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3 Entwicklung und Stellenwert des Pazifismus bis 1990

3.3 Organisationsstrukturelle Aspekte der Problembearbeitung

Im Laufe der 80er Jahre entwickelten sich in der Partei spezifische Akteurskonstellationen, die zu einem wichtigen Faktor für die institutionelle Problembearbeitung wurden. Je weiter die Konsolidierungsphase der Partei voranschritt, desto bedeutsamer wurde die Formation von Akteursgruppen in Flügeln, die alternativ auch Strömungen, Blöcke oder Clans genannt wurden.

Im Herbst 1983 hatten sich die Bezeichnungen Fundamentalpolitiker („Fundis“) und Realpolitiker („Realos“) zur bipolaren Klassifizierung der Aktivisten und als entscheidendes Strukturierungsprinzip der bundespolitischen Akteure herausgebildet. 242

238 Symptomatisch in diesem Zusammenhang ist das Motto der Bundesversammlung in Offenbach vom 2.-4.10.

1981: "Ökologie heißt Frieden".

239 Wiesenthal 1993a: 116.

240 van Hüllen 1989: 448.

241 Mehl 1989: 228.

242 Die dichotome Auseinandersetzung hatte sich erstmals hinsichtlich der Haltung der Parteifunktionäre zur Absicht des hessischen Landesverbandes ablesen lassen, ob eine Regierungsbeteiligung angestrebt werden sollte oder nicht (vgl. Kleinert 1992: 50-53; Fischer 1983; Ebermann /Trampert 1984a).

Auf der Akteursebene des fundamentalistisch-radikalen Flügels ließen sich einerseits die

„Ökosozialisten" unter Führung von Rainer Trampert und Thomas Ebermann243 verorten, deren inhaltlicher Fokus auf wirtschaftlich-sozialen Fragen lag.244 Den zweiten Teilblock bildeten die

„RadikalökologInnen“ unter dem DDR-Dissidenten und späteren Vorstandsmitglied Rudolf Bahro, der in seine Positionen eine fundamentale Kritik an jeglicher technologischen Rationalität einband.245 Als Bahro 1985 aus der Partei austrat, prägten in der Folge vor allem hessische Grüne um Jutta Ditfurth diese Unterströmung.246 Ein erheblicher Prozentsatz grüner Parlamentarier und Bundesvorstandsmitglieder kam aus dem linken Flügel der Partei.247 Vor allem Trampert und Ebermann waren bis 1987 „Protagonisten des Übergangs von der ‚Neuen Linken’ zu den Grünen“.248 Die Radikalität ihrer Forderungen wurde aus der Rhetorik der

„Neuen Linken“ übernommen und setzte sich auf der gesamten Akteursebene der Partei durch.249 Die so genannten „Realpolitiker“ stellten ebenfalls eine in sich heterogene Akteursgruppe dar.

Sie verband die gemeinsame Absicht, die Grünen nicht als fundamentale Oppositions- und Protestpartei entwickeln zu wollen, sondern als eine links der SPD positionierte Reformpartei.250 Joschka Fischer erkundete die historischen Grundlagen für einen „radikalen Revisionismus"

linker Politik, welche den „Machtfaktor", also letztlich Überlegungen von Implementierungspotentialen und Kompromissfähigkeit radikaler politischer Konzepte integrierte.251 Die Ökolibertäre um Winfried Kretschmann und Thomas Schmid bildeten mit der Forderung nach einem liberalen Wirtschaftssystem gleichsam den „rechten Rand"252 der Partei.253

Veen/Hoffmann 1992: 70.

243

Vgl. Ebermann /Trampert 1984b.

Vgl. Hoffmann 1998: 77. So war Rainer Trampert von 1982 bis 1987 Sprecher im Bundesvorstand der Partei.

244

Bahro 1983; vgl. auch Bahro 1987.

245

Bahro trat mit der Begründung aus, die Organisation der Grünen als Partei habe nicht zur „ökologischen Wende“, sondern zu einer Abkehr von ihr geführt (Bahro 1987: 13).

246

Fogt 1987: 160f.

247

Raschke 2001: 387.

248

van Hüllen 1990: 155ff; Rudzio 1996: 153.

249

Vgl. Veen/Hoffmann 1992: 67.

250

251 Fischer 1984: 10f.

252

253 Vgl. Schmid/Hoplitschek 1985.

Die Herausbildung der Flügel als spezifische Akteurskonstellation innerhalb einer aus vielen Untergruppen zusammengesetzten Partei hatte unterschiedliche Gründe. Zunächst hielten die Flügel als „Orientierungsgemeinschaften“ von zersplitterten und personalisierten Kämpfen um Interessenimplementierungen ab. Die Flügel strukturierten die Differenzen in sub-institutionelle Akteursformationen und ermöglichten so bei der Formulierung und Wahl von Handlungsoptionen „schlichtere Selektionsfilter“.254 Einmal installiert wurden die Flügel jedoch genutzt, um deren „konstitutive Unfriedlichkeit“ bei der Konkurrenz um die knappe Ressource relevanter Ämter und Positionen einzusetzen.255

Einen weiteren Grund für die Flügelformierung bildete die basisdemokratische Organisationsstruktur der Partei. Die Aktivisten der „Neuen Sozialen Bewegungen“ hatten sich gegen eine strenge institutionelle Ordnung gewandt und demgegenüber weniger stark strukturierte Organisationsformen bevorzugt, um eine vielfältige und relativ autonome

