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2 Stand der Forschung

2.5 Methodisches Vorgehen in der Arbeit

Zusammenfassend wird in dieser Arbeit eine akteurszentrierte Analyse der institutionellen außenpolitischen Problembearbeitung vorgenommen. Die Wirkungskanäle der Ideologie des Pazifismus innerhalb des entwickelten Frameworks werden in dreifacher Hinsicht (wahrnehmungsstrukturierend, optionenbildend, kollektivfunktional) angenommen. Die Analyse der Ideologie als außenpolitischer Faktor ist also in die Untersuchung der institutionellen Problembearbeitung integriert. Das beruht auf der Annahme, dass sich die Ideologie nur im konkreten, also problembezogenen außenpolitischen Handeln nachweisbar wird. Die komplexen kausalen Zusammenhänge zwischen den oben bestimmten Determinanten außenpolitischer Problembearbeitung, vor allem deren problem- und situationsabhängig variierende Wirkungsstärke, erfordern eine sehr genaue Untersuchungsmethode und ein systematisches Vorgehen.

Die Untersuchung ideeller Phänomene in außenpolitischem Handeln kann sowohl mit qualitativ-interpretativen als auch mit quantitativen Methoden vollzogen werden.158 Dabei führt weder eine quantitative Untersuchung erst zu „eigentlichen“ und objektiven Ergebnissen, noch dürfen qualitative Methoden zur bloßen Thesen-Illustration benutzt werden.159 Eine quantitative Forschungsmethode ist in dieser Arbeit indes nicht angemessen, da die Erklärungsvariablen des institutionellen Problembearbeitungsprozesses wechselseitig Rückwirkungseffekte hervorrufen können. Die Variablen der longitudinalen Untersuchung sind demzufolge nicht standardisierbar und erlauben keine quasi-experimentelle Methode, sondern erfordern vielmehr problembezogen

155 McSweeney dazu: „The idea of a collective identity as a social fact projects the image of a collective self to be discovered: we are what we are." (McSweeney 1996: 90); vgl. Zehfuss 2001.

156 Jepperson/Wendt/Katzenstein 1996: 63.

157 Vgl. Wendt 1992: 398; Jepperson/Wendt/Katzenstein 1996: 60f.; Ruggie 1998: 863.

158 Vgl. Boekle/Rittberger/Wagner 2001: 128.

159 Flick 1995: 280f.

interpretative Bewertungen.160 Ein interpretativer Zugang zu den Quellen wird auch aus dem Grund notwendig, da die Analyse von Entwicklung und Stellenwert der Ideologie sich nicht ausschließlich auf sprachlich-semantische Formen begrenzt, sondern auch paradigmatisch-strukturelle ideologische Teilelemente umfasst. Da also der Informationsgehalt der zugänglichen Daten sehr unstrukturiert ist, führt eine qualitative Untersuchung zu relevanteren Ergebnissen.161 Das größte methodische Problem der Untersuchung besteht in dem Nachweis von Kausalverbindungen zwischen beobachteten Normen, Werten und causal beliefs einerseits und dem tatsächlichen Akteursverhalten andererseits.162 Ideelle Variablen dürfen nicht nur im Falle einer Unerklärbarkeit von außenpolitischen Entscheidungen mittels materieller Faktoren miteinbezogen werden und auf diesem Wege verbleibende Erklärungslücken füllen.163 In solchen explanations of last resort wird alles, was nicht mit traditionellen Faktoren politikwissenschaftlicher Forschung erklärt werden kann, kulturellen Unterschieden oder Prägungen zugeschrieben.164 Um die Gefahr eines „assoziativen Zusammensetzens“ von Kausalverbindungen zu verhindern, soll in möglichst kleinen Untersuchungsschritten die Verkettung der einzelnen Variablen nachgezeichnet werden. In diesem process tracing sollen Mechanismen beobachtbar werden, die belegen, ob Zusammenhänge zwischen Variablen entweder zufällig, auf den Einfluss anderer Faktoren zurückzuführen sind oder tatsächlich eine situationsbezogene Determinante des Akteurshandeln darstellen.165

Aufgrund der oben benannten Rückwirkungseffekte bei Variablenveränderungen nimmt die Untersuchung methodisch keine two-tiered-affair vor, die eine direkte Kausalbeziehung zwischen ideellem Faktor und Akteurshandeln nachzuweisen sucht, sondern formiert eine flexiblere „Mehr-Klammern-Analyse“.166 Ausgangspunkt sind dabei die Beschreibung von Faktoren, deren Wirkungsmechanismus innerhalb der institutionellen Problembearbeitung durch eindeutige Quellenlage zu bestimmen sind und die so ein Rahmengeflecht zur

160 Untersuchungen mit konstruktivistischem Ansatz haben aber sehr wohl mit quantitativen Methoden gearbeitet (vgl. dazu Henderson 1998; Herrmann 1997; Legro 1996).

