• Keine Ergebnisse gefunden

6.4 Schülerstudien zur Kinematik

6.4.2 Graphen zur eindimensionalen Kinematik

6.4.2.3 Ergebnisse traditioneller Vergleichsklassen zur Beschleunigung

Tab. 6.5: Auswahlhäufigkeiten bei den Aufgaben mit Beschleunigungsgraphen (Bewegungen beschrieben, pas-sende Beschleunigungsgraphen auszuwählen) bei Gymnasiasten vor und nach konventionellem Unterricht. Wei-tere Erläuterung siehe Text.

Genauso wie bei den Geschwindigkeitsaufgaben wird bei den Aufgaben zur Beschleunigung die Bewegung eines Spielzeugautos beschrieben und es werden die möglichen Antworten für die dazu passenden Beschleunigungen in Zeitgraphen dargestellt. Im Durchschnitt werden die Aufgaben von 47 % der Schüler richtig gelöst (siehe Tab. 6.5). Wie in Kapitel 2.2.3 beschrieben, ist für viele Schüler Beschleunigung nur die Änderung des Geschwindigkeitsbetrages, so dass Schnellerwerden stets positive und Langsamerwerden stets negative Beschleunigung bedeutet. Dieses Schnel-ler/langsamer-Denken führt hier nur bei Bewegungen nach links mit veränderlicher Geschwindig-keit zu einer anderen Antwort als die physikalische Sichtweise. Im Gegensatz zum Münzwurf (siehe Kapitel 6.4.3) gaben nur 5 % bzw. 9 % diese „Schneller/langsamer-Antwort“ (siehe Tab. 6.5). Die deutliche Darstellung des Koordinatensystems und die Präsentation der möglichen Antworten in Graphen statt mit Worten bewirkte also, dass viel weniger Schüler eine „Schneller/langsamer-Antwort“ gaben, sondern stattdessen eine Antwort mit Angabe der richtigen Richtung. Fasst man die richtige und die „schneller/langsamer“-Lösung zusammen, die beide ein gewisses Verständnis der Beschleunigung zeigen, haben im Durchschnitt 50 % der Gymnasiasten eine Antwort gegeben, die ein Verständnis der Beschleunigung zeigt. 37 % haben dagegen im Durchschnitt einen Graphen

gewählt, der die Geschwindigkeit statt der Beschleunigung beschreibt (siehe Tab. 6.5). Interessan-terweise sind diese Durchschnittsanteile fast genauso hoch wie die entsprechenden Anteile in der Münzaufgabe (dort: 53 % und 41 %, siehe Kapitel 6.4.3).

Die Betrachtung verschiedener Korrelationen zeigt, dass dieser Aufgabenblock zur Beschleunigung in sich relativ konsistent beantwortet wurde. Denn sowohl die richtigen Antworten korrelieren mittelstark miteinander (zwischen 0,29 und 0,76; im Durchschnitt 0,45; alle Korrelationen sind auf dem Niveau von 0,01 signifikant), als auch die „Geschwindigkeitsantworten“ (zwischen 0,43 und 0,82; im Durch-schnitt 0,59), was zu einer hohen Reliabilität von Cronbachs α = 0,84 führt.

Anders als bei den Geschwindigkeitsaufgaben stellt man bei den Beschleunigungsaufgaben deutlich andere Ergebnisse zu Beginn der elften Klasse fest, wo im Durchschnitt die Items in nur 9 % der Fälle richtig beantwortet werden und durchschnittlich in 71 % der Fälle so geantwortet wird, als wäre nach der Geschwindigkeit gefragt worden (siehe Tab. 6.5, rechter Teil). Eine „Schnel-ler/langsamer-Antwort“ gaben im Vortest bei Bewegungen nach links nur 2,4 % der Schüler an. Da Vortest- und Nachtestergebnisse nicht von den gleichen Schülern vorliegen, können keine Korrela-tionen zwischen z.B. Vortestergebnissen, Nachtestergebnissen oder den Zugewinnen der einzelnen Schüler berechnet werden.

