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3 Entwicklung und Stellenwert des Pazifismus bis 1990

3.4 Pazifistische Ideologeme bei den Grünen bis 1990

3.4.1 Ideensystem Gewalt

Die in der grünen Partei bis 1990 existierenden pazifistischen Ideologeme bezogen sich vor allem auf das Phänomen der Gewalt in den internationalen Beziehungen. Mit „Pazifismus“

wurde in diesem Zusammenhang am unmittelbarsten eine „Gewaltfreiheit“ in Verbindung gebracht. Im Bundesprogramm von 1980 heißt es: „Gewaltfreiheit gilt uneingeschränkt [...] auch zwischen Volksgruppen und Völkern.“270 „Gewaltfreiheit“ war von den Akteuren also als Norm auf Innen- und Außenpolitik, sowie als Interaktionsregel auf das Agieren der politischen Partei

„Die Grünen“ anwendbar. Außenpolitisch wurde auf der Basis von Gewaltfreiheitsforderungen ein Bezug zwischen dem militärischen Handeln von Staaten und Staatengruppen außerhalb ihres Territoriums und der normativen Forderung nach physischer Gewaltfreiheit hergestellt. Ein

„gewaltfreier“ Umgang mit menschlichen und ökologischen Ressourcen verhinderte aus dieser Sicht eine „gewaltsame Aneignung fremder Rohstoffe“.271

Paradigmatisch wurde das Phänomen Gewalt in physisch-militärische einerseits und in strukturelle Gewalt andererseits geteilt. Strukturelle Gewalt war in den pazifistischen Konzeptionen kein „sinn- und zweckloses Ding“ im Sinne von Clausewitz`.272 Sie waren

268 Wiesenthal 1999: 39.

269 Hurrelmann 2001: 47.

270 Das Bundesprogramm: 5. Auch im Wahlprogramm von 1990 ist diese Forderung vorhanden (Das Programm zur 1. gesamtdeutschen Wahl 1990: 8).

271 Friedensmanifest: 7.

272 Clausewitz 1973: 991.

vielmehr Ausgangspunkt von Konflikten: Kriegerische, d.h. mit militärischen Mitteln ausgetragene Auseinandersetzungen stellten eine mögliche Erscheinungsform von Gewalt dar, waren jedoch nicht der einzige gesellschaftlich-politischer Gewalttypus.273 Der pazifistische causal belief hinsichtlich dieser Gewaltformen lautete: Strukturell begründete Gewalt ruft – vor allem über einen längeren Zeitraum hinweg – militärische Gewalt hervor. Umgekehrt folgten der Anwendung militärischer Gewalt Formen struktureller Gewalt.274

Nicht-militärische Gewaltformen gründeten in pazifistischen Konzeptionen auf sozialen, wirtschaftlichen und ökologischen Strukturen.275 Die bereits im Bundesprogramm der Grünen benannten herrschenden „gesellschaftlichen Zustände"276 wurden zudem übergreifend auf die Lebenschancen benachteiligter Gruppen rückbezogen.277 Strukturelle Gewalt definierte sich als

„Ursache für den Unterschied zwischen dem Potentiellen und dem Aktuellen" der menschlichen Existenz.278 Mit Blick auf die internationalen Beziehungen wurden einerseits „Bevormundung, Einmischung, Besetzung und Ausplünderung" genannt, die Potentiale zum „Ausbruch“ von militärischen Konflikten beherbergen.279 Gleichzeitig kamen solche politischen Bestrebungen in den Blick, die diese Faktoren struktureller Gewalt zu beenden sowie den Unterschied zwischen potentiell möglichem und tatsächlichem Realisierungsgrad einer politischen Gemeinschaft zu verringern suchten.

Die Induzierung von physischen wie strukturellen Gewaltformen bewirkte in der pazifistischen Konzeption deren verstärkende „Spirale" oder repetitive innere „Logik“. Eine „Rüstungsspirale"

bezeichnete demzufolge den Prozess, in dem Rüstungspolitik mit Gegenrüstung beantwortet wurde und auf diesem Wege den Wirkungsgrad von Gewalt erhöhte.280 Zugleich wurden

273 Vgl. Krysmanski 1993: 152.

274 Besonders Johan Galtung hat hier sehr deutlich die Prämissen und Annahmen dieses Ansatzes formuliert."[D]ie Gewalt ohne einen Akteur bezeichnen wir als strukturelle oder indirekte Gewalt….hier tritt niemand in Erscheinung, der einem anderen direkt Schaden zufügen könnte; die Gewalt ist in das System eingebaut und äußert sich in ungleichen Machtverhältnissen und folglich ungleichen Lebenschancen." (Galtung 1975: 12; vgl.

auch Haugaard 1999: 116).