161 Flick 1995: 281.

162 Wilson 2000: 268.

163 Boekle/Rittberger/Wagner 2001: 109.

164 Hudson 1997: 2.

165 Vgl. Yee 1996: 76-78; Checkel 2001: 565.

166 Vgl. Yee 1996: 84.

situationsbezogenen Erklärung von Akteurshandeln garantieren. Innerhalb der entstehenden Analyseklammern werden dann unter Berücksichtigung aller zur Verfügung stehenden Quellen diejenigen Faktoren bestimmt, die eine konsistente Kausalkette zwischen den potentiellen Erklärungsvariablen herstellen.

Die „interpolierende Rekonstruktion“ des Problembearbeitungsprozesses konzentriert sich auf eine qualitative Inhaltsanalyse der vorhandenen und zugänglichen schriftlichen Quellen.167 Bei diesem Vorgehen wird unterstellt, dass öffentlich zugängliche Daten relativ gut mit Innenansichten korrespondieren, die nur durch die Kenntnis von Strategiepapieren, vertraulichen Interviews oder teilnehmender Beobachtung gewonnen werden können.168 Zu den verwendeten Quellen gehören vor allem Parteiprogramme, Bundestagsreden, Pressemitteilungen, schriftliche Beiträge sowie Interviews in Zeitungen, Zeitschriften und wissenschaftlichen Journalen. Die Aussagestärke der zu Verfügung stehenden Quellen muss insgesamt als gut eingestuft werden.169 Innerhalb der „verstehenden“ Rekonstruktion vergangener Entscheidungsprozesse sind qualitative Interviews mit am institutionellen Entscheidungsprozess beteiligten Akteuren naheliegend.170 Aussagen von Akteuren stellen einen unmittelbaren Zusammenhang zu zurückliegenden Handlungsprozessen her, so dass den Interviews zunächst die Aufgabe zukommt, eine ungenaue schriftliche Quellenlage zu kompensieren und eine konsistente und plausible Rekonstruktion der vergangenen Problembearbeitungsprozesse zu ermöglichen. Die Befragten können sich jedoch zu retrospektiven Rationalisierungen genötigt sehen, indem sie ihrem oder dem Handeln anderer Akteure statthafte Beweggründe ursächlich zuordnen.

Verschleierungseffekte ursprünglicher Motive und Interessen werden also immer mit einzurechnen sein.171

Zu berücksichtigen ist zudem, dass vergangene Entscheidungen und Handlungen das Ergebnis von Faktoren sein können, die außerhalb der Rationalitätsweite der Akteure liegen.172 Diese Rationalitätsgrenzen vermögen jedoch die Untersuchung zu unterstützen, indem sie auf nicht

167 Checkel 2001: 565.

168 Scharpf 1997: 63.

169 Das größte Defizit bei der Rekonstruktion vergangener Problembearbeitungsprozessen ist die Sperre von internen Mitteilungen, Standortpapieren u.ä., die nach der Bundestagswahl 1994 in der Fraktion erarbeitet wurden.

170 Bouma/Atkinson 1995: 214f.

171 Vgl. Goldstein/ Keohane 1993: 27.

172 Vgl. McSweeney 1999: 142.

intendierte und unbewusste Problembearbeitungsstrukturen hinweisen, die sich möglicherweise in den Quellen andeuteten. Das Frageinstrumentarium, ebenso wie die gegebenen Antworten bedürfen in jedem Fall einer sehr vorsichtigen Interpretation.173 Trotz Untersuchungsstandards, die gleichermaßen für qualitative wie quantitative Untersuchungen entwickelt wurden174, ist letztlich die Glaubwürdigkeit des Interviewpartners im Vergleich zur Beweiskraft der schriftlichen Quellen entscheidend. Eine glaubhafte Berichtigung der vorhandenen Quellen durch die Befragten hat auch für die Rekonstruktion des Problembearbeitungsprozesses korrigierende Funktion und gegebenenfalls eine erneute schriftliche Quellenforschung zur Folge.

Insgesamt betrachtet können die kausalen Zusammenhänge zwischen den Variablen nicht direkt nachgewiesen werden, sondern durch Eliminierung von Alternativhypothesen bestimmt werden.175 Aus diesem Grund bedarf der qualitative Erkenntnisprozess des Ausschlusses von situationsbezogen nicht relevanten, sowie der genauen Gewichtung von entscheidenden Variablen. Die aus der Gesamtschau der schriftlichen Quellen wie aus den Interviews entstehenden Hypothesen zu Problembearbeitung und Stellenwert der Ideologie werden letztlich miteinander verglichen und gegeneinander ausgeschlossen. Auf diesem Weg sollen die tatsächlichen Kausalverhältnisse zwischen den für das Akteurshandeln relevanten Faktoren bestimmt werden.

173 Vgl. Boekle/Rittberger/Wagner 2001: 132.

174 Adcock /Collier 2001.

175 Reinecker 1993: 281.

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