Unter der Annahme, dass die Schüler 1994 mit traditionellem Unterricht gleiche Vortestergebnisse erreicht hätten, wie sie aus den Jahren 2001 - 2003 vorliegen, schafft der Unterricht bei diesen sechs Items bei den richtigen Angaben im Mittel einen Zugewinn von 38 Prozentpunkten (von 9 % auf 47%). Das ist ein relativer Zugewinn der Gruppe von 42 % (nach Hake, 1998, S. 65), was nur als mittelmäßig eingeschätzt wird. Der relative Zugewinn der Gruppe ist der absolute Zugewinn der Gruppe (Nachtestwert-Vortestwert) bezogen auf den möglichen Zugewinn der Gruppe (also divi-diert durch 100 %-Vortestwert). Dieser relative Zugewinn der Gruppe wird auch g-Wert genannt (in Anlehnung an „gain“ = Gewinn, Zunahme) und er wird aus den Mittelwerten von Vor- und Nach-test berechnet, nicht als Mittelwert der relativen Zugewinne der einzelnen Schüler. Ein individueller relativer Zugewinn eines einzelnen Schülers ist nämlich dann nicht definiert, wenn beim Vortest bereits alles richtig gelöst wurde, was z.B. bei den v(t)-Diagrammen häufig der Fall ist.

In jeder Klasse Schüler sollten die Schüler zwei andere Antworten des Gesamttests schriftlich begrün-den, so dass nun zu circa zwei Dritteln der Items eine Fülle von Schüleräußerungen vorliegt. Bei den Beschleunigungsitems sind die Schülerbegründungen für die richtigen Antworten und die „Schnel-ler/langsamer-Antworten“ wie erwartet. Interessant sind nur die Begründungen der „Geschwindig-keitsantworten vG

statt aG

“. Hier hat man bei manchen Begründungen den Eindruck, dass Ge-schwindigkeit und Beschleunigung für den Schüler identisch ist. Bei anderen scheint Beschleuni-gung etwas zu sein, das eng mit der Geschwindigkeit zusammenhängt - vielleicht proportional dazu ist. Als Beispiele seien Begründungen aufgeführt, in dem sich das Auto nach rechts bewegt und gleichmäßig schneller wird.

Begründungen in der Form „Beschleunigung / Geschwindigkeit“:

- „Bei der Antwort E ist zu sehen, dass die Beschleunigung mit der Zunahme der Zeit immer schnel-ler wird, weil der y-Wert (die Beschleunigung) zunimmt.“

- „Das Auto bewegt sich nach rechts, wird gleichmäßig schneller 6 gleichmäßige Erhöhung der Beschleunigung in gleichmäßigen Zeitabschnitten.“

Begründungen in der Form „Geschwindigkeit größer Ψ Beschleunigung größer“:

- „Da die Geschwindigkeit gleichmäßig ansteigt, muss auch die Beschleunigung konstant steigen.“

- „Da das Auto gleichmäßig schneller wird, nimmt die Beschleunigung ebenfalls gleichmäßig zu.“

Interessant ist auch, wie Schüler in einem eigenen Test mit 19 Schülern den Begriff Beschleunigung definierten. Sieben Schüler (37 %) gaben an, dass die Beschleunigung die Änderung der Geschwin-digkeit in einem bestimmten Zeitintervall ist, ohne auf die Grenzwertbildung einzugehen. Sechs Schüler (32 %) sprachen nur von der Änderung der Geschwindigkeit (meist ohne irgendeine Nen-nung der Zeit), wobei zwei die Formel a = ∆v/t angaben. Bei zwei Schülern wurde die Beschleuni-gung sogar über die Formel a = F/m definiert. Am interessantesten ist jedoch, dass für vier Schüler (21 %) Beschleunigung eine Bewegung ist; Zitat: „Beschleunigung: Bewegung eines Körpers mit veränderlicher Geschwindigkeit.“ Bei dieser Definition ist es jedoch nicht verwunderlich, dass die Schüler bei den Beschleunigungsaufgaben den Graphen wählten, der die Bewegung, d.h. die Ge-schwindigkeit, angibt.

