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Wenn ein neues Unterrichtskonzept umgesetzt werden soll, dann ist es auch wichtig, welche Vor-stellungen Lehrer bisher haben. Interessant sind deren VorVor-stellungen über Lehren und Lernen phy-sikalischer Inhalte, ihre Vorstellungen, wie guter Physikunterricht aussieht, aber auch evtl. fachlich inkorrekte Vorstellungen. Speziell wäre interessant, wie Lehrer mit Fehlvorstellungen der Schüler umgehen. Dies zu erforschen hätte den Rahmen dieser Arbeit gesprengt. Wie man Vorstellungen der Lehrer zum Lehren und Lernen in den Naturwissenschaften erfassen kann, legt FISCHLER dar (Fischler, 2001). Einen Überblick über verschiedene Studien zum Verhalten von Physiklehrern und deren didaktischen Grundeinstellungen gibt WILLER (2003, S. 423 – 453).

Nach FISCHLER (2000, S. 28) gibt es viele Untersuchungen zu den Vorstellungen von Lehrern über das Lehren und Lernen, bei denen kognitive Aspekte im Umfeld des Unterrichts im Vordergrund stehen („Teachers’ Thinking“, „subjektive Theorien“). Insgesamt ist eine Vielfalt von Forschungs-ansätzen zu finden. An fachbezogenen Ergebnissen ist festzustellen, dass die Kenntnisse von Leh-rern über die wissenschaftstheoretischen Grundlagen der Naturwissenschaften nur mangelhaft sind (Fischler, 2000, S. 29). Vorherrschend ist die Vorstellung, dass Erkenntnisfortschritt vor allem durch Experimentieren und induktives Schließen geschieht (siehe auch Kapitel 2.2.5). Aus Gesprä-chen und Erfahrungen bei Lehrerfortbildungen kann des Weiteren geschlossen werden, dass bei Lehrern bei den fachlichen Inhalten ebenso noch Fehlvorstellungen (in geringerem Maße wie bei den Schülern) vorhanden sind und neben der korrekten Sichtweise existieren, worauf hier nicht nä-her eingegangen wird.

2.3.1 Lehrervorstellungen über das Lernen

FISCHLER (2000, S. 29) erklärt zwar, dass Untersuchungsergebnisse zu Lehrervorstellungen zum Lernen kein einheitliches Bild ergeben, meint aber doch, dass die Tendenz erkennbar ist, dass tradi-tionelle Vorstellungen von der Aufnahme des Wissens bei Lehrern zahlreicher sind als konstrukti-vistische Sichtweisen. „In der Regel so scheint es, stehen Lehrer der […] passiven Sicht vom Ler-nen näher als der Sicht des LerLer-nens als aktiver Konstruktionsprozeß“ (Duit, 1993a, S. 7). Man fin-det also auch bei Lehrern ähnliche Vorstellungen über das Lernen wie bei Schülern: Lernen wird anscheinend als passive Übernahme von Wissen statt als aktiver Prozess angesehen (Willer, 2003, S. 312). Der Lehrer pflanzt demnach das Wissen in die leeren Köpfe. Lehrer meinen so z.T., sie könnten das Lernen der Schüler ganz direkt bestimmen, ohne zu sehen, dass Lernen ein Entwick-lungsprozess des kognitiven Systems in Wechselwirkung mit der Lernumwelt ist.

So findet man eine Vorstellung, die SCHENK ET AL. als wissenschaftslogisches Kompetenzerwer-bungsmodell bezeichnet haben (Schenk et al., 1982, S. 6, zitiert bei Niedderer, 1999, S. 49). Dem-nach lernt ein Lerner einen Begriff sofort, wenn er mit Bezeichnung, Definitionsgleichung und Di-mension eingeführt wird. Dabei überträgt er eine mathematische Operation formal auf eine physika-lische Relation, die er damit gleichzeitig versteht. So wird in dieser Vorstellung eine Theorie wäh-rend des Lernens vollständig verarbeitet und die geistige Struktur in Einklang mit der Theorie ge-bracht. Aber diese verbreitete Vorstellung, im Physikunterricht müsse nur alles ganz exakt definiert

und richtig experimentell demonstriert werden, dann verschwänden die Fehlvorstellungen von selbst, ist falsch (siehe Kapitel 2.1.2 bis 2.1.4).

