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3.1 Bilder und Multicodierung im Physikunterricht

3.1.1 Bildhafte Darstellungen

Bilder im weiteren Sinn sind alle nonverbalen, mit den Augen wahrnehmbare Zeichen. Zunächst kann man in künstlerische Bilder, unterhaltende Bilder und informierende Bilder unterscheiden (Weiden-mann, 1994, S. 9), wobei hier nur informierende Bilder von Interesse sind (siehe Abb. 3.1). Die in-formierenden Bilder lassen sich in Abbilder und logische Bilder einteilen (Weidenmann, 1991, S.43 – 46). Zu den Abbildern gehören Fotografien, Zeichnungen, Gemälde, Filme und Animationen, wogegen man zu den logischen Bildern die ver-schiedensten Diagramme oder schematischen

Dar-stellungen zählt (siehe unten). Außerdem sind die analogen Bilder (bildliche Analogien) als Sonder-gruppe der Abbilder zu erwähnen, da sie durch eine Analogie zu etwas Bekanntem auf nicht dar-stellbare Strukturen hinweisen wollen (Beispiel: Bild des Bohrschen Atommodells). ISSING (1983, S. 12; 1994, S. 153) unterteilt deshalb die informierenden Bilder in Abbildungen (= Abbilder), ana-loge Bilder (= bildliche Analogien) und logische Bilder (Kircher et al., 2000, S. 223).

Abbilder (oder Abbildungen) zeigen wesentliche Merkmale eines Objektes, die in der realen Welt existent und visuell wahrnehmbar sind, wobei dies auch Sachverhalte einer schwer zugänglichen Wirklichkeit sein können. Dabei können wesentliche Teile betont und andere weggelassen werden.

Insbesondere die Reduktion auf das Wesentliche, um vom Unwesentlichen abzulenken, wird in den Animationen, die in diesem Unterrichtskonzept verwendet werden, genutzt (z.B. wird ein Luftkis-sengleiter als bewegtes Rechteck dargestellt).

Analoge Bilder (bzw. bildliche Analogien) sind zwar in ihrer äußere Gestaltung der von Abbildun-gen ähnlich (häufig sind realistische GeAbbildun-genstände dargestellt), zielen aber in der Aussage auf eine analoge Bedeutung, die über das Dargestellte hinausgeht. Somit verweisen bildliche Analogien auf nicht direkt dargestellte Strukturen, Relationen, Funktionen und Prozesse durch in-Beziehung-Setzen zu bereits vorhandenem Wissen. Bildliche Analogien nutzen strukturelle Analogien (z.B. das Atommodell als Analogie zwischen dem Aufbau eines Atoms und dem Aufbau des Planetensys-tems) oder funktionale Analogien (z.B. Elektronendrift als Bild für den elektrischen Strom in Me-tallen) (Issing, 1994, S. 149 f.; Kircher et al., 2000, S. 223). Analoge Bilder werden in diesem Un-terrichtskonzept nicht genutzt.

Bei den logischen Bildern ist der dargestellte Inhalt nicht direkt in der Realität beobachtbar, es be-steht keine Ähnlichkeit, d.h. die zu visualisierenden Entitäten sind logischer Natur. Mit den

logi-Abb. 3.1: Mögliche Klassifizierung von Bildern

schen Bildern ist es möglich, abstrakte Strukturen, Relationen, Mengen, Abläufe und Konzepte zu visualisieren, ohne auf äußere Begleitfaktoren, die Oberflächenstruktur, einzugehen. Sie sind Zei-chensysteme, die durch Konvention ihre Bedeutung erlangt haben. Dabei wird zwischen der Visua-lisierung qualitativer und quantitativer Zusammenhänge unterschieden (Schnotz, 1994, S. 97 ff.).

