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11 Der Bundestagswahlkampf 1998

11.4 Außen- und sicherheitspolitische Position Fischers und Volmers

Partei gerichtet.1063 Fischers Ziel bestand darin, eine größere Regierungsfähigkeit der Partei herzustellen, ohne die institutionelle Handlungsfähigkeit zu gefährden.1064 Fischer besaß in der Einschätzung von „potentiellen Mehrheiten“ innerhalb der Partei ein „feines Gespür“.1065 So hatte sich Fischer in Debatten der Partei um die außen- und sicherheitspolitische Programmatik im Hintergrund gehalten, und nur an einigen zentralen Stellen seine Position „zielorientiert“

deutlich gemacht.1066 Durch dieses Agieren erfüllte Fischer die „Integrationsleistung“, strategische Mehrheiten zu organisieren und zugleich den institutionellen Zusammenhalt zu

1060 Erklärung der Abgeordneten Ludger Volmer, Angelika Beer, Gila Altmann, Amke Dietert-Scheuer, Marina Steindor, Annelie Buntenbach, Dr. Jürgen Rochlitz zur SFOR-Abstimmung im Bundestag.

1061 Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur deutschen Beteiligung an der von der NATO geplanten Operation zur weiteren militärischen Absicherung des Friedensprozesses im früheren Jugoslawien.

1062 Raschke 2001: 343.

1063 Interview mit Hugler, 8.3.02.

1064 Interview mit Schmillen, 15.3.02. Volmer bestätigte, dass Fischers Argument der „Realpolitik“ ein Mittel „im Kampf um die richtige Linie“ der Partei war (Interview mit Volmer, 25.4.02; vgl. Raschke 2001: 389).

1065 Interview mit Fücks, 11.4.02.

1066 Fischer hat Volmer zufolge im Zusammenhang der außenpolitischen Problembearbeitung der Partei generell

„zielorientiert“ gehandelt (Interview mit Volmer, 25.4.02).

bewahren.1067 Dabei war angesichts der parteiinternen „Übermacht... der Integrationsfigur“1068 zur erwarten, dass Fischers Positionen die außen- und sicherheitspolitische Linie erkennen ließen, die Bündnis 90/Die Grünen im Falle einer Regierungsbeteiligung verfolgen würde. So entsprachen seine Person und die von ihm vertretenen Positionen im Bundestagswahlkampf 1998

„den politischen Interessen des Durchschnitts“ des Elektorats, Fischer diente vor allem neu hinzukommenden Wählern als Leitfigur der Partei.1069 Fischers Aussagen zur Außen- und Sicherheitspolitik waren im Wahlkampf 1998 also deshalb entscheidend, da sie als repräsentative Positionen von Bündnis 90/Die Grünen erkannt wurden, und sich an sie letztlich in Constituency, bei politischen Gegnern und im Elektorat hohe Erwartungen an die Vertrauenswürdigkeit der gesamten Partei verbanden.

In einer Rede vor der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik benannte Fischer im Juni 1998 vier „Konstanten der deutschen Außenpolitik“, die aus seiner Sicht auch nach der Bundestagswahl Bestand haben sollten.1070 Er sprach sich für eine „Politik der Selbstbeschränkung“ aus, die eine „klare Absage an alle Machtstaatspolitik“ beinhalte. Zweitens plädierte er für eine „innen- wie außenpolitisch unverzichtbar[e]“ Westbindung der europäischen Staaten, die – dies sei die Lehre aus dem Bosnien-Krieg und dem Zerfall Jugoslawiens – bisher nicht in der Lage seien, ihre „eigenen Sicherheitsprobleme zu lösen“. Drittens müssten die Interessen Deutschlands „innerhalb des europäischen Integrationsprozesses“ verfolgt werden.1071 Zur europäischen Integration gehöre auch die Ost-Erweiterung der NATO, aus der jedoch eine gesamteuropäische Sicherheitsarchitektur entwickelt werde müsse, in der die „militärischen Komponenten eine immer geringere Rolle spielen werden.“ Als vierte „Konstante“ der deutschen Außenpolitik nannte er die „unerschütterliche Verpflichtung auf die Menschenrechte."1072 Fischer sprach sich letztlich gegen eine „bedenkliche Verengung der Sicherheitsdiskussion“ und für einen weiten Sicherheitsbegriff aus, der sich an der pazifistischen Sicherheitskonzeption der Partei orientierte.

