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Klarer Himmel

Im Dokument Sozialistische Filmkunst (Seite 173-177)

Als im vorigen Jahr des »Kinos der Wünsche« wochenlange Bemühungen ver-geblich waren, eine deutschsprachige Version des Films aufzuspüren, konnte man schon an eine späte Rache Walter Ulbrichts glauben. »Wozu«, so fragte er 1961 seinen Chefdolmetscher Werner Eberlein, »müssen wir hier das Schicksal sowje-tischer Kriegsgefangener in der Sowjetunion zeigen?« Der war als Sekretär einer eigens bestellten Parteikommission zum Ankauf neuer sowjetischer Filme nach Moskau geschickt worden und hatte unter anderen Titeln Klarer Himmelund Der Vorsitzendeausgewählt. Mit kritischen Aspekten des realen Sozialismus, sei es beim »Großen Bruder« oder zu Hause, hatte unsere Parteiführung zu allen Zeiten ihre Schwierigkeiten. Doch dazu später mehr.

Mitte der 50er Jahre trat eine neue Generation sowjetischer Filmschaffender auf den Plan, allesamt Absolventen des Moskauer Allunionsinstituts für Kinemato-graphie (WGIK). Aus der Meisterklasse von Sergej Jutkewitsch und Michail Romm kamen auch Grigori Tschuchrai und Konrad Wolf.

Regisseur Grigori Tschuchrai gehörte schon bald zu den erfolgreichsten. Schon mit seinem Debüt erregte er internationale Aufmerksamkeit. Der letzte Schuß/

Der Einundvierzigsteerhielt auf den Filmfestspielen in Cannes 1956 einen Son-derpreis für das Szenarium. Mitten im Kalten Krieg war das eine erstaunliche Würdigung für die künstlerische Gestaltung eines heiklen Themas. Es geht um eine Liebe mitten im unerbittlichen Bürgerkrieg zwischen Roten und Weißen, die auf tragische Weise tödlich endet.

Auf ganz neue Art erzählte Tschuchrai 1959 im Film Ballade vom Soldaten von einem Menschenschicksal im Großen Vaterländischen Krieg. Es ist die Ge-schichte des blutjungen Soldaten Aljoscha, der an der Front in panischer Angst davonläuft und im letzten Augenblick zwei feindliche Panzer abschießt, ein Akt eher der Notwehr und Verzweiflung denn aus sattsam bekanntem Heldenmut. Mit dem Verzicht auf das übliche Pathos und den vielfach strapazierten Heroismus wurde das Werk zum Beispiel einer sehr anderen Art von Kriegsfilm überhaupt.

Nur so erklären sich seine starke internationale Wirkung und seine unglaubliche Resonanz in der Sowjetunion. Der Film erhielt die höchste staatliche Auszeich-nung, den Lenin-Preis.

1961 also folgte Klarer Himmel.Nun endlich ein Gegenwartsfilm. Und das mit dem bis dahin streng tabuisierten Problem des unmenschlichen Umgangs mit Op-fern des Krieges, jenen Sowjetsoldaten, die massenhaft in die gefürchtete deut-sche Gefangenschaft gerieten. Wer die glücklich überlebte, fand sich meist im

»Gulag« oder in der Verbannung wieder.

Erzählt wird das am Schicksal eines Fliegers, Alexej Astachow, gespielt von Jewgeni Urbanski. Der mutige und ausgezeichnete Pilot wird schwer verwundet,

gerät so in Gefangenschaft und nach seiner Rückkehr allein deshalb in Mißkredit.

Verachtung und Mißtrauen seiner Umgebung stürzen ihn nun erst richtig ins Un-glück. Er wird arbeitslos, verfällt dem Trunk, steht vor dem Freitod. Allein seine Frau Sascha hält zu ihm, weil sie unbeirrt an Gerechtigkeit glaubt, die wenigstens im Film siegt: Astachow wird »Held der Sowjetunion« und darf wieder fliegen:

am Klaren Himmel.Das vorweggenommene Happy-End erlaubte dem Zuschauer, die Tragödie des Mannes in der Gewißheit einer wenigstens wünschenswerten, wenn schon nicht üblichen Konfliktlösung zu erleben.