Qualitative Zusammenhänge werden dargestellt durch Venn-Diagramme (Flächen für Objektmen-gen) und durch Graphen, die aus Knoten und Kanten bestehen (Knoten durch Ellipsen, Rechtecke oder andere geometrische Formen dargestellt; ungerichtete Kanten durch Linien, gerichtete Kanten durch Pfeile dargestellt). Sie werden bei der graphischen Modellbildung genutzt. Für quantitative Zusammenhänge werden im physikalisch-wissenschaftlichen Bereich vor allem Liniendiagramme genutzt. Zu nennen sind aber auch Histogramme, Balken-, Säulen-, Kreis-, Streu- und Isotyp-Diagramme. Aber auch die unten erläuterten dynamisch ikonischen Repräsentationen (siehe Kapitel 3.2), bei denen physikalische Größen durch Pfeile, Flächen oder Positionen dargestellt werden, sind logische Bilder.

Bilder erfüllen verschiedene Funktionen, wobei man in der Literatur viele Funktionen von Bildern findet (siehe z.B. Issing, 1983, S. 14). Klassischen Funktionen von Bildern sind nach LEVIN (1981, S. 211 - 217) die dekorative Funktion, die Motivations-, Wiederholungs-, Repräsentations-, Organi-sations-, Interpretations- und Transformationsfunktion. Bezüglich Wissensvermittlung nennt G IR-WIDZ die Zeigefunktion, Fokusfunktion, Konstruktionsfunktion, Situierungsfunktion, physikspezifi-sche Visualisierungen und die Motivationsfunktion (Kircher, Girwidz et al., 2000, S. 226 ff.). Eine andere Liste gibt WEIDENMANN (1991, S. 34 - 39). Die Zeigefunktion meint die Vermittlung ange-messener bildhafter Vorstellungen von Gegenständen und Abläufen. Unter Fokusfunktion versteht man die Darstellung von Details und das Hinweisen auf Teilbereiche, wenn bereits Vorkenntnisse vorhanden sind. Mit der Konstruktionsfunktion konstruiert ein Bild beim Lernenden neues Wissen, indem es hilft, bekannte Sachverhalte oder mentale Modelle aus bereits bekannten zusammenzuset-zen. Physikspezifische Visualisierungen bieten optische Vorstellungshilfen (Beispiele: Vektoren für physikalische Größen, Feldlinienbilder, Elektronendichteverteilungen). Diese können direkt an ex-perimentelle Messwerte anknüpfen, können bildhafte Analogien sein oder räumliche oder mehrdi-mensionale Zusammenhänge aufzeigen. Bekommt ein Lernender zu einem Thema, zu dem er kein Vorwissen hat, ein mentales Modell in Bildform bereitgestellt, übt das Bild eine Ersatzfunktion aus, wobei solche Bilder durch viele Informationen häufig eine Überforderung darstellen. Wird durch die Bildwahrnehmung kein neues Wissen erworben, aber die bereits vorhandene Wissensstruktur aktiviert, spricht man von der Aktivierungsfunktion. Je nach Ausprägung der Wissensstrukturen erfüllt ein und dasselbe Bild unterschiedliche Funktionen bei den Lernenden. Die Gestaltung eines Bildes sollte sich nach der Funktion richten, die es beim Betrachter erfüllen soll und nach dessen Vorwissen.

Bilder sind auch Ergänzung von und Hilfe zum Verständnis von Texten (Weidenmann, 1991, S. 39 – S. 43) und können so eine multiple Codierung unterstützen. Dabei fungiert die Abbild- oder dar-stellende Funktion zur Konkretisierung der Textinformation, zur Ergänzung und Veranschaulichung des Materials. Die interpretierende Funktion hilft bei der Erklärung und dem Verständnis von schwierigen Textinhalten, durch Aktivieren von Vorwissen. Unter der Verwandlungsfunktion oder

