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Die Relativität des Realen

3. Gothic – Innen- und Außenwelten:

3.4. Im Bann des Erhabenen – Von der beherrschten Natur zu einer Ästhetik des Schreckens:

3.4.5. Das Spirituelle in der Natur:

Analytik des Erhabenen innerhalb des aufklärerischen Diskurses das neu, was durch diese Aufklärung vormals abgeschafft wurde. „Ästhetik und genauer die Ästhetik des Erhabenen wird um 1800 das Medium, das absent-präsent hält, was der Metaphysik nach der Kantischen Kritik am ontologischen Gottesbeweis abhanden gekommen war.“169 Die Polarität und Zuordenbarkeit des Göttlichen wird als Gothick Revival entweder als Baustil zitiert, der Sehnsüchte konkretisiert oder als scheinbar objektive Konstante der Empfindung in der Imagination angelegt.

eindrucksvolles charakterisiert. Die Natur wurde erst seit der Mitte des 18. Jahrhunderts, seit Rousseau und Goethe, intensiv erlebt und zur Besteigung von Gipfeln kam es erst Anfang des 19. Jahrhunderts mit der Ausbreitung des Sports in England. ‚Landschaft’ ist die Natur, die ästhetisch genossen werden kann:

Landschaft ist Natur, die im Anblick für einen fühlenden und empfindenden Betrachter ästhetisch gegenwärtig ist: nicht die Felder vor der Stadt, der Strom als Grenze, Handelsweg und Problem für Brückenbauer, nicht die Gebirge und die Steppen der Hirten und Karawanen oder der Ölsucher sind als solche schon ‚Landschaft’. Sie werden dies erst, wenn sich der Mensch ihnen ohne praktischen Zweck in frei genießender Anschauung zuwendet, um als er selbst in der Natur zu sein.175

Für Petrarca wurde die Besteigung jedoch, als wollte er Kants Analytik des Erhabenen nahezu über 400 Jahre vorwegnehmen, der physische Aufstieg zu einem Sinnbild des Spirituellen.176 Die Erhabenheit der Umgebung, der Petrarca auf dem Gipfel gewahr wurde, zeigte ihm schließlich die Größe der eigenen Seele:

Zuerst stand ich, durch den ungewohnten Hauch der Luft und die ganz freie Rundsicht bewegt, einem Betäubten gleich da. Ich schaue zurück nach unten: Wolken lagen zu meinen Füßen, und schon wurden mir der Athos und der Olymp weniger sagenhaft, wenn ich schon das, was ich über sie gehört und gelesen, auf einem Berg von geringerem Ruf zu sehen bekomme.177

Und weiter:

Ich war betäubt, ich gestehe es, und ich bat den Bruder, der darauf brannte, weiter zu hören, er solle nicht in mich dringen, schloß das Buch, zornig auf mich selber, daß ich jetzt noch Irdisches bewunderte, ich, der ich schon längst selbst von den Philosophen der Heiden hätte lernen müssen, daß nichts bewundernswert ist, außer der Seele: Im Vergleich zu ihrer Größe ist nichts groß.178

Die Tatsache, daß er das eben Gesehene verachtet und die Größe der eigenen Seele und die Größe Gottes in seinem Geiste erhebt, mag für Petrarca damals eine Art Läuterung von seiner heidnischen Schaulust gewesen sein. In der Ästhetik des 18. Jahrhunderts erscheint es uns wie eine nahezu logische Folgerung. Daß Petrarca in diesem Moment des Schauens der Größe der eigenen Seele und der eigenen Vorstellungskraft inne wurde, beweist sich, als er schließlich

175 Färber, Helmut, Baukunst und Film. Aus der Geschichte des Sehens, München, 1977, 50

176 Ebd., 45

177 Ebd., 17

178 Ebd., 25

wieder den Rückweg antritt und ihm der Gipfel nunmehr sehr viel kleiner vorkommt und im Vergleich zur Größe der menschlichen Betrachtung geradezu winzig:

Wie oft, glaubst Du, habe ich an diesem Tag auf dem Rückweg mich umgewendet und den Gipfel des Berges betrachtet, er schien mir kaum die Höhe einer Elle zu haben im Vergleich zur Höhe menschlicher Betrachtung, wollte man sie nur nicht in den Schmutz irdischer Gemeinheit eintauchen.179

So könnte man denken, daß das Erhabene der Landschaft hierbei nicht nur eine Bestätigung der Größe der eigenen Imagination darstellt, sondern daß der Berg und die gesamte Umgebung auch ein externes Konstrukt des eigenen Selbst bilden. Daher ist auch zu erklären, warum die Figuren auf romantischen und vorromantischen Bildern stets im Vergleich zur übermächtigen Natur winzig klein erscheinen (Abb. 103). Einerseits sehen wir hier eine Kritik des Künstlers an der Rationalität der Aufklärung, andererseits begreifen wir die gewaltige Natur aber auch als Abbild unserer Seele und unserer Imagination. Unsere irdischen Körper – die winzig kleinen Figuren – erscheinen vollkommen unbedeutend (Abb. 103), verglichen mit den unendlichen Möglichkeiten unseres Geisteslebens.180 Daraus leitet sich die enttäuschende Tatsache ab, daß die Möglichkeiten des menschlichen Geistes viel größer sind, als es ihm die Naturgesetze gestatten. Diese Naturgesetze werden in Matrix abgeschafft, indem die Rebellen z.B. in der Lage sind, blitzschnell Kung-Fu zu lernen oder über Häuserdächer zu springen (Abb. 4-5).

