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3.2 Dynamisch ikonische Repräsentationen

3.2.1 Vorteile dynamisch ikonischer Darstellungen

Dynamisch ikonische Repräsentationen haben viele Vorteile, die über die Dekoration der Darstel-lung, die Motivierung der Schüler und die Steuerung der Aufmerksamkeit durch die Bewegung hin-ausreichen. Für Schüler ist es nämlich nicht leicht, aus Versuchen neue Sachverhalte zu erschließen und Zusammenhänge zu erkennen, insbesondere wenn in quantitativen Versuchen Messdaten mit zu interpretieren sind. So kommt es manchmal sogar vor, dass die Schüler entgegen den tatsächlichen Gegebenheiten das sehen bzw. annehmen, was sie aufgrund ihrer Alltagsvorstellungen erwarten (Duit, 1992, S. 283). Daher ist es wichtig, die Versuchsdaten so aufzubereiten, dass im Kurzzeitge-dächtnis genügend Ressourcen zur Verfügung stehen (kein cognitive overload), Versuchsaussagen im Zusammenhang mit anderen Sachverhalten zu analysieren und sie dann zueinander in Beziehung zu setzen.

Häufig werden funktionale Abhängigkeiten physikalischer Größen durch Graphen wiedergegeben.

Dies ist aber nur ein effizientes Vorgehen für diejenigen, die bereits über angemessene physikali-sche Konzepte verfügen und außerdem Erfahrungen haben, mit Graphen umzugehen, Graphen also sicher lesen können. Denn hier kommen auf Schüler zwei Schwierigkeiten gleichzeitig zu: Die Aus-sagen des oder sogar der Graphen müssen erfasst, zueinander in Beziehung gesetzt, interpretiert und zweitens mit den vorhandenen Vorstellungen in Beziehung gebracht werden (Heuer, 1993b, S.

369), was für Nicht-Experten schwierig ist. Deshalb haben Schüler Schwierigkeiten, Liniengraphen zu verstehen und mit ihnen zu arbeiten (Berg, Smith, 1994; Heuer, Wilhelm, 1997).

Eine leichter zu erfassende, weniger abstrakte Darstellung der relevanten Größen ist deshalb wün-schenswert. „Eine Codierung von Aussagen in ein bildhaft orientiertes Notationssystem schlägt Brücken zu bestehenden Vorstellungen. Dadurch und durch die Visualisierung wird eine Hilfe für ein späteres Erinnern erleichtert“ (Heuer, 1993b, S. 369). Solche piktogrammartige Darstellungen einer Versuchssituation finden sich in vielen Schulbüchern. Ihr häufiges Vorkommen zeigt offen-sichtlich, dass sich Aussagen mit ihnen prägnant verdeutlichen lassen. Sie haben aber einen prinzi-piellen Nachteil: Es handelt sich stets um statische Einzelbilder, die nur eine Momentansituation aufarbeiten und nicht einen Versuchsablauf (Wilhelm, Heuer, 2002b, S. 2). Mit einem Computer und geeigneter Software ist es jedoch möglich, solche physikalische Repräsentationen eines realen wie auch simulierten Versuchsablaufs dynamisch mit den zugehörigen zeitlichen Veränderungen am Bildschirm aufzuzeigen.

So ist es möglich, physikalische Größen zu veranschaulichen, die man sonst nicht direkt sehen oder wahrnehmen kann, wie z.B. Kräfte, Beschleunigungen, Spannungen oder Ladungen. Damit sind dynamisch ikonische Repräsentationen eine Hilfe zum Aufbau von qualitativen Vorstellungen. Be-sonders günstig ist, dass mehrere Größen (wie Ort, Geschwindigkeit, Beschleunigung und Kräfte) gleichzeitig darstellbar sind, was eine Hilfe für Erklärungen sein kann. Dazu werden die verschie-denen Größen nicht unberührt nebeneinander einzeln dargestellt, sondern in Beziehung zueinander gebracht. Dynamisch ikonische Darstellungen werden genutzt, um durch ihre Anordnung nicht nur

die Größe jeder einzelnen Größe darzustellen, sondern auch Zusammenhänge zwi-schen den Größen darzu-stellen und Gründe für de-ren Verhalten deutlich zu machen. So wird z.B. in Abb. 3.3 in Teil 1 und 3 deutlich, dass v_alt und dv zusammen das aktuelle v ergeben. Während dem Ablauf kann man in allen drei Repräsentationen der Abbildung 3.3 sehen, dass v kontinuierlich größer wird, während dv in etwa kon-stant bleibt. Durch die Art der Anordnung der Pfeile werden also physikalische

