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3 Entwicklung und Stellenwert des Pazifismus bis 1990

3.1 Innere und äußere Bestimmungsfaktoren der Friedensbewegung

DDR eröffneten in den frühen siebziger Jahren die Möglichkeit, die „Spannung zwischen Grenz- und Mittellage“ Deutschlands zu verringern und die Ost-West-Konfrontation des Kalten Krieges durch internationale Zusammenarbeit zu regulieren.176 Gleichzeitig lenkte die „Ostpolitik“ der sozialliberalen Regierung unter Willy Brandt die Aufmerksamkeit der bundesrepublikanischen Öffentlichkeit verstärkt auf die Problematik des internationalen Friedens und förderte Erwartungen auf eine Entspannung der militärpolitischen Konfrontation.177

Die ökonomische Rezession im Zuge verringerter Ölexporte durch die OPEC im Jahr 1973 dämpfte die Reformvorhaben der Regierung Brandt jedoch stark.178 Mit der Übernahme des Kanzleramtes durch Helmut Schmidt begann 1974 endgültig eine Verwaltung der wirtschaftlichen und energiepolitischen Krise.179 Die politischen Akteure konzentrierten sich nunmehr auf durch breiten gesellschaftlichen Konsens gestütztes Handeln.180 Die Folge war eine politische Ernüchterung in der bundesrepublikanischen Öffentlichkeit181, vor allem in der Wählerschaft der SPD.182

Die Unzufriedenheit wurde verstärkt durch eine in den westlichen Industriestaaten auftretende Hinwendung zu politisch-wertbezogenen Problemkomplexen, die in eine Ergänzung des politischen Stellenwerts sozioökonomischer um „post-materialistische“ Fragestellungen mündeten.183 Da im Krisenmanagement der Regierung Schmidt wertbezogene Problemkreise nicht befriedigend beantwortet wurden, konnten „alternative“ Konfliktstoffe wie das Geschlechterverhältnis, der Schutz der natürlichen Lebensräume, eine sichere Energieversorgung

176 Vgl. Link 1987: 410f.

177 Vgl. Haftendorn 2001: 190-195.

178 Vgl. Mewes 1998: 31.

179 Dräger /Hülsberg 1986: 47.

180 Vgl. Lehmbruch 2000: 181f.

181 Vgl. Winkler 2000: 319.

182 Vgl. Frankland/Schoonmaker 1992: 6.

183 Inglehart 1990: 370; van Deth 1995: 48-75.

sowie Probleme des internationalen Friedens als Ausdruck politischen Akzeptanzverlusts an Brisanz gewinnen.184 Die „Neuen Sozialen Bewegungen“ artikulierten innerhalb eines außerparlamentarischen Protests die mangelnde Repräsentation alternativer Politikfelder, eine

„organisatorische Einkapselung“ in den Massenparteien185 sowie den generellen innen- und außenpolitischen Stillstand.186 Die aus politisch-sozial mobilisierten Kleingruppen zusammengesetzten Bewegungen bildeten ein „durch kollektive Identität abgestütztes Handlungssystem"187, welches politisch autonom von den existierenden Parteien agierte.In den Bewegungen entstand der „Zusammenhang einer eigenen Tradition"188 als gemeinsame institutionelle Handlungsgrundlage, welche nicht nur die Bewegungen selbst durchdrang, sondern auch die mit ihr formell oder informell verbundenen Gesellschafts- und Wählerschaftsteile.189

Für die aus der Studentenbewegung der 60er Jahre kommende „Neue Linke“ stellten die Bewegungen der 70er Jahre eine Alternative sowohl zu terroristischer Radikalisierung als auch zu einer gänzlichen Abkehr von politischer Aktivität dar. Joschka Fischer aus dem Frankfurter Revolutionären Kampf sowie Jürgen Trittin aus dem Kommunistischen Bund gehörten dieser Teilgruppe der „Neuen Sozialen Bewegungen“ an.190 Inhaltliche Berührungspunkte zur Friedensbewegung bestanden vor allem in der Betonung von politisch-ökonomischen Strukturen als auch von Sicherheitsfaktoren innerhalb des internationalen Staatensystems.191

