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6.3 Schulpraktische Erfahrungen der Lehrer

6.3.3 Erfahrungen mit der Modellbildung

Von den 13 beteiligten Lehrern setzten sieben auch Modellbildung ein (eine Klasse 3 Std., eine Klasse 12 Std., sonst stets 5 bis 6 Std.). Dabei wurden die Vorschläge aus den Materialien genutzt, wobei das Modell zur Fallbewegung mit Luftreibung von allen benutzt wurde. Auch hier haben die entsprechenden Lehrer nach Abschluss des Unterrichts einen Fragebogen ausgefüllt und ihre Erfah-rungen schriftlich angegeben, was im Gespräch weiter erläutert wurde.

6.3.3.1 Modellbildung im Unterricht

Die Lehrer, die Modellbildung einsetzten, waren davon ohne Ausnahme begeistert. Besonders ge-fiel, dass man die Konsequenzen der gemachten Fehler schnell sieht und gemeinsam versuchen kann, dies zu analysieren, ohne dass der Lehrer die Fehler benennt. Gerade die Fehlersuche wurde als wertvoll eingeschätzt. Beim Modellieren kamen auch die gleichen Schülerprobleme und physi-kalisch falschen Vorschläge wie in der oben vorgestellten Interventionsstudie vor, worauf die Leh-rer, die am Seminar teilnahmen, vorbereitet waren. Geschätzt wurde, dass der wichtige Zusammen-hang aG=ΣFG/m hervorgehoben wurde. Hier helfe die Modellbildung dann auch bei der Bearbei-tung konventioneller Übungsaufgaben. Häufig gelobt wurde, dass man interessante Probleme wie Luftreibung behandeln könne, die ohne Modellbildung nicht so gut zugänglich seien. Des Weiteren wurde positiv eingeschätzt, dass man schnell andere Anfangswerte einstellen und auf einfache Wei-se Varianten (z.B. charakteristische Fehlvorstellungen) ausprobieren könne. So wurden auch unrea-listische Werte, z.B. für eine Gleitreibung eingestellt und in ihrer Auswirkung betrachtet.

Als zusätzliches Angebot für naturwissenschaftliche Klassen wurden Unterrichtsmaterialien zur Modellbildung in der Biologie angeboten, um Modellbildung als fächerübergreifendes Werkzeug vorstellen zu können. Dabei wurde die Modellierung des exponentiellen und des logistischen Wachstums geschätzt. Aber die Modellierung des Räuber-Beute-Modells wurde als zu weit gehend und zu schwierig eingestuft.

Wenn mit Schülern einige Mal ein Modell zur Dynamik entwickelt wurde, können sie weitere Mo-delle recht schnell gemeinsam im Unterrichtsgespräch erstellen. D.h. das immer gleiche Grund-schema der „Newton-Maschine“ wurde schnell gemerkt und darauf zurückgegriffen. Am Anfang hatten die Schüler Probleme damit, dass die Software kein „∆“ darstellen kann und stattdessen ein

„d“ eingegeben wird. Aber dann akzeptieren die Schüler diese Softwareschwäche einfach. Nicht

allen Schülern ist klar, wie die Geschwindigkeit und der Ort berechnet werden, und haben Probleme mit der kinematischen Kette a→vx; sie wollen eine Gleichung wie s=12at2 eingeben.

Nur ein Lehrer hat seine Schüler in der Schule selbst im Computerraum Modelle erstellen lassen.

Die anderen Lehrer ließen Modelle nur gemeinsam im Klassenunterricht erstellen, da sie bei Schü-lerübungen abgesehen vom Zeitproblem auch technische Probleme sahen. So scheiterte es in einer Schule daran, dass man nicht verhindern kann, dass die Schüler während der Zeit im Computerraum unerlaubt ins Internet gehen. Ein paar Lehrer haben die Software den Schülern mit nach Hause ge-geben und diese wurde von Schülern auch genutzt, woraus wiederum viele softwaretechnische Rückfragen an die Lehrer entstanden. Die Probleme bei falschen Abläufen lagen im Unterricht häu-fig bei falschen Vorzeichen für die Kräfte, unsinnigen Startwerten oder am bei neuen Modellen standardmäßig eingestellten Eulerverfahren, das manchmal aber zu ungenau ist.

