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3.2 Dynamisch ikonische Repräsentationen

3.2.2 Verschiedene Abstraktionsniveaus in der Darstellung

Mit der Hilfe dynamisch ikonischer Repräsentationen ist es möglich, schrittweise von einer an-schaulichen Darstellung zu einer abstrakten Darstellung physikalischer Größen zu gelangen. Als Erstes werden Möglichkeiten aufgezeigt, eine Größe darzustellen, um den Verlauf der Größe zu erkennen. Danach werden Möglichkeiten gezeigt, mehrere Größen zu vergleichen, um Strukturaus-sagen zu finden.

3.2.2.1 Der Verlauf einer Größe

Verschiedene Darstellungsmöglichkeiten werden im Folgenden anhand eines Beispiels vorgestellt, wobei im Unterricht weder alle Zwischenschritte benutzt werden, noch damit alle Möglichkeiten erwähnt sind. Als Beispiel einer physikalischen Größe, deren Verlauf über die Zeit betrachtet wer-den soll, wird die Geschwindigkeit gewählt.

Als Vorgang wird ein Wagen betrachtet, der eine schiefe Ebene mit Reibung hinunter-fährt und durch eine Feder wieder nach oben zurückgestoßen wird.

Ist es nicht möglich, einen Versuchsablauf real zu zeigen, kann man ein Video des Ver-suchs vorführen (siehe Abb. 3.5 a), an dem allerdings die relevante Größe (in der Abb.

die Geschwindigkeit) noch nicht zu entneh- Abb. 3.5 a, b, c: Drei verschiedene Darstellungsmöglichkei-ten eines Versuchs zur eindimensionalen Kinematik

men ist. Wenn die Bewegung quantitativ erfasst wurde und die Messwerte abgespeichert sind, kann man dann über das Video dynamisch ikonische Repräsentationen wie Pfeile legen (siehe Abb. 3.5 b) und so mit dem Ablauf die Größe verfolgen (Wilhelm et al., 2003, S. 24; Heuer, 2003a, S. 9).

Die Länge dieses Vektors richtet sich nach den gemessenen Werten (oder evtl. nach den berechne-ten Werberechne-ten einer Simulation, die mit dem Realablauf verglichen wird). Die Komplexität eines Vi-deos steht aber im Gegensatz zu den Prinzipien zur Multicodierung (siehe Kapitel 3.1.2), die für eine auf wesentliche Aussagen reduzierte Darstellung sprechen. So fand beispielsweise DWYER

(1982, S. 31), der Lernende mit unterschiedlich realistischen Abbildungen zum menschlichen Her-zen lernen ließ (z.B. Strichzeichnungen, detaillierte Zeichnungen, Fotos eines Herzmodels, realisti-sches Fotos) heraus, dass Abbildungen mit relativ wenig realistischen Details am effektivsten wa-ren. Verallgemeinert folgt daraus, das sich auf das Wesentliche reduzierte Animationen des Ver-suchsablaufs, die keine ablenkenden Details mehr enthalten, für Darstellungen im Unterricht eignen (siehe Abb. 3.5 c). Die im Ablauf wesentlichen Gegenstände wie Wagen oder Fahrbahn werden vereinfacht, aber in ähnlichen Farben dargestellt und bewegen sich auf dem Bildschirm genau ent-sprechend der gemessenen oder berechneten Bewegung. Sie erleichtern den Schülern den Bezug zum Experiment und das Erinnern. Die feststehenden Gegenstände (wie die Fahrbahn) und die be-wegten Gegenstände (wie der Wagen) können als Animationen bereits über das Video gelegt wer-den und bleiben nach dem Wegschalten des Videos sichtbar. Wären die Objekte im Video schwerer zu erkennen, wäre eine Überblendtechnik sinnvoll, wie sie GIRWIDZ und RUBITZKO (2003, S. 3) nutzen, um vom Foto zur Schemazeichnung zu kommen. Macht man eine Realmessung oder führt eine Modellbildung durch, hat man im Allgemeinen kein Video zur Verfügung. Deshalb ist hier die auf das Wesentliche reduzierte Animation besonders wichtig, um die relevante Größe im Kontext des Ablaufs zu sehen.