Im Mittelpunkt des Protestes standen zunächst feministische Forderungen, Aktionen auf dem Gebiet des Naturschutzes sowie der Widerstand gegen die zivile Nutzung der Kernenergie192, so etwa bei der massenhaften Besetzung des Bauplatzes für das geplante Atomkraftwerk in Wyhl 1975 und bei den gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Atomkraftgegnern und Polizei

184 Rucht 1998: 50; vgl. Brand/Büsser/Rucht 1984: 83.

185 Kitschelt 1989: 62.

186 Vgl. Brand 1998: 68.

187 Rucht 1994: 77.

188 Hieber 1988: 32.

189 Vgl. Vandamme 2000: 46ff.

190 Vgl. Raschke 2001: 38.

191 Vgl. Markovits/Gorki 1997: 107-120.

192 Zu den neuen sozialen Bewegungen werden neben der Friedensbewegung die Ökologiebewegung, die Frauenbewegung, die Dritte-Welt-Bewegung die Alternativbewegung gezählt (Brand 1998: 214).

in Grohnde im März 1977.193 Der thematische Fokus der Bewegungen lag somit zunächst auf der innerstaatlichen Frage von Sicherheit und Frieden, die Kernenergie wurde zum „Negativsymbol“

von politischem Protest.194 Das Thema des internationalen Friedens wurde innerhalb der Bewegungen zunächst nicht in den Vordergrund gerückt; nicht um auf diesem Politikfeld politisch neutral zu bleiben, sondern weil es von den Aktivisten noch nicht als Mobilisierungs- und Handlungsfeld erkannt worden war.195

Im Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU), der ab 1972 die sogenannte

„Ökopax"-Bewegung begründete, wurden ökologische Themen mit Problemstellungen internationaler Sicherheit und Frieden zu integrativen programmatischen Bestandteilen verbunden.196 In den gleichen Problem- und Handlungszusammenhang wurden die Armut großer Teile der Weltbevölkerung, die sie bedingenden politischen wie ökonomischen Strukturen sowie die Solidarität mit nationalen Befreiungsbewegungen gestellt.197 Das Ziel der inhaltlichen Verbindung bestand darin, den außerparlamentarischen Protesten mehr Gewicht zu verleihen und ihren politischen Einfluss zu vergrößern.198

Erst gegen Ende der 70er Jahre wurden Wirkungskraft und -richtung der Friedensbewegung durch eine Verschärfung der geopolitischen Konfliktkonstellation entscheidend verändert.199 Angesichts einer verstärkten Produktion sowjetischer Mittelstreckenraketen des Typs SS 20 einigten sich die NATO-Mitgliedstaaten unter Zustimmung der deutschen Regierung im Dezember 1979 im so genannten „Doppelbeschluss“ auf die Neustationierung amerikanischer Mittelstreckenwaffen sowie Marschflugkörper. Diese Entscheidung hatte zum Ziel, das

193 Vgl. Hülsberg 1988: 80; Vandamme 2000: 61-63.

194 Mewes 1998: 31.

195 Vgl. Mewes 1998: 32.

196 Der Sprecher der BBU und Gründungsmitglied sowie Bundestagsabgeordneter der Grünen, Roland Vogt, sagte in einem Grundsatzreferat im April 1978, die Ökologiebewegung würde nur eine Chance zum politischen Durchbruch besitzen, „wenn sie sich als Teil einer umfassenden Gesamtalternativenbewegung begreift" (zitiert nach: Schroeren 1990: 13). Die Verkoppelung des Problembereiche von Friedens- und Ökologiebewegung kommt auch in den verwandten Begriffen „Lebensbewegung" und „Überlebensbewegung" zum Ausdruck, wobei sich die Ökologiebewegung als „Lebensbewegung" und die Friedensbewegung als „Überlebensbewegung"

definierten (Heidtmann 1995: 130).

