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Der verlorene Engel

Im Dokument Sozialistische Filmkunst (Seite 151-158)

Mit unserer Veranstaltung erinnern wir an den Regisseur Ralf Kirsten, der im Januar vor zehn Jahren 67jährig verstarb. Und wir ehren schon heute Fred Düren, der noch in diesem Jahr 80 wird. Als 37jähriger spielte er den 67jährigen Barlach, und ich wage die Prophezeiung: Sie werden diese Gestalt und dieses Gesicht nicht wieder vergessen, auch dank der großartigen maskenbildnerischen Leistung des jungen Günter Hermstein, der schon lange nicht mehr lebt. Und sie erleben die Welt Bar-lachs, geführt vom Kameraauge des jungen Claus Neumann, im meisterlichen Sze-nenbild von Hans Poppe. Die von ihm für den Film nachgeschaffene Titel-Figur zeugt von der geistigen Verwandtschaft zweier großer bildender Künstler des vori-gen Jahrhunderts: Nicht von ungefähr gab Ernst Barlach seinem schwebenden En-gel Züge aus dem Antlitz der von ihm hoch verehrten Käthe Kollwitz.

Hier eine kurze Rückblende in die Werk- und Filmgeschichte:

Die kulturpolitische Keule des 11. Plenums vom Dezember 1965 traf zunächst elf Gegenwartsfilme, kaum daß Günter Stahnkes prophetischer Titel kurz zuvor noch in die Kinos gekommen war: Der Frühling braucht Zeit.Wie wahr. Doch mit dem historischen Sujet und der antifaschistischen Thematik des Barlach-Films glaubten wir uns im Studio zunächst noch auf der sicheren Seite. Ein fataler Irrtum.

Ralf Kirsten hatte sein Projekt nach Franz Fühmanns Erzählung Das schlimme Jahr oder Barlach in Güstrow1964/65 noch mit Chefdramaturg Klaus Wischne-wski in dessen Gruppe Heinrich Greifentwickelt und realisiert. Der Film war von der Gruppe und der neu installierten Studioleitung abgenommen. Die Staatliche Zulassung wurde am 18. Juli 1966 beantragt, also vier Wochen nach dem Kino-Skandal und Verbot von Spur der Steine.Inzwischen aber war Klaus Wischne-wski fristlos entlassen, die Gruppe aufgelöst, die Konrad Wolf 1959 gegründet hatte. Im Kulturministerium und seiner Hauptverwaltung Film waren nicht nur die Chefstühle neu besetzt. Mit Minister Hans Bentzien war auch sein Stellvertre-ter für das Filmwesen Dr. GünStellvertre-ter Witt abgelöst worden. »Politische Wachsam-keit« wurde zum alleinigen Kriterium für Kunsturteile und – Entscheidungen.

Ralf Kirsten kam mit seinem neuen Film Frau Venus und ihr Teufelin unsere Gruppe Babelsberg. Mitten in den Dreharbeiten zu dieser Komödie mit Manfred Krug und Inge Keller erreichte uns Ende September 1966 die schriftliche »Stel-lungnahme« der neu formierten Abteilung Filmproduktion der Hauptverwaltung, wonach der Film Der verlorene Engel»staatlich nicht abgenommen« sei.

Darin hieß es nun: »Die von der ehemaligen Künstlerischen Arbeitsgruppe Heinrich Greifgegebene Einschätzung (...) beurteilt sowohl die ideologische Aus-sage als auch die politische Wirksamkeit des Films falsch.« Dann folgten die schlimmsten Totschlagargumente: »keine klare Parteinahme«, »mystische Züge«,

»Züge der philosophischen Deutung etwa im Sinne des Existenzialismus«, »auf das Prinzip der Volkstümlichkeit (wurde) völlig verzichtet«.

Das erinnerte fatal an die überwunden geglaubte Formalismus-Diskussion der 50er Jahre und die vernichtende Kritik einer Barlach-Ausstellung der Akademie der Künste, Barlach sei mit seinen Skulpturen im »Sumpf des Mystizismus ver-sunken.«

Im Kern aber ging es jetzt um die befürchtete aktuelle Wirkung des Films ge-rade nach dem Scherbengericht, das die Partei eben veranstaltet hatte. So hieß es weiter: »Der Film klagt ganz allgemein den Gegensatz zwischen Kunst und Dik-tatur (Totalitarismus) an. Er kanndemzufolge auch als Anklage gegen die staatli-che Macht allgemein (also auch die sozialistisstaatli-che Staatsmacht) aufgefaßt werden.