„politische Selbstentfaltung“ zu ermöglichen.256 Auf dieser Basis wurden bei der Gründung der Grünen Interaktionsregeln entworfen, die für die Effizienz von institutionellen Entscheidungsprozessen hinderlich waren. Basisdemokratische Regeln bei den Grünen betrafen vor allem strukturelle Aspekte der Parteiorganisation wie das Rotationsprinzip von Abgeordneten und Mitgliedern im Bundesvorstand, die Inkompatibilität von Parteiamt und Abgeordnetenmandat sowie die versuchte Bindung der Fraktionen an Entscheidungen der Mitgliederversammlungen (das sogenannte Imperative Mandat).257 In der Ambivalenz zwischen demokratischer Verregelung der Akteurshandlungen und notwendigen effizienten Entscheidungsprozessen fanden die institutionellen Akteure in der Flügelbildung ein informelles Organisationsprinzip, das die Entscheidungsprozesse erleichterte und eine größere Handlungsfähigkeit nach außen herzustellen vermochte.258

254 Vgl. Raschke 1993: 205.

255 Raschke 2001: 361, 371.

256 Vgl. Sontheimer/Bleek 1997: 228f.; Rucht 1994: 512; Rucht 1998: 49.

257 Neben diesen Interaktionsregeln standen auch ein „Gesichterverbot“ auf Wahlplakaten, die Öffentlichkeit aller Sitzungen, die Ehrenamtlichkeit aller Funktionen, die anteilige Abführung von Diäten an Bewegungsprojekte, der kollektive Partei- und Fraktionsvorsitz, die Autonomie der unteren Parteiebenen bei gleichzeitiger finanzieller und struktureller Schwächung des Bundesverbandes im Zusammenhang basisdemokratischer Ideale der Partei (vgl. Veen/Hoffmann 1992: 33-39; Hurrelmann 2001: 46; Huber 1983: 39ff.; Raschke 1993: 568).

258 Vgl. Hurrelmann 2001: 48.

Gegen Ende der 80er Jahre wurden verschiedene Versuche unternommen, die bipolare Strömungskonstellation aufzubrechen. Die Gründung etwa der „Aufbruch"-Gruppe um Antje Vollmer, Christa Nickels, Ralf Fücks und anderen beabsichtigte, eine „mittlere Position zwischen den Strömungen" zu formulieren und hatte zum Ziel, die Grünen aus der bipolaren Akteurskonstellation „herauszudefinieren“ und eine Ausdifferenzierung der Strömungen zu erreichen.259 Inhaltlich entstand dabei ein „Sammelsurium unterschiedlicher theoretischer Versatzstücke und Politikpostulate".260 Der Einfluss der Gruppe war jedoch – ebenso wie der Einfluss der „Kritischen Realos“ unter Christa Vennegerts – von Anfang an begrenzt.261 Die Aufbruch-Gruppe agierte faktisch wie eine zusätzliche Sub-Strömung in der Partei.262 Auch im linken Flügel gab es Initiativen, die Akteurskonstellationen zu verändern.263 Im Juni 1988 wurde die „undogmatische Linke" gegründet, die sich später als „Linkes Forum" unter Führung von Ludger Volmer vom Kern der Ökosozialisten um Trampert und Ebermann abspaltete.264

Die Versuche, die Partei aus einem personell souveränen und strategisch strömungsfeindlichen Zentrum heraus und unter Bezugnahme auf ein „fiktives Gesamtinteresse“ der Partei zu verändern, scheiterten 1990.265 Als Konsequenz waren Entscheidungen oftmals das Ergebnis von informellen Konflikten zwischen den Blöcken.266 Es gelang letztlich nicht, die bipolare Akteursformation und damit auch die Korrelation von inhaltlichen Positionen und Strömungen zu lösen.267 Die Flügelgruppierung als vorherrschendes Organisationsprinzip diente damit immer weiter der Verkoppelung von Personen und Inhalten.

259 Vgl. Vollmer/Ullrich [o.J.].

260 Kleinert 1992: 99; vgl. Aufbruch-Manifest.

261 Vgl. Dormann 1992: 353f.

262 Vgl. Lamla 1998: 15.

263 Raschke 1993: 203.

264 Veen/Hoffmann 1992: 6.

265 Raschke 2001: 337.

266 Raschke 2001: 47; Wiesenthal 1993b: 66.

267 Kahl-Lüdtke 1992: 117; Kleinert 1992: 99.

„Die Clans waren entlang wechselnder, aber identitätswichtiger Konfliktlinien organisiert, die den Streit über die 'Inhalte' beflügelten. Die 'Inhalte' funktionierten als Eingangstrichter; hier wurden und werden die Neulinge von den Aktivisten aufgelesen und der 'inhaltlichen' Arbeit, sprich den 'Clans' zugeführt."268

Die Akteure konnten folglich bei der Verfolgung ihrer Interessen die Organisationsstruktur nutzen, mussten dabei jedoch die inhaltlichen Positionen denen des Flügels, dem sie zugerechnet wurden, berücksichtigen. Auf der Basis dieser Akteurskonstellation wurde die Bearbeitung konkreter außen- und sicherheitspolitischer Probleme vor allem gegen Ende der 80er Jahre von einer „ideologischen Debatte mit Selbstbezug“ überlagert.269

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