Vergleicht man Items mit Bewegungen, die physikalisch zwar äquivalent sind, aber sich in der Richtung unterscheiden, so zeigt sich, dass Items mit Bewegungen nach rechts häufiger richtig be-antwortet werden als Items mit Bewegungen nach links (siehe Tab. 6.5). Innerhalb einer Bewe-gungsrichtung werden außerdem Items mit Bewegungen mit konstanter Geschwindigkeit am häu-figsten richtig beantwortet gefolgt von Items mit schnellerwerdenden Bewegungen, während die Items mit langsamerwerdenden Bewegungen am schlechtesten ausfallen. Umgekehrt nehmen die

„Geschwindigkeitsantworten vG

statt aG

“ von Items mit konstanter Geschwindigkeit über solchen mit schnellerwerdenden Bewegungen hin zu solchen mit langsamerwerdenden Bewegungen zu.

Schließlich sollen die Ergebnisse dieses Aufgabenblockes wieder mit den Ergebnissen entsprechen-der Items in den Untersuchungen (siehe Tab. 6.6), die von THORNTON, TREFFER und BLASCHKE

nach einem herkömmlichen Unterricht durchgeführt wurden, verglichen werden. Auffallend ist da-bei das Item zu einer schnellerwerdenden Bewegung nach links, da-bei dem der Anteil der richtigen Antworten in den Untersuchungen der drei Autoren wesentlich niedriger liegt als bei den übrigen Items, während dieser Anteil bei der Untersuchung von WILHELM im Rahmen der übrigen Items liegt. Da es sich bei diesem Item um das einzige aufgeführte Item handelt, in dem eine Bewegung nach links mit veränderlicher Geschwindigkeit beschrieben wird, könnte dies wieder an der Präsen-tation des zugrunde liegenden Koordinatensystems liegen. Eine direkte Prüfung dieser Hypothese, indem Schüler Aufgaben mit beiden Präsentationsarten vorgelegt bekommen, wurde nicht durchge-führt.

Ansonsten liegen die Anteile der richtigen Antworten in der Untersuchung von THORNTON an den amerikanischen Universitäten etwa in gleicher Höhe wie bei dieser Untersuchung (vergleiche „Uni., USA insgesamt, THORNTON“ mit „Gymnasium, WILHELM, Haupttest“). Die Anteile der richtigen Antworten an der Universität Würzburg 1988 liegen abgesehen von dem erwähnten Item wie erwar-tet etwas höher. Überraschend ist jedoch, dass das Ergebnis 1988 an den Gymnasien so schlecht

ausfiel. Als mögliche Erklärungen könnten hier nur wieder die in Kapitel 6.4.2.2 aufgelisteten

Gymnasium, WILHELM,

Haupt-test, 1994, 10 Klassen, N = 188 64 % 57 % 58 % 40 % 38 %

Techn. FOS, WILHELM,

Haupt-test, 1994, 3 Schulen, N = 110 53 % 52 % 56 % 44 % 42 % Gymnasium, BLASCHKE, 1997,

N = 433, 21 Klassen 61 % 48 % 46 % 24 % 36 %

Tab. 6.6: Vergleich der Anteile der richtigen Lösungen der Beschleunigungsitems (Bewegungen beschrieben, passende Beschleunigungsgraphen auszuwählen) nach herkömmlichem Unterricht.

Quellen: THORNTON,SOKOLOFF (1990); THORNTON (1992) (Ergebnisse aus graphischen Darstellungen abgelesen);

private Aufzeichnungen von TREFFER;BLASCHKE (1999) (Die Angaben wurden aus den Angaben für die einzel-nen Kategorien berechnet. Gemittelt wurde dabei über die Schüler, nicht wie bei BLASCHKE über die Klassener-gebnisse.) und eigene Erhebung

6.4.2.4 Ergebnisse der Treatmentgruppe im Vergleich Allgemeine Gesichtspunkte:

Die Schüler, die nach dem Konzept dieser Arbeit unterrichtet wurden, wurden weniger zur eindi-mensionalen Kinematik unterrichtet als konventionell unterrichtete Klassen und die Interpretation von Zeitgraphen bei eindimensionalen Bewegungen fiel kürzer aus, während dies in manchen tradi-tionellen Klassen sehr intensiv geübt wird. Die Hypothese 1 war jedoch, dass die Schüler bei der zweidimensionalen Kinematik soviel Verständnis für die Begriffe erwarben, dass sie auch bei der Grapheninterpretation mit traditionellen Klassen mithalten können. Da sie aber zusätzlich noch über mehr Wissen und Verständnis bezüglich der zweidimensionalen Bewegung haben, wäre dies als Erfolg zu werten. Die Hypothese 2 war, dass sie aufgrund des besseren qualitativen Verständnisses der Größen auch bei der Grapheninterpretation besser als traditionelle Klassen sind.

