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Die Relativität des Realen

2. Not what you see – Die Relativität des Realen:

2.4. Der Morpheus der Philosophie – Arthur Schopenhauer:

2.4.2. Der Pessimismus – Existenz als Strafe:

Ist auf der Erde ewig dir nichts recht?

MEPHISTOPHELES.

Nein, Herr! Ich find’ es dort, wie immer, herzlich schlecht.

Die Menschen dauern mich in ihren Jammertagen, Ich mag sogar die armen selbst nicht plagen.144

Vom theologischen Standpunkt stellt sich die Frage, wer es nun besser mit den Menschen meint, Gott oder Satan. Liest man die obige Version von Faust, könnte man meinen, es wäre Satan, ebenso drängt sich bei einer gnostischen Betrachtung der Welt die Vermutung auf, daß Gott es mit den Menschen nicht sonderlich gut meine, wenn er dem Demiurgen freie Hand und ihn unbeschwert weiter wüten läßt. Schopenhauers Aufsatz „Von der Nichtigkeit und dem Leiden des Lebens“ ist nicht gerade eine Lobeshymne auf die Perfektion der Welt.

Aus der Nacht der Bewußtlosigkeit zum Leben erwacht findet der Wille sich als Individuum, in einer end- und grenzenlosen Welt, unter zahllosen Individuen, alle strebend, leidend, irrend; und wie durch einen bangen Traum eilt er zurück zur alten Bewußtlosigkeit.145

Interessant ist die Unterscheidung zwischen positiven und negativen Empfindungen.

Positive Empfindungen werden aktiv wahrgenommen und dies sind in den meisten Fällen Leid und Schmerz:

Denn nur Schmerz und Mangel können positiv empfunden werden und kündigen daher sich selbst an:

das Wohlsein hingegen ist bloß negativ. Daher eben werden wir der drei größten Güter des Lebens, Gesundheit, Jugend und Freiheit, nicht als solcher inne, so lange wir sie besitzen; sondern erst nachdem wir sie verloren haben: denn auch sie sind Negationen. Daß Tage unseres Lebens glücklich waren, merken wir erst, nachdem sie unglücklichen Platz gemacht haben. [...] Die Stunden gehen desto schneller hin, je angenehmer; desto langsamer, je peinlicher sie zugebracht werden.146

144 „Faust, Prolog im Himmel“, in Trunz (ed.) Johann Wolfgang von Goethe, Werke, Vol. III, Frankfurt am Main, 1998, 17; die Vorstellung, daß die Welt das mißlungene Experiment eines wahnsinnigen Gottes sei, findet sich u.a. in der Gnosis wieder. Die Gnosis (das griechische Wort für „Erkenntnis“) vertrat die Ansicht, daß es sich bei der Welt um eine Schöpfung des Demiurgen handele, eines verrückten Gottes, dem aber vom wahren Schöpfergott freie Hand gelassen wird, vgl. hierzu Kurt Rudolph, Die Gnosis, Göttingen, 1990, interessanterweise heißt auch eines der Schiffe in Matrix Reloaded „Gnosis“, mehr zur Thematik von Hölle und Paradies in Kapitel 3

145 Schopenhauer, „Die Welt als Wille und Vorstellung“, Vol. II, Frankfurt am Main, 1986, 733ff.

146 Ebd., 763, vgl. dazu auch „Speed of Pain“ von Marilyn Mansons Album Mechanical Animals, die mit „Rock is Dead“ auch einen Soundtrack zu Matrix 1 lieferten, „[...] when you want it, it goes away to fast, times you hate it always seem to last [...]“, Nothing Records, 1998

So ist es auch für Schopenhauer nur konsequent, daß eigentlich jedes Drama seinen Helden in gefährliche Lagen versetzen muß, aus dem dieser Held wieder herauszukommen hat, um für den Zuschauer bzw. Leser glaubhaft und faszinierend zu sein, mithin „[...]ein Guckkasten, darin man die Spasmen und Konvulsionen des geängstigten menschlichen Herzens betrachtet“,147 Shakespeares World as a stage als Miniaturversion nicht nur der Welt, sondern auch des Betrachters und analog zum sensationslüsternen Zuschauer, der sich an den Qualen der Menschen und der Welt weidende Teufel-Gott.

