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Die Relativität des Realen

2. Not what you see – Die Relativität des Realen:

2.7. Die Illusion in der Kunst:

2.7.1. Die Idee und das Bild:

entsteht zunächst im Kopf und ist keine objektive Abbildung der Außenwelt sondern zwangsläufig eine subjektive Interpretation.

Im 15. Jahrhundert in Italien hatten die Florentiner Künstler um Brunelleschi aber noch ganz andere Ziele. Sie wollten eine perfektere Illusion der Wirklichkeit schaffen als die Maler und Bildhauer des Mittelalters und hierfür bedienten sie sich der neuen Erkenntnisse der Perspektive, der Geometrie und der Anatomie, um eine realistische Darstellung des Abgebildeten zu erreichen. Das Stilmittel der Verkürzung finden wir z.B. bei Ucello (Abb.

52). Die Bilder sollten die Natur darstellen und nicht verzerren. Diesen Standpunkt vertrat auch Albrecht Dürer, der im frühen 16. Jahrhundert neue Maßstabe hinsichtlich der vollkommenen Naturnachahmung setzte, dies besonders aus dem Grunde, um die heiligen Geschichten der Bibel in seinen Holzschnitten, Gemälden und Kupferstichen überzeugend präsentieren zu können. Künstler wie Caravaggio dagegen bezeichneten sich im frühen 17.

Jahrhundert dadurch als Naturalisten, indem sie von klassischen Vorbildern und den Idealen der Schönheit nichts mehr wissen wollten. Caravaggio malte auch häßliche Dinge, wie man sie in der Wirklichkeit ja schließlich auch fand, wollte damit erreichen, daß der Maler die Wirklichkeit zwar abbildet, diese aber nicht mit euphemistischeren Farben malt. Ein Beispiel ist Der ungläubige Thomas von 1602 (Abb. 53).218 Ende des 16. Jahrhunderts änderte sich dieser Trend ein wenig, als namentlich Claude Lorrain sich für seine Naturdarstellungen nur die Motive aussuchte, die einem Märchenland hätten entnommen sein können. Hierdurch wurde der Begriff des Malerischen geboren, was dazu führte, daß man einen Garten in der Wirklichkeit danach verglich, ob er einem virtuellen Garten auf einem Gemälde Lorrains glich (Abb. 54).219 Somit wurde die abgebildete Natur noch schöner dargestellt, als sie eigentlich war. Als Gegenzug dazu tauchte im 19. Jahrhundert mit den Realisten um Millet und Courbet wieder eine Strömung auf, die die Realität unverblümt und unverfälscht darstellte, das arme Leben der Bauern oder auch das unprätentiöse Auftreten des Malers Courbet auf dem Lande (Abb. 55) etc. Die Impressionisten schließlich malten zwar auch, was sie in der Natur sahen, brachten jedoch ihre subjektive Empfindung von Licht und Farbe

218 Hierbei sind Jesus, der ungläubige Thomas und möglicherweise weitere Jünger nicht unbedingt wie strahlenbekrönte, überirdische Heilige dargestellt, sondern wie wettergegerbte, gewöhnliche Menschen jener Zeit, was sie sicherlich auch waren. Auch die Art und Weise, wie direkt Thomas dem Heiland in seine verwundete Seite greift, mag respektlos erscheinen, doch läßt die Heilige Schrift an dieser Handlungsweise keinen Zweifel. So sagt Jesus zu Thomas, „Reiche Deinen Finger her und siehe meine Hände, und reiche Deine Hand her und lege sie in meine Seite, und sei nicht ungläubig, sondern gläubig“, Johannes, 20,27, vgl. dazu auch Gombrich, E. H., Die Geschichte der Kunst, Frankfurt am Main, 1997, 391, ähnlich ungläubig, mehr Thomas Anderson als Neo, faßt sich Neo am Ende von Matrix 1 an seine Wunde an der Brust, nachdem er von Agent Smith angeschossen wurde und kurz darauf, vorläufig, stirbt. Als er wieder an sich glaubt, ist es ihm sogar möglich, die Kugeln der Agenten aufzuhalten (Abb. 21 und 23).

