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Von der Frage nach der Bedeutung von „Erzählung“ zum „Wo“ und „Was“

2 Die mehrheitliche Skepsis

3  Fortgang der Diskussion im Rahmen des „narrative approach“

3.2  Von der Frage nach der Bedeutung von „Erzählung“ zum „Wo“ und „Was“

des Erzählens

Nicht alle Beiträge zur Debatte um das Verhältnis von Paulusbriefen und Narra­

tivität gehen den methodologisch fragwürdigen Schritt, die Thematik im Bereich der Intertextualität vollständig aufgehen zu lassen. Ben Witheringtons Paul’s Narrative Thought World ist in dieser Hinsicht ein erhellendes – und vor dem Hin­

tergrund des Gesagten auch vorbildliches – Beispiel:91

84 Das, Paul, x.

85 Das, Paul, 14. Anmerkung nicht im Original.

86 Das, Paul, 31.

87 Das, Paul, 16–20.

88 Das, Paul, 31.

89 Siehe dazu Heilig, „Methodological Considerations“ und Heilig, Hidden Criticism. Zu Hays’

Kriterien für die Identifizierung von Echos, siehe unten, Kapitel 16.

90 Zur Verbindung von narratologischer Deskription und Textinterpretation siehe unten, Kapi­

tel 3, Abschnitt 6.3.

91 Witherington, Narrative Thought World, 2–3. Vgl. auch Witherington, Narrative Thought World, 5, Fußnote 2: „It will be seen that my approach in this book differs somewhat from those seeking ‚echoes‘ of texts and contexts from the Hebrew scriptures in that it is some­

It is not true that this Story amounts simply to Paul’s appropriating the narratives or even the nonnarative portions of the Hebrew scriptures. Although these scriptures are in many ways the primary source of, and resource for, this Story, it also involves elements from other traditions (Jewish, Greco­Roman, Christian), elements of logic (e.g., the syllogism in 1 Cor 15:13ff.), and perhaps most important, elements drawn from Paul’s own and other Christi­

ans’ experiences of God in Christ.

Diese Betonung des „kreativen“ Anteils des Paulus in der Komposition seiner

„Story“ [sic] scheint die narratologische Analyse der vom Apostel geschaffenen Erzählung geradezu zu fordern, insbesondere, wenn man sich vor Augen führt, wie weit diese Einschätzung über die Darstellung des Fragenkomplexes bei Das hinausgeht. Jedoch heißt dies leider nicht, dass Witherington die narratologi­

schen Erwägungen zum das Narrative Konstituierenden über die oben bei Hays und Wright festgestellten Elemente hinausführen würde. Im Gegenteil erfahren die Leser/­innen sogar recht wenig darüber, was eine Erzählung denn nun aus­

macht. Differenziert wird lediglich zwischen einem fundamentalen „grand narra­

tive“ und einer „story that has continued to develop out of that narrative.“92 Diese Unterscheidung wird in einer Endnote wie folgt erläutert:93

In this study I maintain a slightly different distinction from that found in R. B. Hays, The Faith of Jesus Christ … between narrative, which has to do with a story in a text, and story, which is also a narrating of events but in oral form. For convenience sake I will use the term Story with a capital S to refer to the whole of the drama Paul reflects on, both in and beyond the text of scripture.

Da Witherington über diese „Story“ sagt, dass aus ihr „all his discourse arises,“94 scheint eher an eine mentale Größe gedacht zu sein. Entweder versteht Withe­

rington „oral form“ also sehr weitgefasst als „nicht schriftlich“ oder er geht von zwei Bedeutungen des Wortes „story“ aus: ‚a narrating of events … in oral form‘

und die von Hays verwendete Bedeutung. Dafür ist auch anzuführen, dass er in der Definition selbst ja davon spricht, dass ein „narrative“ sich auf schriftli­

che Weise mit einer „story“ beschäftige. Hier ist also wohl ebenfalls der Aspekt des Gehalts im Blick, der auch für Hays von Bedeutung ist. Eine explizite Ent­

faltung von Witheringtons Konzept der Erzählung liefert das Buch leider nicht.

