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4.1 Grundlegendes über Modellbildungssysteme

4.1.1 Die Eingabe bei unterschiedlichen Modellbildungssystemen

Im Prinzip gibt es zwei Arten von Modellbildungssystemen: Gleichungsorientierte, programmier-sprachennahe Systeme und graphisch-strukturorientierte Systeme (auch graphikorientiert bezeich-net). Gleichungsorientiert kann man Modellbildung mit einer Programmiersprache wie Basic oder Pascal oder in Excel durchführen; dies wird unter dem Begriff „Methode der kleinen Schritte“ im Unterricht eingesetzt. Allerdings kann man dabei nur das Euler-Verfahren als ein einfaches Nähe-rungsverfahren verwenden, das bei manchen Vorgängen falsche Ergebnisse liefert. Es gibt dazu auch eigene Programme wie z.B. das alte Programm Dynamos zum Betriebssystem MS-DOS. Heu-te sind ModellbildungssysHeu-teme in der Regel aber graphisch-strukturorientiert. Im Schulbereich am bekanntesten sind STELLA, Powersim, Modus, Coach 5 und VisEdit und vor allem Dynasys, das nach einer Lehrerbefragung von GRÖBER (2005, S. 34) das in Rheinland-Pfalz am meisten

einge-setzte Modellbildungssystem ist (von anderen Bundesländern liegen keine Daten vor). Für den au-ßerschulischen Bereich gibt es noch etliche professionelle Programme. Hier wird jeweils zuerst mit einem graphischen Modell-Editor durch Einführen der relevanten physikalischen Größen und ihren Verknüpfungen ein Modell erstellt. D.h. es werden Symbole für die einzelnen Größen gesetzt und entsprechend ihren Wirkungen miteinander verknüpft. Erst in einem zweiten Schritt werden diese qualitativ definierten Beziehungen zwischen den einzelnen Größen durch grundlegende physikali-sche Beziehungen quantifiziert (Schecker, 1992, S. 151). Die graphiphysikali-sche Darstellung hat gegenüber Gleichungen viele Vorteile: Die Struktur des Modells ist schnell und einfach zu erkennen, was eine Diskussion darüber - z.B. in einer Gruppenarbeit von Schülern - erleichtert. Es ist sofort klar sicht-bar, welche Größe auf welche andere einen Einfluss hat. Außerdem muss keine Programmierspra-che, sondern nur die Arbeit mit sehr wenigen Symbolen gelernt werden.

Tab. 4.1: Symbole in graphisch orientierten Modellbildungssystemen

Programm Vorgabegröße (exogene Einwirkung)

Zwischengröße

Zustandsgröße (Speichergröße) mit Veränderung

STELLA Dynasys

Konstante Einflussgröße

Zustandsgröße mit Änderungsrate

Powersim

Modus

Moebius

Coach 5

VisEdit / PAKMA

Konstante Funktionsgröße Sammelgröße

Die Modellbildungssysteme gehen auf FORRESTER zurück, der in den 60er Jahren die Systemdyna-mik entwickelt hat. In der SystemdynaSystemdyna-mik sind vor allem drei grundsätzlich verschiedenartige Ty-pen von Systemgrößen (Tab. 4.1, erste Tabellenzeile) zu unterscheiden (Bossel, 1992, S. 79 + 93):

1. Vorgabegrößen, d.h. Parameter und exogene Einwirkungen, also Größen, die von außen auf das System einwirken, aber von diesem nicht beeinflusst und verändert werden.

2. Zustandsgrößen, d.h. Speichergrößen, in denen sich der gegenwärtige Zustand eines Systems auch als Ausdruck seiner Geschichte widerspiegelt. Sie sind das Gedächtnis des Systems (Bos-sel, 1992, S. 19).

3. Zwischengrößen, d.h. Größen, die jederzeit direkt aus Vorgabe- und Zustandsgrößen ermittelt, d.h. berechnet werden können. Auch die Veränderungsraten der Zustandsgrößen gehören eigent-lich zu dieser Kategorie, obwohl sie in der Tabelle zu den Zustandsgrößen dazugezeichnet wur-den.