(...) Die erzieherische Wirkung des Films ist negativ und zutiefst unsozialistisch.«

Eine Diskussion darüber mit den Schöpfern hatte es bis dahin weder in Berlin noch in Babelsberg gegeben, und sie war offensichtlich auch nicht vorgesehen, nicht einmal in der Parteiorganisation. Der neue Studiodirektor, zuletzt Sekretär für Agitation der SED-Bezirksleitung Halle, wußte sich zu helfen. Da gab es schließlich einen für Kirsten nun zuständigen Gruppenleiter – Dieter Wolf.

Und so erhielt ich den Auftrag, das nachzuholen. Der nächste drehfreie Tag wurde genutzt, um Regisseur, Kameramann, Szenenbildner, Produktionsleiter und zwei Vertreter der Dreh-Brigade über die Entscheidung zu informieren und um Verständnis für eine »staatliche Maßnahme« zu werben.

Eine Aktennotiz für den Künstlerischen Direktor Wito Eichel und den Studi-odirektor Franz Bruk hielt das kümmerliche Ergebnis fest, »daß außer dem Regis-seur keiner der Anwesenden die letzte Fassung des Films gesehen hatte (...) Die Beteiligten nahmen zu den aufgeworfenen inhaltlichen und politischen Fragen nicht oder nur beiläufig Stellung, da besonders der Vorwurf nicht verstanden wird, daß der Film den Widerspruch zwischen Kunst und Staat frei assoziierbar auch für unsere Verhältnisse behandelt.

Ralf Kirsten hatte mich vor der Zusammenkunft davon informiert, daß er in der Diskussion nicht Stellung nehmen werde, da er einerseits die gegen den Film vor-gebrachten Argumente nicht anerkennt und andererseits besonders vor parteilosen Kollegen nicht gegen die vorgenommene Einschätzung polemisieren wolle.«

Als Mitglied der Parteileitung – wie Ralf Kirsten auch – konnte ich mir solche Zurückhaltung schwerlich leisten. Ich suchte die Schwäche des Films darin, daß er sich zu wenig kritisch mit der Haltung Barlachs auseinandersetzt (seinem Rückzug in die »innere Emigration«) und auf einige soziale und politische Ak-zente aus der literarischen Vorlage verzichtete, die der Orientierung des Publi-kums gedient hätten, etwa im Verhältnis zwischen Barlach und einem Kutscher, der den kranken Mann ein Stück mitnimmt. Fühmann beschreibt eine Straßen-sezne vor 1933, die mir im Film zu fehlen schien. Da steht ein Rot-Front-Mann Barlach gegen pöbelnde und aggressive SA-Leute bei und rettet ihn aus unmittel-barer physischer Bedrängnis.

Kirstens Intention aber war eine ganze andere. Er hatte sich vorgenommen, Fühmanns Gedankenprosa in einen Film der Bilder und Stimmungen zu überset-zen, auf jede neuerliche Illustration bekannter sozialer und politischer Zustände zu verzichten. Der vereinsamte Barlach, schon immer von den Rechten geschmäht, von den Nazis als »jüdisch-russischer Bolschewik und Kulturschänder« denunziert und in der NS- Propaganda-Schau »Entartete Kunst« an den Pranger gestellt, nun auch noch von Armut bedroht, erfährt vom Raub seines Engels aus dem Güstrower Dom in einer Nacht-und Nebel-Aktion am 24. August 1937. Auf einem langen Gang durch seine Umgebung, seine Heimat, Deutschland, mit einem langen Blick in den geschändeten Dom gibt er sich Rechenschaft über sein Leben und sein Werk, will Abschied nehmen und verwirft schließlich den Gedanken an Suizid. Er will den Nazis solchen Triumph nicht lassen, ihr Geschäft auch noch selbst zu besorgen und kehrt in sein Atelier zurück. Er überlebt noch ein Jahr.

Ralf Kirsten hat das Barlach-Verbot von 1966 unter den für einen treuen Ge-nossen geradezu verleumderischen Vorwürfen tief verletzt. Die Stimmung im Stu-dio war nach der vorangegangenen Versammlungskampagne mit Kurt Hager, Klaus Gysi und Siegfried Wagner um die bereits vorher verbotenen Filme explo-siv aufgeladen. In den Arbeiterbereichen, etwa Bühne und Beleuchtung, und der Verwaltung grassierte die Angst um den Verlust der Jahresendprämie. Einbußen gab es bereits durch verlorene Überstunden und Spesen bei mehreren abgebroche-nen Produktioabgebroche-nen. Im Studio suchte Volkes Stimme die Verantwortung für dieses Debakel erst einmal bei den gescholtenen, hoch bezahlten Filmemachern.