MORPHEUS

This is a sparring program, similar to the programmed reality of the Matrix.

It has the same basic rules. Rules like gravity. What you must learn is that these rules are no different than the rules of a computer system. Some of them can be bent.

Others can be broken. Understand? 181

179 Ebd., 27

180 Wichtig ist, darauf hinzuweisen, daß die Darstellung der Dominanz der Geisteskräfte über die Möglichkeiten des Körpers keine moderne Erfindung ist, sondern der Geist, in Form der Seele, bereits im Mittelatler über den Körper gestellt wurde, z.B. Bernhard von Clairvaux:

O vere pulcherrima anima quam, etsi infirmum inhabitantem corpusculum, pulchritudo caelestis admittere non despexit, angelica sublimatas non reiecit, claritas divina non repulit.

O Seele, die du wahrhaft die schönste bist, auch wenn du einen schwachen, erbärmlichen Leib bewohnst; die himmlische Schönheit fand dich würdig, die bei sich aufzunehmen; die engelgleiche Erhabenheit hat dich nicht zurückgewiesen, das göttliche Licht hat dich nicht verworfen!

Bernhard von Clairvaux, „Sermones super Cantica Canticorum“, Patrolgiae curus completus, series Latina 183, c.901; zitiert nach Eco, Umberto, Kunst und Schönheit im Mittelalter, München, 2004, 23

181 vgl. „Shooting Script“, New York, 2002, 318

„Wie man aber bei weiterem Fortrücken der Kunst sich in freier Natur umsah, sollte doch immer auch Bedeutendes und Würdiges den Figuren zur Seite stehen; deshalb denn auch hohe Augpunkte gewählt, auf starren Felsen vielfach übereinander getürmte Schlösser, tiefe Wälder und Wasserfälle dargestellt wurden“, schreibt Goethe in seinen „Schriften zur Kunst und Literatur / Maximen und Reflexionen“ im Hinblick auf die Werke von Claude Lorrain.

„Diese Umgebungen nahmen in der Folge immer mehr überhand, drängten die Figuren ins Engere und Kleinere, bis sie zuletzt in dasjenige, was wir Staffage nennen, zusammenschrumpften.“182 Daher sollte der wahre Künstler, so Goethe, in der Tradition Lorrains (Abb. 54) darauf achten, das Bedeutende in Form der mächtigen und unbezähmbaren Natur darzustellen:

Der echte Künstler wendet sich aufs Bedeutende. Daher die Spuren der ältesten landschaftlichen Darstellungen alle groß, höchst mannigfaltig und erhaben sind.

Das Bedeutende des Gebirgs, der Gebäude beruht auf der Höhe.

Daher das Steile.

Das Anmutige beruht auf der Ferne.

Daher von oben herab das Weite.183

Hierbei fühlt sich der aufmerksame Leser sofort an Burkes Reflexionen zur sublimity erinnert.184 Wichtig ist aber, daß auch für Goethe, in Anlehnung an Kants Analytik des Erhabenen, die unbezähmte Natur ein Konstrukt der Visualisierung der unbezähmten Seele und der unendlichen Möglichkeiten der Imagination darstellt – wie auch die Gothic Novel dazu diente, Sehnsüchte anhand von übernatürlichen Konstrukten darzustellen.

Ein Bild, das „[...] einen fernen Reflex auf Petrarcas Besteigung des Mont Ventoux [...]“185 einnimmt, ist Caspar David Friedrichs Werk Wanderer über dem Nebelmeer von 1817 (Abb.