Strukturen mit sichtbar. Noch deutlicher ist das am Beispiel der Abb. 3.4 zu sehen, aus der nicht nur die augenblicklichen Größen beim Laden ei-nes Kondensators zu entnehmen sind. Es wird zusätzlich dargestellt, dass die Spannung Uc am Kondensator stets proportional zur (zunehmenden) Ladung Q (dargestellt durch die Säule) ist. Außer-dem wird deutlich, dass die Stromstärke Ic von der Differenz der Betriebsspannung Ub und der Kon-densatorspannung Uc abhängt. Durch diesen Strom Ic wird eine Ladung Q auf dem

Kondensa-tor transportiert und eine zu Q proportionale Gegenspannung Uc aufgebaut. Je größer die Ladung Q bzw. die Spannung Uc wird, desto kleiner wird der Strom Ic und desto langsamer wächst die La-dung Q weiter. Die mitangezeigte Ladung Q ist hier also der Schlüssel zum Verständnis. In den beiden Beispielen (Abb. 3.3. und Abb. 3.4) wird also durch die Anordnung auch etwas über Struk-turen ausgesagt. In diesem Sinn werden nicht nur Oberflächenmerkmale, wie Schnelligkeit oder Spannung (als Ausschlag am Voltmeter) sondern Tiefenstrukturen, Relationen zwischen Begriffen, dargestellt. Physikalische Strukturzusammenhänge sind damit unter Anleitung des Lehrers unmit-telbarer und leichter erschließbar (Heuer, 1993d, S. 371), denn wichtige Größen und Aussagen sind durch die gewählte Kodierung ohne lange logische Implikationen direkt erfassbar.

Abb. 3.4: Dynamisch ikonische Repräsentation mit Strukturaussagen zur Darstellung einer Kondensatoraufladung

Abb. 3.3: Bildschirmkopie mit drei verschiedenen dynamisch ikonische Repräsentationen zu einem Versuch aus der eindimensionalen Kinematik mit Strukturaussagen (die drei bewegten Darstellungen können einzeln dazugeschaltet werden).

Ein weiterer Vorteil ist es, wenn diese Darstellung gleichzeitig mit dem realen Versuch ablaufen kann, sozusagen „in Echtzeit“, also nicht erst etliche Zeit später. Während des Ablaufs des Realver-suchs kann nun der Versuch mit der dynamischen Repräsentation auf dem Bildschirm verglichen werden und die Übereinstimmungen gesehen werden.

Günstig ist es, wenn ikonische Bildelemente für die relevanten physikalischen Größen so dargestellt werden, dass sie dynamisch mit einer Animation mitlaufen, um stets den Kontext mit zu sehen. Eine auf das Wesentliche reduzierte Animation des Versuchsablaufs, die gleichzeitig auf dem Bildschirm mit dargestellt wird, unterstützt das episodische Gedächtnis und erleichtert damit das Erinnern und eine spätere Interpretation eines Versuchsablaufs. Dies ermöglicht erst eine erfolgreiche Diskussion darüber.

Ein entscheidender Vorteil ist außerdem, wenn die Messwerte im Computer gespeichert sind und man deshalb diese dynamische Repräsentation auch ohne Realversuch erneut ablaufen lassen kann.

Für die Schüler bleibt hierbei die dynamisch ikonische Repräsentation durch die gleichzeitig ablau-fende Animation immer mit dem Geschehen des realen Versuchsablaufes verbunden. Einzelne Pha-sen des Ablaufs können so einem bestimmten Abschnitt des Versuchs zugeordnet werden. Die Ge-fahr ist wie gesagt stets, dass die Schüler die entscheidenden Dinge nicht sehen. Deshalb ist es von Vorteil, den Ablauf - nachdem die Aufmerksamkeit vom Lehrer auf ganz bestimmte Dinge gelenkt wurde oder nachdem in der Diskussion in der Klasse ganz bestimmte Fragen gestellt wurden - wie-derholen zu können.