Der Autor scheint auch kein Interesse daran zu haben, die von ihm in Anspruch

what broader. I am interested in the underlying story, or narrative, pattern that is sometimes alluded to or evinced in the course of handling the Old Testament, but also comes to light in other places and ways.“

92 Witherington, Narrative Thought World, 2.

93 Witherington, Narrative Thought World, 5.

94 Witherington, Narrative Thought World, 2.

genommene Kategorie narratologisch zu untermauern oder auszugestalten.

Das Narrative wird lediglich indirekt noch über Gegenüberstellungen definiert, welche zwar grundlegender Natur sind, aber nicht weiter ausgeführt werden:95

Approaching Paul’s thought from the point of view of narrative, one could argue, is rather like going to a philosophical debate and expecting a story to break out. After all, Paul’s letters are full of practical advice and theological ideas, not stories … I suspect that this sort of impression has been created in part because we all read Paul in the ways we have been trained to read him since at least the time of Luther, which entails a focus not only on Pauline ideas such as justification through faith but also on post­Enlightenment assump­

tions about distinctions between being and doing, ideas and action, propositional truth and narrative.

An die Stelle einer expliziten erzähltheoretischen Erläuterung des Konzepts von

‚Erzählung‘ tritt in Witheringtons Einleitung die Beschreibung der Handlung jener „Story“:96

This Story is a tale as large as the universe and yet as small as an individual human being … It is a Story about creation and creature and their redemption by, in, and through Jesus Christ.

It is a Story about a community of faith created out of the midst of fallen humanity.

Witheringtons theoretische Vorüberlegungen wurden hier recht ausführlich betrachtet, da er einerseits die Fragestellung nach Erzählungen bei Paulus nicht einfach im Bereich der Intertextualität auflöst, da er andererseits aber eben­

falls keine erzähltheoretische Klärung des Untersuchungsgegenstandes bietet.

Er steht damit exemplarisch für eine weitere Entwicklung in der Forschung, im Zuge derer die Frage, was mit den Wörtern „story“ oder „narrative“ überhaupt gemeint ist, durch zwei andere Schwerpunktsetzungen verdrängt wurde.

Diese beiden Fragestellungen sind nur teilweise miteinander verbunden.

Dass sie im Verbund in der Diskussion auftreten und dass sie die grundlegen­

dere Problematik der Definition der verwendeten Terminologie derart erfolgreich überlagern konnten, liegt sicherlich auch daran, dass schon bei den beiden Ini­

tiatoren des narrativen Paulus­Paradigmas die Frage nach den „Narrativitäts­

Bedingungen“ nicht im eigentlichen Mittelpunkt stand. Für Hays und Wright ist weniger das „Ob“ als vielmehr die spezifischere Frage nach der „kind of story“

maßgeblich.97 Diese spezielle Ausprägung des Konzepts der ‚Erzählung‘ lässt sich vor allem über die Antworten auf zwei Fragenkomplexe näher bestimmen:

95 Witherington, Narrative Thought World, 2.

96 Witherington, Narrative Thought World, 2.

97 Die Phrase entstammt Wright, New Testament, 404 in der unmittelbaren Überleitung zur

„larger narrative world“ des Apostels. Analog gilt, dass Hays’ Argumentation spezifisch darauf

(1) Wo ist die „story“ zu verorten? (In der Substruktur argumentativer Texte? In der weiteren narrativen Gedankenwelt des Apostels?)

(2) Bei beiden Autoren ist das „Wo“ unmittelbar mit eine Anschlussfrage verbun­

den: Was wird überhaupt erzählt? (Die Geschichte der Treue Jesu? Die neu interpretierte Geschichte Israels?)

