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5 Die Grünen und die Krise am Persischen Golf 1990/91

5.3 Die Frage der Waffenlieferungen nach Israel

Ein Schwerpunkt des parlamentarischen Agierens der Partei im Bundestag hatte außen- und sicherheitspolitisch auf Forderungen nach Exportstopps für in Deutschland hergestellte oder mit deutschem Know-how produzierte Waffen gelegen.350 Während der Krise am Golf wurde diese Aktivität in der Frage der Rüstungsexporte intensiviert. Die Fraktion kritisierte bereits unmittelbar nach dem Einmarsch des Irak die Beteiligung deutscher Firmen an dessen militärischer Aufrüstung und bezichtigte die Bundesregierung einer Teilschuld durch zu schwache Rüstungsexportrichtlinien.351 Zudem wurde im September 1990 gegen den vormaligen Präsidenten des Bundesnachrichtendienstes und zum Zeitpunkt der Golfkrise als Staatssekretär

347 Legro 2000: 426.

348 Kaiser/Becher 1992: 24.

349 Das Programm zur 1. gesamtdeutschen Wahl 1990: 8.

350 Vgl. etwa: Zum Problem einer Proliferation von chemischen Vernichtungsmitteln durch Firmen aus der Bundesrepublik Deutschland; Volmer 1998a: 455.

351 Entschließungsantrag der Fraktion Die Grünen zum Bericht der Bundesregierung über die Tagung der WEU/EPZ-Sitzung zur Lage am Golf.

im Justizministerium tätigen Klaus Kinkel Strafanzeige erstattet. Angelika Beer und Helmut Lippelt begründeten dies mit dem Verdacht auf „Mittäterschaft bei der Lieferung von Anlagen zum Bau chemischer Waffen im Irak".352

Eine konkrete Handlungssituation ergab sich nach dem Angriff des Irak auf zivile Ziele in Israel, bei dem acht Scud-Raketen bereits wenige Stunden nach dem Beginn der internationalen Militäraktion u.a. in Tel Aviv und Haifa einschlugen.353 Angesichts eines drohenden Angriffs mit chemischen oder biologischen Waffen kam es in Israel zu Demonstrationen mit der Losung

„1941 – Zyklon B, 1991 – Nerven- und Senfgas“, die eine deutliche politische Reaktion vonseiten der politischen Akteure Deutschlands erforderten.354 Das Bundeskabinett beschloss Ende Januar 1991 ein Paket von Hilfsmaßnahmen zur Unterstützung des militärischen Schutzes Israels und seiner Bevölkerung, wozu u.a. auch das Angebot gehörte, Israel mit Luftabwehraketen zu versorgen.355

Die Frage der Verteidigungsfähigkeit Israels angesichts der konkreten äußeren Bedrohungssituation wurde vom Bundesvorstand der Grünen zunächst kaum thematisiert.356 Lediglich der Bundeshauptausschuss verurteilte kurz nach dem irakischen Abschuss der Skud-Raketen auf Israel die Angriffe und forderte ihre sofortige Einstellung.357 Offenbar hielten sich die Akteure auf Bundesebene in dieser Frage zurück, da das Thema „zu sensibel" war.358 Die Ambivalenz des Handlungsproblems ergab sich für die grünen Akteure aus dem Umstand, dass im grünen Bundestagswahlprogramm ein absolutes Exportverbot als Handlungsziel festgeschrieben worden war. Die Zustimmung zu Waffenlieferungen an Israel konnten nun als Widerspruch zum Parteiprogramm und als Beitrag zur Konflikteskalation interpretiert werden.359 Andererseits bedeutete ein Rekurs auf diese Programmatik „noch keine Antwort auf die Frage,

352 Vgl. Grüne zeigen Ex-BND-Chef an.

353 Walker/Fairhall 1991.

354 Vgl. Wasmuht 1998: 7.

355 Vgl. Kaiser/Becher 1992: 35.

356 Volmer zufolge sprachen sich Joschka Fischer, Rupert von Plottnitz, Waltraud Schoppe und Hubert Kleinert früh für einen raschen Einsatz der bundeswehreigenen Patriot-Raketen zur Verteidigung Israels gegen die irakischen Raketen aus (Volmer 1998a: 454). Dies konnte anhand der untersuchten Quellen nicht nachgewiesen werden.