Realistische Abbilder, wie Videos oder Fotos, sind also als ein Teil einer Multicodierung sinnvoll.

Werden dynamisch ikonische Repräsentationen auf Videos gezeichnet, erfüllt dies die Forderung nach zeitlicher und räumlicher Kontiguität (ein weiteres Beispiel ist in Abb. 5.9 dargestellt). Nach SULEDER,HEUER (2004, S. 1) wird damit eine Brücke vom Experiment zur Computerdarstellung geschlagen.

In einem weiteren Schritt kann man den Ge-schwindigkeitsvektor der Animation nochmals einzeichnen, aber den Anfangspunkt unbewegt lassen (ortsfester Vektor), um die Veränderung der Länge besser beobachten zu können.

Interessiert man sich für den Verlauf des Ortes, kann man den sich bewegenden Wagen der Ani-mation wie bei einer Stroboskopaufnahme mehr-fach in festen Zeitabständen an seiner jeweiligen Position fest einzeichnen, was man als „Stempeln“

bezeichnen kann (siehe Abb. 3.6, oben). Bewegt Abb. 3.6: Dynamisch ikonische Repräsentationen mit „Stempeln“ zur Ortsdarstellung

sich der Wagen außerdem mit der Zeit langsam gleichmäßig nach unten, erhält man schon eine Vorstufe eines Graphen, bei dem nach unten die Zeit und nach rechts der Ort aufgetragen ist (siehe Abb. 3.6, unten).

Genauso wie das Animationsobjekt Wagen gestempelt wurde, kann man auch den Pfeil für die Geschwindigkeit stempeln. Sinn-vollerweise bewegt sich der Pfeil nicht mit dem Objekt, sondern wandert nur mit der Zeit nach unten (siehe Abb. 3.7 a). Betrach-tet man nur die Spitzen der Pfeile, erhält man eine Vorstufe eines Graphen, bei dem nach unten die Zeit und nach rechts die Ge-schwindigkeit aufgetragen ist (Stempeldia-gramm). In einem nächsten Schritt kann man das Stempeldiagramm um 90° drehen, um so näher an einen Zeit-Geschwindigkeitsgra-phen zu kommen (siehe Abb. 3.7 b). Wenn der Pfeil nun, während er mit der Zeit nach rechts läuft (Anfangspunkte auf der x-Achse), mit seiner Spitze eine Linie zeichnet und nicht mehr gestempelt wird, erhält man einen Zeit-Graphen mit einem mitlaufenden Pfeil (siehe Abb. 3.7 c, Pfeil gerade bei 6,4s). Hiermit soll der Schwierigkeit der Schüler entgegengewirkt werden, die

x-Achse als Zeitachse zu erkennen, denn im Versuch entspricht die Horizontale meist dem Ort und bei der zweidimensionalen Kinematik betrachtet man zuerst x-y-Diagramme. Der entscheidende Vorteil dieser Repräsentationen ist, dass man die relevanten Größen nicht nur zu jeweils einem Zeitpunkt sieht, sondern mit dem ganzen, bis dahin abgelaufenen Versuch vergleichen kann, also hier die zeitliche Entwicklung dokumentiert wird (Längsschnitt).

In der üblichen Darstellung werden fertige Zeitgraphen gezeigt, ohne dass sie langsam durch Pfeile erstellt werden. Aber „erst nachdem der Lernende [...] Konzepte aufgebaut und qualitative Zusam-menhänge erkannt hat, sollten Graphen [...] zur Präzisierung physikalischer Abhängigkeiten he-rangezogen werden, deren Interpretation dann zusätzliche Verarbeitungsprozesse erfordert“ (Heu-er, 1993d, S. 371).

