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5 Textkohärenz durch Konnexionen auf Inhalts-Ebene

Im Dokument Christoph Heilig Paulus als Erzähler? (Seite 188-193)

5.1 Propositionale Strukturen 5.1.1 In GGNT

Konnektoren stellen im Text inhaltliche Beziehungen her. Dabei verbinden sie mehrere (in der Regel zwei) Propositionen miteinander. Eine Proposition besteht im Verständnis von Heinrich von Siebenthal35 in der Regel aus einem Aussage­Kern, der ein „Vorgangskonzept“ (seltener ein „Beziehungskonzept“

oder ein „Zustandskonzept“)36 zum Ausdruck bringt,37 und mindestens einem

„Gegenstandskonzept.“

Die Proposition entspricht im typischen Fall dem Inhalt eines selbstständi­

gen (affirmativen, aktiven) Behauptungssatzes. Als Beispiel kann folgender Aus­

schnitt aus Apg 20,7 in Abb. 5 dienen:38

29 GGNT 346.

30 Duden 1734.

31 GGNT 318.

32 GGNT 319.

33 GGNT 320. Dies schließt auch „ähnlich verwendete, z. T. aus mehreren Wörtern bestehende, Ausdrücke“ wie πρὸ πάντων ein.

34 GGNT 321.

35  Vgl. auch GGNT 312a mit Fußnote 21 mit Literatur.

36 Das Zustandskonzept ist dann oft durch ein „Eigenschaftskonzept“ ergänzt, welches spezifi­

ziert, in welcher Art Zustand sich das Gegenstandskonzept befindet.

37 GGNT 312a.

38 Zum Folgenden vgl. GGNT 312a, wo Apg 7,47 als Beispiel dient.

Abb. 5: Textausschnitt und korrespondierende Äußerungsbedeutung aus Apg 20,7. Das Vorgangskonzept ist hier ‚sprechen,‘ wahrend ‚Paulus‘ und die durch das Pronomen signalisierten ‚Glaubensgeschwister‘ Gegenstandskonzepte sind.

Die Proposition wird hier auf Deutsch ausgedrückt. Da es sich bei ihr jedoch um eine inhaltliche Größe handelt, ist sie grundsätzlich sprachunabhängig.39 Entsprechend gibt es auch zahlreiche Möglichkeiten, dieselbe Proposition im Deutschen wiederzugeben. In der obigen Variante wird das griechische Verb mit Dativobjekt in der deutschen Wiedergabe der Proposition mit Verb und Präpo­

sitionalausdruck formuliert. So wird dies auch von den meisten Übersetzungen gehandhabt.40 Man könnte auch die Luther­Übersetzung als Grundlage für die Formulierung der Proposition wählen, da das dort verwendete Verb wie im Grie­

chischen ohne Präpositionalausdruck auskommt: „Er predigte ihnen.“ Da eine Proposition jedoch eine inhaltliche Größe und gerade nicht von einem bestimm­

ten syntaktischen Muster abhängig ist, kann die im Deutschen gängigere Aus­

drucksweise hier problemlos gewählt werden, auch wenn sie nicht mit Dativob­

jekt der angesprochenen Person gebildet werden kann.41

5.1.2 Ergänzungen

Die Proposition42 stellt die sogenannte „deskriptive“ Bedeutung des Satzes (bzw.

der satzwertigen Konstruktion) dar. Sie kann innerhalb der analysierten Sprache aus der konkreten Äußerung als „tempuslosen Satzrest“ gewonnen werden, in welchem die Zeit­ (und im griechischen auch Aspekt­)Spezifikationen des geäu­

ßerten Satzes neutralisiert wurden. Darstellen lässt sich die Proposition des deutschen Satzes „Paulus sprach zu ihnen“ daher wie folgt: [Paulus sprechen zu ihnen].43 Auch der Satz „Paulus, sprich zu ihnen!“ weist diese selbe deskriptive Bedeutung auf. Eine andere Bezeichnung für diese „Satzproposition“ ist die Rede vom „propositionalen Gehalt.“

Der Verbmodus des Satzes „Sprich zu ihnen!,“ der Imperativ, liefert eine vom propositionalen Gehalt zu differenzierende Bedeutungsebene. Hier wird durch

39 D. h., der Übersetzung „Paul preached to them“ (KJV) entspricht dieselbe Proposition.

40 Vgl. etwa Elberfelder („unterredete sich … mit ihnen“) oder Zürcher („sprach … zu ihnen“).

41 Auch das griechische Verb wird übrigens in Mk 9,34 mit πρός verwendet.

42 Der folgende sehr knappe Überblick folgt der Darstellung von Pasch, Brauße, Breindl und Waßner, Linguistische Grundlagen, 163–191. Auf detailliertere Differenzierungen muss hier ver­

zichtet werden.