1067 Interview mit Hugler, 8.3.02.

1068 Lohse 1998a.

1069 Raschke 2001: 53, 84.

1070 Fischer 1998a.

1071 Fischer schnitt dabei bereits die Debatte um eine europäische Verfassung an, die er später in seiner Rede an der Humboldt-Universität Berlin fortsetzte (vgl. Fischer 2000).

1072 Fischer 1998a.

„Es wird nicht die NATO sein, ...[die] den Ausgleich zwischen Nord und Süd wird leisten können, sondern es werden allein die Vereinten Nationen sein. Wenn es in einem Konflikt bereits so ist, dass nur noch Soldaten weiterhelfen, dann ist es meistens zu spät... Im Klartext, ich halte einen Machttransfer klassischer Macht in Recht, einen Interessenausgleich, eine Zivilisierung des internationalen politischen Systems... für dringend geboten." 1073

Fischers Aussagen trugen den programmatischen Positionen der eigenen Partei als auch den Interessen des Handlungsumfeldes der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik Rechung.

Fischer gelang es mit einer Mischung aus außen- und sicherheitspolitischer Vision sowie

„stockkonservativ[em]" Gestus, die Zustimmung seiner Zuhörer zu gewinnen.1074 Angesichts des überzeugenden Auftretens konnten Schwerpunkte der Konfliktprävention und pazifistische Konzeptionen der erweiterten Sicherheit von Fischer im wissenschaftlichen Handlungsumfeld der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik Gehör verschafft werden. Genauere operative Beschreibungen, etwa hinsichtlich des von ihm angesprochenen „internationalen Interessenausgleichs“ blieb Fischer jedoch schuldig.

Neben Fischer war es in der Phase des Wahlkampfes Ludger Volmer, der seine außen- und sicherheitspolitischen Positionen besonders öffentlichkeitswirksam präsentierte. Auch aufgrund hoher konzeptioneller Fähigkeiten hatte sich Volmer in der zweiten Hälfte der 90er Jahre als außen- und sicherheitspolitischer Meinungsführer in der Fraktion und des linken Parteiflügels hervortun können.1075 Volmer war seit dem Parteitag in Neumünster 1991 der Organisator einer Mitte-Links-Mehrheit in der Partei gewesen. Er hatte sein Handeln mittels der Formel definiert:

„Nicht die Linke in den Grünen, sondern die Grünen von links definieren.“1076 Volmer hatte wie Fischer in den vorangegangenen Jahren versucht, die Programmatik der Institution weiterzuentwickeln. Gleichzeitig umfasste seine Strategie, die linken Aktivisten mit in den Veränderungsprozess der Partei einzubeziehen, weswegen er oftmals „nicht zu weit“ gehen konnte.1077 Die außen- und sicherheitspolitische Position Volmers wurde in der Wählerschaft als

1073 Fischer 1998a.

1074 Vgl. Gescheit und stockkonservativ. Fischer-Rede über Außenpolitik.

1075 Interview mit Knapp, 4.1.02.

1076 Zitiert nach: Raschke 2001: 346.

1077 Interview mit Hugler, 8.3.02. Auch Volmer selbst beschreibt die Einbeziehung der Interessen der Parteimitglieder als seine persönliche Handlungsstrategie während der gesamten 90er Jahre (Interview mit Volmer, 25.4.02).

repräsentative Position des linken Parteiflügels erkannt und konnte so Aufschluss geben hinsichtlich der Interessenrepräsentation der Constituency im Falle einer Regierungsbeteiligung.

Damit wurde auch Volmers Position ein Gradmesser für die Kompatibilität der vom linken Flügel vertretenen außen- und sicherheitspolitischer Personen im Hinblick auf eine mögliche Koalition mit der SPD.

In seiner kurz vor der Bundestagswahl erschienenen Dissertation entwickelte Volmer – nach einer Darstellung von außenpolitischen Schwerpunkten seit der Parteigründung –

„Handlungsverpflichtungen“ für die Zeit nach der Bundestagswahl. Für den Fall einer Regierungsbeteiligung betonte Volmer ebenso wie Fischer die Kontinuität einer „grünen Außenpolitik“. Diese Kontinuität beinhalte

„die Absage an Nationalismus und Sonderwege, erklärter Machtverzicht, die Pflege der transatlantischen Beziehungen, die europäische Integration, die Einbindung in den Westen und der Brückenschlag nach Osten, Multilateralismus und freiwilliger Machtverzicht."1078

