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7 Der Zusammenschluss von Die Grünen und Bündnis 90

7.1 Der Vereinigungsprozess der beiden Parteien

Bereits 1990 war mit dem Einzug der Abgeordnetengruppe „Bündnis 90/Die Grünen“ in den Bundestag ein gemeinsames institutionelles Handeln der westdeutschen Grünen mit Akteuren des ostdeutschen Bündnis 90 eingeleitet worden. Die Bundespartei „Die Grünen“ beschloss im Zuge einer institutionellen „Neukonstituierung“ im April 1991, einen Vereinigungsprozess mit Bündnis 90 „sofort einzuleiten“. Bekundetes Ziel war die Herstellung „arbeitsfähiger Zusammenhänge“ für eine gemeinsame Kandidatur bei der Bundestagswahl 1994.538

Ausgangspunkt für diese Entscheidung war, dass die Konkurrenz im gleichen Wählersegment eine Teilung des Stimmenpotentials der beiden Parteien zur Folge hatte. Dies verdeutlichte die Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern 1991, wo Neues Forum, Grüne Ost und Bündnis 90 insgesamt neun Prozent der Wählerstimmen erhielten, als getrennt antretende Gruppierungen jedoch allesamt an der Fünf-Prozent-Hürde scheiterten.539 Die „antizipierte Wirkung der 5%-Hürde“ motivierte die Akteure, eine inhaltliche und organisatorische Verbindung herzustellen.540 Bei den Akteuren von Bündnis 90 gab es hinsichtlich einer organisatorischen Neuformierung große Bedenken. Als sich im September 1991 ein Teil der ehemaligen Bürgerbewegungen der DDR zur Partei „Bündnis 90“ formierte, waren Befürchtungen vor einer „Inkorporierung“ der Einzelbewegungen zutage getreten.541 Verstärkt wurde die Skepsis durch die Einschätzung der Grünen als einer in sich stark zerstrittenen Organisation.

„They [the ‘Bündnis 90’-activists] were still at ease with the anti-system rhetoric and radical chic that flourished among some western Greens and appalled by the internal battles which they considered a sign of political immaturity“.542

538 Vgl. Erklärung von Neumünster.

539 Vgl. Die Erstgeborenen der Revolution sind so billig nicht zu haben.

540 Kaltefleiter 1995: 21f.

541 Haufe 1993: 133, 145; vgl. das Interview mit Bärbel Bohley in: Findeis/Pollack/Schilling 1994: 61f.; Voit 1991;

Interview mit Joschka Fischer(1); Motivationsschub für Grüne; siehe auch die Willenserklärung „Vollenden und aufbrechen“, die bei der Gründung von Bündnis 90 am 21./22.9.1991 in Potsdam verabschiedet wurde (Vollenden und aufbrechen).

542 Betz 1995: 207.

Dass die Akteure von Bündnis 90 dennoch in den Vereinigungsprozess einwilligten, hatte vor allem materielle Gründe. Um den politischen Prozess auf lokaler Ebene mitzubestimmen, musste die Partei ihre „beunruhigende finanzielle Lage“ verbessern.543 Nur im Fall einer Fusion konnte man mit einer ausreichend hohen Wahlkampfkostenerstattung rechnen und Abschläge auf zukünftige Wahlkämpfe erhalten.544 Zudem besaß Bündnis 90 enorme Mobilisierungsprobleme, da ein mit den Westgrünen vergleichbares Potential an Parteiaktivisten in den fünf neuen Bundesländern nicht vorhanden war.545 Entscheidend war auch letztlich das Interesse der Akteure, auch auf gesamtdeutschem Gebiet spezifisch ostdeutsche Interessen wirksam repräsentieren zu können.546

Im Mai 1992 beschloss die Bundesdelegiertenversammlung von Bündnis 90 offiziell, mit den Westgrünen über eine Fusion zu verhandeln.547 An diesen Entschluss wurden Forderungen nach einer gesicherten Repräsentation im Parteivorstand sowie einem „Erhalt der Arbeitszusammenhänge“ von Bündnis 90 geknüpft.548 Ein paritätischer Zusammenschluss war angesichts der unterschiedlichen personellen wie politischen Stärke der Verhandlungspartner jedoch nicht zu erreichen: Die Mitgliederzahl der Grünen lag bei 36000, Bündnis 90 umfasste lediglich etwa 2600 Mitglieder. Zudem besaßen die Ostdeutschen einen Mangel an

„strategischem Wissen“ für das praktische Agieren im politischen System Deutschlands, den die Westgrünen während des institutionellen Vereinigungsprozess als Vorteil nutzen konnten.549 In einem Memorandum des Bundesvorstandes der Grünen hieß es, dass die erhöhten Chancen auf einen Wiedereinzug in den Bundestag das „zwingendste Motiv“ einer Vereinigung mit dem Bündnis 90 sei. Dennoch wurde betont, dass „die Masse der Wahlstimmen dort [im Westen]

geholt werden“ müsse.550 Die Akteure der westdeutschen Grünen erwarteten also bei einer Fusion eine Konzentration von Wählerstimmen auf eine als team of men agierenden