Nach BAUMERT ET AL. (1997, S. 201 f.) glauben Naturwissenschaftslehrer in Deutschland (wie in den USA) außerdem an natürliche Begabungen für Naturwissenschaften, während in Japan die strengung eine höhere Bedeutung hat. In den USA führt diese Einstellung dazu, dass verstärkte An-strengungen beim Schüler und besondere helfende Bemühungen des Lehrers nicht als notwendig erachtet werden. Auch im Hinblick auf den Pygmalion-Effekt ist diese Einstellung kritisch zu se-hen.

2.3.2 Lehrereinschätzung des Mechanikunterrichts

Interessant ist, wie Lehrer ihren bisherigen Mechanikunterricht in der Jahrgangsstufe 11 sehen und wo aus ihrer Sicht Änderungsbedarf besteht. In diesem Zusammenhang ist eine Umfrage des ISB Bayern (Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung) interessant, die im Vorfeld der neu-en Lehrplanerstellung durchgeführt wurde und bei der 180 Physiklehrer an bayerischneu-en Gymnasineu-en schriftlich befragt wurden (veröffentlicht unter http://www.isb.bayern.de/gym/physik/ph-lp-bf.pdf).

Die Ergebnisse beziehen sich auf den bayerischen Lehrplan von 1992 für das neunjährige Gymna-sium. Dies ist insofern günstig, da das entwickelte Unterrichtskonzept vor allem mit bayerischen Lehrern im Rahmen dieses Lehrplans durchgeführt wurde.

Bei den Umfrageergebnissen fällt auf, dass insbesondere die elfte Jahrgangsstufe ein besonderes Problem darstellt. So wird in keiner anderen Jahrgangsstufe von so vielen Lehrern angegeben, dass das Anspruchsniveau zu hoch ist (13 % im naturwissenschaftlichen Zweig und 20 % in anderen Zweigen gegenüber durchschnittlich 4,7 % bei allen anderen Lehrplänen) (die exakten Zahlenwerte wurden auf Anfrage zur Verfügung gestellt). Dass der Lehrplan in der verfügbaren Zeit nicht zu erfüllen ist, wird am häufigsten für den nicht-naturwissenschaftlichen Zweig der neunten Jahrgang-stufe (27 % „nicht zu erfüllen“, 37 % „kaum zu erfüllen“; Physik nur hier einstündig) und für den nicht-naturwissenschaftlichen Zweig der elften Jahrgangstufe (19 % „nicht zu erfüllen“, 44 %

„kaum zu erfüllen“) genannt. Aber auch unabhängig von der Zeitproblematik wird die Realisierbar-keit bei keinem anderen Lehrplan seltener als „gut möglich“ bezeichnet als in dem nicht-naturwis-senschaftlichen Zweig der elften Jahrgangstufe (48 % gegenüber sonst durchschnittlich 71 %). Au-ßerdem wird in keiner anderen Jahrgangsstufe der Anteil der im Lehrplan ausgewiesenen Experi-mentierpraxis so häufig als „zu gering“ eingeschätzt (34 % bzw. 36 % aller Lehrer je nach Zweig im Gegensatz zu durchschnittlich 21,5 % in den anderen Jahrgangsstufen). Für die Umsetzung und Akzeptanz des hier erarbeiteten Gesamtkonzeptes für die Kinematik und Dynamik ist diese Unzu-friedenheit der Lehrer bzw. diese Schwachstelle des Lehrplans grundsätzlich eine positive Aus-gangslage und Herausforderung - insbesondere das Empfinden, dass das Anspruchsniveau bisher zu hoch ist und die Realisierbarkeit schlecht möglich ist, also beim bisherigen Vorgehen viele Schüler Probleme haben. Anderseits ist es ein Problem, dass bisher schon die verfügbare Zeit mit Recht als zu kurz bezeichnet wird.

