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Die Relativität des Realen

2. Not what you see – Die Relativität des Realen:

2.8. Nicht Sehen und gesehen werden:

2.8.2. Diego Velázquez: Las Meninas, 1656:

In diesem wohl berühmtesten Werk von Velázquez (Abb. 69), zu dem sicherlich das Arnolfini-Doppelbildnis von van Eyck als Inspiration diente,280 spielt ebenfalls ein Spiegel eine wichtige Rolle, ein sichtbarer und möglicherweise ein unsichtbarer Spiegel. Es stellt sich nämlich von der Anordnung des Bildes her die Frage, ob Velásquez das Königspaar (Abb. 70) darstellt, das im Spiegel zu erkennen ist und auf das sich alle Augen richten, oder ob die dargestellten Personen alle vor einem großen Spiegel stehen, mithin das Königspaar im kleinen Spiegel gar nicht existieren kann?

Das Bild erschien zunächst in den königlichen Inventaren als Das Familienbild und hing ab 1686 zunächst im Apollo Salon, dem Sommer-Arbeitszimmer Philipps IV von Spanien.281 Nach Dale Brown stellt es zudem den Höhepunkt von Spaniens Macht dar, das zu dieser Zeit noch auf drei Kontinenten herrschte und dessen Macht seitdem stetig abnahm.282 Die politischen Hintergründe sollen uns hier allerdings weniger interessieren. Die deutlichste Parallele, die dieses Werk zu dem van Eycks aufweist, ist das Doppelporträt des Königspaares. Dieses hängt entweder als Bild im Bild an der Wand oder – und davon ist eher

278 Gombrich, Ernst, H., Die Geschichte der Kunst, Frankfurt am Main, 1997, 243

279 zur weiteren Beschäftigung mit dem Phänomen des Spiegels vgl. besonders Eco, Umberto, Über Spiegel und andere Phänomene, München, 2000, ebenso Roth, Gerhard, „Sich selbst im Spiegel zu erkennen gilt als eine besonders geistige Leistung. Jeder, der einen Hund hat oder hatte, weiß, daß diese Tiere sich nicht im Spiegel erkennen können.“, in Aus Sicht des Gehirns, Frankfurt am Main, 2003, 52, eine Anspielung auf dieses Gemälde van Eycks gibt es auch in Ridley Scotts Bladerunner (1982), in dem Harrison Ford als Rick Deckard eine digitale Fotographie immer näher heranzoomt und schließlich in einem runden, antiken Spiegel zwei Gestalten erblickt, vgl. dazu Müller, Jürgen (ed.), „Bladerunner“, in Filme der 80er, Köln, 1995, 155

280 Greub, Thierry, „Spiegelung von Las Meninas, Einleitung“, in ders. (ed.), Las Meninas im Spiegel der Deutungen, Berlin, 2001, 15

281 siehe de May, José, Gudiol, Velázquez 1599-1660, Biographie, Werkskatalog, Entwicklung des Stils, übers.

von Ursula Petzies, Barcelona, 1986, 288, vgl. auch Frunzetti, Ion, „Paradox erscheint, daß diese Portraits (allgemein die von Velázquez, VME) eigentlich perfekte Dokumente des Niedergangs des spanischen Reiches sind und trotzdem die Rolle eines Dokuments weit überschreiten.“, Velázquez, Bukarest, 1984, 17

282 Brown, Dale, „Las Meninas – Die Theologie der Malerei“, Velázquez und seine Zeit, 1599-1660, New York, 1972, 185

auszugehen – es wird in einem Spiegel an der Wand gespiegelt. Beides, Spiegel und Doppelporträt, sind nicht mehr, wie bei van Eyck, einzelne Stilmittel sondern in einem Doppelporträt im Spiegel kombiniert. Ebenso ist Velázquez, der hinter der Leinwand zu sehen ist, ebenso wie van Eyck, gleichzeitig Schöpfer und Beobachter der gesamten Szene,283 und als würde es sich hierbei um eine real time Aufnahme handeln, sieht man Velázquez, wie er gerade bei der Arbeit ist, das Bild zu erstellen – mit Palette und Pinsel. Doch wir sehen nicht das Bild, das er gerade malt.284 Was aber zeigt dieses Bild, das Giordano „Die Theologie der Malerei“ nannte285 und was zeigt es nicht? Zunächst einen Spiegel, wie er sicherlich ein gerne genutztes Stilmittel des Barock war und den wir auch bei dem wohl berühmtesten Barock Maler Peter Paul Rubens auf seinem Werk Die Toilette der Venus (Abb. 71) finden.286 Ebenso ist im Hintergrund des Bildes Rubens Bestrafung der Arachne durch Minerva (Abb. 72 und 73) zu sehen. Was den Spiegel angeht, stellt sich die Frage, was dieser überhaupt reflektiert.