543 Vgl. Müller-Enbergs 2001: 86; vgl. das Interview mit Hans-Jürgen Fischbeck in Findeis/Pollack/Schilling 1994: 96f.

544 Vgl. Wielgohs /Schulz /Müller-Enbergs: 111.

545 Vgl. Poguntke 1996: 100; Betz 1995: 216.

546 Probst 1993: 157; Vollmer/Templin/Schulz 1992: 33; Interview mit Poppe, 18.2.02.

547 Vgl. Bündnis 90 macht Grünen Antrag.

548 Vgl. Wielgohs/Schulz/Müller-Enbergs 1992: 116.

549 Interview mit Knapp, 4.1.02.

550 Memorandum des Bundesvorstandes zur parteiinternen Diskussion.

Organisation.551 Das unmittelbare Handlungsziel der westdeutschen Akteure bestand indes darin, die inhaltlichen Positionen der neuen Partei in ihrem Sinne zu harmonisieren und „die Strukturen möglichst geräuschlos kompatibel“ zu machen.552

Organisationsstrukturell bewirkte der Zusammenschluss der Parteien vor allem eine Verschiebung innerhalb der institutionellen Akteurskonstellationen. Erste Konsequenzen zeigten sich kurz vor dem Leipziger Einigungsparteitag, als sich Parteilinke der westdeutschen Grünen zum „Babelsberger Kreis" formierten.553 Diese Gruppe bildete eine Schnittstelle zwischen den Ebenen des linken Flügels und umfasste Akteure der Parteiführung sowie Teile der Constituency.

Bekundetes Ziel war die inhaltliche Positionierung in einem „gemeinsam getragenen diskursiven Raum", wie Frieder-Otto Wolf es beschrieb.554 Strategisches Ziel bestand vor allem darin, einer im Zuge der Fusion befürchteten einhergehenden Verschiebung inhaltlicher Positionen – einer

„Erosion“, wie es im linken Flügel hieß – koordinierte Positionen entgegenzusetzen.555 Diese strömungspolitische Positionierung kurz vor der Vereinigung hinderte die Akteure beider Parteien nicht daran, während der ersten gemeinsamen Bundesversammlung in Leipzig eine große Geschlossenheit zu dokumentieren. Die internationale Presse lobte

„eine für diese individualistische Gruppierung ungewöhnlich gut funktionierende Regie... [und] einen fast reibungslosen Ablauf des Treffens."556

Die vom Bundesvorstand der Grünen vorgeschlagene „Leipziger Erklärung" wurde mit wenigen Änderungen beschlossen.557 Das „die Einheit gefährdende Thema Außenpolitik" wurde während des Treffens indes nicht behandelt.558 Zu wesentlichen Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik, etwa zu Möglichkeit und Grenzen von Auslandseinsätzen der Bundeswehr enthielt auch die Parteitagserklärung keine Angaben.559

551 Strom 1990: 566f.

552 Lengsfeld (vormals Wollenberger) 2002: 381.

553 Mitglieder waren u.a. Claudia Roth, Christian Ströbele, Frieder O. Wolf, Angelika Beer und Ludger Volmer.

554 Zitiert nach: Potential sucht Politik.

555 Betz 1995: 208; Rudzio 1996: 155.

556 Die Nation liegt schief. Bündnis und der Weg nach Bonn.

557 Vgl. Stock 1993a.

558 Die Nation liegt schief. Bündnis und der Weg nach Bonn.

559 Vgl. Leipziger Erklärung.

Im Assoziationsvertrag zwischen den beiden Parteien wurde dem Bündnis 90 für eine Übergangszeit organisatorische Sonderrechte gewährt, zu denen unter anderem eine Garantie von drei der elf Sitze im Bundesvorstand und die Zusicherung eines der beiden Sprecherposten gehörten. Außerdem wurde „Bündnis 90“ im neuen Parteinamen an vorderer Stelle genannt.560 Trotz der „überaus pragmatisch begründeten Aufgaben- und Postenverteilung"561 konnten nicht alle ostdeutschen Akteure im Lauf des Verreinigungsprozesses integriert werden. Die ostgrüne Vorstandssprecherin Christine Weiske verkündete in Leipzig ihren Rücktritt. Als Begründung nannte sie die Weigerung der Delegierten, einem Vertreter der ostdeutschen Landesverbände der Grünen einen Platz im neuen Bundesvorstand zu garantieren.562 Die Bürgerrechtlerin Bärbel Bohley kritisierte, mit dem Zusammenschluss seien „die Grundsätze des früheren Oppositionsbündnisses in der DDR preisgegeben worden". Frau Bohley rief die Mitglieder des Bündnis 90 auf, künftig beim Neuen Forum mitzuarbeiten.563 Auch Michael Platzeck vom Brandenburger Landesverband entschied sich, Bündnis 90 zu verlassen; er blieb als parteiloser Minister in Potsdam tätig.564

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