Die von uns geforderte Vorführung und Diskussion des Barlach-Films »in einem größeren Kreis« kam nicht zustande, doch hinter den Kulissen war man um Schadensbegrenzung bemüht.

Konrad Wolf, vor dem Plenum und der folgenden Parteistrafe zum Präsidenten der Akademie der Künste gewählt, weilte zur Vorbereitung einer Barlach-Ausstel-lung in Moskau und machte dort auf den DEFA-Film aufmerksam. Die offizielle Anfrage des berühmten Bildkünstlers Nikolai Tomski, korrespondierendes Mit-glied der DDR-Akademie, traf in der HV Film auf die neu berufene Leiterin der Hauptabteilung Künstlerische Produktion Wera Küchenmeister. Sie gab eine Be-arbeitung des Films durch die Szenaristen Manfred Freitag und Jochen Nestler und die Schnittmeisterin Evelyn Carow frei, die vom Regisseur mehr toleriert als beraten wurde.

Die stark eingekürzte, ein wenig nachsynchronisierte Fassung kam im April 1971 im Filmtheater Colosseum in der Schönhauser Allee zur Aufführung, vom Neuen Deutschlandgeflissentlich übersehen. Danach stand der kaum populari-sierte Film auf Anforderung von Filmklubs und für den Einsatz in Filmkunstthea-tern zur Verfügung – breite Wirkung vorsorglich ausgeschlossen, sie wäre aber auch im großen Kino sehr unwahrscheinlich gewesen.

Ein Vergleich der heute verfügbaren Fassung mit der ursprünglichen Intention und Realsierung war und ist schon aus technischen Gründen nicht mehr möglich.

Die Aufführung des Films war auch als Signal gedacht, daß sich die neueLeitung nicht der altenMethoden und Schlagworte bedienen und ein konstruktiveres Ver-hältnis zu den Künstlern wieder herstellen wollte. Doch es ging auch um eine Planposition, die erheblichen Produktionskosten nämlich vor der endgültigen Ausbuchung als Verlust zu retten.

Ich wünsche Ihnen eine interessante Neu- oder Wiederbegegnung mit einem sehr unorthodoxen Künstlerfilm der DEFA, wie ihn nur Ralf Kirsten drehen konnte. Ihn hat die Liebe zur Bildenden Kunst zwei Jahrzehnte später zu seinem letzten DEFA-Film geführt: Käthe Kollwitz – Bilder eines Lebens.

Der verlorene Engel

nach der Novelle von Franz Fühmann »Das schlimme Jahr«

Produktionsland DDR (1971) Premierendatum 22. April 1971

Produzent DEFA-Studio für Spielfilme, Potsdam-Babelsberg Verleih PROGRESS Film-Verleih

Regie Ralf Kirsten

Regie-Assistenz: Ree von Dahlen, Rainer Simon Drehbuch Ralf Kirsten

Drehbuchmitarbeit: Jochen Nestler, Manfred Freitag Dramaturgie Klaus Wischnewski

Kamera Claus Neumann

Kamera-Assistenz: Richard Günther, Peter Dierichs Standfotos: Herbert Kroiss

Bauten Hans Poppe

Bauausführung: Jochen Keller Kostüme Elli-Charlotte Löffler

Maske Günter Hermstein, Ursula Funk

Schnitt Hildegard Conrad (?) oder Evelyn Carow, Ursula Zweig (?)

Ton Günther Witt

Mischung: Georg Gutschmidt Musik André Asriel

Produktionsleitung Werner Liebscher Aufnahmeleitung Heinz Bullerjahn

Darstellende Ernst Barlach: Fred Düren Frau Barlach: Erika Pelikowsky Dr. phil. Adam Kuckhoff: Horst Schulze Kutscher: Erik S. Klein

Taxifahrer: Walter Lendrich

Alte Frau: Agnes Kraus, Braut: Heidemarie Wenzel Bräutigam: Frank Schenk, Mädchen: Carola Schirmer Freund des Mädchens: Berko Acker

Pfarrer: Gerd Alverdes, Kantor: Theodor Klubsch Organistin: Christa Michaelsen, Hirte: Karl Paustian Junge von Barlach: Uwe Leonhardt

Trommlerjunge: Gerd Unger 1. SA-Mann: Gerhard Hubert 2. SA-Mann: Gerd Jurgons Zum Inhalt

Im Film wird ein Tag im Leben Ernst Barlachs, der 24. August 1937 beschrieben, ein Tag der Selbstverständigung, kritischer Selbstanalyse. In der Nacht vorher raubten Unbe-kannte aus dem Dom zu Güstrow eine der ausdrucksstärksten Kunstschöpfungen Barlachs, den »Schwebenden Engel«, der seit jener Nacht verschwunden bleibt.