Hays und Wright setzen bezüglich (1) der Verortung und (2) des Inhalts dieser narrativen Struktur durchaus unterschiedliche Schwerpunkte. Die Konzeptionen werden später (Kapitel 9 und 15) ausführlicher besprochen und dann auch termi­

nologisch differenziert. Bis dahin begnügen wir uns mit der Rede von impliziten Erzählungen, um den gemeinsamen Nenner der beiden Ansätze zu kennzeichnen.

Die Kombination einer narratologisch unvollständig bestimmten Ausgangs­

lage und der zugleich erhobenen recht umfassenden Ansprüche im Hinblick auf konkrete Texte hat in der Folge zu einer recht chaotischen Diskussionslage geführt, zumal es neben den beiden Positionen von Hays und Wright sehr schnell zu einer Ausdifferenzierung in eine Vielzahl exegetischer Entwürfe kam, die im Resultat sehr verschiedene „stories“ postulieren. Das „Wo“ geht in der Wahrneh­

mung des die Forschungsliteratur Sichtenden hier mit fließenden Übergängen in das „Was“ des Erzählten über, da die einzelnen Autoren diese Parameter nicht immer klar kennzeichnen.

Das Grundproblem nach wie vor fehlender expliziter narratologischer Erwä­

gungen zum Untersuchungsgegenstand („Was ist eine ‚story‘ und wo und wie ist demnach nach ihr im Hinblick auf Paulus zu suchen?“) wird leider auch durch den von Bruce W. Longeneckers herausgegebenen Band Narrative Dynamics in Paul98 nicht behoben. Vielmehr hat man den Eindruck, dass das Projekt im Bemühen, das Dickicht des Wildwuchses in der Forschungsliteratur zu lichten, selbst im Sumpf der unklaren theoretischen Voraussetzungen stecken bleibt.

Denn im einleitenden Aufsatz nimmt Longenecker zwar völlig richtig die Viel­

gestaltigkeit der Ansätze wahr,99 doch leider dient dies im Anschluss dann nicht als Ausgangspunkt für eine Klärung anhand narratologischer Erwägungen. Die grundsätzliche Frage, was überhaupt Narrativität konstituiert, bleibt vielmehr völlig unbeachtet.100

abzielt, seine Verortung der „story“ als narrativer Substruktur zu plausibilisieren. Siehe hierzu unten, Kapitel 15.

98 Longenecker, Hg., Narrative Dynamics.

99 Longenecker, „Narrative Interest,“ 12.

100 Diesem Fehlen expliziter Erwägungen stehen den Leser nur weiter verwirrende verstreute Anmerkungen, wie etwa die Rede von einem „narrative genre“ (Longenecker, „Narrative Inter­

est,“ 5, Fußnote 9), gegenüber.

Stattdessen wird schlicht der Vorschlag Dunns von „five distinct narrative ingre­

dients“ als Raster für die Diskussion des Bandes vorausgesetzt.101 Positiv zu werten ist, dass Longenecker wahrnimmt, dass auch bezüglich der „location“ der postu­

lierten narrativen Elemente große Unterschiede zwischen den einzelnen Entwürfen bestehen.102 Da oft jedoch gerade darin das Charakteristische der jeweiligen Ansätze steckt und das „Was“ mit dem „Wo“ bei vielen Autoren aufs Engste verbunden ist, stellt sich die Frage, welchen Sinn es erstens macht, überhaupt eine bestimmte Kon­

figuration an vorgeschlagenen „microstories“ zu verfolgen und zweitens die Frage nach dem „Wo“ im Anschluss an diese Engführung noch als eine Art Anhang zu behandeln. Eine grundsätzliche Klärung des Potenzials „narrativer Dynamiken“ in den Paulusbriefen scheint so zumindest eher erschwert als erleichtert.103