Ist es das Königspaar, das den Raum betritt und auf das sich alle Blicke richten oder ist es das Königspaar, das auf der Leinwand dargestellt ist, die sich im Spiegel abbildet? Richten sich also alle Blicke auf Reales oder Virtuelles?287 Im ersten Fall wäre es unwahrscheinlich, daß nur das Königspaar im Spiegel erscheint und keine Gegenstände, die dazwischen liegen. Im zweiten Fall, hinsichtlich einer direkten Spiegelung der Leinwand im Spiegel, halte ich den Winkel zwischen Leinwand und Spiegel für äußerst ungünstig. „Das Problem betrifft die Frage, ob der Spiegel das Bild auf der Leinwand reflektiert oder ob er die imaginär außerhalb

283 vgl. dazu Brown, Dale, „Las Meninas – Die Theologie der Malerei“, Velázquez und seine Zeit, 1599-1660, New York, 1972, 176

284 was z.B. Götz und Dorette Eckardt nicht davon abhält, zu behaupten, Velázquez sei dabei, das Bild der kleinen Infantin Margareta zu malen, wobei ich gerne wissen möchte, woher die Autoren dies so genau wissen, in Welt der Kunst – Diego Velázquez, Berlin, 1960, 44, ebenso Gerstenberg, Kurt, „Die hohe Leinwand auf der Staffelei am Rande des Gemäldes hinter der sich der Künstler selber malend dargestellt hat, läßt nicht auf ein Doppelbildnis schließen, sondern gibt den Hinweis, daß gerade das, was wir erblicken, die Prinzessin mit ihrer Umgebung, den Bildinhalt abgeben soll.“, Diego Velázquez, Berlin, 1957, 191

285 Palomino, Antonio, „Worin das berühmte Werk von Diego Velázquez beschrieben wird“, in Greub, Thierry (ed.), Las Meninas im Spiegel der Deutungen, Einleitung, Berlin, 2001, 38

286 Bei der Toilette der Venus finden wir eine ähnliche Erweiterung des Raumes nach vorne. Die im Vordergrund herrschende, starre Bildgrenze wird aufgebrochen und der Betrachter wird dadurch direkt ins Bild einbezogen, so daß alle Augen nicht auf der Venus, sondern auf ihm ruhen. Was auf Bildtiefe und Eindringen in den dunklen Hintergrund angelegt ist, wird durch den Spiegeleinsatz wieder aus dem Bild herausgetrieben. Da ist es nur selbstverständlich, daß der Rahmen des Spiegels wie ein Bilderrahmen anmutet, ist doch das gespiegelte Gesicht der Venus tatsächlich ein Bild im Bild. So ist es auch verständlich, warum Rubens in diesem Bild auf die von ihm häufig eingesetzten, pathetischen Gesten vollständig verzichtet: durch das Vor – und Zurückschweifen der Blicke aus dem Betrachterraum in das Bild und vom Bild in den Betrachterraum zurück, gewinnt dieses Werk eine Eigendynamik, die jede Gestik der Figuren nahezu überflüssig macht. Das Bild wendet sich von der Wirklichkeit ab und kehrt wieder in sie zurück, so daß es wie ein Widerhall oder Echo wirkt, daß optisch zum Betrachter zurückschallt. Daß Rubens als Inspirationsquelle diente, wird auch darin deutlich, daß das Gemälde links an der Rückwand der Szenerie eine Kopie von Rubens Betrafung der Arachne durch Minverva zeigt (Abbildung 46 und 47).

287 vgl. dazu Brown, Jonathan, Velázquez: Maler und Höfling, München, 1988, 259 , ebenso „Der Sinn des Spiegels ist es, die Gegenwart des Königs und der Königin im Atelier zart anzudeuten.“, ebd.

des Bildes anwesenden Monarchen zurückwirft.“288 Sind die Monarchen in Wahrheit weder auf dem Spiegel, noch auf der Leinwand noch im Raum tatsächlich anwesend, kann die virtuelle Darstellung des Souverän auf dem Spiegel auch ein visualisiertes Konstrukt für etwas nicht Sichtbares, nämlich die Instanz der Monarchie sein.