Heftige Kritik übt Schopenhauer auch an den Menschen, die sich an der scheinbaren Perfektion dieser Welt erfreuen, und glauben, dies sei alles absichtlich so eingerichtet, um das Leben der Menschen zu verbessern. Gemäß Schopenhauer ist dies lediglich eine Notwendigkeit, um die Schlechtigkeit der Welt und auch die Welt selbst überhaupt erhalten zu können – eine Welt, die untergeht, kann schließlich langfristig auch niemanden mehr quälen:

Dann kommt ein Teleolog und preist mir die weise Einrichtung an, vermöge welcher dafür gesorgt sei, daß die Planeten nicht mit den Köpfen gegeneinander rennen, Land und Meer nicht zum Brei gemischt, sondern hübsch auseinandergehalten seien, auch nicht Alles in beständigem Froste erstarre, noch von Hitze geröstet werde, imgleichen, in Folge der Schiefe der Ekliptik, kein ewiger Frühling sei, in welchem nichts zur Reife gelangen könnte, u. dgl. m. – Aber Dieses und alles Ähnliche sind ja bloße conditiones sine quibus non. Wenn es nämlich überhaupt eine Welt geben soll, wenn ihre Planeten wenigstens so lange, wie der Lichtstrahl eines entlegenen Fixsterns braucht, um zu ihnen zu gelangen, bestehen und nicht, wie Lessings Sohn, gleich nach der Geburt wieder abfahren sollen; – da durfte sie freilich nicht so ungeschickt gezimmert sein, daß schon ihr Grundgerüst den Einsturz drohte.148 [...] Nun ist diese Welt so eingerichtet, wie sie sein mußte, um mit genauer Not bestehen zu können: wäre sie aber noch ein wenig schlechter, so könnte sie schon nicht mehr bestehen. Folglich ist eine schlechtere, da sie nicht bestehen könnte, gar nicht möglich, sie selbst also unter den möglichen die schlechteste.149

Das Leben erscheint Schopenhauer wie ein Betrug, das viel verspricht und wenig hält; und wenn ein Versprechen gehalten wird, dann nur, um zu zeigen, wie wenig wünschenswert das

147 Schopenhauer, „Die Welt als Wille und Vorstellung“, Vol. II Frankfurt am Main, 1986, 736, vgl. dazu auch Freud, „Doch vermag die milde Narkose, in die uns die Kunst versetzt, nicht mehr als eine flüchtige Entrückung aus den Nöten des Lebens herbeizuführen und ist nicht stark genug, um reales Elend vergessen zu machen“, in

„Das Unbehagen in der Kultur“, Studienausgabe, Vol. XV, Frankfurt am Main, 1970, 201

148 Schopenhauer, „Die Welt als Wille und Vorstellung“, Vol. II, Frankfurt am Main, 1986, 744

149 Ebd., 747, die Metapher über das Licht eines Fixsterns und der Pessimismus Schopenhauers allgemein werden in Thomas Manns Buddenbrooks bei einem Monolog Thomas Buddenbrooks wieder aufgenommen im Hinblick auf Vorfreude und das schließlich eintretende Ereignis, „Ich weiß, daß oft die äußeren, sichtbaren und greifbaren Zeichen und Symbole des Glückes und Aufstieges erst dann erscheinen, wenn in Wahrheit alles schon wieder abwärts geht. Diese äußeren Zeichen brauchen Zeit, anzukommen, wie das Licht eines solchen Sternes dort oben, von dem wir nicht wissen, ob er nicht schon im Erlöschen begriffen, nicht schon erloschen ist, wenn er am hellsten strahlt...“, Buddenbrooks, Frankfurt am Main, 1922, 429

war, was gewünscht wurde.150 Das Leben als „[...] ein Geschäft, das nicht die Kosten deckt“151 hält demnach nur Enttäuschungen bereit und wenn denn einmal etwas gelingt, dann nur, um weitere Ambitionen zu fördern, die dann irgendwann enttäuscht werden, was dazu führt, daß sich das Individuum in solch einer Situation sehr viel unglücklicher fühlt, als wenn schon von Beginn an nichts funktioniert hätte. Optimismus definiert Schopenhauer als das unberechtigte Selbstlob des eigentlichen Urhebers der Welt und damit verbunden den Willen zum Leben nicht nur als eine falsche, sondern auch eine verderbliche Lehre.152 Diese Einsicht, daß der Wille schließlich nur zum Unglück führt, läßt Schopenhauer zum Buddhisten werden;

