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Der Schriftsteller und Regisseur Günther Rücker

Im Dokument Sozialistische Filmkunst (Seite 142-145)

Fünf Tage nach Günther Rückers 84. Geburtstag möchte ich, bevor wir seinen Film sehen, vom Autor sprechen und vor allem ihn zu Wort kommen lassen.

Sein Weg zur DEFA war nicht eben der kürzeste, und die Arbeit für das Medium nicht die leichteste.

Theaterabende vor dem Heidelberger Schloß hatten den Schüler 1939, kurz vor Kriegsbeginn, lebensbestimmend fasziniert. Der Krieg aber bescherte ihm und seinem Jahrgang erst einmal die Rache der frühen Geburt. Da war an eine künstle-rische Zukunft nicht zu denken. Doch 1948 hatte Rücker, inzwischen Assistent am Leipziger Schauspielhaus, eine sozusagen wegweisende Wiederbegegnung mit dem damaligen technischen Leiter der Schloßfestspiele von Heidelberg.

»Der«, so Rücker, »riet mir: Geh zur DEFA, die suchen junge Regisseure. Er machte für mich einen Termin, und ich fuhr im Sonntagsanzug, mit Hut und Ak-tentasche, als besserer Herr verkleidet, nach Berlin.

Aber der erste Künstlerische Leiter der DEFA, Falk Harnack, suchte ›fertige Regisseure‹, Assistenten haben wir genug. Die Bürgerlichen werden eines Tages hier weggehen, und dann seid ihr gefordert. Lerne also, und wenn du dich stark genug fühlst, komm wieder.

Ich suchte die DEFA-Dramaturgie auf. Ein Filmvorschlag war nicht beantwor-tet worden. Es ging um die Fremdenlegion. Man empfahl mir Themen aus dem Verkehrswesen der DDR. Oder Kohle. Wenn möglich Steinkohle. Der Chefdra-maturg (damals gab es noch keine Künstlerischen Arbeitsgruppen – D. W.) ließ sich meine Geschichte vor den versammelten Dramaturgen noch mal erzählen.

Ich sah die verkniffen und verbissen grinsenden Gesichter. Der Abschied war für lange. (...)

Das einzige, was zu erzählen ich in der Lage gewesen wäre, waren die Jahre vor der Okkupation der Sudentengebiete. (...) ,es war nicht die Zeit dafür. 40 Jahre später habe ich eine der Geschichten von damals als Film konzipiert – Hilde, das Dienstmädchen– und bin nicht sehr glücklich damit geworden. Die zweite Gene-ration sitzt als Publikum im Kino und weiß mit dem, was damals unser Leben zer-störte oder stark gemacht hat, nichts mehr anzufangen. Aus gutem Grund bin ich diesem Thema 30 Jahre lang ausgewichen. Es bleibt eine Randgeschichte, ein Minderheitenproblem. (...) Als Deutsche waren wir damals (Rücker stammt aus Liberec/Reichenberg – D. W.) eine Minderheit im Vielvölkerstaat der ersten Tschechoslowakischen Republik. Unter den Deutschen waren die Linken in einer verschwindenden Minderheit.« Eine Idee: Damals zu früh – und nun zu spät.

Also widmete sich Rücker erst einmal ganz dem auditiven Medium. Und so seine Erinnerung: »Jeden Morgen um acht betrat ich das Haus, stieg zum 3. Stock hinauf, legte Mantel und Aktentasche ab – es waren die Jahre, in denen ein Mann

von Bedeutung nicht ohne Aktentasche ging – und klopfte an eine Tür, auf der in lateinischer Schrift ein russischer Name nebst Dienstgrad zu lesen war. Ich war Redakteur des Schulfunks bei Radio Leipzig. Der Offizier hinter dem Schreib-tisch war vielleicht fünf oder sechs Jahre älter als ich. Er sprach ein vollkomme-nes Deutsch (...). Er holte das Sendemanuskript, das ich einige Tage vorher abge-geben hatte, hervor und teilte mir mit, ob es genehmigt sei oder ob er einige Fragen beantwortet haben möchte. Ich war immer in Eile, denn Schauspieler und Sprecher warteten schon vor den Mikrofonen. Ich war Mitte 20, arbeitete die in der Schule erworbenen Abiturientenweisheiten und die im Krieg gewonnenen Er-fahrungen meiner Generation in die Sendungen ein und versuchte die vorge-schriebenen Termine zu halten.