Giordano vergleicht das Bild mit der Theologie, die etwas sichtbar macht, was gleichwohl verborgen bleibt: Gott. Entsprechend zeigt Las Meninas, wie das Unsichtbare – die Instanz des Souveräns, die Idee der Repräsentation – im Sichtbaren selbst abgewendet bleibt [...] Der Spiegel verdoppelt nicht, sondern repräsentiert, was ansonsten unsichtbar bleibt.289

Werner Hoffmann sieht das Abbild des Königspaares im Spiegel denn auch als ein Stück gerahmter Erinnerung. Das dargestellte Königspaar muß für seine Konservierung den Preis der Leblosigkeit zahlen, denn weder König noch Königin finden sich direkt unter den Akteuren des Bildes, sondern nur in einer Kopie – im Spiegel oder auf einem gerahmten Gemälde. Selbst der Maler, den man normalerweise auf Bildern nicht sieht, ist unter den Motiven des Bildes zugegen.

Das Königspaar im Spiegel ist ein poetisches Paradoxon. Als Scheinbild hat es die Flüchtigkeit des Augenblicks, doch da ihm nichts Stoffliches mehr anhaftet, ist es zugleich als gemaltes Kunstwerk – als Bild im Bild – der Vergänglichkeit der Atelierminuten enthoben. [...] Für sein Abgehobensein entrichtet das Königspaar den Preis der Leblosigkeit, den jede Ikone bezahlen muß [...] Er (Velázquez, VME) prägt ihrer Diesseitigkeit die Entrückung in das Jenseits auf und macht sie zu einem Stück aufbewahrter, gerahmter Erinnerung, die ihre physische Existenz überdauern wird. 290

Der Spiegel zeigt aber nicht nur ein Abstraktum, i.e. die Monarchie, das er konkretisiert, aber auch gleichzeitig dem Gesamtkontext des Bildes entrückt. Er eröffnet zudem, ebenso wie der Spiegel bei Van Eyck, das Bild hin zum Zuschauerraum. Die Bildgrenzen werden nach

288 Ebd., vgl. auch die metaphysische Ansicht bei Malizkaja, K., M., „Velàzquez“, Große Sowjet-Enzyklopädie, Reihe Kunst und Literatur Vol. 27, übers. Marga Müller, „Das Spiegelbild reflektiert das Elternpaar als ein im Geiste des Mädchens stehendes Bild.“, Berlin 1954, 20

289 Lüthy, Michael, Bild und Blick in Manets Malerei, Berliner Schriften zur Kunst, Vol. XVII, Berlin 2000, 197, vgl. ebenfalls Brown, Dale, „Velàuquez ließ die Habsburgerzüge König Philipps und der Königin, deren Doppelportrait er als Spiegelbild malte, nur verschwommen erscheinen. Wir sehen nur Schatten der Majestät. Es ist, als habe der Maler an einen Vers über den Hof gedacht, den der Dichter Quevedo schrieb: ‚Hier gibt es viele Dinge, die zu existieren scheinen und doch nicht mehr sind als Name und Erscheinung.“, „Las Meninas – Die Theologie der Malerei“, Velázquez und seine Zeit, 1599-1660, New York, 1972, 185, vgl. zur Repräsentation und Deutung von souveräner Macht in Antike, Mittelalter und Renaissance besonders Kantorowicz, Ernst, H., The King’s Two Bodies, A study in Medieval Political Theology, Princeton, 1957, „You are the son of the respublica and the respublica is your body“, zur Verkörperung von Souveränität am Beispiel des römischen Reiches, 245ff., vgl. ebenso Harlizius-Klück, Ellen, Der Platz des Königs, Berlin, 1995, 30ff.

290 Hoffmann, Werner, Die Moderne im Rückspiegel, München, 1998, 123

vorne durchbrochen und die Scheidewand zwischen Darsteller und Betrachter beseitigt.291 Der

„ununterbrochene Raum“ als barockes Ideal wird in Velázquez letzten, großen Gruppenporträt noch einmal eindrucksvoll inszeniert.292 Nimmt der Betrachter den Platz des Königspaares ein, so spiegelt sich sein Bild aus dem Zuschauerraum im Spiegel auf dem Bild und dieses Bild, das das Königspaar in der Position des Zuschauers abgibt, ist auch das, welches auf der Leinwand des Künstlers dargestellt wird. Man könnte auch vermuten, daß der Künstler etwas ganz anderes darstellen möchte und das Königspaar überraschend den Raum betreten hat; dies würde erklären, warum das kleine Mädchen am rechten Rand des Bildes dem schlafenden Hund einen Tritt gibt; wohl, damit er Platz für das Königspaar macht.293 Der Betrachter in Form des Königspaares ist plötzlich in das Bildgeschehen eingetreten, alle Augen richten sich auf ihn und auch der Maler unterbricht seine Tätigkeit. Das Bild ist damit