In der Praxis führt das Vorgehen entsprechend zu einem umso größeren Chaos104 und es ist oft nicht klar, ob und inwiefern sich die am Gespräch Beteilig­

ten überhaupt über denselben Gegenstand austauschen – selbst da, wo sich die Autoren über das „Wo“ und das „Was“ einig zu sein scheinen. Dass der grundle­

gende Terminus der „story“ dabei durchgehend immer wieder nur in Anführungs­

zeichen auftaucht, scheint ein Symptom dieser nachvollziehbaren Unsicherheit zu sein.105 John M. G. Barclay thematisiert die unklare Definitionslage zumindest zu Beginn seines Beitrags: „The vagueness of the category ‚narrative‘ (or ‚story‘)

101 Longenecker, „Narrative Interest,“ 12. Zu diesen fünf Erzählfiguren siehe unten, Kapitel 17, Abschnitt 3.2.

102 Longenecker, „Narrative Interest,“ 14.

103 Ich gestehe, dass mit die Begründung des gewählten Vorgehens von Longenecker, „Narra­

tive Interest,“ 13 nach wie vor schwer nachvollziehbar bleibt: „This model of five fluid but iden­

tifiable stories has been selected as the strutural model for this project. It is representative of the internarrational aspect that has preponderance among proponents of the narrative approach, and its proposed microstories permit effective delineation of subject matter.“

104 Dies zeigt sich schon an der Wortwahl im Aufsatz von Longenecker selbst: Obwohl er die Fragestellung der „location“ explizit als weiteres wichtiges Problem markiert, das die Autoren im Hinblick auf die je zu untersuchende Erzählung zu erwägen haben (Longenecker, „Narra­

tive Interest,“ 14), verwendet er den Ausdruck verschiedener narrativer „levels“ (Longenecker,

„Narrative Interest,“ 15) eben nicht nur in diesem Kontext, sondern auch im Hinblick auf Dunns

„distinct narrative ingredients“ (vgl. Longenecker, „Narrative Interest,“ 12 mit 13).

105 Dieser auffällige Gebrauch unter Vertretern des narrativen Ansatzes der Paulusauslegung weist im schlechtesten Fall auf fehlende Klärung grundsätzlicher Konzepte hin, erweckt im bes­

ten Fall doch zumindest den unnötigen Eindruck, die Autoren meinten es mit der gewählten Ausdrucksweise nicht so richtig ernst und würden sich auf die getroffenen Behauptungen nicht festnageln lassen wollen. Der Autor fühlte sich bei der Revision dieses Manuskriptes unweiger­

lich an die eigentümliche Gewohnheit von Präsident Trump erinnert, eigentlich im Kontext völ­

lig unproblematische Ausdrücke in Anführungszeichen zu setzen, womit er nicht selten eine komische, oft geradezu groteske, uneigentliche Deutungsebene heraufbeschwört (z. B. wenn er von sich selbst nur als „president“ in Anführungszeichen spricht).

has, in fact, enabled quite diverse parties to unite under this banner.“106 Douglas A. Campbell sieht diese Situation ebenso, hält Lösungsversuche jedoch nicht für erfolgversprechend: „It is unlikely that we will be able to arrive at a precise, mutu­

ally agreed on, fully satisfactory definition of what a story is, for there is probably no absolute definitional centre to the notion of story.“107 Er macht aus dieser Not sogar eine Tugend, wenn er schlussfolgert:108

Consequently it seems wise to sit loosely to any notion of definition and to speak of various narrative features, the possession of a sufficient number of which allows us to recognise narrative elements, or even relatively complete stories, in the broader texture of Paul’s thought as revealed in Romans and Galatians.