Verschiedene Modellbildungssysteme benutzen dazu unterschiedliche Symbole (Tab. 4.1), wobei in STELLA und Dynasys Konstanten und Zwischengrößen graphisch nicht explizit unterschieden werden. Die Änderungsraten bzw. die Änderungen bekommen in den meisten graphisch-orientierten Modellbildungssystemen ein eigenes Symbol, so dass man auf vier verschiedene Grö-ßen kommt (z.B. Schecker, 1998b, S. 27). Ist eine Größe gleichzeitig Zustandsgröße und Ände-rungsrate muss sie doppelt eingegeben werden, was zu Problemen führt und für Schüler verwirrend sein kann (Schecker, 1998b, S. 33 - 34). Bei STELLA, Dynasys und Powersim verwendet man fol-gende Analogie: durch eine Rohrleitung fließen die Änderungen in den Zustandsbehälter, wobei die Flüsse durch Ventile (die Änderungsraten) reguliert werden (stock-and-flow-Modelle, Fluss-Diagramme). TINKER (1993, S. 99) kritisiert, dass dabei ein intuitives Verständnis der Flüsse in-kompressibler Flüssigkeiten nötig ist. Dabei darf man in STELLA nicht vergessen, auch negative Änderungen zuzulassen (biflow statt uniflow), da eine Begrenzung auf nur positive oder nur negati-ve Werte in der Physik (im Gegensatz zu den Wirtschaftswissenschaften) nur wenig Sinn macht.

Dieses „Fließen in den Zustandsbehälter“ entspricht dann dem Integrieren bei einer analytischen Lösung. TINKER (1993, S. 98) gibt zu bedenken, dass diese Darstellung mit der Metapher von Flüs-sen beim zweiten newtonschen Gesetz nicht sinnvoll erscheint (Was fließt gesteuert von der „Be-schleunigung“ in das Reservoir „Geschwindigkeit“?). Laut SANDER (2000, S. 197) haben Studenten damit aber keine Probleme. Er berichtet dagegen von einem Vorzeichenproblem mit STELLA, bei dem STELLA automatisch negative Änderungsraten wählt, weil die Änderungsrate aus der Zu-standsgröße herausgezogen wurde (Sander, 2000, S. 179)

Bei VisEdit wird eine andere Analogie benutzt und von einer Sammelgröße gesprochen. Eine Sam-melgröße sammelt oder summiert viele kleine Änderungen auf. Beispielsweise ergibt die Summati-on aller Geschwindigkeitsänderungen )v zusammen mit dem Startwert v0 die augenblickliche Ge-schwindigkeit. Das Quadrat soll ein Reservoir darstellen, das der Größe entspricht. Dahinein geht eine Spritze, die die Änderung darstellt und sowohl positiv als auch negativ sein kann. Während die anderen Programme für diese Integration zwei Symbole brauchen, gibt es hier nur noch ein einziges Symbol. Die graphische Darstellung des Systems, das letztlich entsteht, wird bei STELLA/Dynasys und Powersim als Flussdiagramm aufgefasst, während bei Modus, Coach 5 und VisEdit das Netz

der mit Pfeilen verbundenen Größen eher eine Interpretation als Ursache-Wirkungsdiagramm nahe legt (obwohl sich auch hier Zustandsgrößen von anderen Größen unterscheiden).

Nach der Eingabe aller Größen und Beziehungen berechnet jedes Modellbildungssystem den Vor-gang dann iterativ und numerisch. Bei Vorgängen aus der Dynamik bilden folgende drei Gleichun-gen den Kern der Berechnung:

• Das zweite newtonsche Gesetz F = mθa und zwar in der Form a = F / m

• Die Definition der Beschleunigung a = )v/)t, aber in der Form ∆v=a⋅∆t

• Und die Definition der Geschwindigkeit v = )s/)t, wiederum in der Form ∆s=v⋅∆t

Das zweite newtonsche Gesetz in der Form F = mθa ist allerdings missverständlich. Gemeint ist nicht eine Kraft, sondern die Summe aller angreifenden Kräfte, und auch nicht eine Masse, sondern die Summe aller bewegter Massen, also ΣFma oder besser aFm.