„[...] das Bild der Herstellung eines Bildes.“294 So bekommt das Bild, als würde der Betrachter in den Bildinhalt intervenieren können, eine gewisse Interaktivität, man könnte sagen Live-Charakter.295 Dazu trägt auch das Format des Werkes bei (3,18m * 2,76m), das es dem Betrachter mühelos erlaubt, in Realgröße in das Bild einzusteigen. „Durch das große Format des Gemäldes ist dieser Raum auch für den Körper des Betrachters bestimmt. Die Größe der dargestellten Figuren entspricht seiner eigenen.“296

Geht man allerdings von einem großen Spiegel aus, vor dem die gesamte Leinwand und Anordnung steht (Abb. 74), so wäre das Doppelporträt des Königspaares als Spiegelbild nicht mehr möglich, es könnte nur noch ein Gemälde darstellen, wovon ich allerdings, aufgrund der spiegelartigen Beschaffenheit des Porträts, nicht ausgehe. Ansonsten stellte das Bild des

291 Vgl. Gerstenberg, Kurt, Diego Velázquez, „Welch ein seltsames Durchstoßen oder vielmehr Verdoppeln der Seinsschichten wird hiermit erreicht! Hier sind die letzten Konsequenzen in der Malerei des Barocks gezogen, wie sie in der Plastik Bernini brachte, nämlich das Hinübergreifen aus der Darstellungsschicht in die Wirklichkeit, das höchste Lebendigwerden des optischen Vorgangs im Hinzutreten und Mitwirken des Betrachters. Indem die Bildgrenzen nach vorn durchbrochen scheinen, wird die Scheidewand zwischen Darstellung und Betrachter beseitigt. Das Ende einer Entwicklung, die bei Giotto in der Erkenntnis und Gestalten des Gegensatzes von Bild und Betrachter beginnt, ist hier erreicht, indem die Bildsphäre vorgreift und den Betrachter in sich hineinbezieht.“, Berlin, 1957, 196

292 vgl. Frunzetti, Ion, „Die Erörterungen über den ‚ununterbrochenen Raum’, der dem reinsten, barocken Geist entspricht, werden in Bezug auf Velázquez letztes, großes Gruppenportrait Las Meninas fortgesetzt werden.“, Velázquez, Bukarest, 1984, 17

293 vgl. ebd., 192

294 Justi, Carl, „Die Familie Philipps IV“, in Greub, Thierry (ed.), Las Meninas im Spiegel der Deutungen, Berlin, 2001, 91, bzw. „[...] eine der bedeutendsten Darstellungen des Darstellens in der abendländischen Malerei“, in Alpers, Svetlana, „Interpretation ohne Darstellung – oder: Das Sehen von Las Meninas“, in ebd., 196, vgl. auch die Velázquez Biographie von Justi in: Ders., Velázquez – Leben und Werk, illustrierte Gesamtausgabe, Essen, 1990, bes. 597 ff.

295 vgl. ebd., „Das erste, was Velázquez mit diesem Monumentalwerk geschaffen hat, ist ein neuer Begriff von Augenblickskunst.“, 190, vgl. ebenfalls Gombrich, „Was bedeutet das Bild? Wir werden es möglicherweise niemals erfahren, aber ich stelle mir gern vor, daß Velázquez lange vor Erfindung der Photographie eine echte Momentaufnahme gelungen ist.“, Geschichte der Kunst, Frankfurt am Main, 1997, 408

296 Alpers, Svetlana, „Interpretation ohne Darstellung – oder: Das Sehen von Las Meninas“, in Greub, Thierry (ed.), Las Meninas im Spiegel der Deutungen, Berlin, 2001, 196

Königspaares etwas dar, was gar nicht existiert, in dem es sich an einem Ort befindet, wo räumlich nichts existieren dürfte. So könnte es z.B. die unsichtbare Souveränität sein, die ihre visuelle Abbildung mit Leblosigkeit bezahlen muß.297 Das Abbild des Königspaares wäre reiner Signifikant ohne Bezug zum Signifikaten. Es scheint letztlich, als lasse das Werk nur einen Spiegel zu: entweder den, der den unsichtbaren Souverän spiegelt oder den, der die gesamte Szenerie abbildet.

