraus, sprechen den Zuschauer durch das Spiel in die Kamera direkt an oder leisten sich mit Regie-Duldung szenische Im-provisationen. Das alles war im gängigen Realismus-Verständnis bis dahin tabu, jedenfalls außerhalb der komischen Genres oder der reinen Unterhaltungsformate.

Mit dem Film Der Drittekehrte Egon Günther endlich zum DEFA-Spielfilm zurück. Er hatte Babelsberg im Grunde nie verlassen. Alle seine Fernseharbeiten entstanden im Rahmen der staatlich geplanten DEFA-Dienstleistungen für Adlers-hof mit den vom Regisseur gewünschten künstlerischen Partnern für Kamera, Szenen- und Kostümbild oder Schnitt, mitsamt künstlerisch-technischem Arbeits-stab und den vertrauten großen Ateliers aus Ufa-Zeiten.

Ganz kurz nur zum Film Der Dritte.Er markiert in der reichen Tradition des DEFA-Frauenfilms einen wichtigen Einschnitt. Mit dem Ende der Ulbricht-Ära und dem Amtsantritt Honeckers verbanden sich manche Hoffnungen auf eine wirklich-keitsbewußtere Politik der maßvoll verjüngten Führung und einen freieren, öffentli-chen Umgang mit den Problemen und Widersprüöffentli-chen im gesellschaftliöffentli-chen und pri-vaten Lebensraum. Eberhard Panitz hatte die Protagonistin der Titelfigur Margit Fließerbei Recherchen im Erdöl-Kombinat Schwedt gefunden und in einer Erzäh-lung gestaltet. Aus Material und Motiven der ursprünglichen Reportage entwickelte Günther Rücker bereits 1967/68 ein Szenarium, das erst in der Umbruchzeit des neuen Jahrzehnts in Günthers Hände geriet. Jutta Hoffmann hat nach der Wende ihren Eindruck vom Manuskript als »dröge« beschrieben und vom Regisseur, der ihr wiederum die Hauptrolle antrug, »einen ganz anderen Drive« gefordert.

Wie sie sehen werden, hat der Regisseur dieser Erwartung mit seinem Dreh-buch und in der Arbeit mit großartigen Darstellern und vielfältigen stilistischen, auch komödiantischen Mitteln erfüllt. Kein Wunder, daß die sehr unkonventio-nelle Sicht auf Emanzipation und DDR-Sozialisierung dem Publikum unten mehr gefiel als manchem Genossen mit Führungsblick. Jutta Hoffmann erinnert sich an den Unmut Kurt Hagers, ihres Platznachbarn im Präsidium des II. Film-Verbands-kongresses. Der monierte den respektlosen filmischen Umgang mit geheiligten Traditionen. Auch Inge Lange soll im Namen des DFD die Beziehung der beiden jungen Frauen im Film scharf gerügt haben. Und Egon Günther hörte von Werner Lamberz, man habe oben »lange über den Dritten beraten«.

Erst der Große Preis in Karlovy Vary habe die Kulturfunktionäre versöhnlicher gestimmt. Dort wurde Egon Günther Zeuge eines Gesprächs zwischen Kulturmi-nister Hoffmann und seiner Frau. Zitat Günther: »Weißt du noch, Joachim, als es so weit war, daß wir wußten, ob wir ihn herausbringen oder nicht. Und jetzt sind wir doch froh, daß wir ihn herausbringen.« Egon Günthers Vermutung aber, die Journalisten hätten Weisung gehabt, den Preis zu würdigen, »den Günther aber links liegen(zu)lassen!« mag eher dem Blick zurück im Zorn geschuldet sein. Ein halbes Jahr nach der Premiere erhielt der Regisseur, hochverdient, den National-preis …

Der Dritte

Regie Egon Günther

Regie-Assistenz: Elke Niebelschütz Drehbuch Egon Günther

Szenarium Günther Rücker Dramaturgie Werner Beck

Kamera Erich Gusko

Kamera-Assistenz: Ingo Raatzke; Heinz Wenzel Licht Werner Baatz

Bauten Harald Horn

Bau-Ausführung: Franz F. Fürst; Erich Kulicke Außenrequisite: Siegfried Wittke

Kostüme Christiane Dorst

Maske Horst Schulze; Margot Friedrichs Schnitt Rita Hiller

Ton Werner Blass

Darstellende Margit: Jutta Hoffmann Lucie: Barbara Dittus Hrdlitschka: Rolf Ludwig Blinder: Armin Mueller-Stahl Bachmann: Peter Köhncke Oberin: Erika Pelikowsky Junge Frau: Christine Schorn Junger Mann: Jaecki Schwarz Lucies Freund: Klaus Manchen Vorsitzender: Walter Lendrich Hrdlitschkas Mutter: Ruth Kommerell Mann mit Sessel: Fred Delmare Geistlicher: Christoph Beyertt weiter: Ute Garnitz, Tamara Doege,

Hans-Edgar Stecher, Klaus Fiedler, Armin Mechsner, Klaus-Jürgen Tews, Kurt Heinicke, Rita Hempel, Ute Lubosch, Gerda Biok, Sabine Oehl,

Hannelore Freudenberger, Willi Schrade, Hildegard Friese, Joachim Raschka, Detlef Witte, Dorothea Meissner, Sylvia Neef, Gudrun Jochmann, Wolfgang Pampel, Victor Keune, Hans Flössel, Matthias Molter, Hans Feldner, Cornelius Köhntges, Anita Noack

Produktionsfirma DEFA-Studio für Spielfilme, KAG »Berlin«

(Potsdam-Babelsberg)

Produktionsleitung Heinz Mentel

Aufnahmeleitung Paul Lasinski; Karl-Heinz Rüsike; Kurt Brandenburg Länge 3036 m, 111 min

Format 35mm Bild/Ton Farbe

Aufführung Uraufführung (dd): 16. März 1972, Berlin, International

Zum Inhalt

Margit ist 36 Jahre, war zweimal verheiratet, hat aus jeder Ehe ein Kind. Sie hat studiert und arbeitet als Mathematikerin. So kann sie gut für sich und ihre beiden Kinder sorgen.

Was ihr fehlt, ist – trotz zweier gescheiterter Beziehungen – ein Partner. In Rückblenden wird ihre Lebensgeschichte noch einmal erzählt: Diakonissenschule, Arbeiter- und Bau-ern-Fakultät, Liebesverhältnis zu ihrem Dozenten, erste Schwangerschaft, gescheiterte Be-ziehung. Ihr zweiter Mann, ist ein blinder Musiker, der mit sich selbst nicht zurecht kommt, auch nicht mit nun zwei Kindern. Margit entdeckt schließlich einen Dritten, Hrdlitschka, der sie aber nicht bemerkt. Da beschließt Margit, offensiv zu werden und, gegen alle Kon-vention, Hrdlitschka anzusprechen und nicht mehr loszulassen.

Im Dokument Sozialistische Filmkunst (Seite 100-106)