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6.4 Schülerstudien zur Kinematik

6.4.2 Graphen zur eindimensionalen Kinematik

6.4.2.2 Ergebnisse traditioneller Vergleichsklassen zur Geschwindigkeit

Der ursprüngliche Test „Fragen zu Kraft und Bewegung“ hatte drei Teile, die die Kinematik betref-fen. In einem Teil sollte der zu einer beschriebenen Bewegung passende Geschwindigkeitsgraph gewählt werden, in einem anderen Teil der zu einer beschriebenen Bewegung passende Beschleuni-gungsgraph. Bei einer senkrecht nach oben geworfenen Münze sollte im amerikanischen Original nur das Vorzeichen der Beschleunigung angegeben werden. Im deutschen Fragebogen von W IL-HELM (1994) wurde zusätzlich noch nach der Richtung der Beschleunigung gefragt. Diese Aufgabe wurde schließlich (für die Test in den Jahren 2001 bis 2004) als eigener Test aus dem Gesamttest herausgenommen (siehe Kapitel 6.4.3).

Items mit Geschwindigkeits-

graphen

richtige Lösung,

nach traditionellem Unterricht, 1994, WILHELM (N = 188, 10 Klassen)

richtige Lösung,

vor der 11. Klasse, 2001-2003, WILHELM (N = 373, 18 Klassen)

nach rechts, v konstant 98 % 97 %

nach links, v konstant 98 % 89 %

v gleichmäßig größer 97 % 88 %

ändert Richtung 92 % 81 %

v nach rechts und

gleichmäßig kleiner - 93 %

Tab. 6.3: Anteil richtiger Antworten bei den Geschwindigkeitsaufgaben (Bewegungen beschrieben, passende Geschwindigkeitsgraphen auszuwählen) vor und nach konventionellem Unterricht in der Jahrgangsstufe 11 (nur Gymnasium)

Beim ersten Aufgabenblock zur Geschwindigkeit bewegt sich ein Spielzeugauto eindimensional entlang einer horizontalen Linie, der x-Achse eines Koordinatensystems. Die Schüler müssen zu den beschriebenen Bewegungen den passenden Zeit-Geschwindigkeits-Graphen aus den vorgege-benen Graphen heraussuchen. Wie Tab. 6.3 zeigt, beantworteten fast alle Schüler nach dem konven-tionellen Kinematik-/Dynamikunterricht die Aufgaben richtig. Man kann also sagen, dass die Schü-ler mit diesen kinematischen Fragen und mit der Grapheninterpretation hier keine Probleme hatten.

Inwieweit die Schüler den Begriff „Geschwindigkeit“ bei der Beschreibung einfacher Bewegungen realer Objekte korrekt anwenden können, wie es z.B. von TROWBRIDGE und MCDERMOTT (1980) untersucht wurde, kann aber nicht gesagt werden. Leider ergab sich auch nur eine kleine Reliabilität von α = 0,28.

Wichtig ist, dass diese guten Ergebnisse aber auch schon vor Beginn des Unterrichts der elften Klasse möglich sind, wie Tab. 6.3 zeigt. Diese Testergebnisse stellen den Sinn so mancher Unter-richtsstunde in der Kinematik der bisherigen elften Klasse in Frage, in der intensiv die Graphenin-terpretation von Geschwindigkeitsgraphen bei eindimensionalen Bewegungen geübt wird. Da die Schüler offensichtlich diese Fähigkeiten bereits in die Oberstufe mitbringen, ist es sinnvoller, statt-dessen die Geschwindigkeit bei zweidimensionalen Bewegungen ausführlicher zu behandeln.

Items mit Uni., USA insgesamt, THORNTON,

1987 + 1988, N = 591 67 % 43 % 95 % 68 % 68 %

Gymnasium, TREFFER, 1988, N = 426 65 % 30 % 95 % 74 % 66 % Universität Würzburg, TREFFER, 1988 83 % 67 % 96 % 83 % 82 % Gymnasium, WILHELM, Vorlauf,

1993, 4 Klassen, N = 89 91 % 91 % 99 % 85 % 92 %

Gymnasium, WILHELM, Haupttest,

1994, 10 Klassen, N = 188 98 % 98 % 97 % 92 % 96 %

techn. FOS (2-jährig), WILHELM,

Haupt-test, 1994, 7 Klassen, 3 Schulen, N = 110 98 % 93 % 96 % 94 % 95 % Gymnasium, BLASCHKE, 1997,

N = 363, 18 Klassen 92 % 80 % 96 % 74 % 85 %

Tab. 6.4: Vergleich der Anteile der richtigen Lösungen der Geschwindigkeitsitems (Bewegungen beschrieben, passende Geschwindigkeitsgraphen auszuwählen) nach herkömmlichem Unterricht.

Quellen: THORNTON,SOKOLOFF (1990); THORNTON (1992) (Ergebnisse aus graphischen Darstellungen abgele-sen); TREFFER (1990), und private Aufzeichnungen von TREFFER;BLASCHKE (1999) (Die Angaben wurden aus den Angaben für die einzelnen Klassen berechnet. Gemittelt wurde dabei über die Schüler, nicht wie bei BLASCHKE über die Klassenergebnisse.) und eigene Erhebung

Interessant ist noch der Vergleich der Ergebnisse dieser Untersuchung mit den Ergebnissen von THORNTON,TREFFER und BLASCHKE, wie es Tab. 6.4 zeigt. Alle hier aufgeführte Ergebnisse bezie-hen sich auf Tests, die nach einem herkömmlicbezie-hen Unterricht gestellt wurden. Dabei handelt es sich um die gleichen Aufgaben, sich physikalisch entsprechenden Aufgabenformulierungen und gleiche