Den Ausbruch des Bildraumes in den Zuschauerraum beobachtet auch Michel Foucault.

Foucault weist dem Betrachter des Bildes „[...] ein neutrales Zentrum“ zu.298 Dies bedeutet, daß er zwar von allen Beteiligten des Bildes angeschaut wird, ihm aber das, was am Ende tatsächlich etwas abbildet, nämlich die Leinwand, nicht sichtbar ist. „Demselben Betrachter ist nur die Rückseite des Bildes sichtbar, nur das riesige Gestell ist dem Blick freigegeben.

Dagegen ist der Maler völlig sichtbar.“299 Es gibt den zum Betrachter hin geöffneten Raum, in dem wir uns befinden, doch Foucault weist mit der Leinwand noch auf einen weiteren Raum hin, der die gesamte Szene eröffnet, ebenfalls in Richtung des Zuschauerraums, den wir aber aufgrund unserer Position nicht wahrnehmen können. Die Handlung auf der Leinwand, die der Künstler bearbeitet, müßte sich genau dort abspielen, wo sich der Standpunkt des Zuschauers befindet. „Das hohe, eintönige Rechteck, das die ganze linke Seite des wirklichen Bildes beherrscht und die Rückseite des abgebildeten Gemäldes bildet, stellt in der Art einer Oberfläche die in die Tiefe gehende Unsichtbarkeit dessen dar, was der Künstler betrachtet:

jenen Raum, in dem wir uns befinden und der wir sind.“300 Entsprechend der Subjekt-Objekt Polarität sieht Foucault hierbei eine Umkehrung dieser Polarität, ein ständiger Austausch zwischen Betrachter und Betrachtetem. Das Subjekt als Zuschauer, das eigentlich nur betrachten sollte, wird vom Bild aus betrachtet, kann aber nicht betrachten, da das, was am Ende zum Betrachten gedacht ist, nämlich die Leinwand, für ihn unsichtbar ist. „An dieser Stelle genau findet ein ständiger Austausch zwischen Betrachter und Betrachtetem statt. Kein Blick ist fest, oder: in der neutralen Furche des Blicks, der die Leinwand senkrecht durchdringt, kehren Subjekt und Objekt, Zuschauer und Modell ihre Rolle unbegrenzt um.“301 Das Subjekt, daß seiner Funktion des Betrachtens beraubt ist, ist allerdings auch das einzige, das vom Spiegel gespiegelt wird. Der Spiegel gibt nur das wieder, was nicht sichtbar ist, denn weder Maler, noch Hoffräulein noch Leinwand finden sich auf dem Spiegel wieder:

297 vgl. dazu Hoffmann, Werner, Die Moderne im Rückspiegel, München, 1998, 123

298 Foucault, Michel, Die Ordnung der Dinge, Frankfurt am Main, 2003, 31

299 Ebd.

300 Ebd., 32

301 Ebd., 33

Der Spiegel reflektiert in der Tat nichts, was sich im selben Raum mit ihm befindet: weder den Maler, der ihm den Rücken zukehrt, noch die Personen in der Mitte des Zimmers. In seiner hellen Tiefe spiegelt er nicht das Sichtbare. In der holländischen Malerei war es Tradition, daß die Spiegel eine reduplizierende Rolle spielten. Sie wiederholten, was im Bild bereits gegeben war, aber in einem irrealen, modifizierten, verkürzten und gekrümmten Raum. [...] Hier wiederholt der Spiegel nichts von dem, was bereits gesagt worden ist.302

Der Spiegel zeigt nichts, was bereits gesagt (oder gezeigt) worden ist, statt dessen bildet er das ab, „[...] läßt im Zentrum der Leinwand das sehen, was vom Bild notwendig zweimal unsichtbar ist.“303 Einmal unsichtbar, da sich das Subjekt im Betrachterraum befindet und im Bild nur auf dem Spiegel zu sehen ist, zweimal, da sich dieses Subjekt vermutlich auch auf der Leinwand befindet, die aber vom Betrachter als Subjekt nicht eingesehen werden kann.