357 Vgl. „Die Waffen nieder!“.

358 Grüne empört über Türkeihilfe.

359 Das Programm zur 1. gesamtdeutschen Wahl 1990: 20.

wie den Israelis geholfen werden soll".360 Denn es konnten nicht nur historische Argumente des besonders sensiblen Verhältnisses zwischen Deutschland und Israel angeführt, sondern der

„Zynismus" genannt werden, dass mit deutscher Hilfe zunächst irakische Raketen gebaut wurden, man aber nun nicht-militärische Mittel zur Verteidigung Israels gegen diese Raketen vorsah.361

Im hessischen Landesverband kam es hinsichtlich der Frage von Raketenlieferungen zu heftigen Diskussionen.362 Auf einer Mitgliederversammlung des Landesverbandes Ende Januar 1991 wurde eine Lieferung deutscher Patriot-Raketen nach Israel zunächst abgelehnt. Michael Brumlik, grüner Frankfurter Stadtverordnete und Mitglied der jüdischen Gemeinde, drohte daraufhin mit seinem Parteiaustritt und der Niederlegung seines Stadtratmandats. Er begründete dies damit, dass die Partei sich nur um Juden kümmern würde, „wenn sie bereits tot sind".363 In einer unmittelbar anschließenden Debatte einigten sich die Delegierten darauf, dass Israel

„Anspruch auf Schutz" habe, auch „in militärischer Form“.364 Die Waffenlieferungen wurden damit nicht ausdrücklich befürwortet, die Position Brumliks unter starker Einflussnahme Joschka Fischers verundeutlicht.365

Angesichts dieser öffentlich geführten Diskussion musste die Parteiführung nun reagieren.

Christine Weiske sprach sich im Namen des Bundesvorstands gegen eine Waffenlieferung aus, da „einzig und allein die Beendigung des Krieges“ im Irak ein „wirksamer Schutz für die Menschen im Nahen Osten“ sei.366 Jürgen Trittin äußerte, Raketenlieferungen legitimierten die jahrelang kritisierte Rüstungspolitik der Bundesregierung. Außerdem böten solche Lieferungen

360 Kostede 1991.

361 Vgl. etwa die Stellungnahmen der Hamburger GAL-Politikerin Gabi Gottwald (Diskussionsrunde zum Verhältnis der Friedensbewegung zu Israel: 175-181).

362 Vgl. Markovits/Gorski 1997: 455.

363 Vgl. Klingelschmitt 1991a.

364 Vgl. Klingelschmitt 1991a.

365 Interview mit Knapp, 4.1.02. Von Teilnehmern der Sitzung wurde die Meinungsverschiebung zwischen den Abstimmungen einerseits als „Gefolgschaftsdenken", andererseits als „Ausdruck der Betroffenheit" interpretiert (Wülffing 1991; Klingelschmitt 1991a).

366 „Warum wir gegen Waffenlieferungen nach Israel sind“.

keinen größeren Schutz, sondern seien „symbolische Akte“, mit denen die Bundesrepublik „ihr Image“ verbessern wolle.367

Der Bremer Landesverband verabschiedete hingegen wenige Tage später mit knapper Mehrheit eine Resolution, die eine Raketenlieferung unterstützte:

„Wir können nicht guten Gewissens gegen Abwehrraketen gegen Israel auftreten, nachdem wir die Belieferung des Irak mit Angriffstechnologie nicht verhindern konnten.“368

Im Interview sagte Fücks, diese Befürwortung sei vor allem auf „persönliche Konstellationen“

der Akteure im Bremer Landesverband zurückzuführen gewesen. Die Akteure hätten sich nicht

„als Pazifisten definiert“, zudem eine „klare Haltung“ zum Selbstverteidigungsrecht Israels besessen und seien „stark genug“ gewesen, ihre Position öffentlich zu diskutieren.369 Die Gegner der Resolution warfen den Befürwortern indes „Gelegenheitspazifismus“ vor. 370

