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5 Die Grünen und die Krise am Persischen Golf 1990/91

5.2 Ablehnung einer Beteiligung an militärischen Aktivitäten

Handlungsschwerpunkt der Akteure der Grünen lag seit dem Einmarsch des Irak in den Kuwait auf einer möglichen Beteiligung Deutschlands an den politischen, wirtschaftlichen und militärischen Sanktionen der Staatenkoalition. Die Bundestagsfraktion der Grünen forderte in einem Antrag Ende August,

„in keiner Weise die Bundeswehr zum Einsatz zu bringen, und auch für die Zukunft keinerlei Bundeswehreinsatz zur ‚Regulierung internationaler Konflikte’ anzustreben, auch nicht im Rahmen eines von der UNO beschlossenen Militäreinsatzes.“331

Die Fraktion sprach zwar von „guten Möglichkeiten erfolgversprechender Wirtschaftssanktionen“ als Antwort auf die Aggression des Irak, ein Beitrag Deutschlands in Form einer finanzieller Beteiligung an den Kosten von Embargo-Maßnahmen wurde jedoch abgelehnt.332 Zur gleichen Zeit bezeichnete der Bundeshauptausschuss, das oberste Gremium der Bundespartei zwischen den Parteitagen333, die Besetzung und Annexion Kuwaits durch den Irak als einen „brutalen Aggressionsakt“, der „rückgängig gemacht werden“ müsse. Die Verstärkung alliierter Truppen im persischen Golf im Zuge der irakischen Invasion lehnte der Bundeshauptausschuss jedoch ebenfalls ab.334 Die Akteure verurteilten den Einmarsch des Irak, gleichzeitig jedoch standen sie einer militärischen Reaktion durch die internationale Staatenkoalition geschlossen ablehnend gegenüber. Jegliche Einbindung der Bundeswehr, auch logistische Unterstützung internationaler Truppen unter dem organisatorischen Dach der Vereinten Nationen waren für die Grünen nicht akzeptabel. Eine Beteiligung „an dem derzeitigen Militäraufmarsch“ stand für die Partei „außer Frage“, wie es bei einer Diskussionsveranstaltung der Partei in Bonn einhellig hieß.335

Die Bundestagsabgeordnete Angelika Beer warnte im September, mit einer Einbeziehung der deutschen Bundeswehr werde einem künftigen Einsatz „der Boden bereitet“. Sie unterstellte,

331 Entschließungsantrag der Fraktion Die Grünen zum Bericht der Bundesregierung über die Tagung der WEU/EPZ-Sitzung zur Lage am Golf.

332 Entschließungsantrag der Fraktion Die Grünen zum Bericht der Bundesregierung über die Tagung der WEU/EPZ-Sitzung zur Lage am Golf.

333 Raschke 1993: 567f.

334 Keine Intervention und keine Bundesmarine in den Golf.

335 Vgl. Bundesgrüne gegen Golfaufmarsch.

dass „das neue Großdeutschland“ sich darauf vorbereite, künftig auch in Krisenregionen der

„Dritten Welt“ militärisch Flagge zu zeigen.336 Ralf Fücks vom Bremer Landesverband äußerte, der Stopp aller Rüstungsexporte und der Einsatz für eine „konsequente Entmilitarisierung innen- und außenpolitischer Konflikte“ werde „mehr Frieden bewirken“ als eine Beteiligung Deutschlands an einer Militäraktion.337

In der Erklärung des Bayreuther Parteitages Ende September sprachen sich die Delegierten der Kreis- und Ortsverbände ebenfalls gegen eine Unterstützung der „kriegsträchtigen militärischen Interventionspolitik" der westlichen Staatenkoalition aus. Die Delegierten wandten sich in der Resolution gegen „deutsche Ansprüche, als ökonomisch und politisch dominantes Land in den Kreis der Großmächte aufzurücken."338

Die einhellige Ablehnung in der Partei gegenüber jeglicher Unterstützungsleistung Deutschlands im Zuge des Konflikts richtete sich auch gegen die Stationierung deutscher Truppen in der Türkei im Januar 1991. Joschka Fischer forderte mit Bezug auf die Entsendung von Soldaten in die Türkei,

„dass in der Bundeswehr Nein gesagt wird zu einem solchen Schritt hin zu einer militärisch unterfütterten Geopolitik".339

Die Europaabgeordnete Claudia Roth erklärte gemeinsam mit Bundesvorstandsmitglied Ozan Ceyhun, die Bundesregierung mache sich zum „Erfüllungsgehilfen und Handlanger" einer

„menschenrechtsverletzende[n] Politik der türkischen Führung."340 Ähnlich scharf argumentierte Jürgen Trittin, Minister für Bundes- und Europaangelegenheiten in Niedersachen: Der Kriegseintritt Deutschlands werde durch die Aufstellung von Raketenabwehrsystemen deutscher Luftwaffeneinheiten „auf verfassungswidrigem Weg vorbereitet."341