43  Zur unterschiedlichen Darstellung in der GGNT siehe unten, Abschnitt 5.3.

den Verbmodus die Einstellung des Sprechers zur „Tatsachengeltung“ des Sach­

verhaltes,44 der von der Satzproposition bezeichnet wird, ausgedrückt. Sprachliche Mittel dieser Bedeutungsebene des epistemischen Modus sind beispielsweise auch Satzadverbialia (vgl. „Hoffentlich wird er zu ihnen sprechen.“). Zusammen mit dem (1) propositionalen Gehalt einer Äußerung bildet der (2) epistemische Modus eine propositionale Struktur, die als (3) „epistemische Minimaleinheit“ bezeichnet wird.

Der Sprecher drückt jedoch nicht nur eine Einstellung zum propositionalem Gehalt aus, sondern verfolgt im konkreten Äußerungskontext auch spezifische Absichten mit seiner sprachlichen Handlung, steht also auch in einer Beziehung zu Adressaten. Durch die Kombination einer epistemischen Minimaleinheit mit einer spezifischen kommunikativen Funktion ergibt sich in der Terminologie der Sprechakttheorie (4) eine „Illokution.“45 Die Intention des Sprechers kann nicht grundsätzlich vom Verbmodus her abgeleitet werden. Auch der Aussagesatz

„Hoffentlich wirst Du zu ihnen sprechen.“ kann mit einer mehr oder weniger dringlichen Aufforderungsintention verbunden sein.

5.2  Asyndetische und syndetische Konnexionen

Ein Text besteht nun in der Regel aus mehreren Propositionen, wobei in der Regel jeweils zwei aufeinander folgende Propositionen inhaltlich besonders eng ver­

knüpft sind. Diese inhaltliche Verknüpfung wird hier als „Konnexion“ bezeich­

net.46 Im Normalfall wird sie im Text durch bestimmte Konnektoren markiert, welche die genaue Art der inhaltlichen Beziehung spezifizieren. In diesem Fall wird die Konnexion als „Syndese“ bezeichnet, während eine Konnexion ohne Konnektor „Asyndese“ heißt.47

Andere sprechen nur dann von „Konnexion,“ wenn auch ein Konnektor vor­

liegt (so z. B. der Duden).48 Im Rahmen des integrativen Textmodells sind jedoch auch die konkreten pragmatischen Bedingungen des Kommunikationsaktes zu berücksichtigen und damit das über den Text hinausgehende kulturelle Wissen

44 Vgl. zum Sachverhalt in der Rede von „Ereignissen“ auch unten, Kapitel 6, Abschnitt 1.2.

45 Die kommunikative Funktion ist daher auch nicht mit dem epistemischen Modus gleichzu­

setzen. Im epistemischen Modus wird eine Bewertung der Proposition vorgenommen, die unab­

hängig von der Rolle ist, welcher der Sprecher dem Adressaten im Hinblick auf die Proposition beimisst. Allerdings besteht ein Zusammenhang zwischen beiden Kategorien dahingehend, dass kommunikative Funktionen von Äußerungen nur dann identifiziert werden können, wenn ein epistemischer Modus interpretierbar ist.

46 GGNT 312b.

47 Siehe den einleitenden Abschnitt unter 4.2.1.1 zu „Kohärenz und Konnektoren“ bei GGNT 316.

48 Duden 1734.

der Beteiligten. Das „Fehlen“ eines Konnektors im Text kann somit unter Verweis darauf erklärt werden, dass das Verhältnis zweier Propositionen einem koopera­

tionsbereiten Leser/Hörer auch ohne zusätzliche Markierung verständlich sein dürfte.49 Gansel und Jürgens bringen dies durch die Formel auf den Punkt, „dass Pragmatisches die Anforderungen an die Syntax entlastet.“50Die asyndetische Anbindung ist in dieser Hinsicht lediglich als ein Extremfall zu betrachten, wobei es durchaus auch syndetische Konnexionen gibt, die ebenfalls durch Verweis auf die Kommunikationssituation zu erklären sind. Auch die Verwendung von kopulativen Konnektoren und semantisch offenen adverbialen Partizipialkon­

struktionen „anstelle“ deutlicherer Konnektoren lässt sich schließlich durch diese pragmatische Entlastung erklären.51 Es scheint aus semantisch­kommunikativer Sicht daher deutlich sinnvoller, von einer allgemeineren Kategorie der ‚Konne­

xionen‘ auszugehen und diese in syndetische (Normalfall; mit unterschiedlicher Gradierung in der Deutlichkeit) und (kommunikationsbedingte) asyndetische Konnexionen zu unterteilen. Auch asyndetische Konnexionen können im Hin­

blick auf ihre Semantik deutliche lexikalische (nicht­konnektorale) Markierun­

gen aufweisen, wie etwa Ausdrücke des Nennwortschatzes („Der Grund/Das Ziel“

etc. mit Doppelpunkt).52

Um das Beispiel Apg 20,7 vor dem Hintergrund des Gesagten wie in Abb. 6 sichtbar weiter auszuführen: Hier steht die Proposition ‚Paulus sprach zu ihnen‘

in kausaler Konnexion mit der Proposition, welche durch die angeschlossene adverbial gebrauchte Partizipialkonstruktion zum Ausdruck gebracht wird:

Abb. 6: Kausale Konnexion innerhalb der Propositionalstruktur von Apg 20,7.

