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3 Entwicklung und Stellenwert des Pazifismus bis 1990

3.2 Außen- und sicherheitspolitische Orientierung der Grünen

Die Gründung der Partei „Die Grünen“ wird als Konsequenz des politischen Agierens der

„Neuen Sozialen Bewegungen“ angesehen.210 Sie wurde im Sinne einer höheren Reichweite und Wirkungskraft der einzelnen Bewegungen notwendig, da man innerhalb der Organisationsform

„Partei“ größere Einheit und inhaltliche Kohärenz zwischen den einzelnen Bewegungen herzustellen vermochte.211 Die Parteigründung war mit der Erwartung verbunden, den neuen sozialen Bewegungen einen parlamentarisch-organisatorischen Arm oder ein „Spielbein“ geben zu können.212

Die strukturellen Voraussetzungen im bundesrepublikanischen Parteiensystem waren für die Gründung einer Partei günstig: Ein an nicht-materialistischen Konfliktlinien mobilisiertes Aktivisten- als auch Wählerschaftspotential war vorhanden.213 Die Übereinkunft der traditionellen parlamentarischen Handlungsformationen zum gesellschaftlichen Konsens barg die Tendenz zur „Konzentration politischer Repräsentationslegitimität".214 Die „ideologische Lücke“, die auf dem Hintergrund verschärfter, vor allem wertmäßiger Konfliktlinien im

207 Vgl. Brand/Büsser/Rucht 1984: 224.

208 Vgl. Heidtmann 1995:131; Hülsberg 1988: 71.

209 Schmitt 1990: 29-31.

210 Vgl. Mewes 1998: 32; Schmitt 1990: 98; Kleinert 1992: 293.

211 Vgl. Leif 1983: 37.

212 Schnieder 1998: 174.

213 Kitschelt 1989: 62.

214 Schwarze 1999: 6.

Parteiensystem entstanden war, ermöglichte eine alternative politisch-parlamentarische Interessenvertretung.215

Der sich zunächst auf Länderebene formierenden, schließlich Anfang 1980 in Karlsruhe auf Bundesebene gegründeten Partei „Die Grünen“ gelang es, solche gesellschaftlichen Gruppen zu integrieren, die bisher parlamentarisch nicht repräsentiert worden waren.216 Keine der Bewegungen entwickelte ein exklusives Verhältnis zu den Grünen, alle Bewegungen standen den Grünen jedoch näher als den etablierten Parteien.217

Die Akteurszusammensetzung der Grünen ergab sich aus den personellen Verbindungen zu den

„Neuen Sozialen Bewegungen“: 80 Prozent aller grünen Bundes- und Landtagsabgeordneten zwischen 1980 und 1987 hatten sich zuvor in politischen Bewegungen betätigt.218 Auch auf der Ebene des programmatischen Selbstverständnisses knüpfte die Partei an die Bewegungen an. So verstanden sich die Grünen von Beginn an als „Wertegemeinschaft“.219 Die Akteure der Partei präsentierten sich als Verfechter des gesellschaftlichen Gesamtinteresses sowie universeller, vornehmlich immaterieller Güter. Ihre politische Rhetorik suggerierte ein Agieren frei von Partikularinteressen.220

Die programmatische Verbindung zwischen Friedensbewegung und Partei verdeutlichte das mit über zwei Millionen Unterschriften versehene, wohl wichtigste Dokument der Friedensbewegung: der Krefelder Appell von 1980. Zu den Erstunterzeichnern des Appells gehörten u.a. die Gründungsmitglieder der Grünen, Gert Bastian und Petra Kelly. Der Appell richtete sich hauptsächlich gegen den NATO-Doppelbeschluss und erfüllte eine

„Katalysatorfunktion" für ein Anwachsen der Friedensbewegung einerseits, als auch für politischen Erfolg und programmatische Ausrichtung der Grünen andererseits.221

215 Inglehart 1990: 370; vgl. Laver 1997: 122.

216 Für einen guten Überblick zu den Entwicklungen bis zur Parteigründung der Grünen auf Bundesebene siehe:

Schroeren 1990: 12-22.

217 Vgl. Schnieder 1998: 173.

218 Fogt 1991: 275-277.

219 Vgl. Hoffmann 1998: 52.

220 Raschke 2001: 63-65.

221 Krefelder Initiative, abgedruckt in: Benz 1982: 140f.; vgl. auch Brand/Büsser/Rucht 1984: 216;

Markovits/Gorski 1997: 168; Volmer 1998a: 76f.

Das Verhältnis der Bewegungen zur Partei blieb ambivalent, da Aktivisten wie Anhänger der Organisationsform „Partei“ sehr kritisch gegenüber standen.222 In der Tat musste, um als politische Partei agieren zu können, auf spezifische Formen der personellen, inhaltlichen und organisationsstrukturellen Verständigung gebaut werden.223 Damit geriet die Partei schnell in die Gefahr, einen Zwiespalt zwischen einer auf Konsens, Kompromiss und Anpassung angewiesenen Handlungsformation und der politischen Radikalisierung ihrer Constituency zu provozieren.224

Vor allem aufgrund stark divergierender Präferenzen der Aktivisten verzichtete man in der Gründungsphase der Partei auf die Formulierung einer umfassenden Ideologie als innere und äußere Handlungsgrundlage. Die Folge war die Konzentration auf einen „ideologischen Rahmen“.225 Ökologie als ursprünglich wertkonservativer, natur-schützender Wert stand darin neben individueller Freiheit sowie egalitär-solidarischen Werten, die aus der „Neuen Linken“

und der „Dritte-Welt-Bewegung“ kamen.226 Die Schwerpunkte auf dem Gebiet der „Ökologie“