Zusätzlich versuchte Volmer das Konzept eines „politischen Pazifismus" zu etablieren.1079 Dabei konzentrierte sich Volmer – ebenso wie Fischer – auf einen Sicherheitsbegriff, der in den 90er Jahren wesentlicher Teil der bündnisgrünen sicherheitspolitischen Konzeptionen gewesen war:

„Je deutlicher Bündnis 90/Die Grünen jedoch klarstellen, dass die Suche nach sicherheitspolitischen Alternativen keinen Rückfall in überwundene Zeiten deutschen Unilateralismus bringen wird, als desto legitimer wird ihr Bemühen anerkannt,... über den bestehenden institutionellen Rahmen und den traditionellen Sicherheitsbegriff hinauszudenken.“1080

Inhaltlich unterschied sich Volmer von Fischers Präsentation außenpolitischer Zielsetzungen in dieser Phase kaum.1081 So orientierte sich auch Volmer in seinen Entwürfen an Grundlagen und Zielsetzungen der bisherigen deutschen Außen- und Sicherheitspolitik. Die hier benannte erweiterte Konzeption internationaler Sicherheit stand – wie auch bei Joschka Fischer zu

1078 Volmer 1998a: 590.

1079 Auch Angelika Beer verwendet in dieser Zeit den Begriff des politischen Pazifismus, der „die Grünen prägt"

(Beer 1998).

1080 Volmer 1998a: 591.

1081 Interview mit Volmer, 25.4.02.

beobachten – in Kongruenz zum pazifistischen Optionenset der Partei. Volmer ging indes nicht auf die normative Frage der Gewaltfreiheit in den internationalen Beziehungen ein. Insofern sind die hier benannten Konzeptionen in Teilaspekten als pazifistisch zu begreifen. Der wesentliche Unterschied zwischen Fischer und Volmer betraf die strategische Ausrichtung der Institution innerhalb des politischen Systems. Entscheidend war für Volmer die Fortsetzung des außen- und sicherheitspolitischen Handelns der Partei auf der Basis ihres institutionellen Erfahrungshintergrunds.

„Den erfolgreichen Avantgardeanspruch aufgeben zu wollen, um zum Management des politischen Normalvollzugs zu werden, läuft Gefahr, Identität und Motivation zu zerstören."1082

Im Interview bestätigte Volmer, er habe im Gegensatz zu Fischer eine „motivorientierte Denkweise“ besessen.1083 Diese „Motivorientiertheit“ berücksichtigte die institutionellen Handlungsmuster als wesentlichen Faktor für die Problembearbeitung wie für die Gesamtentwicklung der Partei. Es ging in diesem Zusammenhang darum, „kollektive Lernprozesse mitzuorganisieren, die möglichst viele Leute mitnehmen.“1084 Volmer formulierte demzufolge eine Position, die versuchte, „ansprechbar [zu] bleiben für radikalere Zielsetzungen“1085 und die zugleich geeignet war, „den linken Flügel regierungsfähig und -willig zu machen“.1086

Letztlich stimmte die unmittelbare Zielsetzung von Fischer und Volmer überein, da beide Akteure ihr Interesse an der Regierungsbeteiligung der Partei verfolgten.1087 Die strategische Ausrichtung ihrer Argumentation jedoch war angesichts unterschiedlicher Adressaten divergent.

Fischers Schwerpunkt lag auf dem Handlungsumfeld einer deutschen Außen- und Sicherheitspolitik unter bündnisgrüner Beteiligung, während Volmer die Motive innerhalb der Partei zu berücksichtigen suchte. In der Öffentlichkeit mussten die bekundeten inhaltlichen Zielsetzungen der beiden Akteure vertrauensbildend wirken, da vor allem die

1082 Volmer 1998a: 587-589.

1083 Interview mit Volmer, 25.4.02.

1084 Interview mit Volmer, 25.4.02.

1085 Volmer 1998a: 587.

1086 Interview mit Volmer, 25.4.02.

1087 Interview mit Hugler, 8.3.02.

Kontinuitätsbekundungen mit der bisherigen Außen- und Sicherheitspolitik Deutschlands deutlich wurden. In der Partei selbst jedoch konnten sich die unterschiedlichen Argumentationsschwerpunkte Fischers und Volmers schädlich auswirken, da sie als Vertreter von Strömungen viel Widerstand mobilisierten, der – trotz inhaltlicher und interessengebundener Gemeinsamkeiten von Fischer und Volmer selbst – eine flügelübergreifende Führung der gesamten Partei behinderte.1088

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