49 GGNT 322a.

50 Gansel und Jürgens, Textlinguistik, 174. Hervorhebung nicht im Original.

51 Vgl. GGNT 322a. Siehe auch GGNT 312c wo von einer funktionalen Vergleichbarkeit solcher Konnexionen mit der Asyndese die Rede ist.

52 Vgl. Breindl, „Syntaktische Grundlagen,“ 44–45.

53 μέλλω mit Infinitiv eines weiteren Verbs steht periphrastisch für das futurische Partizip (vgl.  Burton 153 zu Unterschieden in der Verwendung). Es wäre möglich, den vom Partizip abhängigen Infinitiv als eigenständige Proposition aufzufassen, sodass μέλλων zu ἐξιέναι τῇ ἐπαύριον in einer Einleitung­INHALT­Konnexion stünde (siehe GGNT 323b).

5.3 Mitzuverstehendes

Heinrich von Siebenthals Betonung pragmatischer Faktoren in der Textdeu­

tung kommt auch darin zum Ausdruck, dass er im Hinblick auf die einzelnen Propositionen festhält, dass „der Gesamtinhalt des Gemeinten“ zu berücksichti­

gen ist.54 Dieser kann aufgrund der kommunikativen Situiertheit des Textes auch deutlich „[ü]ber das explizit sprachlich Signalisierte hinaus[gehen].“55

Auch die erwogene kausale Konnexion der beiden genannten Propositionen in Apg 20,7 setzt etwa voraus, dass der Leser in der Lage ist, die Kohärenz des Textes aufgrund „mitzuverstehender“ Zusatzannahmen zu rekonstruieren. Die anstehende Abreise wird genau dann zur Begründung für das Gespräch, wenn vorausgesetzt wird, dass56 (a) Paulus den generellen Wunsch hegte, in Troas ein entsprechendes Gespräch zu führen, (b) er im bisherigen Zeitraum von sieben Tagen (Apg 20,6) noch keine Gelegenheit dazu hatte (vermutlich weil erst beim Treffen am Sonntag­Abend die Gemeinde als Ganzes zusammen kam; vgl. Apg 20,7) und (c) eine Abreise die mündliche Kommunikation zumindest mittelfristig unmöglich machen würde.

5.4 Äußerungsbedeutung

Zu beachten ist ferner, dass die hier dem griechischen Text in einfachen Anfüh­

rungsstrichen gegenübergesetzten Bedeutungs­Elemente keine Propositionen im eben erläuterten Sinn sind (bzw. repräsentieren). Sie stellen vielmehr den Versuch dar, „möglichst vollständige und ausführliche … Beschreibungen dessen, was … durch [die] Textanalyse (Exegese) als kommunizierte Botschaft [des] Textstückes ermittelt [wurde],“ zu liefern.57

Streng genommen besteht der kausale Zusammenhang in Apg 20,7 demnach zwischen den Propositionen [Paulus sprechen zu ihnen] und [Paulus abrei­

sen wollen am nächsten Tag]. Entsprechend wäre die inhaltliche Verknüpfung zwischen „Sprich zu ihnen, Paulus! Denn Du willst ja morgen abreisen“ ganz

54 GGNT 352a.

55 GGNT 352a.

56 Vgl. GGNT 314 zum „Mitzuverstehenden.“ Bei den hier gelisteten Elementen handelt es sich um Mitzuverstehendes, das sich aus dem Relevanzprinzip ergibt. Vgl. Gansel und Jürgens, Text-linguistik, 173. Bei Heinrich von Siebenthal ist dieser Aspekt unter GGNT 314g mit aufgenommen.

Vgl. grundlegend von Polenz, Satzsemantik, 31.

57 von Siebenthal, „Linguistische Methodenschritte,“ 75.

gleich zu bestimmen, als die Relation zwischen einer Grund­ und einer Folgepro­

position.58

Es wird hier trotzdem immer die Äußerungs­ bzw. Kommunikationsbedeu­

tung59 als semantische Einheit dargestellt, da die Identifizierung des gemeinten Konnexionstyps oft nur unter Berücksichtigung der Proposition im konkreten Kontext des Satzes (d. h. unter Einbezug der Satzstruktur, wie sie etwa durch Modus, Tempus und Aspekt konstituiert wird) und des Diskurses (d. h. unter Einbezug des Verhältnisses von Sprecher und Adressaten) erfolgen kann.60 Die angegebene semantische Relation besteht jedoch auf der grundlegenderen pro­

positionalen Ebene (siehe oben, Abschnitt 4,3).

Im Dokument Christoph Heilig Paulus als Erzähler? (Seite 188-193)