Wenn man die Vorstellung einer „precise, mutually agreed on, fully satisfactory“

Definition von Narrativität auf die Spitze treibt, wird die Aussage, dass diese wohl nicht erreicht werden könne, zur Binsenweisheit. Da jedoch nichts dagegenspricht, an die Brauchbarkeit einer Definition realistische Maßstäbe anzulegen, erscheint der Verzicht auf auch nur den Versuch einer Definition doch reichlich verblüffend. Wie wichtig diese Überlegungen zur Definition eigentlich sind, zeigt sich ironischerweise gerade daran, dass sich Campbell nicht dessen bewusst zu sein scheint (oder dies zumindest nicht so benennt), dass sein eigenes Vorgehen durchaus eine sinnvolle und gängige Definition des Konzepts ‚Definition‘ erfüllt:109 „Hence stories are espe­

cially useful types of texts for giving an account of the behaviour, actions, history, and/or accomplishments, of people (or, more strictly, of personal actors).“ Entge­

gen Campbells eigener Abneigung gegenüber der Identifizierung eines essenziellen Kerns von „storiness,“110 scheint hier doch zumindest das Element der Textualität eine notwendige Bedingung dafür darzustellen, dass wir von einer „story“ sprechen können. Auch stellt sich die Frage, was die Hervorhebung der „people“ und die sorg­

fältige Spezifizierung dieses Elements eigentlich bezweckt, wenn hier nicht eine not-wendige Bedingung für eine prototypische Erzählung benannt werden soll.

Vor allem aber ist gegenüber Campbell zu betonen, dass unabhängig von der Frage, ob ein Konsens bezüglich definitorischer Voraussetzungen realistisch ist,

106 Barclay, „Paul’s Story,“ 133.

107 Campbell, „Story,“ 99.

108 Campbell, „Story,“ 99.

109 Siehe unten, Kapitel 3, Abschnitt 3.2 zu Definitionsformen.

110 Campbell, „Story,“ 99: „Stories are generally identified by readers through the recognition of a particular text’s distinctive features, from which point interpretative expectations follow, especially in relation to genre. This suggests the presence of ‚a family resemblance,‘ to borrow Wittgenstein’s useful notion, rather than the fulfillment of a particular absolute structure or for­

mula. That is, stories are recognisable as such because they share a number of overlapping fea­

tures, not because they all fulfil a given essential definition of ‚storiness.‘“

eine möglichst präzise terminologische und konzeptuelle Klärung unabdingbar ist, um darauf aufbauende Analysen nachvollziehbar und prüfbar zu machen. Kon­

sistenz und Kohärenz des einzelnen Beitrags zur Diskussion kann kaum beurteilt werden, wenn diese Basis fehlt. Gerade die Beurteilung der Frage, ob die postu­

lierte „location“ von angenommenen Erzählstrukturen plausibel ist, setzt voraus, dass ein bestimmtes Konzept von ‚Erzählung‘ zum Einsatz kommt und dass dieses zumindest so klar umrissen ist, dass gefragt werden kann, ob eine solche Entität überhaupt kompatibel ist mit der behaupteten Verortung im/hinter/unter dem Text.

Soweit ich sehen kann, ist der einzige Forscher, der in besagtem Band selbst eine Definition wagt, Edward Adams.111 Mit ihm ist festzuhalten:112

If we are going to look for traces of narrative in the letters of Paul, we must make some effort to clarify what we are seeking to find. We need to be able to say what a story is and what its essential characteristics are.

In Anlehnung an Michael J. Toolan liefert Adams im Anschluss folgende Mini­

maldefinition einer Erzählung, die noch durch weitere typische Merkmale („ characters, settings, and a trajectory“) erweitert wird:113

A story/narrative is a series of events that can be perceived as sequentially and consequen­

tially connected.

Im nächsten Abschnitt wird nochmals auf diese Definition zurückgekommen werden, für den Moment genügen folgende drei Beobachtungen: Erstens ver­

wendet Adams im Gegensatz zu Hays „story“ und „narrative“ synonym. Zwei­

tens fällt auf, dass die Definition im Hinblick auf die Autorenintention sehr offen gestaltet ist. Drittens fehlt sogar jeder Verweis auf den Aspekt der Äußerung – ein Umstand, der bereits im Zusammenhang mit Hays’ Charakterisierung der „story“

angedeutet gesehen werden konnte.