Das war die bis dahin schärfste Abrechnung mit Stalins Politik. Er hatte von seinen Soldaten eher den Selbsttod als die Gefangennahme gefordert und war per-sönlich verantwortlich für die Massenrepressalien nach dem Krieg. Der Diktator wohnt im kleinen Funktionärszimmer als überlebensgroße Gipsfigur den Ver-hören bei.

Die Schneeschmelze symbolisiert nach Stalins Tod in Anlehnung an Ilja Ehren-burgs Roman Tauwetterdas Ende der stalinistischen Eiszeit. Das war zugleich eine Reverenz an die frühe sowjetische Filmkunst und ihre an Metaphern reiche Bildsprache, wie sie Pudowkin in seiner Gorki-Verfilmung Die Muttermit dem Wetterleuchten der Solidarität praktiziert hatte. Analogien zur Natur wurden nicht nur als Montageprinzip genutzt, sondern auch, um die Selbstfindung des Helden ins Bild zu bringen. Die zeitgenössische Kritik entdeckte allerdings in dieser außergewöhnlichen Filmgestalt auch vordergründige Symbolismen und überflüs-sige Rückblenden.

Die befreiende gesellschaftliche Wirkung des Films in der Sowjetunion hat ein Zeitzeuge dokumentiert. Hilmar Hoffmann, bekannter progressiver Kulturpoliti-ker und FilmkritiKulturpoliti-ker von Rang, erlebte die Moskauer Uraufführung.

»Als im Flüsterton der Satz ›Stalin ist tot‹ von der Leinwand kommt, antwor-ten in der sicheren Anonymität der Dunkelheit sechstausend Zuschauer mit frene-tischem Beifall. Ich habe nie wieder ein derart emotionalisiertes Kinopublikum erlebt wie damals im Rossija.«

Der Hauptpreis des Moskauer Filmfestivals ging danach zu gleichen Teilen an Klarer Himmelund den japanischen Beitrag Die nackte Inselvon Kaneto Shindo.

Offenbar befürchteten die politischen Tugendwächter in Berlin auch hierzu-lande eine ähnlich ansteckende Euphorie des Anti-Stalinismus. Ulbrichts Verdikt muß sich schnell herumgesprochen haben oder wurde »durchgestellt«, wie es da-mals hieß. Jedenfalls war an der Basis bald klar, daß kein Klarer Himmel auf un-seren sauberen Leinwänden leuchten sollte.

Mein DEFA-Kollege Walter Ruge, Polit-Emigrant in Moskau, zehn Jahre im Gulag mit anschließender Verbannung bis 1953, erlebte den Film als regelmäßi-ger Gast im sowjetischen Haus der Offiziere in Potsdam.

Er mahnte in einem Brief an das Zentralkomitee eine rasche DDR-Veröffentli-chung an und wurde daraufhin zu einer eineinhalbstündigen, freilich erfolglosen Belehrung in die Kulturabteilung des »Großen Hauses« bestellt.

Vielleicht hatte Konrad Wolfs Wort mehr Gewicht. Der Vorsitzende der Ge-werkschaft Kunst berichtete im September 1961 in der geGe-werkschaftseigenen Zei-tung Tribüneüber das Moskauer Festival, von dem er mit einer Goldmedaille für seinen Film Professor Mamlockzurückgekehrt war. Diplomatisch umschrieb er das wichtige Thema und hob die künstlerische Bedeutung des Tchuchrai-Films hervor. Die Erwähnung der »starken Resonanz beim sowjetischen und internatio-nalen Publikum« verband er mit der mutigen Mahnung, »der Film wird bei uns – so hoffe ich – bald zu sehen sein.« Und so war es dann auch.