Der Fragebogen „Fragen zu Kraft und Bewegung“ wurde allen 13 Lehrern, die an der Evaluation teilnahmen, für ihre 17 Klassen gegeben. Von drei Klassen liegt jedoch kein Nachtest vor (Zeit-problematik), so dass sie nicht in die Auswertung aufgenommen werden konnten. Die folgenden Ergebnisse beziehen sich auf die zehn Klassen, deren Lehrer am Begleitseminar teilnahmen und sich nach eigenen Aussagen an die Grundideen des Konzeptes hielten (sieben Klassen naturwissen-schaftlicher Zweig). Getrennt analysiert wurden drei entferntere Klassen und eine Klasse, deren

Lehrkraft sich nach eigener Aussage wenig an die Grundideen hielt (wie Darstellung der kinemati-schen Größen einer zweidimensionalen Bewegung durch dynamisch ikonische Repräsentationen).

Der Test hat die Form des Tests von WILHELM von 1994, aber es wurden zusätzliche Items aus der Erweiterung von BLASCHKE aufgenommen, um auch hier Vergleiche durchführen zu können. An der Erweiterung von BLASCHKE ist ungünstig, dass er Items hinzugenommen hat, bei der mehrere Antworten (statt genau einer) auszuwählen sind; diese zählt er nur dann als richtig, wenn alle richti-gen Antworten gefunden werden. Er berechnet dann aus mehreren Items (mit einer und mehreren Antworten) einen Mittelwert, wobei alle Items gleich gewichtet werden, obwohl die Anforderungen recht unterschiedlich sind. Dabei war nicht erforscht, was dieser Mittelwert aussagt und ob die ver-schiedenen Items das Gleiche prüfen.

Aufgaben mit Geschwindigkeitsgraphen:

Traditioneller Unterricht Unterricht nach Konzept, Treatmentgruppe, 2001 - 2004

Tab. 6.7: Anteil richtiger Lösungen bei den Aufgaben mit Geschwindigkeitsgraphen bei traditionellem Unter-richt und nach dem UnterUnter-richtskonzept (Bewegungen beschrieben, passende Geschwindigkeitsgraphen auszu-wählen),

Quelle: Eigene Erhebung undBLASCHKE, 1999 (Die Angaben wurden aus den Angaben für die einzelnen Kate-gorien berechnet. Gemittelt wurde hier über die Schüler, nicht wie bei BLASCHKE über die Klassenergebnisse.)

Die Schüler der zehn betrachteten Versuchsklassen (211 Schüler in Vor- und Nachtest; Schüler, die nur an einem Test teilnahmen, wurden nicht gewertet) konnten sich bei den Aufgaben mit Ge-schwindigkeitsgrapheninterpretation bei jedem Item vom Vortest bis zum Nachtest verbessern, ob-wohl die Vortestergebnisse schon sehr gut waren (siehe Tab. 6.7, rechter Teil). Die vier Aufgaben aus dem Test von WILHELM werden im Durchschnitt von 95 % richtig gelöst (schlechteste Klasse:

84 %, beste Klasse: 100 %). Bei den kleinen noch möglichen absoluten Zugewinnen ergeben sich nicht so aussagekräftige relative Zugewinne, die meist im mittleren Bereich liegen (Deckeneffekt).

Die 188 Schüler aus zehn herkömmlich unterrichteten Klassen (Kontrollgruppe 1) kommen nach dem Kinematik-/ Dynamikunterricht bei jedem Item auf fast die gleichen, nur minimal größere Werte (siehe Tab. 6.7, linker Teil). Bei den vier Aufgaben aus dem Test von WILHELM erreichen die Schüler der Treatmentgruppe einen relativen Zugewinn von 51 %. Nimmt man an, dass die Schüler der Kontrollgruppe 1 von 1994 die gleichen Vortestergebnisse wie in der Untersuchung von 2001/03 hatten (N = 373), ergäbe dies einen leicht größeren relativer Zugewinn von 66 %. Die Schüler der Treatmentgruppe haben aber wohl etwas konsistenter als die Kontrollgruppe 1 geant-wortet, denn es ergibt sich ein deutlich größeres Cronbachs Alpha.