197 Hülsberg 1988: 70. Zur Entwicklung der BBU siehe: Zirakzadeh 1997: 59-61.

198 Vgl. Heidtmann 1995:133.

199 Brand/Büsser/Rucht 1984: 207.

strategische Gleichgewicht in Europa und die Glaubwürdigkeit der Abschreckung wiederherzustellen.200 Gleichzeitig wurde beschlossen, mit der Sowjetunion in Verhandlungen über eine Beschränkung der eurostrategischen Waffen einzutreten.201

Erst der Problemzusammenhang des NATO-Doppelbeschlusses und das Festhalten der Regierung Schmidt an ihrer bisherigen Entspannungspolitik202 gab den „Neuen Sozialen Bewegungen“ einen international gerichteten Handlungsschwerpunkt. Der NATO-Doppelbeschluss diente fortan als „negativer Minimalkonsens"203 in einem übergreifenden Protestbündnis gegen die militärische Aufrüstung der Bundesrepublik. Fixiert waren die Proteste lediglich auf den ersten Teil des Beschlusses, die geplante Stationierung von amerikanischen Mittelstreckenraketen in der Bundesrepublik. Die „Nachrüstung“ wurde nicht wie in der offiziellen Deutung als Problem des europäischen Kräftegleichgewichts interpretiert, sondern als rationales Teilstück einer weltweiten Offensivstrategie der USA. Der zweite Teil des Beschlusses, die von den europäischen Staaten durchgesetzten Rüstungskontrollverhandlungen, blieb demgegenüber gänzlich unbeachtet.204

Die Friedensbewegung artikulierte ein „Unbehagen“ an der geopolitischen Situation, das sich in der Zukunftsprojektion eines Atomkriegs manifestierte.

„The ...consciousness was generated by a desire to ‚escape‘ from a Cold War that increased the chances of a conflict in which Germany would be the foremost casualty.“205

Bedrohungsszenarien wurden zum Erkennungszeichen der Bewegung, ein „Betroffenheit artikulierende[r] Politikstil"206 zeichnete sich durch dichotome Gegenüberstellungen von Untergang und Errettung aus, die simplifizierten und emotionalisierten Erklärungen von geopolitischen Zusammenhängen Vorschub leisteten.

Die neue Friedensbewegung war in erster Linie eine locker institutionalisierte, nicht-hierarchisch geordnete außerparlamentarische Basisbewegung, die sich aus etwa 150 Initiativen

200 Vgl. Haftendorn 2001: 267.

201 Eine ausführliche Schilderung der Ereignisse findet sich bei: Haftendorn 2001: 264-307; Winkler 2000: 353ff.

202 Vgl. Haftendorn 2001: 218.

203 van Hüllen 1989: 374.

204 Vgl. Schmitt 1990: 87.

205 Verheyen 1991: 178; vgl. Schmidt 1983: 45.

206 Mehl 1989: 34; vgl. van Hüllen 1989: 75-78.

zusammensetzte.207 In ihr fanden sich christlich-humanitäre Pazifisten, Marxisten, Sozialisten und kommunistische Gruppen, außerdem links-alternative und aus dem subkulturellen Milieu stammende Gruppierungen sowie Mitglieder der ökologischen Bewegung.208 Wesentliches Merkmal der Bewegungen wurde eine „Verdeutlichung der Differenz nach außen", die eine Unterscheidung von traditionellen außenpolitischen Handlungszielen und -methoden beinhaltete.

Die Unterscheidung diente einer „Stabilisierung der Identität nach innen", so dass die Festigung eines institutionellen Erfahrungsspeichers verantwortlich war für die relative

„Nichtverhandelbarkeit" und damit die politische Radikalität der von den Bewegungen vertretenen Positionen.209

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