Zwei Referendarinnen nutzten die positiven Erfahrungen mit der Modellbildung und der verwende-ten Software PAKMA/VisEdit, um im Anschluss an das Forschungsprojekt zu einem weiteren Thema eine Schriftliche Hausarbeit zum Zweiten Staatsexamen in jeweils einer der elften Klassen zu schreiben. GIGLIOLA hat im Rahmen des Forschungsprojektes entsprechend den ausgegebenen Unterrichtsmaterialien eine Modellbildung zum Wagen, der mit einer Zugmasse konstant beschleu-nigt wird, eine zum Wagen, der mit einer fallenden Gliederkette beschleubeschleu-nigt wird, und eine zum Barthschen Fallkegel durchgeführt. Nach der Behandlung der Erhaltungsgrößen und der Schwin-gungen hat sie dann als Abschluss der newtonschen Mechanik eine Unterrichtseinheit „Trampolin-springen“ über insgesamt sieben Unterrichtsstunden durchgeführt (Gigliola, 2003), wobei dieser Vorgang physikalisch äquivalent zum Wagen auf der schiefen Ebene mit reflektierender Feder ist, der in den ausgegebenen Unterrichtsmaterialien zur Modellbildung vorgeschlagen wird9. Die Schü-ler waren motiviert und interessiert dabei. Vor allem die SchüSchü-ler, die an der Stunde in der Sporthalle teilnahmen (4. Std.), waren vom Unterrichtskonzept bis zum Ende begeistert. Besonders lohnens-wert war die Diskussion (3. Std.), warum der Springer nicht sofort gebremst wurde, als er das Tuch berührte (Betrag der Gewichtskraft noch größer als Betrag der Federkraft). Einige Schüler haben auch selbst zu Hause mit der Software experimentiert.

THEISMANN hat im Rahmen des Forschungsprojektes ausführlich Modellbildung in einem Kurs in Nordrhein-Westfalen eingesetzt (schiefe Ebene mit Reflexion am Ende und mit Reibung, Fallbewe-gung ohne und mit Luftreibung), wobei die Schüler auch eigenständig modellierten. Insbesondere die Darstellungen mit Vektorpfeilen wurden von ihr sehr geschätzt. Für ihre Schriftliche Hausarbeit

9 Zunächst sollten die Schüler ihre Vorstellungen bezüglich des Bewegungsablaufs und der Kräfte auf Arbeitsblättern festhalten (1. Std.). In Einzelarbeit haben die Schüler dann das Wirkungsgefüge auf einem Arbeitsblatt erstellt und ein Schüler hat es am Computer in VisEdit eingegeben (2. Std.). Als Hausaufgabe sollten die Graphen schriftlich vorher-gesagt werden, was dann mit der Ausgabe in PAKMA verglichen wurde (3. Std.). In einer freiwilligen Zusatzstunde am Nachmittag wurde die Federhärte eines großen Trampolins bestimmt und ein Video eines Trampolinsprungs auf-genommen (4. Std. mit nur 10 von 26 Schülern). Nach einigen Überlegungen, wie die Bewegung von den Konstanten und Anfangswerten abhängt (5. Std.), wurde das Modell mit dem Video verglichen (6. Std.). Dazu wurde das Video mit dem Videoanalyseprogramm AVA analysiert und die Daten in PAKMA eingelesen (Wilhelm et al., 2003). In der letzten Stunde wurde eine Aufgabe zum (physikalisch äquivalenten) Bungee-Sprung bearbeitet. Wie in dem Unter-richtskonzept betont (siehe Kapitel 5) wurden also intensiv Vorhersagen gefordert und viel Zeit für Diskussionen vor-gesehen.

zum Zweiten Staatsexamen hat THEISMANN (2003) beim Thema „Schwingungen“ (als Anwendung der newtonschen Dynamik) die Schüler in fünf Gruppen geteilt, von denen jede drei Stunden eine harmonische oder anharmonische Schwingung anhand eines Arbeitsblattes eigenständig bearbeitete und anschließend der Klasse vorstellte, wobei auch Modellbildung integriert wurde10. Das eigen-ständige Modellieren mit VisEdit fiel den Schülern leicht. Erst durch diese Eigentätigkeit mussten die Schüler unterscheiden lernen, welche Erkenntnisse dem Experiment entnommen waren und welchen Stellenwert die Simulation des Modells im Vergleich dazu hat, so dass die Schüler einen vertieften Einblick in die Arbeitsweise der Physik bekamen.

Die beiden Beispiele zeigten, dass die im Konzept verwendete Modellbildung ein motivierender und auch erweiterbarer Ansatz ist. Deutlich wurde auch, wie interessant und lehrreich der Vergleich von Messung und Modell im gleichen Softwareprogramm ist, wobei hier aber ein gewisser Auf-wand betrieben werden musste. Die beiden Arbeiten zeigen ferner, dass das Unterrichtsprinzip

„Vorhersagen im Physikunterricht“ (Kapitel 5.4.4) erfolgreich übernommen wurde.