»Wissen meine Figuren mehr als ich?« fragt Barlach in einer Szene des Films. Man hatte ihn zum freiwilligen Austritt aus der Akademie der Künste gedrängt und selbst seine Ehren-male für die Opfer des Weltkrieges beschlagnahmt oder vernichtet. Vereinsamt und isoliert steht dieser große Künstler vor dem Ende seiner Tage, ahnend, daß seine künstlerische Heimat links war.

Der Regisseur Ralf Kirsten

Ralf Kirsten, geboren am 30. Mai 1930 in Leipzig, war der Sohn eines Volksschul-lehrers. Nach dem Abitur absolvierte er 1948 bis 1950 eine Lehre als Elektro-Installateur bei der Energieversorgung-Ost in Leipzig-Markkleeberg, wo er die FDJ-Grundorganisation gründet.

Anschließend beginnt er ein Studium der Germanistik und Theaterwissen-schaft an der Humboldt-Universität in Berlin, wechselt 1951 an das Theaterinsti-tut in Weimar und wird 1952 nach Prag an die Filmhochschule FAMU delegiert, wo er ein Regie-Studium absolviert. 1956 wird seine DEFA-Produktion Bären-burger Schnurreals Diplomfilm angenommen. Nach seinem Kinderfilm Ski-meister von morgenerhält er von der DEFA nicht sofort einen neuen Vertrag und geht ein Jahr auf Honorarbasis zum Fernsehen, »das gerade aufgebaut wurde, um

da unterschiedliche Gattungen und Genres kennenzulernen, um mich auch auf dem Gebiet des Dokumentarischen zu üben« (Kirsten, 1986). Er arbeitet dort im Jugendfernsehen und im Bereich »Dramatische Kunst«.

1958 holt ihn Slatan Dudow als 1. Regie-Assistenten für Verwirrung der Liebe zur DEFA zurück. Kirsten assistiert außerdem Carl Balhaus und ist 1960 Co-Regis-seur von Wanda Jakubowska bei der polnischen Co-Produktion Begegnung im Zwielicht. Seit 1960 ist er als Regisseur am DEFA-Studio für Spielfilme angestellt.

In Steinzeitballade, den er als seinen »ersten ernsthaften Filmversuch« be-zeichnet, versucht er, an Brecht orientierte Stilelemente wie kommentierende Songs auf der Leinwand anzuwenden. Er erzählt, nach dem Roman Anna Lubitzke von Ludwig Turek, die Geschichte einer Gruppe von Trümmerfrauen, die sich so-lidarisch gegen ihren Chef durchsetzen. Der Film wird als ungewöhnliches Expe-riment anerkannt, stößt wegen seiner kühlen Stilisierung aber auf Ablehnung.

Ein großer Publikumserfolg wird 1961 Auf der Sonnenseite, den Kirsten eben-falls mit Heinz Kahlau als Autor erarbeitet. Der Film – mit komischen und musi-kalischen Episoden aufgelockert – schildert den Aufstieg eines Stahlarbeiters zum Schauspieler. Er orientiert sich frei an der Biographie des Hauptdarstellers Man-fred Krug, den Kirsten in den nächsten Jahren in fast allen seinen Filmen einsetzt.

Bei dem historischen Abenteuerfilm Mir nach Canaillen!(in Totalvision und Farbe) sowie 1966/67 in Frau Venus und ihr Teufel, einer Liebes-/Minne-Ge-schichte in Gegenwart und Mittelalter, dient er seinem Star als Regisseur für maß-geschneiderte Kino-Unterhaltung.