219 vgl. ebd., „Reiche Engländer gingen noch weiter und versuchten, das Stück Natur, das ihnen gehörte, ihre Güter und Landsitze nach Claudes Vorbild umzumodeln.“, 395-396

ebenfalls in das Bild mit ein, während die Kunst des 20. Jahrhunderts sich von einer realistischen Darstellung der Natur mehr oder weniger vollkommen verabschiedete und auf innere Gefühlswelten als Inspirationsquelle zurückgriff – den Geist oder das Gehirn; dort, wo alles anfängt, hört auch alles auf.220 Die bereits erwähnte Subjekt-Objekt Polarität221 wird hier endgültig aufgebrochen; als Subjekt begeben wir uns unter die Dominanz des Objekts, indem wir glauben, wir würden das reine Objekt abbilden. Wissen wir aber, daß ein großer Teil der Erkenntnis subjektiv von uns selbst generiert wurde und mit dem Objekt nicht zwingend etwas zu tun hat, ist es ein konsequenter Zug des Modernismus, eher innere Welten als äußere darzustellen. Diese Ansicht vertritt ja auch Cypher, dem es egal ist, ob er in der Wirklichkeit oder der Simulation lebt, solange es ihm gut geht und er genug Geld hat. Ebenso möchte er aber auch berühmt und ein Künstler (!) sein.222 Picasso stellt die Subjekt-Objekt-Spaltung in seinem Werk Das Atelier von 1928 (Abb. 56) sehr komprimiert und dennoch eindrucksvoll dar. Die starren, geometrischen Linien zwischen Subjekt und Objekt vermitteln den Eindruck eines linearen Bezugs, der aber in Wahrheit gar nicht existiert.223 Wir können nicht genau feststellen, ob wir die Realität so sehen, wie sie wirklich ist. Wenn Künstler, seien es Maler oder Schriftsteller, uns nun mit anderen Möglichkeiten des Sehens und der Betrachtung von Realität konfrontieren, dann teilen sie uns damit auch mit, daß es keine objektive Erkenntnis von Realität gibt. Einige dieser Möglichkeiten aus Literatur und bildender Kunst sollen im folgenden dargestellt werden.

220 Clement Greenberg sieht eine Korrelation zwischen der Perfektion der Abbildung z.B. in Form der Photographie und dem Abstraktionsniveau der modernen Kunst bzw. ein Bekenntnis zu Farbe und Bildfläche

„Die realistische oder naturalistische Kunst pflegte das Medium zu verleugnen, ihr Ziel war es, die Kunst mittels der Kunst zu verbergen; der Modernismus wollte mittels der Kunst auf die Kunst aufmerksam machen. Die einschränkenden Bedingungen, die das Medium der Malerei definieren – die plane Oberfläche, die Form des Bildträgers, die Eigenschaften der Pigmente -, wurden von den alten Meistern als negative Faktoren behandelt, die allenfalls indirekt eingestanden werden durften. Der Modernismus betrachtet dieselben Einschränkungen als positive Faktoren, die nun offen anerkannt wurden“, in „Modernistische Malerei“, in Die Essenz der Moderne – Ausgewählte Essays und Kritiken, Dresden, 1997, 267-268

221 siehe Kap. 2.3.1

222 Matrix, 1999, dt. Version, in der englischen Version ist allerdings von “actor” die Rede, „Shooting Script“, New York, 2002, 331,

223 vgl. zu diesem Werk auch Liebermann, William, „Die große, exakt kalkulierte Komposition aus Geraden und rechten Winkeln wirkt auf den ersten Blick wie ein abstraktes Werk. Es ist keins.“, in Modern Masters: Manet to Matisse, New York, 1957, zitiert nach Elderfield, John (ed.), Das Moma in Berlin, Berlin, 2004, 244