Im gleichen Interview sprach Wolf vom Zeitverzug, in den unsere eigene Film-produktion künstlerisch geraten war, gemessen an der internationalen und auch sowjetischen Entwicklung. »Die Moskauer Filmfestspiele haben gezeigt, daß die Gestaltungsmöglichkeiten, die Formelemente des Films gewaltig sind, daß ihnen praktisch keine Grenzen gesetzt sind.« Das war nach den Formalismus-Warnun-gen der Filmkonferenz von 1958 eine mutige These.

Wolfs nächster Film, Der geteilte Himmel, widerspiegelte – nicht nur im pro-vozierend gewählten Titel – deutlich den künstlerischen Einfluß dieser internatio-nalen Entwicklungstendenzen in der Erneuerung der Filmsprache: die Verflech-tung verschiedener Zeitebenen in der Montage, eine nicht-naturalistische Bildgestaltung durch die Szenographie und Kameraführung auch zur Darstellung der inneren Welt der Helden. Auch Frank Beyers formbewußter Film aus dieser Zeit, Königskinder, reflektiert diese formale Innovation.

Konrad Wolf hielt auch später engen Kontakt zu seinen sowjetischen Studien-und Regie-Kollegen. Mit Grigori Tschuchrai beriet er sich über die Besetzung des Goya-Films. Sein Mitstudent Waldimir Bassow drehte während seiner eigenen Arbeit am Film Schlacht unterwegsdie Probeaufnahmen mit den empfohlenen russischen Kandidaten. Zu Tschuchrais Schauspielentdeckungen und -empfehlun-gen gehörten auch Galina Polskich (als junge Soldatin Regulirowtschiza) in der Bernau-Episode von Ich war neunzehnoder Shanna Bolotowa, die Günter Reisch im Film Unterwegs zu Leninbesetzte.

Grigori Tschuchrai wurde ähnlich wie die sowjetischen Altmeister der Frühzeit zu einem wichtigen Impulsgeber für die nächst jüngere Regie-Generation, sei es durch seine Arbeiten oder als Leiter einer »Künstlerischen Experimentalgruppe«

im Studio Mosfilm.

Klarer Himmel

Produktionsland UdSSR, 1961 Premierendaten Juli 1961

Produzent Mosfilm, UdSSR, Moskau Verleih PROGRESS Film-Verleih

Regie Grigori Tschuchrai Drehbuch Daniil Chrabrowizki

Kamera Sergei Polujanow Schnitt Marija Timofejowa

Musik Michail Siw

Darstellende Sascha Lwowa: Nina Drobyschewa (deutsche Synchronstimme) (Doris Abesser)

Alexej Astachow: Jewgeni Urbanski (Eberhard Mellies)

Ljussja: N. Kusmina (Barbara Adolph) Petja: W. Konjajew (Klaus Urban) Mitja: G. Kulikow (Wolfgang Thal)

Nikolai Awdejewitsch: G. Georgiu (Wolf Kaiser)

Sergei: Oleg Tabakow (Klaus Reusse) Zum Inhalt

Held des Films ist der sowjetische Fliegeroffizier Alexej Astachow, der während des Krie-ges im Luftkampf abKrie-geschossen wird. Die Rote Armee erhebt den vermeintlich Gefallenen zum »Helden der Sowjetunion«. In Wirklichkeit ist Astachow schwer verwundet in faschi-stische Gefangenschaft geraten. Als er 1945, ausgezehrt und mit vernarbtem Gesicht, in die Sowjetunion zurückkehrt, werden seine Hoffnungen grausam enttäuscht. Er gerät in den schweren Verdacht, dem nach dem Sieg viele der aus der Gefangenschaft Befreiten ausgesetzt waren. Nach Verzweiflung, Alkoholismus und nachdem er den Kampf gegen Ver-dächtigungen und um Anerkennung seiner Leistungen über- und bestanden hatte, konnte er wieder fliegen – als Testpilot. All die Jahre stand seine Frau Sascha zu ihm.

Im Dokument Sozialistische Filmkunst (Seite 173-177)