BLASCHKE hat dem Test noch fünf weitere Aufgaben zur Interpretation von Geschwindigkeitsgra-phen hinzugefügt, die andere Fähigkeiten abtesten. So wurde nicht der Ausdruck „konstante Ge-schwindigkeit“ verwendet, sondern eine „gleichmäßig zunehmende Entfernung“, oder es wird be-reits ein Verständnis der Beschleunigung abgefragt. Diese schwereren Aufgaben lösen ca. zwei Drittel der Schüler richtig. Ein Vergleich mit den Ergebnissen von BLASCHKE ist allerdings proble-matisch, da dessen Aufgaben anders (ungeschickter) formuliert waren (siehe Kapitel 6.4.2.2).

Als Messgrößen für den Lernerfolg kann der Anteil der vier (bzw. sieben) richtig gelösten Items genommen werden, obwohl die Reliabilitäten nicht sehr groß sind. Ein t-Test ergibt, dass die Hypo-these, dass sich die Nachtestwerte zwischen der Kontrollgruppe 1 (1994) und der Treatmentgruppe unterscheiden, nicht abgelehnt werden kann. Man kann also sagen, dass das Unterrichtskonzept keinen Einfluss auf die Lösung dieser Aufgaben zu eindimensionalen Bewegungen mit Geschwin-digkeitsgrapheninterpretation hat. Die Effektstärke ist hier bei der Treatmentgruppe (NTreat = 211), gegenüber der Kontrollgruppe (NKontroll = 188) entsprechend nur -0,11 (kein signifikanter Unter-schied bei den Mittelwerten).

Ein Vergleich mit der Kontrollgruppe 2 (Blaschke, Testjahr 1997), von der keine Streuungen be-kannt sind, ergibt mit

Treatment Kontroll Treatment

d σ

µ

µ −

= bei den vier v(t)-Aufgaben nach THORNTON (NKontroll = 363, µKontroll = 0,85) eine mittlere Effektstärke von d = +0,60 und bei den sieben v(t)-Aufgaben nach BLASCHKE Kontroll = 0,76, µTreat = 0,85, σKontroll = 0,17) eine mittlere Effektstärke von d = +0,52.

Wie bereits erläutert könnte es aber sein, dass dieser Effekt, der nicht als bescheiden betrachtet wird, weniger auf den Unterricht, sondern vielmehr auf die unterschiedliche Testformulierung zu-rückgeführt werden kann.

Aufgaben mit Beschleunigungsgraphen:

Bei den sechs Aufgaben mit Beschleunigungsgrapheninterpretation haben sich die Schüler der Treatmentgruppe ebenso bei jedem Item vom Vortest bis zum Nachtest verbessert (28 % bis 72 % richtige Antworten, im Mittel 47 %) und erreichen mittlere relative Zugewinne (24 % bis 63 %, im Mittel 41 %) (siehe Tab. 6.8, rechter Teil). Die 188 Schüler aus zehn herkömmlich unterrichteten Klassen (Kontrollgruppe 1) kommen bei ähnlicher Ausgangslage nach dem Kinematik-/Dynamikunterricht bei jedem Item auf fast die gleichen Werte (siehe Tab. 6.8, linker Teil). Unter

der Annahme, dass die Schüler mit traditionellem Unterricht gleiche Vortestergebnisse erreicht hät-ten, wie die 373 von WILHELM befragten Schüler, schafft der Unterricht bei den richtigen Angaben einen relativer Zugewinn von 25 % bis 54 %, im Mittel 43 %. Auf einen detaillierten Vergleich mit den Ergebnissen herkömmlich unterrichteter Klassen bei BLASCHKE wird verzichtet, da hier wieder das Problem vorliegt, dass das Koordinatensystem in der Aufgabenbeschreibung anders beschrieben wurde.

Tab. 6.8: Anteil richtiger Lösungen bei den Aufgaben mit Beschleunigungsgraphen bei traditionellem Unterricht und nach dem Unterrichtskonzept sowie Reliabilitäten (Cronbachs Alpha)

Schaut man sich außerdem an, welche falschen Antworten bei der Kontrollgruppe 1 und der Treat-mentgruppe gegeben werden, stellt man auch da große Übereinstimmung fest (siehe Tab. 6.9).