Unterm Dach, in einem verschlossenen Raum, saß ein Mann, die geänderten Manuskripte vor sich, und las Wort für Wort mit. Wenn sich der Text, der über den Sender ging, vom Text unterschied, der vor ihm lag, drückte der Mann auf einen Knopf, und der Sender fiel so lange aus, bis er in seinem Exemplar den gelesenen Text wiederfand. Da nahm er seinen Finger vom Drücker. Danach gab es lang-wierige, nie bis zu Ende klärbare Feststellungen und Berichte. Meist aber ging es ohne Ausfall.« So weit der Autor. Heute muß man vorsorglich dazu anmerken, daß es sich hierbei nicht um frühe Abhörpraktiken der Stasi handelte.

So begannen Günther Rückers Vorübungen für ein grandioses Hörspiel-Œvre mit mehr als 20 Titeln. »Als ihr Regisseur habe ich den Prix Italia bekommen.

Das brachte Ehre, einige Schweizer Franken und eine Gastinszenierung in Paris.

Ich denke mit unguten Gefühlen an die Zeit, in der ich zu meinem ersten Spiel-film ansetzte (...) als man mich in der Annahme bestätigte, neue Themen, neue Zeiten brauchten neue Filmgesetze. Niemand scherte sich um die Erfahrungen, die das Genre abverlangte. Wir waren alle Debütanten, alle.

Wissen konnte uns nicht beschweren. (...) Ich sehe noch heute das müde, ver-ärgerte Gesicht Anton Ackermanns, Vorsitzender des Staatlichen Filmkomitees, als der Lustspielfilm (Junges Gemüse– D. W.) fertig war. Wie mußte er uns se-hen? Junge Leute, ›junges Gemüse‹, das an allem, was seine Generation unter Blut und Schweiß errungen hatte, etwas zu mäkeln fand. Genossen wie er hatten unter Einsatz ihres Lebens und unter blutigen Verlusten, Positionen erkämpft, die sie Leuten weitergeben wollten. Und nun diese Spaßmacher! Und welche Späße!

Ich bin Anton Ackermann später mit dem höchsten Respekt und mit Verehrung begegnet. Wir lächelten über diese ersten Filmjahre, aber es war viel Schmerz im Lächeln. Was für Mißverständnisse auf beiden Seiten!

Danach schrieb ich mit Günter Reisch einen zweiten Spielfilm, wieder ein Lustspiel. Es handelte von Studenten, die, um in China studieren zu dürfen, ver-heiratet sein mußten. Als wir fertig waren, 1957, verschwand das Manuskript. Der Film wurde nie gedreht. Niemand hat auch nur ein Wort über die Gründe mit uns gesprochen. Es war die Zeit des »Großen Sprungs«. Politisch hätten wir alle Ent-scheidungen sehr gut verstanden, aber man zog das Administrieren vor. Die Idee

schenkten wir Hermann Kant für seinen Roman Die Aula. So fand manches einen späten, milden Abschluß. Die Lustspielzeit war damit für mich zu Ende.

Um diese Zeit (Mitte der 50er Jahre – D. W.) fragte mich Andrew Thorndike, ob ich den Text zum Film Du und mancher Kameradmitschreiben möchte. Zum ersten Mal erlebte ich die Gewalt des Dokuments. Ich bin davon nie losgekommen.«

Hier muß ich Günther ins Wort fallen: Die dokumentarischen Bilder dieses ersten großen, sehr erfolgreichen DEFA-Archiv-Films zeichneten ein Bild tragi-scher deuttragi-scher Geschichte vom Kaiserreich bis zur Bundesrepublik.

Die im Buch von Karl Eduard v. Schnitzler, die in der Materialauswahl und Montage der Thorndikes angelegte polemische Didaktik wurde erst dank Rückers unverwechselbarer persönlicher Diktion vom puren Lehrstück zum emotionalen Erlebnis.