wer nichts mehr sucht außer der Leere, wird auch am Ende nicht enttäuscht, „[...] daß gar nichts unsers Strebens, Treibens und Ringens wert sei, daß alle Güter nichtig seien, die Welt an allen Enden bankrott, und das Leben ein Geschäft, das nicht die Kosten deckt; – auf daß unser Wille sich davon abwende.“153 Die logische Konsequenz dieser Leere, dieser Idealisierung des Nichts, i.e. des Nihilismus, formuliert auch Goethes Mephisto:

MEPHISTOPHELES. Ich bin der Geist, der stets verneint!

Und das mit Recht; denn alles, was entsteht, Ist wert, daß es zugrunde geht;

Drum besser wär’s, daß nichts entstünde.

So ist denn alles, was ihr Sünde, Zerstörung, kurz das Böse nennt, Mein eigentliches Element.154

Im buddhistischen Glauben ist das Nirvana schließlich die Erlösung, die auf die Menschen wartet, welche die Erleuchtung gefunden haben, also nicht mehr dem Rad der Wiederkehr durch Geburt, Tod und Wiedergeburt ausgesetzt sind. „Alle Dinge sind vergänglich. Das Leben folgt dem Gesetz der Zerstörung: Geburt und Tod sind nichts als Zerstörung. Darin liegt die Seeligkeit des Nirvana“,155 lesen wir im Shōbōgenzō von Zen-Großmeister Dōgen (1200- 1253). Neben den Kung-Fu-Kämpfen finden wir auch buddhistische Anspielungen in der Matrix-Trilogie, die ja nicht gerade arm an fernöstlichen Zitaten ist. „Let it all go, Neo.

Fear. Doubt. Disbelief. Free your mind.“, belehrt Morpheus Neo im ersten Teil, bevor es dazu

150 Schopenhauer, „Die Welt als Wille und Vorstellung“, Vol. II, Frankfurt am Main, 1986, 734

151 Ebd.

152 Ebd., 748

153 Ebd.

154 Trunz (ed.), “Faust” in Goethe, Werke, Vol. III, Frankfurt am Main, 1998, 47

155 Dōgen, Zenji, Shōbōgenzō - Die Schatzkammer der Erkenntnis des Wahren Darma, Vol. I, Zürich, 1983, 10

geht, von einem Hochhaus zum anderen zu springen.156 Interessant ist hierbei, daß diese Fähigkeiten der Befreiung des Geistes nur in der virtuellen, nicht körperlichen Matrix funktionieren, jedenfalls was Teil 1 angeht. In der buddhistischen Doktrin ist das Erreichen von Leerheit immer mit der Überwindung von Körperlichkeit, dem Ursprung allen Leidens, verbunden, was folgender Dialog zwischen den Zen Meistern Ezo und Chizo (ca. 800 n. Chr.) zeigt:

Einst fragte der Zen-Meister Shakyo Ezo den Zen-Meister Seido Chizo, der Shakayos Vorgänger war:

„Weißt du, wie man die umfassende Leerheit ergreift?“ „Natürlich“, antwortete Seido. „Wie?“

wünschte Shakyo zu wissen. Seido faßte eine Handvoll Luft. „Aha! Du weißt es also nicht, wie man sie faßt!“ rief Shakyo aus. Seido forderte Shakyo auf, ihm die umfassende Leerheit zu zeigen. Shakyo packte Seidos Nase und verrenkte sie, bis er vor Schmerz aufschrie. „Nun hab ich’s!“ sagte Seido. „Ja, nun weißt du, was es ist“, bestätigte Shakyo.157

Die umfassende Leerheit ist in diesem Beispiel selbstverständlich nicht die Nase, sondern die Körperlichkeit der Nase, die auf Schmerz reagiert, ein Zeichen, daß die umfassende Leerheit noch nicht erreicht worden ist. Diese Leerheit wird auch in einem minimalistischen Dialog zwischen Neo und Agent Smith inszeniert, hierbei in Hinblick auf ein leergeschossenes Pistolenmagazin (Abb. 42). Beide Gegner befinden sich kurz vor dem Moment des Abdrückens, jeder könnte den anderen töten. Die Zeit kurz vor der Bewegung, die beiden den Tod brächte, ist eingefroren, still gestellt. Doch die Leere scheint stärker als der Tod, die Schüsse finden nicht statt, da die Magazine leer sind:

AGENT SMITH

You’re empty.