Als Messgrößen für den Lernerfolg wird der Anteil der sechs (bzw. acht) richtig gelösten Items ge-nommen. Die stets recht hohen Reliabilitäten sprechen dafür, dass hiermit jeweils die Fähigkeit ermittelt wurde, zu einer beschriebenen Bewegung den passenden Beschleunigungsgraphen zu fin-den. Ein t-Test ergibt natürlich, dass die Hypothese, das sich die Nachtestwerte zwischen der Kon-trollgruppe 1 (1994) und der Treatmentgruppe unterscheiden, nicht abgelehnt werden kann, da die Mittelwerte mit circa 0,47 fast gleich sind. Die Effektstärke bei der Treatmentgruppe (NTreat = 211, µTreat = 0,47, σTreat = 0,39) gegenüber der Kontrollgruppe (NKontroll = 188, µKontroll = 0,47, σKontroll = 0,35) ist deshalb fast Null. Man kann also sagen, dass das Unterrichtskonzept keinen Einfluss auf die Lösung dieser Aufgaben zu eindimensionalen Bewegungen mit Beschleunigungsgrapheninter-pretation hat.

Kontrollgruppe 1,

Tab. 6.9: Auswahlhäufigkeiten bei den Aufgaben mit Beschleunigungsgraphen bei Gymnasiasten nach konventionellem Unterricht und nach dem Unterrichtskonzept, Quelle: Eigene Erhebung

Ein Vergleich mit der Kontrollgruppe 2 (Blaschke, Testjahr 1997), von der keine Streuungen be-kannt sind, ergibt bei den sechs a(t)-Aufgaben nach WILHELM (NKontroll = 433, µKontroll = 0,43) eine sehr schwachen Effektstärke von d = 0,10 und bei den acht a(t)-Aufgaben nach BLASCHKE Kontroll

= 0,38, µTreat = 0,48, σKontroll = 0,39) eine schwache Effektstärke von d = 0,27. Wie bereits erläutert könnte es aber sein, dass dieser Effekt weniger auf den Unterricht, sondern vielmehr auf die unter-schiedliche Testformulierung zurückgeführt werden kann.

Interpretation:

Die Tatsache, dass sich die Versuchsklassen bei den Aufgaben zu eindimensionalen Bewegungen mit Geschwindigkeitsgrapheninterpretation nicht nachweisbar von der Kontrollklassen unterschei-den, kann als Erfolg gewertet werden (Hypothese 1 kann angenommen werden). Denn in diesen Klassen sollten eindimensionale Bewegungen und Grapheninterpretation weniger intensiv zuguns-ten einer inzuguns-tensiveren Behandlung allgemeiner zweidimensionaler Bewegungen (mit Pfeilen als dynamisch ikonische Repräsentationen) behandelt werden. Die zeitlich kürzere Behandlung von Grapheninterpretationen eindimensionaler Bewegungen sollte dagegen mit dynamisch ikonischen Repräsentationen unterstützt werden. Es ist deshalb positiv, wenn die Schüler trotz der angenom-menen kürzeren Zeit gleiche Werte erreichen. Allerdings wurde nicht ermittelt, wie viel Zeit tat-sächlich von den Lehrern der Versuchsklassen und der Kontrollklassen dafür aufgewandt wurde.

Allerdings wurde erwartet, dass die Behandlung zweidimensionaler Bewegungen sowie die Beto-nung des Geschwindigkeitsänderungsvektors und die verschiedenen Darstellungen mit Hilfe dyna-misch ikonischer Repräsentationen auch einen positiven Einfluss bei den Aufgaben zu eindimensi-onalen Bewegungen mit Beschleunigungsgrapheninterpretation haben. Dieser ist jedoch in dieser Untersuchung nicht nachweisbar (Hypothese 2 muss abgelehnt werden). BLASCHKE, der wenige gute Klassen mit Hilfe dynamisch ikonischen Repräsentationen unterrichtete und damit eindimensi-onale Bewegungen und Grapheninterpretation intensiv übte, beschreibt dagegen für diese Klassen große Zugewinne (Blaschke, 1999, Testjahre 1996/98) (siehe Kapitel 3.2.3). Kein eindeutiger

Ef-fekt von dynamisch ikonischen Repräsentationen auf das Verständnis von Liniendiagrammen wur-de auch in wur-der DFG-Studie „Erwerb qualitativer physikalischer Konzepte durch dynamisch-ikonische Repräsentationen von Strukturzusammenhängen“ gefunden (Galmbacher et al., 2005a+b) (siehe Kapitel 3.2.3).