übertrafen zunächst die Reichweite außen- und sicherheitspolitischer Programmatik einer grünen

„Friedenspolitik“. Im Grundsatzprogramm von 1980 umfasste der außen- und friedenspolitische Teil nur insgesamt vier der 46 Seiten der Schrift.227 Zu begründen ist dies einerseits damit, dass die Forderungen der Friedensbewegung einen relativ kurzen zeitlichen Vorlauf hatten, während ökologische Problemstellungen wesentlich länger virulent gewesen waren und sich auch im Agieren der Bewegungen stärker manifestieren konnten.228 Zudem schien sich der thematische Schwerpunkt auf dem ökologischen „Grundwert“ für die institutionelle Integration besser zu eignen als die anderen programmatischen Elemente „sozial“ und „basisdemokratisch“ sowie die mit dem Friedensthema unmittelbar gekoppelte „Gewaltfreiheit“.229

222 Cooper 1996: 183.

223 Vgl. Hurrelmann 2001: 46.

224 Vgl. Raschke 2001: 379.

225 Kitschelt 1989: 64.

226 Vgl. Raschke 2001: 76.

227 Vgl. Das Bundesprogramm: 18-21.

228 Volmer 1998a: 66-69.

229 Vgl. Das Bundesprogramm: 5.

Die in der Partei vertretenen außen- und sicherheitspolitischen Positionen besaßen insgesamt eine große Bandbreite.230 Die unterschiedlichen Positionen vor allem in linken Splittergruppen förderten inhaltliche Auseinandersetzungen.231 Das programmatische Element „Gewaltfreiheit“

war „aus taktischen Gründen notwendig“, um die Partei im Gründungsprozess von linksterroristischen Vereinigungen und deren Sympathisanten zu distanzieren.232 So wurde

„Gewaltfreiheit“ als „innenpolitische Selbstbeschränkung“ und damit eher als Interaktionsregel denn als Handlungsnorm für die internationalen Beziehungen verstanden.233 Dennoch generalisierte die grüne Programmatik die kontrafaktische Option einer „gewaltfreien Kommunikation“, die den „impliziten Legitimationshintergrund“ der Bewegungen abgab, aus denen die Partei personell und inhaltlich rekrutierte.234

Die „gewaltfreie Aktionsstrategie“ der Partei lehnte sich im Gründungsprozess programmatisch stark an die der BBU an.235 Die Ökopax-Aktivisten hatten integrierte Positionen hinsichtlich Ökologie, Weltwirtschaft und internationalem Frieden formuliert, die auch für die außen- und sicherheitspolitischen Konzeptionen der Grünen entscheidend wurden: das prekäre Verhältnis zwischen ziviler und militärischer Nutzung der Atomenergie und ihre Verbreitung in der

„Dritten Welt“; die Ausbeutung der natürlichen Ressourcen und das darin liegende Konfliktpotential; und schließlich auch den Zusammenhang zwischen Rüstungsentwicklung und fortschreitender Industrialisierung.236 Im Zuge einer programmatischen Weiterentwicklung verlagerte sich der Schwerpunkt im Laufe der 80er Jahre von der Ökologie- und Antikernkraft-Thematik mehr in Richtung Abrüstungs- und Friedensproblematik.237 Die grüne

230 Interview mit Volmer, 25.4.02.

231 Vgl. Stoess 2002: 7.

232 Interview mit Volmer, 25.4.02.

233 Interview mit Fücks, 11.4.02.

234 Lamla 1998: 10; vgl. Raschke 2001: 73f.

235 Vogt 1997: 152. Zu personellen Überschneidungen zwischen BBU und den Grünen siehe: Mewes 1998: 32; vgl.

Markovits/Gorski 1997: 256; Müller 1982: 177.

236 Kelly/Leinen 1982: 9; vgl. auch Markovits/Gorski 1997: 167.

237 Vgl. Schnieder 1998: 59. 1987 betrug der außen- und sicherheitspolitische Teil etwa ein Viertel des Bundestagsprogramms (van Hüllen 1989: 445).

„Friedenspolitik" blieb dabei weiter mit ökologischen Themenkomplexen inhaltlich verkoppelt.238

Angesichts auch mangelnder gemeinsamer Erfahrungsgrundlagen der Partei wurde – in Analogie zu den „Neuen Sozialen Bewegungen“ – eine „negative Abgrenzung nach außen“ gesucht und ein „umfassender Katalog von Anti-Haltungen“ formuliert, um auf diesem Wege eine institutionelle Identität zu entwickeln. So war auch die außen- und sicherheitspolitische Programmatik der Grünen dem hohen „Selbstvergewisserungsbedarf“ einer noch jungen Partei geschuldet und stellte im Handeln ihrer Akteure einen „identitätsbildenden Faktor“ dar.239

Die Positionen zur Außen- und Sicherheitspolitik konnte die Partei als „ideologisches Spielmaterial"240 zur inneren und äußeren Profilbildung nutzen, ohne internationale Strukturbedingungen für eine Implementierung ihrer Positionen berücksichtigen zu müssen.

Vereinfachte Deutungen geopolitischer Zusammenhänge, die aufgrund einer komplexen Verkopplung miteinander plausibel erschienen, enthielten Mängel im operativen Bereich. Es entstand so eine Programmatik, die oftmals den Eindruck eines „rein kontemplativen Politikkonzepts"241 erweckte.

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