6.3.3.2 Modellbildung in Prüfungsaufgaben

Interessant ist außerdem, wie Schüler mit Prüfungsaufgaben umgingen, in denen sie ein Wirkungs-gefüge zeichnen sollten. In einer Klasse wurde für die Schüler unerwartet eine Stegreifaufgabe zur Modellbildung geschrieben (Lehrer = Autor der Arbeit). In den vier Stunden zuvor wurde die schie-fe Ebene mit Reflexion und Reibung modelliert sowie die Hausaufgabe besprochen, in der ein Mo-dell zu einem Wagen erstellt wurde, der mit einer konstanten Zugmasse bzw. mit einer sich verkür-zenden Kette beschleunigt wurde. In der Stegreifaufgabe wurde die Situation beschrieben, dass eine Person auf ein Trampolin springt, dessen Netz als eine Feder aufgefasst werden kann (Reibungs-kräfte vernachlässigt). Dies ist physikalisch äquivalent zur schiefen Ebene mit Reflexion. Die Schü-ler sollten ein vorgegebenes rudimentäres Wirkungsgefüge (siehe Abb. 6.3) auf dem Papier vervoll-ständigen und angeben, wie die Größen und die Gleichungen heißen, die zu ihrer Berechnung nötig sind. In der zweiten Teilaufgabe sollten noch für bestimmte Situationen (Trampolin sehr leicht ein-gedrückt, tiefster Punkt, Aufwärtsbewegung) die Kräfte (F_g, F_Tramp, F_ges) und Geschwindig-keit und Beschleunigung als Pfeile eingezeichnet werden. Die Stegreifaufgabe fiel in beiden Teilen gut aus, wobei es bei dem Wirkungsgefüge große Unterschiede gab. Drei Schüler (20 %) waren überhaupt nicht in der Lage, ein einigermaßen sinnvolles Wirkungsgefüge zu zeichnen. Die Struktur der anderen gezeichneten Wirkungsgefüge war im Wesentlichen richtig. Schwierigkeiten gab es fast ausschließlich mit der Trampolinauslenkung, die vom Ort abhängt und die Federkraft bestimmt. Bei

10 Die Schüler sollten dabei den Ablauf beobachten, Graphen schriftlich vorhersagen, den Ablauf mit VisEdit modellie-ren und mit PAKMA messen, Modell und Messung vergleichen, eine ergänzende Simulation mit dynamisch ikoni-schen Repräsentationen beobachten und Parameter verändern. Verwendet wurde 1. ein vertikal schwingendes Feder-pendel (Messwerterfassung mit der Maus, ebenso in VisEdit programmiert), 2. ein StabFeder-pendel (Messwerterfassung über einen Joystick über ein selbst geschriebenes Programm und Datenimport in PAKMA), 3. ein Wagenpendel auf der Luftkissenbahn mit zwei verschieden großen Zuggewichten an den beiden Seiten (Goldkuhle, 1997, S. 63 - 69) (Messwerterfassung mit der Maus, ebenso in VisEdit programmiert), 4. eine im U-Rohr schwingende Wassersäule (Messwerterfassung mit dem Videoanalyseprogramm Galileo und Datenimport in PAKMA) und 5. ein Schiefe-Ebene-Pendel mit einer Kugel auf einer geknickten Rollbahn (Messwerterfassung über eine Digitalwaage über die se-rielle Schnittstelle ergab Probleme mit der gewählten, nicht geeigneten Waage).

den Gleichungen wurden jedoch verschiedene Fehler gemacht.

Am Computer hätten die Schüler diese Fehler bemerkt; es ist je-doch fraglich, wie sinnvoll es ist, die Schüler lange selbst nach diesen Fehlern suchen zu lassen.

Die wichtigen Gleichungen für a, v und x (a = Fges/m, v = a⋅∆t,

x = v⋅∆t) wurden jeweils von zwei Dritteln richtig angegeben.

Trotz des guten Ergebnisses wollten die Schüler nicht, dass sie nochmals eine solche Aufga-be in einer SchulaufgaAufga-be gestellt bekommen, da es kaum lernbar ist und Verständnis verlangt.

Ein anderer Lehrer hat in der Schulaufgabe den (praktisch nicht sinnvollen) Versuch beschrieben, dass ein Gleiter auf einer schief stehenden Luftkissenbahn ein großes Segel hat, um die Luftrei-bungskraft zu untersuchen (es müsste unrealisierbar groß sein). Es handelte sich also um die Kom-bination von schiefer Ebene und Fallkegel. Auch hier war schon ein kleiner Teil des Wirkungsgefü-ges vorgegeben, das fertig Wirkungsgefü-gestellt werden sollte. Diese Aufgabe wurde von allen Aufgaben der Klausurarbeit am Besten gelöst.

Es wurde hiermit nicht nur gezeigt, dass sich das Erstellen von Wirkungsgefügen auch für Prü-fungsaufgaben eignet. Man sieht, dass diese Aufgaben im Wesentlichen nicht schwer, sondern gut lösbar sind. Die Schüler haben gezeigt, dass sie die Grundstruktur kennen (Fgesavx) und wis-sen, welche Größe auf welche einen Einfluss hat. Es wurde aber auch deutlich, dass man als Lehrer Mut braucht, eine solche Aufgabe zu stellen.