Antwortgraphen. Sehr verblüffend sind die großen Unterschiede bei bayerischen Gymnasiasten. Ein überraschender Punkt ist, dass im Jahr 1988 Studenten, die im ersten Semester Physik studierten, schlechtere Ergebnisse erzielten als Gymnasiasten im Jahr 1994, die pflichtweise in der elften Klas-se noch Physik machen müsKlas-sen. Das ist wohl nicht damit zu erklären, dass die Studenten den Fra-gebogen unter Zeitdruck bearbeiten mussten, während die Gymnasiasten Zeit hatten, was auch wichtig ist, wenn man nicht Leistung messen will, sondern Vorstellungen aufdecken will. Weiterhin verwundert es, dass Gymnasiasten des gleichen Bundeslandes bei einem im Wesentlichen gleichen Lehrplan 1988 bedeutend schlechter als sechs Jahre später sind. Möglich ist, dass die Lehrer mitt-lerweile mehr Wert auf Grapheninterpretation legen oder engagiertere Lehrer ausgewählt wurden.

Andererseits war der Fragebogen 1988 auch etwas umfangreicher, unübersichtlicher, von der Ges-taltung her nicht ansprechend und fast ohne Skizzen zur Veranschaulichung. Schließlich wurde der Fragebogen 1994 auch später im Schuljahr gestellt, so dass die Schüler vielleicht mehr Übung mit Grapheninterpretation hatten. Dennoch erklärt dies noch nicht die Unterschiede. Es ist zu bedenken, dass bei WILHELM die 373 Schülern vor dem Unterricht bei drei der vier Items schon besser sind, als die ebenfalls bayerischen Gymnasiasten bei TREFFER (im Jahr 1988) und BLASCHKE (im Jahr 1997) nach dem Kinematik-/Dynamikunterricht bei physikalisch identischen Aufgaben.

Auffallend ist bei allen Untersuchungen von THORNTON, TREFFER und BLASCHKE, dass der Anteil der richtigen Antworten bei der Bewegung nach links deutlich geringer als bei der Bewegung nach rechts ist, während bei WILHELM diese Items fast gleich beantwortet wurden. Dies liegt wahrschein-lich an der in Kapitel 6.4.2.1 diskutierten Präsentation des Koordinatensystems (1988 und 1997:

positive Orts-Achse; 1994: x-Achse eines Koordinatensystems). Von Interesse ist deshalb, welche Antwort die Schüler 1988 statt der richtigen gaben. 16 % bis 26 % der Schüler wählten den Graph aus, der statt der Geschwindigkeit den Ort angibt. Dies wird durch die Formulierung der Items un-terstützt, denn Formulierungen wie „der sich mit gleich bleibender (konstanter) Geschwindigkeit vom Ursprung weg bewegt“ bzw. „zum Ursprung hin bewegt“ lassen eher an einen bestimmten Ortsgraph denken wie Formulierungen wie „bewegt sich nach rechts“. Ein anderer Grund könnte bei TREFFER und BLASCHKE sein, dass im Aufgabenblock davor zu ähnlichen Items das passende Zeit-Ort-Diagramm ausgewählt werden sollte (Platzierungseffekt). Dies zeigt, wie entscheidend die Formulierung der Fragestellung in einem Test ist.

Es sei hier aber noch die folgende Kritik an der Aufgabenstellung angemerkt: In fast allen Items des gesamten Fragebogens werden die Bewegungen der entsprechenden Fahrzeuge fast gleich lautend über die Geschwindigkeit bzw. Schnelligkeit beschrieben (konstant, schnellerwerdend, langsa-merwerdend). Im Aufgabenblock zur Beschleunigung (und indirekt in den Aufgaben zur Kraft) ist also nach der ersten Ableitung der beschriebenen Geschwindigkeit gefragt, während in diesem Block nach der Geschwindigkeit selbst gefragt ist. Deshalb ist auch unabhängig von den Vorstel-lungen der Schüler dieser Aufgabenblock einfacher zu beantworten. Um einen vergleichbaren Schwierigkeitsgrad zu haben, müsste es z.B. statt „bewegt sich nach rechts mit einer festen Ge-schwindigkeit“ hier „bewegt sich nach rechts und vergrößert seinen Abstand vom Ursprung gleichmäßig“ heißen. Bei einer so ähnlich formulierten Aufgabe in der Untersuchung von B

LASCH-KE haben nach dem Kinematik-/ Dynamikunterricht auch nur 47 % eine richtige Antwort abgege-ben.

Letztlich sei noch das Item kritisiert, in dem das Auto ohne Angabe der Richtung seine Geschwin-digkeit gleichmäßig vergrößert. In der ersten Version 1994 gibt es (wie bei THORNTON) unter den möglichen Antwortgraphen aber nur einen Geschwindigkeitsgraphen, in dem sich die y-Werte stets irgendwie vergrößern - sei es in positive oder negative Richtung. Es gibt hier also keine alternativen Lösungsmöglichkeiten, die für die Schüler irgendwie plausibel oder attraktiv sein könnten. Bei der Variante von BLASCHKE und der von 2002 wurde noch zusätzlich eine Antwortmöglichkeit angebo-ten, bei der der Betrag einer negativen Geschwindigkeit abnimmt, also die Geschwindigkeit zu-nimmt. Für die Vergleichbarkeit musste es schon als richtig gewertet werden, wenn nur die erste Möglichkeit gewählt wurde.

6.4.2.3 Ergebnisse traditioneller Vergleichsklassen zur Beschleunigung