104).186 Nahezu als Zitat diesen Werkes sehen wir auch in Matrix Revolutions Neo in Rückenansicht vor der erhabenen Macht des Maschinengottes (Abb. 105), wie Friedrichs

182 Goethe, Johann, Wolfgang, „Schriften zur Kunst und Literatur / Maximen und Reflektionen“, in Truntz, Erich (ed.), Gesammelte Werke in 12 Bänden, Vol. II, Frankfurt am Main, 1998, 220

183 Ebd., 217

184 z.B. „Vastness“,Burke, Edmund, Enquiry, Vol. I, New York, 1975, 147

185 Schneider, Wolfgang, „Landschaftsmalerei der deutschen Romantik“, Geschichte der Landschaftsmalerei, München, 1999, 193

186 vgl. zum Bild allg. Börsch-Supan, Helmut; Jähnig, Karl-Wilhelm, „Die einzelnen Motive der Felsen stammen, zumindest zum Teil, aus dem Elbsandsteingebirge. Der Berg im Hintergrund links ist der Rosenberg, rechts davon möglicherweise der Zirkelstein“, Caspar David Friedrich. Gemälde, Druckgraphik und bildmäßige Zeichnungen, München, 1975, 349

Wanderer vor der Erhabenheit der Natur. Folgende Aspekte der romantischen Ästhetik werden in diesem Werk thematisiert: Der Mensch hat sich von der Natur entfremdet. Indem er sie beherrschbar gemacht hat und sie ästhetisch genießen kann, hat er ebenso die Einheit mit ihr verloren. „Friedrichs Bilder bezeichnen Bruchstellen, den Riß durch die Seele und durchs Ganze der Welt.“187 Die Rückenansicht des Betrachters und seine bürgerliche Kleidung zeigen den Betrachter auf dem Bild nicht als Noble Savage, der eins mit der Natur wird, sondern nur als Schauenden. „Plattform“, so bezeichnet Roters den Standpunkt des Betrachters im Bild „und Landschaft sind streng voneinander geschieden durch das faux terrain dichten Nebels. Die Trennung wird unterstützt durch zwei einander ausschließende Arten von Licht auf diesem Bild; die Rückenfigur scheint real beleuchtet und, wenn auch schattenlos, so doch gut konturiert, während das eigentliche Bild, die Landschaft, in deren Betrachtung der Wanderer versunken ist, durch diffuses, sanftes Licht verklärt wird.“188 Ebenso findet sich das Göttliche nur noch in den Erscheinungen der (durch sanftes Licht verklärten) Natur, die fernen Berge und Abgründe und der rötliche Abendhimmel sind externe Konstrukte der Seele des Betrachters und seiner spirituellen Sehnsucht. „Was Friedrich entdeckt, ist die Topographie der eigenen Seele [...] Im Sinnlichen der Erscheinung sah er eine Offenbarung des Übersinnlichen, was dem Geiste Schellings und der romantischen Philosophie entspricht.“189 Das Erhabene erscheint in Form des Abgrunds, der sich vor dem Betrachter auftut. Würde dieser hineinspringen, könnte er im Tod die Einheit mit der Natur und dem Göttlichen erreichen, die ihm im Leben versagt blieb. Die unbeherrschte, unzugängliche, wilde Natur und die Verlockung des Todes als spirituelles Faszinosum sind auf diesem Werk die Konstrukte des Erhabenen, die aus der Imagination des Betrachters nach draußen getragen werden. „Der Maler soll nicht bloß malen, was er sieht, sondern auch, was er in sich sieht. Sieht er also nichts in sich, so unterlasse er es auch zu malen, was er vor sich sieht“, lautet ein von Friedrich übertragenes Zitat.190 Friedrich zeigt uns auf diesem Bild, ganz dem Vorbild Petrarcas, Lorrains und Kants entsprechend, den Weg des modernen Künstlers, der sein Innenleben nach außen trägt.

Wie kein anderes künstlerisches Werk spiegeln die Bilder Friedrichs den epochalen, sich um 1800 vollziehenden geistigen Prozeß der Lösung von tradierten Wertvorstellungen. Seine einzigartige

187 Steinhauser, Monika, „Im Bild des Erhabenen“, in Merkur, Vol. 487/488, München, 1989, 824

188 Roters, Jenseits von Arkadien, Köln, 1995, 121,122

189 Neidhardt, Deutsche Malerei des 19. Jahrhunderts, Leipzig, 1997, 25-27, anders argumentiert Steinhauser, die in dem Bild die Verkörperung der Freiheitsidee des Menschen über die Natur sieht, in Steinhauser, Monika,

„Im Bild des Erhabenen“, in Merkur, Vol. 487/488, München, 1989, 824

190 Sello, Thomas; Müller, Rainer, 99 Maler der Hamburger Kunsthalle, Hamburg, 1993, 5

Bildsprache und Findungskraft offenbaren das neue, moderne, subjektiv geprägte romantische Kunstideal der Selbstbefragung und Selbstthematisierung.191

Die Feststellung, daß der menschliche Geist ein sehr viel größeres Potential hat als ihm die von Naturgesetzen bestimmte Realität in Wahrheit und Anwendung zubilligen mag, ist ein häufiges Motiv im Fantasy- und Science-Fiction-Genre. Neos Training in Matrix, in dem er durch passives E-learning Kung Fu, über Häuser springen und anderes lernt, ist, wie bereits oben erwähnt, die radikalste Weiterentwicklung der Potentialausschöpfung des menschlichen Geistes.

3.5. Was Neo kann, das kannst Du auch! – Der Messias im