Neo pulls the trigger. Click.

NEO

So are you.

The smile falls. Agent Smith yanks his trigger.

CLICK.158

156 „Shooting Script“, New York, 2002, 320

157 „Koko, Umfassende Leerheit“, in Dōgen, Zenji, Shōbōgenzō, Vol. I, Zürich, 1983, 152

158 „Shooting Script“, New York, 2002, 382

Wie Schopenhauer – und vordem die Buddhisten – feststellen, daß alles Leben Leiden ist und Nicht-Existenz besser als Existenz, stellt sich in Matrix die Frage, warum die wirkliche Welt, wo sie doch nun – Schopenhauer würde sagen „endlich!“ – zerstört ist, als Matrix noch einmal neu inszeniert werden muß. Das Unglücklichsein als „Plan der Schöpfung“ macht auch Freud in seinem Aufsatz „Das Unbehagen in der Kultur“ aus:

Es ist, wie man merkt, einfach das Programm des Lustprinzips, das den Lebenszwecks setzt. Dies Prinzip beherrscht die Leistung des seelischen Apparates vom Anfang an; an seiner Zweckdienlichkeit kann kein Zweifel sein, und doch ist sein Programm im Hader mit der ganzen Welt, mit dem Makrokosmos ebensowohl wie mit dem Mikrokosmos. Es ist überhaupt nicht durchführbar, alle Einrichtungen des Alls widerstreben ihm; man möchte sagen, die Absicht, daß der Mensch ‚glücklich’

sei, ist im Plan der Schöpfung nicht enthalten.159

In der Matrix ist die Simulation, die die 90er Jahre des 20. Jahrhunderts simuliert, genau so schlecht wie die wirkliche Welt zu jener Zeit ist. Es gibt launische Chefs (Abb. 17) und all die anderen Unannehmlichkeiten. Nur ist die karge Realität der sonnenlosen, verseuchten Erde ja noch viel schlechter (Abb. 40). Es ist ja die wirkungsvollste Taktik an Matrix 1, daß die Simulation angenehm vertraut aussieht, die wirkliche Welt allerdings äußerst karg. Daraus ergibt sich die Frage, ob der Demiurg, in Form des Maschinengottes, nicht gnädiger zu den Menschen ist als die Rebellen der Matrix bzw. wer von beiden eigentlich als Demiurg zu bezeichnen wäre. Oder ist es der Architekt der Matrix, den wir in Teil 2 kennenlernen und der eine solch chaotische Matrix erschaffen hat, daß ständig ein Rebellenprogramm, in Form von z.B. Neo, gebraucht wird, um die Matrix wieder neu zu booten? Ebenso stellt sich die Frage, ob es, um die Menschen als Batterien zu nutzen, wirklich den ganzen Aufwand rechtfertigt, den die Maschinen mit der Matrix anstellen, nur um ein wenig Strom zu generieren, wo sich doch sicherlich alternative Methoden wie Windkraft, Kernenergie, Wasserkraft etc. ebenfalls anbieten würden; ob nun die Matrix, analog zum Leben bei Schopenhauer, nicht auch ein Geschäft ist, das am Ende „[...] die Kosten nicht deckt“.160 Ebenso wäre eine gleichzeitige Rettung aller Menschen aus der Matrix mehr als schwierig zu bewerkstelligen, wenn man den Aufwand für Versorgung, medizinische Verpflegung sowie Gewöhnung an die Wirklichkeit innerhalb der kargen Realität von Zion bedenkt. Logisch wäre es gemäß Schopenhauer, daß die Welt aufhören würde zu existieren, da es dann viel Leid nicht mehr geben würde. Die Welt existiert aber weiter und das Leiden auch. Auch das Abschalten der Matrix würde das

159 Freud, Sigmund, „Das Unbehagen in der Kultur“, Psychologische Schriften, Studienausgabe, Vol. IX, 193-270, Frankfurt am Main, 1970, 208