Außerdem ist es hilfreich, wenn man die Repräsentation langsamer, also in Zeitlupe ablaufen lassen kann, wobei die Reproduktionsgeschwindigkeit selbst gewählt werden kann. Damit ist es möglich, auch bei in Realität schnell ablaufenden Vorgängen in aller Ruhe die ikonischen Repräsentationen für die relevanten Größen zu beobachten. Sinnvoll für den Unterrichtseinsatz ist ferner, wenn zu beliebigen Zeitpunkten, z.B. bei entscheidenden Phasen, der Ablauf angehalten und diskutiert wer-den kann, um ihn anschließend ganz oder stückweise weiter laufen zu lassen.

In einer erweiterten Darstellung sollten zusätzlich zu diesen ikonischen Bildelementen Graphen mit angezeigt werden. Denn ihnen sind wichtige Aussagen über das gesamte Verhalten des Ablaufs zu entnehmen. Die Fähigkeit, Graphen zu interpretieren, ist ein relevantes Lernziel des Physikunter-richts. Während mit ikonischen Bildelementen ein momentaner Querschnitt über alle relevanten physikalischen Größen gegeben wird, stellt ein Graph einen Längsschnitt einer Größe über den gan-zen Versuchsablauf dar (Heuer, Wilhelm, 2003, S. 106). Der synchrone Einsatz mehrerer verschie-dener Kodierungssysteme, wie z.B. Pfeile und Graphen, bietet nun dem Lernenden die Möglichkeit, kurzzeitig von einer noch ungewohnten, logisch abstrakten Kodierung auf eine gewohntere bildli-chere zu wechseln, um so mit den gewonnenen zusätzlichen Informationen Verständnisschwierig-keiten abzubauen. Hat man die Möglichkeit, physikalische Aussagen dynamisch ikonisch darzustel-len, ergeben sich damit neue Methodenkonzepte für den Unterricht, die zur Überwindung von Fehl-vorstellungen beitragen können.

So ist die prägnante Art der Darstellung der Messwerte bzw. der Größen, die sich aus Simulations-ergebnissen ergeben, auch ein wichtiger Kernpunkt dieses Unterrichtskonzeptes. Dabei werden vek-torielle Größen, um die es sich bei den physikalisch relevanten Größen meistens handelt, so kodiert,

dass sie auch sofort als vektorielle Größen erkennbar sind, nämlich indem sie als Pfeile dargestellt werden. Dabei gibt die Länge der Pfeile den Betrag der Größen an und die Richtung der Pfeile die Richtung der Größen. Diese Darstellung der Größen ist anschaulich und leicht verständlich. Damit sollen die Schüler von Anfang an mit dem vektoriellen Charakter der betrachteten Größen vertraut gemacht werden. Denn häufig werden vektorielle Größen von den Schülern auf ihre Beträge redu-ziert (z.B. Geschwindigkeit, Beschleunigung, Reibungskraft). Wird diese „Pfeildarstellung“ konse-quent eingesetzt, tritt ein Übungs- und Gewöhnungseffekt auf und der Richtungscharakter wird von den Schülern verinnerlicht. Vielleicht wurde diese Darstellungsform bisher nicht im Unterricht ein-gesetzt, da deren Benutzung beim Medium Tafel aufwändig ist.

Natürlich stellen dynamisch ikonische Repräsentationen auch neue Anforderungen an die Lernen-den. Die Darstellungen müssen ebenso gelesen und verstanden werLernen-den. Dabei muss die Aufmerk-samkeit teilweise auf verschiedene Stellen gleichzeitig gerichtet werden. Schließlich müssen auf-einander folgende Einzelbilder verarbeitet bzw. zuauf-einander in Beziehung gesetzt werden. In dem hier dargelegten Konzept (siehe Kapitel 5) wurde deshalb anfangs ausschließlich die eine Darstel-lung mit Vektorpfeilen verwendet, wobei deren Bedeutung und der Umgang mit ihnen sorgfältig eingeführt wurde und eine Vertrautheit damit geschaffen wurde. Auch später im Kurs wurde darauf geachtet, dass nicht zu viele verschiedene Repräsentationen gleichzeitig dargestellt werden. Weitere Probleme beim Einsatz von Animationen fassen GIRWIDZ ET AL. (2004) zusammen.