Fragt man dagegen nach den einzelnen Lerninhalten in der elften Jahrgangsstufe, findet man den-noch vor allem Zustimmung zu den Inhalten (die Werte konnten nur ungefähr aus den Graphiken

abgelesen werden). Über 80 % der Lehrer sind für eine Erhaltung der Themen „newtonsche Gesetze und Anwendungen“ (83 %), „Erhaltungssätze“ (83 %), „Einfach krummlinige Bewegungen“ (80 %) und „Gravitation“ (80 %). Dagegen sind nur 71 % für eine Erhaltung des Themas „Einfache lineare Bewegungen“ und 19 % für eine Kürzung. Als Grund hierfür nennen Lehrer das viele quantitative Rechnen mit den Bewegungsfunktionen1 zu dem Spezialfall konstanter Beschleunigung. Ein Strei-chen, Ausweiten oder Verschieben wird dagegen kaum gewünscht. Die relative Unzufriedenheit mit den einfachen eindimensionalen Bewegungen ist eine gute Ausgangslage für das hier vorgestellte Unterrichtskonzept, bei dem die kinematischen Begriffe anhand zweidimensionaler Bewegungen eingeführt werden. Bedauerlich ist dagegen, dass die Lehrer mit der bisherigen kurzen Behandlung der krummlinigen Bewegungen zufrieden sind.

Interessant ist auch, was die Lehrer zu den von ihnen verwendeten Unterrichtsmethoden (unabhän-gig von der Jahrgangsstufe) angaben (die exakten Zahlenwerte wurden auf Anfrage zur Verfügung gestellt). „Oft“ werden demnach nur das fragend-entwickelnde Gespräch (90 % der Lehrer), der Lehrervortrag (45 %) und Schülerübungen (32 %) eingesetzt. Die TIMSS-Videostudie Mathematik hatte ebenso zu dem Ergebnis geführt, dass in Deutschland bei Lehrern offenbar ein einziges Skript vorherrscht, das durch einen eng geführten fragend-entwickelnden Unterricht gekennzeichnet ist (Baumert et al., 1997, S. 225 f.; Duit et al., 2001, S. 308). Die TIMS/III-Studie ergab ferner, dass aus Schülersicht der Physikunterricht der Oberstufe hauptsächlich Demonstrationsunterricht ist mit nur seltenen Schülerexperimenten (Baumert et al., 2000b, S. 295 f.). Allerdings gaben bei der baye-rischen Umfrage 48 % der Lehrer an, dass sie Lehrervorträge in Zukunft weniger häufig nutzen wollen; 27 % wollen das fragend-entwickelnde Gespräch häufiger und ebenso viele seltener einset-zen. Das passt zu einer bundesweiten Lehrerumfrage aus dem Jahr 1995, die ergab, dass der Fron-talunterricht und der Lehrervortrag zwar weit verbreitet, aber eher ungeliebt sind (Kanders et al., 1996, S. 94). Nur sehr wenige der bayerischen Physiklehrer setzen andere, eher reformpädagogische Unterrichtsmethoden „oft“ ein (7 % Unterrichtsprojekt, 5 % Stillarbeit, 5 % Schülerreferat, 5 % selbständiges Arbeiten, 4 % Partnerarbeit, 1 % Gruppenarbeit, 1 % Lernzirkel, 0 % Freiarbeit). Die meisten Lehrer gaben an, dass sie dies „selten“ oder „nie“ einsetzen (50 % bei Unterrichtsprojekt, 60 % Stillarbeit, 47 % Schülerreferat, 60 % selbständiges Arbeiten, 54 % Partnerarbeit, 64 % Grup-penarbeit, 91 % Lernzirkel, 91 % Freiarbeit). Da diese methodischen Prioritäten nur langsam verän-dert werden können, muss ein neues didaktisches Konzept so sein, dass es einerseits Lehrer mit ihren methodischen Prioritäten annehmen und umsetzen können, aber anderseits auch erste Schritte zu weiterer Methodenvielfalt anregt.