160 Schopenhauer, „Die Welt als Wille und Vorstellung“, Vol. II, Frankfurt am Main, 1986, 733

Leiden der Menschen in der Simulation, das ja der realen Welt gleicht, sofort beenden; doch auch die Matrix wird nicht abgestellt und das Leben und Leiden geht weiter. Ergötzt sich nun vielleicht der Maschinengott (Abb. 118) am Leiden der Menschen in der Simulation, wo er jeden einzelnen durch den Computer betrachten kann, was er nicht mehr könnte, wenn alle Menschen in der Wirklichkeit außerhalb der Illusion leben würden? Die zweite Frage hinsichtlich der Konstruktion der Matrix ist, wie der Mensch eigentlich seine Wirklichkeit sehen will. Agent Smith unterrichtet Morpheus, daß die erste Version der Matrix als perfekte Welt, sozusagen als Paradies, eingerichtet wurde, also nicht die Menschen, sondern die Maschinen dem Schöpfer der Welt zeigen wollten, wie man es richtig macht:

AGENT SMITH

Did you know that the first Matrix was designed to be a perfect human world? Where none suffered, where everyone would be happy. It was a disaster. No one would accept the program. Entire crops were lost. […] Some believed we lacked the programming language to describe your perfect world. But I believe that, as a species, human beings define their reality through suffering and misery. […] The perfect world was a dream that your primitive cerebrum kept trying to wake up from. Which is why the Matrix was redesigned to this: the peak of your civilization.161

Die Maschinen versuchen demnach, den Menschen aus dem irdischen Jammertal in das Paradies zurückzuholen und in dieser Hinsicht bietet Matrix 1162 eine geniale Interpretation sowohl der Erkenntnistheorie als auch der Ausführungen über den Pessimismus Schopenhauers. Wir Menschen wissen erst, daß die Wirklichkeit real ist, sofern sie für uns unerfreulich ist. Alles was schön und angenehm ist, muß uns über kurz oder lang wie ein Traum vorkommen. Das einzige Urteil, das wir im Hinblick auf real und nicht real fällen können, ist der Grad der Unerfreulichkeit des Wahrgenommenen im Hinblick auf eine unbeschwerte Existenz unsererseits. „[...] wäre sie (die Welt, VME) noch ein wenig schlechter, so könnte sie schon nicht mehr bestehen“, schreibt Schopenhauer,163 wäre die simulierte Realität in der Matrix auch nur ein wenig besser, so würde sie von den Menschen nicht mehr angenommen werden. So kann man die schlechte Welt gemäß Kant als Schema, als synthetische Erkenntnis a priori bezeichnen, an die sich der Mensch in seinem Urteil hält,

161 „Shooting Script“, New York, 2002, 361

162 in den beiden folgenden Teilen von Matrix wird diese Ambivalenz der Simulation leider durch eine überfrachtete Ideologie zu Gunsten des Realen und zu Lasten der Simulation aufgeweicht, ebenfalls zu Lasten der Faszination durch den Zuschauer.

163 Schopenhauer, „Die Welt als Wille und Vorstellung“, Vol. II, Frankfurt am Main, 1986, 747

ähnlich wie er einen Ball, der nicht rund ist, nicht mehr als Ball wahrnehmen bzw. bezeichnen würde. Die Feststellung, daß die Realität immer unerfreulich ist, scheint ein pessimistisches Cogito darzustellen. Ob diese Vorstellung nun durch Erfahrung entstanden ist oder ob diese schon immer im Gehirn des Menschen enthalten war, läßt sich freilich nicht eindeutig definieren. Die Welt ist dennoch des Menschen Vorstellung, die Vorstellung davon ist schlecht und jede Welt, die uns vorgesetzt wird, muß daher auch schlecht sein, um unserer synthetischen Erkenntnis a priori zu entsprechen. Man sagt „zu schön, um wahr zu sein“ aber niemals „zu schlecht, um wahr zu sein“. Wie Freud schreibt: „[...] die Absicht, daß der Mensch ‚glücklich’ sei, ist im Plan der Schöpfung nicht enthalten.“164 Nur ein böser Traum ist ein realer Traum und die schlechte Welt ist für uns die wahre Welt – ob in der Wirklichkeit oder in der Simulation.

2.5. Die Dominanz des Gehirns – Erkenntnistheorie der