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Kein Platz für Narrative im narrativen Ansatz?

2 Die mehrheitliche Skepsis

4  Die Relevanz expliziter Erzählungen für den „narrative approach“

4.2  Kein Platz für Narrative im narrativen Ansatz?

Bedenkt man die Sensitivität für den Aspekt der Narrativität, welche den Zugang von Hays und Wright auszeichnet, so würde man zur Vermutung neigen, dass sie

auch expliziten Erzählungen des Apostels eine größere Aufmerksamkeit schen­

ken. Dies ist jedoch nicht der Fall, wie im Folgenden kurz erläutert werden soll.

Interessanterweise spielt Hays durch seine Fokussierung auf narrative Sub-strukturen diesen Aspekt nämlich explizit herunter, indem er die von ihm ins Auge gefassten Erzählstrukturen von solchen abgrenzt, die direkt an der Tex­

toberfläche auszumachen sind. Dass er diese augenscheinlichen Erzählungen ausklammert, begründet er damit, dass sie letztlich für den Diskurs ohne große Bedeutung seien:118

We all know that people sometimes tell stories in order to illustrate ideas: the preacher or lecturer, in order to make a point, uses an anecdote that ornaments or emphasizes the intended message. In this case, the story belongs not to the „substructure“ of the discourse, but to its „superstructure“; it could be replaced by a different illustrative story without materially altering the „meaning“ of the discourse.

Interessanterweise übersieht Hays hier das Wesen seiner eigenen Analyse von Gal 3,13–14 und 4,3–6. Denn bei diesen handelt es sich sehr wohl um explizite Erzählungen. Hays scheint dieser Umstand deswegen zu entgehen, da er diese Erzählungen lediglich vor dem Hintergrund noch ausführlicherer (impliziter) Erzählungen („narratives“) beziehungsweise als Ausdruck einer viel umfassende-ren gemeinsamen Handlung („story“) bespricht.

Wenn Paulus Bekenntnistraditionen zitiert, dann geschehe dies „in the mode of recapitulation,“119 also als Explikation einer bereits bekannten Geschichte. Die an die Textoberfläche dringenden narrativen Elemente beschreibt Hays daher lediglich als „Anspielungen“:120

In order to make his point, [Paul] must allude to the key events of the story, because the dianoia is discovered only in the narrative pattern. We can therefore expect that the struc­

ture (the mythos) of the story will appear most visibly at the points where Paul is elucidating the theme (the dianoia) of the story by repeating what he has already told his readers on some previous occasion.

Hays scheint durchaus gewillt, manche dieser Bezüge als Nacherzählungen zu verstehen, etwa im Hymnus in Phil 2 oder im Fall von 1. Kor 15. Zugleich schafft er jedoch eine Distanz zwischen einer solchen „briefly recapitulated christological story“ und den von ihm im Galaterbrief ins Auge gefassten Abschnitten, indem er erstere als der „foundation for Paul’s argumentation“ dienend qualifiziert,121

118 Hays, Faith, 22.

119 Vgl. Hays, Faith, 27.

120 Hays, Faith, 28.

121 Hays, Faith, 28.

während er die von ihm untersuchten Textabschnitte als „argumentative recapi­

tulation [with] traces of Paul’s foundational story“ bezeichnet.122 Auf diese Weise geraten die von ihm untersuchten Passagen zu bloßen Spuren „normaler“ Erzäh­

lungen – obwohl man mit gutem Recht argumentieren könnte, dass sie selbst durchaus die Bedingungen der Erzählhaftigkeit erfüllen.123

Wenn Hays dann ein Vorgehen als Ganzes als in zwei Schritten erfolgend beschreibt, übersieht er, dass der erste einer Analyse expliziter Erzählungen ent­

spricht:124

This inquiry may have two phases: we may first identify within the discourse allusions to the story and seek to discern its general outlines; then, in a second phase of inquiry we may ask how this story shapes the logic of argumentation in the discourse.

Wenn es sich bei Gal 3,13–14 und 4,3–6 selbst nur um Spuren einer Erzählung handelt, narrative Erwägungen hier aber leicht anzustellen sind, dann ist eine solche Herangehensweise auch für den umgebenden Text naheliegend. Hays minimiert also die Distanz zwischen seiner Analyse besagter Erzählungen und seinem Nachspüren einer „narrativen Logik“ im Textteil Gal 3–4 insgesamt, indem er auch den ersten Arbeitsschritt im Bereich der nur impliziten Erzählun­

gen verortet. Es muss jedoch gefragt werden, ob hier nicht der Schuss nach hinten losgeht und Hays auf diese Weise die eigentlich unproblematische Analyse expli­

ziter Erzählungen in den Dunstkreis nur indirekt zugänglicher narrativer Struk­

turen stellt.

Eine ähnlich distanzierte Haltung gegenüber expliziten Erzählungen in den Paulusbriefen nimmt Wright in Paul and the Faithfulness of God ein. Und auch bei ihm steht dies erstaunlicherweise Seite an Seite mit der Tatsache, dass er sehr wohl in der Lage ist, explizite Erzählungen als solche zu würdigen. Wie bereits gesehen, erfolgt immerhin bereits seine erste Anwendung des Aktanten­Modells auf die Paulusbriefe anhand einer expliziten – wenn auch, wie von Wright ange­

merkt, „dichten“125 – Erzählung (Röm 8,3–4).

Woher stammt also die in Paul and the Faithfulness of God so auffällige Distan­

zierung von derartigen narrativen Strukturen? Es scheint, als ob diese Relativie­

rung auf ein apologetisches Anliegen zurückzuführen ist: Wright zitiert Francis Watsons Kritik, nach der Paulus schlichtweg kein Geschichtenerzähler gewesen sei,126 um davon ausgehend klarzustellen, worum es ihm (und angeblich „most

122 Hays, Faith, 28.

123 Vgl. unten, Kapitel 3, Abschnitt 4.3.

124 Hays, Faith, 29.

125 Wright, Climax, 206.

126 Watson, „Story,“ 232.

narrative theorists“)127 eigentlich gehe – um das Weltbild als eine Art Brille durch die (und nicht „auf die“) man blicke.128

Daher widerspricht er der folgenden Behauptung von Watson nur milde: „It is significant that, with the exception of Galatians 1–2, Paul in his extant wri­

tings never actually tells a story.“129 Wright merkt dazu lediglich an, dass man wohl auch Phil 2,6–11 und 3,2–11 anführen könnte,130 und erwähnt kurz darauf an

„actual stories“ noch einige weitere „exceptions“ (er nennt an dieser Stelle Röm 7,1–8,11 und 9,6–10,21).131

In seinem Anliegen, in Bezug auf die ihm eigentlich und allein wichtigen Erzählstrukturen ernst genommen zu werden, ist Wright interessanterweise allerdings nicht nur bereit, über explizite Erzählungen in den Paulusbriefen relativ zügig hinwegzugehen, sondern er nimmt sogar eine sehr deutliche Abwertung vor:132

Even when a writer is writing a story, whether a novel, a short story or a play, the implicit worldview, and the narrative within which that worldview might come to expression, are highly unlikely to coincide with the narrative on the page.

Petersens Unterscheidung zwischen poetischer und referentieller Sequenz dient im Anschluss daran dazu, um zum „deeper and more powerful implicit narrative“

vorzudringen.133

4.3  Explizite Erzählungen als Ausgangspunkt der Evaluierung eines