Aus Sicht der grünen Akteure war es während der Krise zu einer neuen Verortung der bundesrepublikanischen Außen- und Sicherheitspolitik gekommen. Die Akteure befürchteten

336 Beer/Eich 1990.

337 Fücks 1990.

338 Beschlüsse der außerordentlichen Bundesversammlung in Bayreuth.

339 Zitiert nach: Kaum ist die Einheit da, schickt man deutsche Soldaten zur Front.

340 Zitiert nach: SPD uneins über deutsche Truppen in der Türkei.

341 Zitiert nach: Grüne empört über Türkeihilfe; vgl. auch Trittin: Tarnung für Rüstungsexporte.

innerhalb veränderter geopolitischer Problem- und Handlungsrahmen eine neue außenpolitische Interessenvertretung Deutschlands. Durch eine Abkehr von staatlicher Interessenverfolgung sollten aus dieser Sicht mögliche Sicherheitsdilemmata verhindert werden. Diese pazifistische Position war zuletzt im Wahlprogramm 1990 als außenpolitisches Ziel einer nationalen

„Selbstbeschränkung“ des wiedervereinten Deutschland benannt worden.342 Die Akteure der Grünen applizierten diesen in den Jahren zuvor entwickelten sicherheitspolitischen causal belief während der Golfkrise auf das neuartige Problem eines deutschen Beitrags zur militärischen Intervention der westlichen Staatenkoalition.343 Jegliche Aktivität Deutschlands in der Krise wurde als Ausdruck einer Militarisierung der deutschen Außenpolitik erkannt, die an die imperiale Großmachtpolitik des Dritten Reiches anschloss und in einen neuen Nationalismus zu führen drohte.344

Knapp zufolge waren die Aktivitäten der Parteiakteure während der Krise am Golf nicht Ausdruck einer übergreifenden institutionellen Handlungsstrategie.345 Auch handlungsleitende Interessenstrukturen lassen sich bei der Problembearbeitung während der Krise kaum identifizieren. Die Akteure hielten sich insgesamt zurück, so dass auch in der Öffentlichkeit der Eindruck entstand, dass sich die Grünen als Bundespartei „nicht dezidiert zu Wort melden".346 Es fand eine unmittelbare Fokussierung auf die Frage einer deutschen Beteiligung am Vorgehen der Alliierten in der Golfkrise statt. Die Anzahl der Beiträge grüner Akteure in dieser Frage war wesentlich höher als die Reaktionen auf die geopolitische Bedeutung des Konflikts und der Frage nach den Interessen, die die internationale Koalition in der Krise verfolgte.

Parallel zu dieser Fokussierung des Problemaspekts nationaler Interessenverfolgung ignorierten die Akteure die Handlungssituation zwischen eingeforderten Unterstützungsleistungen bei gleichzeitig erwarteten sicherheitspolitischen Friedfertigkeitsbeweisen. Die Akteure der Grünen befürchteten auf der Basis einer pazifistischer Orientierung eine Interessenvertretung Deutschlands, die aus dieser Sicht die Sicherheit des internationalen Systems zu gefährden drohte. Diese Position stellte indes keine konkrete Antwort auf die durch den gewaltsamen Einmarsch in Kuwait entstandenen spezifischen Handlungsprobleme Deutschlands dar. So hatte

342 Das Programm zur 1. gesamtdeutschen Wahl 1990: 21.

343 Interview mit Knapp, 4.1.02.

344 Zum „historischem“ Argument siehe: Berger 1998: 55-86; Berger 1996: 329-331; Baumann 2001: 166.

345 Interview mit Knapp, 4.1.02.

346 Vgl. „Kaum ist die Einheit da, schickt man deutsche Soldaten zur Front“.

die „ideologisch gefärbte“ Perzeption Einfluss auf eine negative Erwartungsstruktur der Akteure, was eintreffen sollte und was wünschenswert war.347 Die neuen außen- und sicherheitspolitischen Problemstellungen Deutschlands wurden während der Krise stark vernachlässigt, das Handeln der Partei war beschränkt „auf die strikte Verpflichtung zur Appeasement-Politik gegenüber Gewalttätern“. 348

Hinsichtlich des normativen Problems eines militärischen Handelns in den internationalen Beziehungen war im Bundestagswahlprogramm formuliert worden, dass „Gewaltfreiheit [...]

uneingeschränkt und ohne Ausnahme zwischen allen Menschen" gelte.349 Die politischen Argumentationen der grünen Akteure um eine mögliche Aktivität der Bundesrepublik in der Golfkrise wurden jedoch nicht auf diese Programmatik und damit nicht auf die pazifistische Handlungsnorm der Gewaltfreiheit rückbezogen. Mit der historischen Projektion einer reaktionären und konfliktinduzierenden nationalen Interessenverfolgung Deutschlands war es für das politische Handeln der institutionellen Akteure nicht notwendig, auf die Gewaltfreiheitsnorm zurückzugreifen, da mit diesem causal belief jegliches militärische wie politische Agieren Deutschlands in der Krise abgelehnt wurde.

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