275 Vgl. Brown 1999: 705.

276 Das Bundesprogramm 1980: 19.

277 Bonacker /Imbusch 1999: 93.

278 Galtung 1971: 58.

279 Das Bundesprogramm: 19.

280 Vgl. Das Programm zur 1. gesamtdeutschen Wahl 1990: 20.

Forderungen nach einem Verbot von Waffenexporten und nach radikaler Abrüstung abgeleitet, um eine Fortführung der „Gewaltspirale“ zu verhindern. 281

3.4.2 Ideensystem Frieden

Seit ihrer Gründung präsentierte die Partei ihre außen- und sicherheitspolitischen Handlungsziele als „Friedenspolitik“. Diese wurde als wertorientiertes und prozesshaft „aktives“ Handeln begriffen, mit dem impliziten Ziel, eine dauerhafte Eliminierung militärischer Gewalt als Austragungsmodus inner- und zwischenstaatlicher Konflikte zu erreichen.282 Das spezifische Friedenskonzept der Partei erschien dadurch als politisch-gesellschaftliche „utopische Perspektive“283.

Die Annahme des „negativen Friedens“, gewalttätige Auseinandersetzungen seien eine wiederkehrende Konstante der menschlichen Koexistenz innerhalb und zwischen Völkern, wurde ebenso wenig geteilt wie die Beschränkung auf ein politisches Handlungsziel, welches die Abwesenheit von kriegerischen Auseinandersetzungen innerhalb einer instabilen Balance der internationalen Beziehungen bestimmt.284 Das pazifistische, „positive“ Friedenskonzept der Grünen enthielt demgegenüber politisch-ontologische Vorstellungen, um der konstatierten Abwesenheit eines langfristig stabilen Friedens „aktiv“ zu begegnen.

So wurde in Koppelung an das Ideensystem Gewalt eine nicht gewalt-induzierende Konfliktverregelung zum friedenspolitischen Fernziel der Partei.285 In den Blick kam eine Transformation des gewalthaften Charakters der internationalen Beziehungen in Richtung einer

„Zivilisierung" politisch-militärischen Agierens.286 Nicht gewalttätig ausgetragene Konflikte wurden dabei als friedlich, d.h. dem „positiven“ Friedensprozess immanent begriffen.287 Da eine

281 Vgl. Das Bundesprogramm: 19; Das Programm zur 1. gesamtdeutschen Wahl 1990: 18f.; vgl. auch den Fokus des Programms zur Europawahl auf den Aspekt der Abrüstung (vgl. Europa braucht grün).

282 Vgl. Stephenson: 811.

283 Vgl. Raschke 1993: 132.

284 In dieser Konzeption gehört es „zum Wesen des Friedens, dass er nicht definiert werden kann. Entsprechend bildet sich auch die Idee vom Frieden ex negativo, eben in der Vorstellung von der Abwesenheit von Krieg."

(Bonacker/Imbusch 1999: 108).

285 Czempiel 1999a: 47; Schwerdtfeger 2001: 95.

286 Vgl. Meyers 1994: 40ff.

287 Krysmanski 1993: 155.

Konkretisierung politischer Methoden zur dauerhaften Verhinderung von kriegerischen Auseinandersetzung und zur Zivilisierung der internationalen Beziehungen vor 1990 programmatisch nicht vorgenommen wurde, besaß das Konzept des „positiven“ Friedens geringe operative Bedeutung.288

3.4.3 Ideensystem Sicherheit

Der Begriff der Sicherheitspolitik wurde bei den Grünen im Zeitraum von 1980 bis 1990 durch den der Friedenspolitik ersetzt.289 Es herrschte demzufolge in der Partei ein geringer Kognitionsgrad sicherheitspolitischer Positionen. Entscheidendes Merkmal pazifistischer Sicherheitsvorstellungen vor 1990 war, dass Sicherheit in den internationalen Beziehungen nicht kausal mit dem Aspekt der Verteidigung gekoppelt wurde. Potentiellen und realen Sicherheitsbedrohungen von außen wurde nicht mit Konzepten militärischer Reaktionen begegnet. Programmatisch erhielt die militärisch gestützte Defensivverteidigung zunächst keine Aufmerksamkeit.290 Im Bundestagswahlprogramm von 1987 wurde sie als „sinnlos“

abgelehnt.291

Gleichzeitig wurde eine Erweiterung traditioneller Sicherheitskonzeptionen vorgenommen.292 Hinsichtlich der Sicherheit im internationalen Staatensystem konzentrierten sich pazifistische Positionen nicht auf die Sicherheit des Staates und durch den Staat. In das Blickfeld gerieten vielmehr Sicherheitsdefizite von Menschen und Gruppen, die durch den Staat wenig gesichert oder gar bedroht werden.293 Sicherheit wurde generell verstanden als eine dauerhafte Abwesenheit von Bedrohungen, die für soziale Einheiten – Ethnien, religiöse Gemeinschaften, oder auch die Menschheit als ganze – bestehen. Die potentiellen oder real-existierenden Bedrohungen umfassten politisch-soziale Unterdrückung, die Zerstörung natürlicher Ressourcen, nukleare Bedrohung sowie Armut und Hunger. Das pazifistische Sicherheitskonzept wurde – wie