auch transformierenden Funktion versteht man originelle bildliche Neuschöpfungen, die als Esels-brücken das Behalten von Begriffen oder Aussagen durch eine konkretere und leichter erinnerbare Form erleichtern sollen (auch gedächtnisstützende Funktion). Werden komplexe Sachverhalte oder Situationsbeschreibungen statt verbal nur durch ein Bild dargestellt, hat man eine Ersatzfunktion für komplexe Beschreibungen. Wird der Inhalt des Textes visuell widergespiegelt, handelt es sich um eine Repräsentationsfunktion. Bei Bildanleitungen sind dagegen die Bilder die primäre Informati-onsquelle und der Text organisiert die Bilder. Eine dekorative Funktion liegt vor, wenn nur Interes-se für den Text geweckt werden soll. Aus den unterschiedlichen Funktionen von Bildern in Zu-sammenhang mit Texten sieht man, dass die Beziehung zwischen Bilder und Texten sehr unter-schiedlich sein kann. Die Informationen in Text und Bild können redundant sein (Kongruenz), sie können sich wechselseitig ergänzen (Komplementarität) oder aus der Text-Bild-Information können durch das Vorwissen Schlüsse über das Dargestellte hinaus gezogen werden (Elaboration).

Nicht nur beim Verarbeiten eines Textes spielt die Organisationsfunktion von Bildern und die Strukturierung kognitiver Inhalte durch Bilder eine Rolle. Bilder mit dieser Funktion verbessern z.B. Struktur und Zusammenhang von Textinhalten oder heben einen solchen hervor. Allgemein lenken Bilder die Aufmerksamkeit und strukturieren die Informationsaufnahme, wodurch sie die Effektivität des Arbeitsgedächtnisses verbessern. Als konkrete Ausführungsformen sind zu nennen (Girwidz, 2001, S. 7): • Concept maps (Begriffslandkarten), die Inhalte und Konzepte mit ihrem Beziehungsgefüge räumlich-bildhaft angeordnet zeigen, • Advanced Organizer, die der Vorstruktu-rierung dienen und die Gliederung neuer Inhalte aufzeigen, oder • clickable charts bei Computeran-wendungen, die strukturierte, bildhafte Übersichten anbieten und beim Anwählen von Bildabschnit-ten entsprechende Erweiterungen anzeigen.

Schließlich können Bilder auch zu einer intensiven Beschäftigung mit Lerninhalten motivieren. Sie können Interesse wecken und Gefühle ansprechen.

LEVIN ET AL. (1987) verglichen in einer Metaanalyse die Bildfunktionen hinsichtlich ihrer Bedeu-tung für die Reproduzierbarkeit eines Textes (jeweils Kontrollgruppe nur Text, Experimentalgruppe Text und Bild). Dabei zeigten sich keine positiven Lerneffekte bei rein dekorativen Funktionen.

Positive Effekte gab es bei repräsentierenden, organisierenden und interpretierenden Bildfunktio-nen. Texte mit Bildern mit transformierender Funktion (Eselsbrücken) ergaben die größte Effekt-stärke und damit die höchste Wirkung auf das Erinnern des dazugehörenden Textes.

Die meisten bisherigen Untersuchungen im Zusammenhang von Lernen mit Bildern konzentrieren sich auf das Verstehen von Texten und die gedächtnisstützende Funktion von Bildern. Weniger un-tersucht ist, wie Bilder zum Verständnis eines Sachverhaltes beitragen, wie es in dieser Arbeit in-tendiert ist.

Bilder können eine höhere Informationsdichte als Texte erreichen und durch zuviel Information zu einer kognitiven Überlastung führen. Deshalb seien einige Aspekte zur Wahrnehmung von Bildern, zur Bildinterpretation und zur kognitiven Verarbeitung genannt (eine Übersicht gibt GIRWIDZ, 2001, S. 20 - 27).

Die Aufnahme von Bildern kann prä-attentiv (Winn, 1993, S. 58 – 65; Weidenmann, 1994, S. 28 - 32), d.h. unbewusst ohne Belastung kognitiver Ressourcen und ohne die Möglichkeit einer

kogniti-ven Kontrolle, erfolgen. Abbilder vertrauter Gegenstände werden z.B. in Sekundenbruchteilen rela-tiv unbewusst und automatisch richtig erkannt, ohne dass sie eine spezielle Aufmerksamkeit erfor-dern. Hierbei spielt die Figur-Hintergrund-Trennung eine wichtige Rolle und räumliche und zeitli-che Nähe beeinflussen die Aufteilung der Aufnahmeeinheiten (Girwidz, 2001, S. 21). Entsprezeitli-chend der Lesegewohnheiten von links nach rechts und von oben nach unten ist die Anordnung von Be-deutung.