Tab. 6.10: Ergebnisse bei den Aufgabengruppen bei zwei unterschiedlichen Klassen eines Lehrers der Versuchs-gruppe. Signifikante Unterschiede bei entsprechenden Werten wurden mit einem * gekennzeichnet (t-Test bzw.

Mann-Whitney-U-Test, 5 %-Niveau). Um bei den relativen Zugewinnen Signifikanzen berechnen zu können, wurde nicht wie bei HAKE der relative Zugewinn aus den Klassenmittelwerten bei Vor- und Nachtest berechnet (g-Wert), sondern die relativen Zugewinne der einzelnen Schüler und deren Mittelwert; angegeben wurde hier dennoch der g-Wert von HAKE (bis auf die v(t)-Aufgaben nur minimale Unterschiede bei den Zahlenwerten).

Insgesamt ist klar, dass bei einem solchen Feldversuch, der sich über ein halbes Schuljahr erstreckt sehr viele Einflüsse vorhanden sind und die Qualität und Effektivität von viel mehr Faktoren be-stimmt wird, als nur von den Möglichkeiten dynamisch ikonischer Repräsentationen. Ein gutes Bei-spiel wie beschränkt der Einfluss des Lehrers und des Unterrichts ist, lieferte ein engagierter Lehrer, der in zwei aufeinander folgenden Jahren zwei Klassen des selben Gymnasiums genauso nach dem vorgestellt Unterrichtskonzept unterrichtet hatte. Die erste Klasse liegt sowohl beim absoluten Nachtestergebnis, als auch beim relativen Zugewinn deutlich unter dem Mittelwert aller getesteten Versuchsklassen (siehe Tab. 6.10). Außer bei den Geschwindigkeitsaufgaben ist sie bei allen Teil-bereichen die schlechteste Klasse der Treatmentgruppe. Die zweite Klasse liegt sowohl beim abso-luten Nachtestergebnis, als auch beim relativen Zugewinn deutlich über dem Mittelwert aller Ver-suchsklassen. Sie ist in fast allen Teilbereichen deutlich die beste Klasse der Treatmentgruppe. Es ist zwar möglich, dass der Lehrer im zweiten Jahr, in dem er mit dem Konzept vertraut war, besser unterrichtete, während er im ersten Jahr noch Umstellungsschwierigkeiten auftraten. Die wesentli-che Erklärung ist aber bei den Schülern zu finden. Die zweite Klasse gehörte zum anspruchsvollen europäischen Gymnasium (Schulzweig, Modellversuch in Bayern), in dem nur sehr gute Schüler bis zur elften Klasse kommen. Die erste Klasse gehörte zum neusprachlichen Zweig des gleichen Gymnasiums, in dem solche Leistungsträger entsprechend fehlen. Dies ist auch daran zu sehen, dass - außer bei den Geschwindigkeitsaufgaben - die Vortestergebnisse bei der ersten Klasse unter dem Durchschnitt und bei der zweiten über dem Durchschnitt liegen. Das führt zu der bekannten These,

dass die Einstellung der Schüler und ihr Vorwissen entscheidender sind, als das verfolgte Unter-richtskonzept. Nach WANG, HAERTEL und WALBERG (1993) ist der entscheidendste Einfluss auf den Lernerfolg die kognitive Kompetenz der Schüler, während die Organisation des Lehrplans erst auf Platz 10 und die Qualität des Unterrichts erst auf Platz 13 kommen (zitiert nach Meyer, 2004, S.

35).

Generell kann man sagen, dass die Unterschiede zwischen den einzelnen Klassen sowohl beim tra-ditionellen Unterricht als auch beim Unterricht nach diesem Konzept sehr groß sind. Es stellt sich

Generell kann man sagen, dass die Unterschiede zwischen den einzelnen Klassen sowohl beim tra-ditionellen Unterricht als auch beim Unterricht nach diesem Konzept sehr groß sind. Es stellt sich