Mit den Thornikes entstanden auch die Dokumentarfilme Urlaub auf Syltüber den SS-Mörder von Warschau und Insel-Bürgermeister Heinz Reinefahrth und Unternehmen Teutonenschwertüber den Nazi- und Nato-General Hans Speidel sowie Das russischeWunder.Rücker hat aber auch mit anderen Dokumentaristen zusammengearbeitet, stellvertretend seien nur Karl Gass und Winfried Junge ge-nannt.

Diese erste dokumentar-authentische Begegnung mit Zeitgeschichte fällt in die Jahre des zweiten Spielfilmanlaufs: »Als der 20. Jahrestag des Kriegsausbruchs herankam, begann ich mit Wolfgang Kohlhaase einen Film zu konzipieren, der die letzte Nacht des Friedens, soweit es noch einer war, erzählen sollte, die Tech-nik einer Provokation, die Manipulation nationaler Gefühle zum finstersten Zweck. Je länger wir darüber nachdachten, desto unerbittlicher kam die Frage auf uns zu: Erzählen wir die Deutschen als Opfer oder als Täter? Wie ist das zu tren-nen? Wo stehen die Erzähler? Wo steht die Kamera? Wie heiß, wie kühl sehen wir zu? Wie nah, in welcher Distanz? Am Ende kam eine uns alle verblüffende Strenge und Disziplin in den Film.

Das Publikum schwieg, als die letzte Einstellung vorbei war, stand auf und war emotional unbefriedigt. Trotzdem besuchten den Film bis Mitte der 80er Jahre ohne Werbung, ohne kinopolitische Unterstützung mehr als eine Million Zu-schauer. Es kam in der Presse (und nicht nur dort) zu scharfen Auseinandersetzun-gen, man lobte und man warnte. Sollen das die Filme der Zukunft sein? Man sprach von ›Blutvergiftung des DEFA-Films›. Wir lernten: Unbehagen des Publi-kums kann die verschiedensten Ursachen haben.

Als wir in den Dreharbeiten standen, traf ich einen Jugendfreund wieder, den ich anderthalb Jahrzehnte nicht mehr gesehen hatte. Der Krieg hatte uns ausein-ander gebracht. Und nun erzählte er mir sein Leben als Lehrer und sprach über die Fragen, die vor ihm standen. Ich schrieb danach Die besten Jahre.Als der Film lief, acht Wochen vor dem 11. Plenum des ZK, war das Publikumsecho freundlich, aber einige Leiter sagten mir sehr deutlich, daß die Entwicklung des DEFA-Films nicht mit diesem, sondern mit anderen Filmen weitergehen würde.

Kein Kritiker und kein Leiter kann mit meinem Film so streng umgehen wie ich als Autor oder Regisseur. Ich vertrat immer die Meinung, die erste Hälfte des Films sei gut, weil richtiger Film, die zweite sei nicht gut, weil ich, von Proble-men der Pädagogik überrannt, nichts tat, als diese Probleme zu benennen, ohne eine wirkliche Handlung gefunden zu haben. Als der Film in einer Retrospektive vor Lehrern und Schülern 1985 gezeigt wurde, sagte ich dies vorweg als Ent-schuldigung.

Nachher sagten die mir, für sie sei es andersherum interessant gewesen. Der Anfang sei wie üblich, aber die zweite Hälfte benenne Probleme, die auch heute noch nicht gelöst sind. Einerseits freute mich diese Meinung, andererseits führe ich sie auf ein Mißverständnis zurück, das nach wie vor nicht ausgeräumt ist. Es kann nicht darum gehen, in einer Spielhandlung Themen zu benennen und abzu-handeln, die eigentlich in öffentlichen Rundtischgesprächen vor Fernsehkameras behandelt werden müßten. Das wäre effektiver und billiger.«

Mal sehen, wie es Ihnen heute mit dem Film ergeht, der nun Geschichte ist und nicht nur Filmgeschichte. Über seine Entstehung und die pädagogischen Probleme damals und aus heutiger Sicht wird Ihnen der kompetenteste Zeitzeuge und Mitar-beiter, Günther Rückers Freund Auskunft geben: Prof. Dr. Ernst Machacek.

Im Dokument Sozialistische Filmkunst (Seite 142-145)