Der Computer, der an sich noch keine Unterrichtsmethode ist, wird nach dieser Befragung von 15%

der Lehrer „oft“, von 53 % „gelegentlich“, von 29 % „selten“ und von 4 % „nie“ eingesetzt. Wich-tig ist aber, dass 56 % ihn in Zukunft häufiger einsetzen wollen, was gute Voraussetzungen für Un-terrichtskonzepte sind, die den Computer benötigen.

1 Der nicht eindeutige Begriff „Bewegungsgleichung“ wird vermieden, da er sowohl für die Bewegungsdifferentialglei-chungen als auch für deren Lösung benutzt wird. Die Lösungen der BewegungsdifferentialgleiBewegungsdifferentialglei-chungen werden des-halb hier „Bewegungsfunktionen“ genannt.

Allerdings hat GRÖBER in einer Umfrage zur Physikmedienausstattung unter 57 der 117 staatlichen Gymnasien von Rheinland-Pfalz (49 %) (für Bayern liegen keine Daten vor) ermittelt, dass 26 % der Gymnasien keinen stationären PC in den Physikräumen haben und 60 % keinen stationären Beamer (Gröber, 2005, S. 33). 81 % der Schulen planen auch keine Anschaffung von Physiksoft- und –hardware (Gröber, 2005, S. 32). Das bedeutet, dass der Computereinsatz für den Lehrer an vielen Schulen mit einem hohen organisatorischen Aufwand für die Bereitstellung transportabler Geräte verbunden ist.

Bei einer weiteren Umfrage von GRÖBER (2005, S. 34) unter 293 der 796 Physiklehrer an rheinland-pfälzischen Gymnasien (37 %) gaben 69 % der Lehrer an, dass sie Simulationen im Unterricht ein-gesetzt haben (11 % durchgehend in mindestens einer Klasse), und 68 % die PC-Messung (17 % durchgehend in mindestens einer Klasse). 51 % setzten bereits IBEs ein, 41 % Modellbildung und 22 % die Videoanalyse. Dabei werden bei Simulationen, Modellbildung und Videoanalyse viele verschiedene Programme genutzt, während bei der Messwerterfassung fast nur Cassy verwendet wird, das 53 % der Lehrer bereits genutzt haben. Auch in dieser Umfrage zeigen die Lehrer Interes-se am Computereinsatz im Unterricht. Auf einer vierstufigen Skala geben 82 % hohes oder noch hohes Interesse an der PC-Messung an, 73 % an Simulationen, 65 % an IBEs, 64 % an Modellbil-dung und 55 % an Videoanalyse, was gute Voraussetzungen für das vorgeschlagenen Unterrichts-konzept sind. Trotzdem haben 84 % der Lehrer in den letzten drei Jahren trotz entsprechender An-gebote keine Fortbildung zum Computereinsatz besucht. Dies könnte daran liegen, dass sie den Aufwand für die Umsetzung im Unterricht, d.h. für den Transfer der vorgetragenen Informationen in den Unterricht, als für sich zu hoch annehmen, denn nach HAENISCH (1994, S. 5) ist die direkte Umsetzbarkeit von Fortbildungsinhalten aus Lehrersicht die wichtigste Bedingung für einen Fort-bildungstransfer.

Die Untersuchung im Kapitel 6.2.3.1 zu didaktischen und methodischen Prioritäten der Lehrer beim Lehren der Mechanik in der Oberstufe zeigt, dass die Interpretation von Diagrammen, das Üben von Rechenaufgaben und Demonstrationsversuche am intensivsten eingesetzt werden, wobei anderseits 30 % der Lehrer angeben, dass in ihrem Unterricht zu viele Rechenaufgaben gemacht werden.

3 Ikonische Repräsentationen