Beschreibung eines Sommersist 1962 Kirstens erster Film, der sich mit Proble-men des Alltags in der DDR auseinandersetzt. Nach dem Roman von Karl-Heinz Ja-kobs geht es, erstmals nach den eher prüden 50er Jahren, offen um Liebesbeziehun-gen zwischen einer junLiebesbeziehun-gen Ehefrau und Genossin (Christel Bodenstein) und einem im Beruf anerkannten Ingenieur (Krug), dessen Privatleben jedoch mit der herr-schenden »sozialistischen Moral« kollidiert. Die Alltags-Thematik greift Kirsten 1969 mit Netzwerkwieder auf, zu dem er mit Eberhard Panitz das Buch schreibt. Eng an die damals aktuelle gesellschaftspolitische Diskussion um die »wissenschaftlich-technische Revolution« und die Einführung der Kybernetik gebunden, geht es um die Probleme eines erfahrenen älteren Meisters (Fred Düren) bei der Einführung neuer Produktionsmethoden in seinem Chemiewerk. Wiederum nach einer Erzählung von Karl-Heinz Jakobs entsteht 1974/75 Eine Pyramide für mich. Anhand der Figur des arrivierten Wissenschaftlers Paul Satie (Justus Fritzsche), der sich an seine Zeit als Aktivist in der Gründerzeit der DDR erinnert, werden Probleme der Aufbau-Genera-tion reflektiert. »Saties Auseinandersetzung mit sich und unsere mit ihm ist gerade deshalb produktiv, weil seine Handlungen untersucht und befragt, nicht aber in Frage gestellt werden. Der Prozeß wird an uns delegiert, von uns weitergeführt.« (Klaus Wischnewski, Film und Fernsehen, Nr. 1, 1976).

Dazwischen liegt – fünf Jahre Entstehungszeit umspannend – Kirstens viel-leicht bedeutendster Film. 1965/66 beginnt er mit den Dreharbeiten zum

Barlach-Film Der verlorene Engel, nach der Novelle Das schlimme Jahrvon Franz Füh-mann. Der Film kommt in Folge der Diskussionen nach dem 11. Plenum der SED nicht heraus und kann erst nach einer zweiten Drehphase 1970 fertiggestellt wer-den. Das Abhängen seines Bronzeengels im Dom von Güstrow 1937 durch die Nazis veranlaßt Ernst Barlach (Fred Düren), über seine Arbeit und seine politi-sche Haltung zu reflektieren.

Nach dem zweiteiligen TV-Film Zwei Briefe an Pospischiel, nach dem Roman von Max von der Grün, adaptiert er gemeinsam mit Brigitte Kirsten mit wenig Er-folg E. T. A. Hoffmanns Die Elixiere des Teufelsund Theodor Fontanes Unterm Birnbaum.

In Ich zwing dich zu leben, nach der Erzählung Gambitvon Karl Sewart, greift Kirsten auf die Erfahrungen seiner Generation mit der Nazi-Zeit zurück. »Die Ge-schichte des Films ist gegen Ende des Zweiten Weltkrieges angesiedelt. Irgendwo in einem Erzgebirgsdorf versucht ein schließlich von den Nazis entsetzter Lehrer seinen 15jährigen Sohn daran zu hindern, in letzter Sekunde zum ›Heldentod‹

verurteilt zu werden. Dabei muß er feststellen, daß der eigene Sohn nach wie vor die jahrelang vom Vater mitvermittelte Nazi-Ideologie voll akzeptiert und nun sei-nen ganzen Haß auf diesen ›Vaterlandsverräter‹ von Vater lenkt. Der Sohn hat das Mensch-Sein nie gelernt.« (Kirsten zu Sobe, 1978).

Lachtauben weinen nicht, nach dem Bühnenstück Lachtaubevon Helmut Bai-erl, ist der Versuch, ein Thema aus dem bei der DEFA zu dem Zeitpunkt wenig be-handelten Produktionsmilieu aufzugreifen, wobei das Problem der Mitsprache der Arbeiter bei der Umgestaltung und Modernisierung ihres Arbeitsplatzes im Mit-telpunkt steht. Kirstens Plan, Max Walter Schulz’ Erzählung Die Fliegerin oder Die Aufhebung einer stummen Legendezu verfilmen, scheitert 1982. Dafür dreht er mit großem Aufwand die historische Lektion Wo andere schweigenüber zehn Tage im Leben der Kommunistin Clara Zetkin, die mit 75 Jahren, schwer krank, aus einem Moskauer Sanatorium nach Berlin fährt, um 1932 mit einer Rede als Alterpräsidentin des Reichstags zum Widerstand gegen den drohenden Faschis-mus aufzurufen.

Mit Käthe Kollwitz – Bilder eines Lebensversucht Kirsten an seinen Barlach-Film anzuknüpfen. Episoden aus dreißig Jahren werden strukturiert durch Szenen, in denen die Hauptdarstellerin Jutta Wachowiak über ihre Annäherung an Rolle und Person der Malerin reflektiert.

Ralf Kirsten, der auch als Regie-Dozent an der Hochschule für Film und Fern-sehen lehrte, starb am 23. Januar 1998 in Berlin.

nach: CineGraph – Lexikon zum deutschsprachigen Film, 1984, München.

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