288 Barash beschreibt ein „Auto-Hund-Problem” im Zusammenhang mit der Konzeption eines „positiven“ Friedens:

„Imagine a dog that has spent years barking and running after cars. Then, one day, it catches one. What does it do with it? What would devotees of peace do with the world if they had the opportunity?“ (Barash 2000: 129).

289 Vgl. Mehl 1989: 38.

290 Vgl. Das Bundesprogramm 1980: 19.

291 Bundestagswahlprogramm. Farbe bekennen: 27.

292 Zum Konzept der „erweiterten Sicherheit“ siehe auch: Lutz 1986: 79; Hanrieder 1995:123-132.

293 Mutimer 1999: 82f.

auch das Friedenskonzept – mit dem Ideensystem Gewalt erfasst: Sicherheit wird bedroht, wenn Formen stuktureller Gewalt existent sind. 294

Sicherheitsbestrebungen etwa im Rahmen von EU oder NATO wurden aus dieser Sicht von nationalen oder multilateralen Interessen bestimmt, deren Verfolgung dauerhaft nicht zu Frieden respektive Sicherheit im internationalen System führen könne.295 Das Konzept kollektiver Sicherheit als einer partiellen und zeitlich begrenzten Überantwortung von Souveränität an internationale Institutionen konnte keine konfliktfreie und damit dauerhaft verlässliche Sicherheit für die einzelnen Mitgliedstaaten des kollektiven Sicherheitssystems erwirken. 296 Kollektivität wurde vielmehr als empathetisches Muster sicherheitspolitischen Handelns gefasst.

Vertrauensgewinn durch politische Formen der Solidarisierung und Kooperation wurden in diesem Sinne essentiell für ein wirksames Sicherheitsmodell. Entscheidend war so ein causal belief, in dem der Sicherheitsgrad anderer Staaten vornehmlich zum Resultat des solidarischen Handelns im und durch den eigenen Staat wurde. Demzufolge mussten kalkulierte „einseitige Schritte“ (etwa der Abrüstung) im eigenen Land begonnen werden, um auf diesem Wege andere Staaten zu ähnlichen Schritten zu veranlassen.297 Dies entspach einer – institutionell nicht versprachlichten – Zielsetzung, Sicherheitsdilemmata in den internationalen Beziehungen zu

„überwinden", d.h. nur solche staatlichen Handlungen und Maßnahmen durchzuführen, die den Grad an Sicherheit anderer Staaten nicht verringern.298

Während in traditionellen Konzeptionen von nationalen und bündnisbezogenen Interessen aus argumentiert wird, entstand in den ersten Jahren nach Parteigründung eine „Bottom-up"-Sicht, die durch internationale Kooperation von Nicht-Regierungs-Organisationen eine Form pluraler, dezentraler und solidarisch-kollektiver Sicherheit zu erreichen suchte.299 Gleichzeitig existierte in der Partei eine übergeordnete, zumeist globale „Top-down"-Sicht auf Sicherheitsinstitutionen:

Es fand eine Fokussierung statt auf global agierende und vermeintlich universelle Interessen vertretende sicherheitspolitische Akteure, die in der auf Eigeninteressen bezogene Interaktion

294 Vgl Buzan 2000: 7.

295 Das Programm zur 1. gesamtdeutschen Wahl 1990: 19.

296 Vgl. Collins 1997: 66.

297 Das Programm zur 1. gesamtdeutschen Wahl 1990: 18; vgl. Brock 1990: 73-75.

298 Snyder 1999: 111-117. Für einen Überblick über unterschiedliche Konzeptionen des Sicherheitsdilemmas siehe:

Collins 1997; Jervis 1978.

299 Vgl. Friedensmanifest: 20ff.

einzelner Staaten vermitteln sollten. Hier wurden vor allem die KSZE genannt, die „die Nationalstaaten zum Zwecke der Kriegsverhütung überwölbt und verbindet“300, sowie die Vereinten Nationen als „multilaterale Regelungsebene für eine solidarische Weltgesellschaft ohne Alternative“. 301

300 Das Bundesprogramm: 21.

301 Das Bundesprogramm: 42.

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