Den Höhepunkt der Debatte in der Partei löste ein Interview aus, das Bundesvorstandssprecher Christian Ströbele während einer Delegationsreise mit dem Journalisten Henryk Broder in Jerusalem führte. Ströbele argumentierte, die irakischen Raketenangriffe gegen Israel stünden ursächlich in Verbindung mit dessen „unrechtmäßiger“ Politik. Den Unterschied zwischen der Politik Israels während der Besetzung der palästinensischen Gebiete und dem Einmarsch des Irak in Kuwait beschrieb Ströbele wie folgt:

„Israel war damals einem Krieg ausgesetzt, hat die Gebiete erobert, hat sie dann behalten. Das ist ein wichtiger Unterschied zum Irak. Trotzdem ist das Unrecht, in den Gebieten eine Besatzungspolitik zu machen, vom Grundsatz her ein ähnliches Unrecht wie die Besatzung Kuwaits. Wir dürfen auch nicht vergessen, dass Israel seit Jahren eine Politik betreibt, die wir nicht gutheißen können. Die irakischen Raketenangriffe sind die logische, fast zwingende Konsequenz der Politik Israels."371

Ströbele rief mit dieser Position große Empörung innerhalb und außerhalb der Partei hervor. Der Bundesvorstand distanzierte sich von Ströbele. Dessen Aussagen bewegten sich „außerhalb des

367 Trittin 1991a.

368 Zitiert nach: Grüne für Patriot-Raketen.

369 Interview mit Fücks, 11.4.02.

370 Zitiert nach: Grüne für Patriot-Raketen.

371 „Raketenangriffe sind Konsequenz der Politik Israels".

Grundkonsens des Bundesvorstandes“, wie es in einer Erklärung hieß.372 Fischer kritisierte, Ströbele mache sich zum „Büttel des irakischen Präsidenten Saddam Husseins" und habe der Partei „großen Schaden zugefügt."373 Auch führende Politiker der Parteilinken wie Ludger Volmer und Gaby Gottwald distanzierten sich von Ströbele.374 Parteisprecherin Renate Damus, die zur Israel-Delegation gehört hatte, sprach zunächst von „Schmierenjournalismus" Henryk Broders. Wenige Tage später kam auch sie zu dem Schluss, dass Ströbeles Interview „in keiner Weise zu retten“ sei.375

Ströbele erklärte angesichts der Reaktionen auf das Interview seinen Rücktritt vom Amt des Vorstandssprechers. Zur Begründung sagte er, es sei für ihn nicht weiter möglich, die Interessen der Grünen „glaubhaft" zu vertreten.376 In einer schriftlichen Reaktion warb er um „Verständnis“

für seine Haltung und räumte ein, dass er die Bedeutung der Waffenlieferung an Israel „falsch eingeschätzt“ habe.377 Wenig später äußerte Ströbele weiterhin die Befürchtung, dass die Sicherheit Israels nur durch einen sofortigen Waffenstillstand und den Stopp aller Waffenlieferungen in die Region erreicht werden könne.378 Renate Damus blieb auch nach den heftigen Reaktionen bei der Haltung, „dass die israelische Regierung nichts zur Befriedung der Region beigetragen“ habe.379

Zur gleichen Zeit kam in vielen Aktivitäten ein sehr solidarisches Verhältnis der Partei zu Israel zum Ausdruck. Einige Wochen zuvor hatte eine Reise vom Darmstädter Stadtverband der Grünen nach Israel stattgefunden, bei der man auf „nichts als [...] Freundschaft gestoßen“ war.380 Auch Ströbele selbst hatte sich Mitte der 80er Jahre im Bundestag für die Intensivierung einer

372 Ströbeles Aussagen vor der Israelreise.

373 Fischer kritisiert Grünen-Sprecher.

374 Vgl. Der grünen 'Baisse' noch eins draufgesetzt.

375 Zitiert nach: Grüne geläutert aus Israel zurück. Der Vorwurf, das Interview wurde von Broder manipuliert, konnte bis auf einige Ungenauigkeiten bei der Übersetzung des Interviews vor Gericht nicht bewiesen werden.