Kennt der Computer den Startwert s0, berechnet er in dem nächsten Zeitschritt )t die Änderung )s und kennt damit auch den neuen Ort s1. Das Gleiche passiert im nächsten und übernächsten Zeitschritt.

Ist jeweils die Geschwindigkeit bekannt, kann auch immer die Ortsänderung und damit der Ort berechnet werden. Die Geschwindigkeit wiederum wird auf die gleiche Weise aus der Beschleuni-gung berechnet, während die BeschleuniBeschleuni-gung wie-derum aus den bekannten Kräften berechnet wer-den kann.

Im Unterricht der Studie wurde dieses Prinzip des Aufaddierens der Änderungen für die Schüler an einigen PAKMA-„Projekten“ mit dynamisch iko-nischen Repräsentationen dargestellt (Abb. 4.1 und 4.2). Man sieht die Darstellung der Ergebnisse einer Messung der Bewegung des Lehrers mit Hil-fe eines Sonarmeters, wobei immer Ort und Orts-änderung nach einer Sekunde aufgetragen wurden.

Man kann daran auch sehen: Alle hellblauen dx ergeben addiert zusammen mit dem Startwert den augenblicklichen schwarzen Ort x. Im zweiten Beispiel ergeben alle roten dv zusammen die aktu-elle grüne Geschwindigkeit v. Bei einigen Model-len ist für ein genaueres Ergebnis statt dieses line-aren Verfahrens (Euler-Verfahren) eine quadrati-sche, kubische oder quadrische Näherung (Runge-Kutta-Verfahren) nötig, die ein

Modellbildungs-Abb. 4.1: PAKMA-„Projekt“ zum Verständnis des Modellbildungssystems, die dx erzeugen x

Abb. 4.2: PAKMA-„Projekt“ zum Verständnis des Modellbildungssystems, die dv erzeugen v

Abb. 4.3: Eingabe in STELLA oder Dynasys

system durchführen kann, aber für Schüler im Detail nicht nachvollziehbar sind.

Die Abb. 4.3 zeigt, wie die Größen in den älteren Modellbildungssystemen STELLA oder Dynasys eingegeben werden. Durch eine Rohrleitung fließen Ortsänderungen in den Zustandsbehälter Ort.

Die Änderungsrate ds/dt ist das Ventil, das den Zufluss steuert. ds/dt, ist aber die Geschwindigkeit.

Diese entsteht genauso. Häufig wird die Änderungsrate auch gleich v genannt und die Zustandsgrö-ße dann „Geschwindigkeit“. Die Geschwindigkeit tritt also unvermeidbar doppelt auf – einmal als normale Größe und einmal als Änderungsrate.

Das Modellbildungssystem VisEdit unterscheidet sich in einigen Punkten von anderen Modellbil-dungssystemen, die meist an STELLA orientiert sind. Ein struktureller Unterschied ist die Symbo-lik, die hier für sinnvoller gehalten wird. So tritt in

VisEdit (wie in Coach 5) die Geschwindigkeit nicht doppelt, sondern nur einfach auf (Abb. 4.4).

Dadurch werden die Modelle übersichtlicher.

Ein entscheidender Unterschied ist aber, dass in STELLA oder Dynasys die Änderungsrate, z.B.

dv/dt, also die Ableitung verwendet wird, während in VisEdit und Coach 5 nur die Änderung, z.B.

)v in einem festen Zeitintervall )t verwendet wird. Das ist sinnvoll, weil sich Schüler mit Ratengrö-ßen sehr schwer tun, während eine Änderung anschaulicher ist. BLISS (1994, zitiert bei Sander, 2000, S. 49, Originalliteratur nicht ausleihbar) berichtet, dass selbst Studierende Probleme mit der Änderungsrate hatten. Schließlich aber verwendet eh jedes System zum Berechnen die Änderung – deshalb sollte man dies auch deutlich machen. In VisEdit und Coach 5 muss die Gleichung für die Änderung (z.B. ∆x = vt), also die umgeformte Definition von Geschwindigkeit und Beschleuni-gung, auch explizit eingegeben werden, während in STELLA/Dynasys der Computer dies selbst aufgrund der Symbolik tut. Das ist ungeschickt, weil ja die grundlegenden Formeln im Physikunter-richt bewusst gemacht werden sollen.