Die Reziprozität zwischen betrachtendem Subjekt und betrachtetem Objekt stellt sich dadurch dar, daß das Subjekt, das das Bild betrachtet, ebenfalls vom Bild betrachtet wird. „Was alle Personen des Bildes betrachten, das sind auch die Personen, deren Augen sie als eine anzuschauende Szene geboten werden. Das Bild in seiner Gänze blickt auf eine Szene, für die es seinerseits eine Szene ist.“304 Das Subjekt, das meint, zu betrachten, wird in seiner Art des Betrachtens gesteuert und ebenfalls betrachtet, man könnte sagen, wer nicht selbst betrachten kann, wird betrachtet; wie in Matrix, wo das Objekt dem Subjekt aufzwingt, wie und was es zu betrachten hat. Die Verzauberung dieses Werkes definiert Foucault dadurch, daß Polaritäten aufgestellt werden, denen der zugehörige Pol fehlt: Der Maler hat kein Modell und stellt sich schließlich inmitten der Szene selber dar, dem König fehlt sein Porträt, das er nicht sehen kann, da es sich auf der anderen Seite der Leinwand befindet und dem Zuschauer fehlt das reale Zentrum der Szene, das er selber eingenommen hat:

Es restituiert gewissermaßen durch Verzauberung das, was jedem Blick fehlt: dem des Malers das Modell, das sein auf dem Bild repräsentiertes Double abmalt, dem des Königs sein Porträt, das sich auf der Vorderseite der Leinwand befindet und das er von seinem Standpunkt aus nicht sehen kann; dem des Zuschauers das reale Zentrum der Szene, dessen Platz er wie durch einen gewaltsamen Einbruch eingenommen hat.305

Man könnte auch interpretieren, daß es sich bei der Position des Zuschauers tatsächlich um einen Einbruch des Realen in die Virtualität, um ein Ausloggen aus der Matrix der Simulation

302 Ebd., 35-36

303 Ebd., 37

304 Ebd., 42, der Hund scheint der einzige Gegenstand zu sein, der nur betrachtet wird und nicht selbst betrachtet, sozusagen der Stabilitätsfaktor des Bildes, vgl. ebd., 43 und Abb. 75

305 Ebd., 44

handelt. Denn der Zuschauer, als Bestandteil der wirklichen Welt, wird plötzlich zu einem Zentrum innerhalb der virtuellen Welt des Bildes. Ähnlich einem Simulacrum Baudrillards wird das Subjekt des Zuschauers zweimal verdoppelt; einmal auf dem Spiegel und einmal als Abbild des Spiegels auf dem Bild. Das Bildgeschehen wird zwar letztendlich auf das Subjekt, das im Mittelpunkt steht, zurückgeworfen, doch durch die zweifache Verdoppelung verschwindet das Signifikat und auch das Subjekt:

[...] das notwendige Verschwinden dessen, was sie begründet, –desjenigen, dem sie ähnelt, und desjenigen, in den Augen dessen sie nichts als Ähnlichkeit ist. Dieses Sujet selbst, das gleichzeitig Subjekt ist, ist ausgelassen worden. Und endlich befreit von dieser Beziehung, die sie ankettete, kann die Repräsentation sich als reine Repräsentation geben.306

Durch die Darstellung der reinen Repräsentation, die keinen Zuschauer braucht, ist dieses Bild ein frühes Zeugnis der Selbstreferentialität. Interessanterweise ist dieses Gemälde aber auch, was den kunstgeschichtlichen Diskurs angeht, ebenfalls zu einem Zeugnis der Selbstreferentialität der Kunstgeschichte geworden und in diesem Hinblick der Thematisierung ebenfalls ein Simulacrum. „Die Tatsache, daß die inzwischen kaum zu überschauenden Aufsätze und monographischen Darstellungen in ihren Schlußfolgerungen teilweise äußerst widersprüchlich ausfallen, macht das berühmte Gemälde zusätzlich zum Anlaß für die Selbstreflexion der Kunstgeschichte im Hinblick auf ihre Methoden und Fragestellungen.“307 So entwickelt sich dieses Werk von einer „Theologie der Malerei“ zu einer „Selbstthematisierung der Malerei“.308

306 Ebd., 45, vgl. ebenfalls Kemp, Wolfgang, „Der Liebhaber der Malerei paßt nicht ins Bild; vom Rahmen, vom nächsten Bild der Sammlung wird er überschnitten.“, „Teleologie der Malerei“, in Greub, Thierry (ed.), Las Meninas im Spiegel der Deutungen, Berlin, 2001, 243

307 Kacunko, Slavko, Las Meninas, Transmediale Malerei – Katoptrik, Videofeedback, Weimar, 2001, 9

308 Ebd., 14