Bei der attentiven Wahrnehmung (Winn, 1993, S. 66 - 74; Weidenmann, 1994, S. 32 - 37), d.h. der bewussten, absichtsvollen und zielgerichteten Bildverarbeitung, spielt die begrenzte Verarbeitungs-kapazität eine Rolle. Attentive Prozesse binden kognitive Ressourcen und sind selektiv (gezieltes

"Herausfiltern" relevanter Informationen). Die Informationsdichte darf weder zu hoch noch zu nied-rig sein. Wichtig sind Hilfsmittel wie Linien, Pfeile oder Zusammenstellungen, die die Aufmerk-samkeit lenken (Girwidz, 2001, S. 21). Der Bildautor kann also durch Hervorheben einzelner Ele-mente oder auch durch entsprechende Instruktionen die Wahrnehmung lenken und die Wichtigkeit der Bildsegmente betonen. Eine pauschale Aufforderung des Lehrenden, ein Bild aufmerksam zu betrachten, bringt bezüglich der Verstehensleistung nicht viel. Bildbezogene spezifische Instruktio-nen könnten dagegen schon eher die Bildverarbeitung und folglich die Verstehensleistung erhöhen.

Nach der Wahrnehmung muss ein Bild interpretiert werden (Winn, 1993, S. 74 - 85, zusammenge-fasst bei Girwidz, 2001, S. 22), wobei das Verstehen vom Vorwissen abhängt. Für diese Einpassung der Information in vorhandene Schemata ist eine Anstrengung nötig. Je weniger Kapazitäten für die Bilderfassung gebraucht werden, desto mehr sind für die Interpretation und damit das Lernen frei.

Advanced Organizer können eine gute Hilfe für die richtige Interpretation sein. Des Weiteren kann die Art des Informationsangebotes bestimmte Interpretationstechniken anregen.

Die kognitive Verarbeitungskapazität ist begrenzt. Bekanntermaßen können nur etwa sieben neue Informationseinheiten (chunks) im Arbeitsgedächtnis gehalten werden (Mietzel, 1993, S. 175). Die

„cognitive load“-Theorie (Chandler, Sweller, 1991) betont diese Grenzen, die bei der Unterrichts-gestaltung berücksichtigt werden müssen (Sweller, 1994). Das Informationsangebot, die Präsentati-on vPräsentati-on InformatiPräsentati-on, muss so strukturiert werden, dass der Arbeitsspeicher möglichst wenig belastet wird und so genügend Ressourcen für das Lernen vorhanden sind. Ungewohnte bildliche Darstel-lungen können deshalb durch ihre hohe kognitive Belastung dem inhaltlichen Verstehen im Wege stehen. Verringert wird die kognitive Belastung im Allgemeinen auch durch die Nutzung verschie-dener Sinneskanäle durch eine multimodale Darstellung. Zusätzlich visuelle Anzeigen stören aber, wenn sie weitere kognitive Suchprozesse verlangen. In computergestützten Lernmaterialien können verbale Zusatzinformationen und farbliche Codierungen die kognitive Belastung reduzieren (Kaly-uga et al., 1999). Allgemein ist die kognitive Belastung vom Vorwissen und kognitiven Fähigkeiten abhängig, so dass es hilfreich sein kann, dass unterschiedlichen Lernern unterschiedliche Darstel-lungen angeboten werden.

Informationen können jedoch unterschiedlich tief verarbeitet werden. SCHNOTZ und BANNERT

(1999, S. 233) zeigten, dass anspruchsvollere Bilder eher zu einer intensiven Verarbeitung führen.