Die zweite Beobachtung ist insofern relevant, da davon auszugehen ist, dass die auf dieser Grundlage identifizierbaren Erzählungen von vielen Kollegen nicht als solche empfunden werden dürften. Adams selbst trägt diesem Umstand Rechnung, indem er in einem zusätzlichen Schritt die Frage bespricht, ob die von ihm identifizierte Geschichte „in the narratological intentions of Paul“ ent­

stehe.114 Gerade an diesem Punkt bestätigt sich die oben gegenüber Campbell geäußerte Überzeugung, dass gerade bei Uneinigkeit über die Wahl der zugrunde

111 Adams, „Paul’s Story.“ Zugleich ist er interessanterweise auch derjenige, der diesem Ansatz am meisten Potenzial zuzugestehen scheint.

112 Adams, „Paul’s Story,“ 19.

113 Adams, „Paul’s Story,“ 23.

114 Adams, „Paul’s Story,“ 34. Kursive Hervorhebung entfernt.

zu legenden Definition die Offenlegung der jeweils zur Anwendung kommenden Kriterien von großer Bedeutung ist.

Problematischer scheint die dritte festgestellte Eigenschaft von Adams’ Defi­

nition: Streng genommen, scheint die Definition nahezulegen, dass jede Abfolge kausal verbundener Ereignisse eine „Erzählung“ konstituiert. Dies wirft sofort die Frage auf: Wenn ich einen Baum beobachte, der vom Wind geschüttelt wird, und daraufhin ein Apfel zu Boden fällt, stellen dann diese tatsächlich stattfin­

denden Geschehnisse115 selbst eine Erzählung dar – oder sollte diese Bezeich­

nung nicht vielmehr für meine Wiedergabe dieser Ereignisse hier im Text reser­

viert bleiben? Es ist nicht ganz klar, was gemeint ist – und entsprechend ist auch Adams Antwort auf die Frage nach der „location“ der Erzählung bei Paulus nur schwer mit seiner eigenen theoretischen Vorgaben abzugleichen (die Konsistenz des Entwurfs kann also nicht abschließend beurteilt werden).116

Auch wenn Adams’ Vorgehensweise daher einen entscheidenden Fortschritt gegenüber anderen Beiträgen darstellt, fehlt letztlich die explizite Problemati­

sierung der Beziehung von Narrativität und Textualität. Ohne einen Lösungsent­

wurf für diese beiden Parameter kann kein Raster kreiert werden, welches den von Hays und Wright formulierten Ansatz adäquat zu fassen vermag.

Ein möglicher Grund dafür, dass die Definition bei Adams trotz vielverspre­

chender Ansätze nicht konsequent ausgearbeitet wird, könnte darin liegen, dass er die Wahl seiner Definition unter anderem auch von folgendem Kriterium abhängig macht:117

If it is going to serve as a genuinely helpful descriptive and analytical tool, it must be neither too general or bland to be of discriminatory use nor too specific to be applicable to forms of discourse other than those that are most obviously narrative (e.g., fairy tales, comic strips, conventional novels, gospels).

Nimmt man diese Aussage in dem Sinn, dass wir uns über die Existenz verschie­

den strikter Definitionen im Klaren sein müssen und dass es sein kann, dass eine minimalistische Definition narrative Elemente in den Paulusbriefen iden­

tifizieren lässt, die durch ein feineres Raster fallen würden, so ist dem sicher­

lich zuzustimmen. Wesensverschieden ist jedoch die Praxis, das „Bedürfnis“ für eine narratologischen Analyse der Paulusbriefe als unhinterfragbaren Ausgangs­

punkt zu nehmen und von diesem aus Kategorieabgrenzungen vorzunehmen, die unabhängig vom Wunsch der Anwendbarkeit narrativer Erwägungen nicht

115 Für die Differenzierung zwischen dargestellter und tatsächlicher Situation siehe unten, Ka­

115 Für die Differenzierung zwischen dargestellter und tatsächlicher Situation siehe unten, Ka­