Mit den vorgestellten Zwischenschritten kommt man von einer anschaulichen Darstellung zum Zeitgraphen. Je nachdem wie neu oder vertraut den Lernenden Liniengraphen sind, müssen mehr oder weniger Zwischenstufen gewählt werden. Möglich ist auch, dass man neben der gerade zu be-trachtenden Darstellung eine ältere anschaulichere Darstellungen wie die Animation weiterhin zum

Abb. 3.7 a, b, c: Weitere drei verschiedener Darstel-lungsmöglichkeiten der Geschwindigkeit eines Wagens

Vergleich und zur Erinnerung sichtbar lässt, damit die Lernen-den leichter bestimmte Phasen des Graphen bestimmten Phasen des Ablaufs zuordnen können.

3.2.2.2 Vergleich verschiedener Größen

Häufig interessiert im Physikunterricht nicht nur der zeitliche Verlauf einer Größe, sondern ihr Zusammenhang mit anderen Größen. Will man mehrere Größen darstellen, hat man prinzi-piell die gleichen Darstellungsmöglichkeiten wie bei einer Größe, wobei sich aber die Vor- bzw. Nachteile der einzelnen Darstellungsmöglichkeiten verändern. Beim Stempeln z.B.

können nicht zwei Größen direkt nebeneinander gestempelt werden, sondern nur mit einigem Abstand, was die genaue zeit-liche Zuordnung beim Vergleichen

er-schweren kann (siehe Abb. 3.8).

Werden Pfeile in ein Video oder in eine Animation hineingezeichnet (siehe Abb. 3.9 a, eine Luftkissenbahn wird hin- und her-gekippt und Hangabtriebskraft und Bewe-gung gemessen), ist ein Vergleich schwer möglich, wenn sich die Pfeile mit dem Ob-jekt mitbewegen. Eine geeignete Darstel-lung ist, die Pfeile (zusätzlich) ortsfest zu zeigen (siehe Abb. 3.9 b; Wilhelm, 1994, S.

152 f.). Die Anfangspunkte (Fußpunkte) der Pfeile sind dabei fest und Richtung und Länge ändern sich entsprechend den dazu-gehörigen Größen. Da sich die Pfeile nicht mehr mit dem Gleiter bewegen, sind sie viel besser zu beobachten und zu verglei-chen. Die Möglichkeit des Anhaltens und der Reproduktion mit verschiedenen Ge-schwindigkeiten bleibt jedoch wie bei der Animation erhalten. In dieser Darstellung hat man einen übersichtlichen Querschnitt durch die relevanten Größen zu jeweils einem Zeitpunkt, so dass man diese gut vergleichen kann.

Der nächste Abstraktionsschritt ist, alle relevanten Größen in einen Zeitgraphen

Abb. 3.8: Zwei Stempeldiagramme zum Vergleichen

Abb. 3.9 a, b, c, d: Vier verschiedene Darstellungsmög-lichkeiten zum Vergleich mehrerer Größen

einzuzeichnen (siehe Abb. 3.9 c). Auch hier können die verschiedenfarbigen Pfeile wieder einge-zeichnet werden, so dass die Anfangspunkte dabei der Zeitachse entlang laufen und die Pfeile nach oben oder unten weisen. An der Spitze der Pfeile entstehen den Pfeilen farblich entsprechende Li-nien, so dass quasi die Pfeile den Graphen erstellen (Wilhelm, 1994, S. 152 f.). In der Physik würde man eine Größe in Abhängigkeit von einer anderen darstellen (siehe Abb. 3.9 d), was die abstrak-teste Darstellung ist. Sie wird leichter verstanden, wenn sie nicht von Anfang an, sondern erst nach der Diskussion anschaulicherer Darstellungen gezeigt wird.

In allen Darstellungsformen der Abb. 3.9 wird visualisiert, dass die Beschleunigung a und die Hangabtriebskraft F_hang stets proportional zueinander sind, womit Strukturaussagen gemacht werden. Diese Aussage wird besonders im Teil b der Abb. 3.9 durch eine dynamisch ikonische Rep-räsentation in Form einer Verbindungslinie vom unteren Punkt zur Pfeilspitze von F deutlich.