376 Vgl. Ströbele gibt sein Amt auf.

377 Ströbele 1991b:142f.

378 Vgl. Ströbele 1991a.

379 Ströbele 1991b:142.

380 Klingelschmitt 1991b.

Versöhnungsdebatte zwischen Israel und Deutschland stark gemacht.381 Zwischen der von Ströbele während der Golfkrise vertretenen Position und der eines Großteils der Stammwählerschaft und den Aktivisten der Partei bestand jedoch ein hoher Übereinstimmungsgrad. Bestätigt wurde dies durch den Empfang Ströbeles mit „stürmischem Beifall" auf dem Parteitag in Neumünster im April 1991.382 Die Berliner „tageszeitung“ erreichte zahlreiche Leserbriefe, die Ströbeles Position unterstützten.383 Auch Petra Kelly bestätigte, Ströbeles Argumentation habe sie „leider auch schon in Kreisen der Grünen gehört“. 384 Insofern können Ströbeles Aussagen nicht als Positionsbeziehung eines einzelnen politischen Akteurs gedeutet werden, sondern es ziehen sich vielmehr „kollektive Interpretationsmuster" durch Ströbeles Formulierungen.385 Fücks zufolge waren die Reaktionen der Aktivisten und Stammwähler Teil einer „Solidarisierungswelle“. Ströbeles Rücktritt stellte aus dieser Sicht ein politisches Opfer dar, seine Äußerungen entsprachen jedoch den politischen Realitäten.386

Grundlage für die Einschätzung war die Identifizierung von geopolitischen Fehlentwicklungen, die der eigentlichen Krise zeitlich und ursächlich vorausgingen. Ströbele kam zu der Auffassung, dass die als aggressiv interpretierte Politik Israels gegenüber seinen arabischen Nachbarn zu einem Faktor „struktureller“ Gewalt geworden war, der in einer „Gewaltspirale“ kausal mit der Golfkrise verbunden war. Dieser auf pazifistischen Konzeptionen basierende causal belief wurde von Ströbele wie von vielen Aktivisten auf das Handlungsproblem einer möglichen Lieferung von Patriot-Raketen übertragen. Damit wurde die konkrete Frage nach der Verteidigungsfähigkeit Israels nach dem Raketenbeschuss nicht beantwortet. Die der Krise vorangehenden Faktoren für die militärische Austragen des Konflikts wurden von den Akteuren

„nicht akzeptiert“, und auf dieser Basis „sah man keine Notwendigkeit“, zu den konkreten Handlungsproblemen Stellung zu nehmen.387 Das pazifistische Optionenset war in der Krise

381 Vgl. Ströbele 1986a; Ströbele 1986b; Knapp 1991: 14. Knapp zufolge wäre ohne Ströbeles Engagement eine Thematisierung des Holocaust im Bundestag nicht möglich gewesen (Interview mit Knapp, 4.1.02).

382 Die Bundesdelegiertenkonferenz der Grünen.

383 So zum Beispiel auch von Andreas Neunert, Mitglied des Stadtverbandes München-Mitte und Bundestagskandidat für die Grünen (vgl. Neunert 1990; Markovits/Gorski 1997: 209).

384 „Mir macht die Situation angst"; vgl. Schenk 1991.

385 Kostede 1991; vgl. auch Loewenstein 1991.

386 Interview mit Fücks, 11.4.02.

387 Interview mit Fücks, 11.4.02.

insgesamt zu inflexibel, um die konkreten Handlungsprobleme in der Krise adäquat zu interpretieren.388 Die Neuheit des außenpolitischen Problems war für die Akteure offensichtlich zu prägend, als dass man neue Optionensets formulieren konnte. Stattdessen wurde in der Partei

„Frieden[...] zur absoluten moralischen Kategorie"389, die – lösgelöst von ihrer Fähigkeit, eine Bearbeitung der Krise zu ermöglichen – auf die generierten Handlungsprobleme angewandt wurde.

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