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12 Der Kosovokonflikt

12.1 Der Antrittsbesuch in Washington und die Kosovo-Frage

Die internationale Krise um das Kosovo nahm innenpolitisch ihren Ursprung in der Entscheidung der jugoslawischen Regierung im Jahr 1989, der Teilrepublik wesentliche Teile ihrer Autonomie zu nehmen.1121 Verschärft wurde die Situation durch die Bestimmungen des Friedensvertrags von Dayton, welche eine innenpolitische Stärkung des Präsidenten Milosevic vorsahen, ohne zugleich den weiteren politischen Status des Kosovo festzulegen. Auf dieser Grundlage konnte die jugoslawische Regierung in der zweiten Hälfte der 90er Jahre – von der internationalen Staatenkoalition unbehelligt – gegen die Opposition vorgehen.1122 Nach der Bildung der „Albanischen Befreiungsarmee für das Kosovo“ (UČK), die mit Waffengewalt gegen die Vorherrschaft der serbischen Zentralregierung kämpfte, entstand eine Konfliktkonstellation, die den Friedensprozess auf dem Balkan essentiell gefährdete.1123

Im Laufe des Jahres 1998 verstärkten serbische Armee- und Polizeikräfte ihre Bemühungen, die UČK zu zerschlagen und den mehrheitlich albanischen Bevölkerungsteil aus dem Kosovo zu vertreiben.1124 Angesichts des bevorstehenden Winters drohte mehreren hundert tausend Menschen, die sich auf der Flucht nach Albanien, Mazedonien, Montenegro und Bosnien befanden, eine humanitäre Katastrophe.1125 Zugleich wurden nicht nur die Staaten des ehemaligen Jugoslawien zunehmend destabilisiert, es bestand auch die konkrete Gefahr einer Konfliktausweitung auf Allianzpartner in der europäischen Union.1126 Letztlich konnte es zu einer Beeinträchtigung der Beziehungen zu Russland kommen, das traditionell enge Beziehungen zu Jugoslawien unterhielt.1127

Nachdem die westlichen Staaten sich zunächst darauf beschränkt hatten, die Menschen- und Minderheitenrechte im Kosovo anzumahnen, suchten die NATO-Mitgliedsstaaten Mitte 1998

1121 Reuter 1999.

1122 Maull 2002: 94.

1123 Haftendorn 2001: 413.

1124 Für eine ausführliche Beschreibung der Entwicklungen siehe: Reuter 1999; Calic 1999.

1125 So die Einschätzung des UNHCR im September (UN Seeks US $ 54.3 Millions for Kosovo.; vgl. Haynes 2000).

1126 Vgl. Kalman 1999: 132.

1127 Vgl. Kaiser/Krause 1996: 177f.

nach einer Übereinkunft, welche ein gemeinsames militärisches Handeln in Serbien ermöglichen sollte.1128 Ende September verurteilte der UN-Sicherheitsrat die Menschenrechtsverletzungen im Kosovo und forderte die in Jugoslawien präsenten Staaten und internationalen Organisationen auf, Personal zur Erfüllung der „Verpflichtung zur wirksamen und fortgesetzten internationalen Überwachung“ des Kosovo zur Verfügung zu stellen. Dies geschah in „Bekräftigung des Eintretens aller Mitgliedstaaten für die Souveränität und territoriale Unversehrtheit“

Jugoslawiens.1129

Trotz der Zweifel an der völkerrechtlichen Legitimität eines möglichen militärisches Eingreifens im Kosovo auf der Basis dieser UN-Resolution1130 bekundete der NATO-Rat Anfang Oktober, dass die anstehende humanitäre Katastrophe die Androhung und gegebenenfalls den Einsatz von Gewalt durch die NATO rechtfertige.1131 Unter dem Druck der Mobilisierung von NATO-Luftstreitkräften erklärte sich die jugoslawische Regierung Mitte Oktober bereit, Bundesarmee und serbische Sonderpolizei zurückzuziehen und die Flüchtlinge ungehindert in das Kosovo zurückkehren zu lassen. Etwa 2000 unbewaffnete Inspektoren der OSZE und eine luftgestützte Überwachungsmission der NATO sollten die Einhaltung der Übereinkunft mit der internationalen Kontaktgruppe überwachen. Zum Schutz der OSZE-Beobachter wurde zusätzlich die Stationierung einer Extraction Force der NATO in Mazedonien vereinbart.1132

Hinsichtlich einer deutschen Beteiligung stellte die Bundesregierung unter Helmut Kohl drei Tage nach der Bundestagswahl bei einer Vorabklärung 14 Tornados und 500 Soldaten für einen möglichen NATO-Einsatz in Aussicht.1133 Diese Zusage wurde offenbar „in Absprache mit Rot-Grün“ getroffen.1134 Anfang Oktober befand sich der künftige Regierungschef Gerhard Schröder gemeinsam mit dem designierten Bundesaußenminister Joschka Fischer zu einem Antrittsbesuch bei der US-amerikanischen Regierung in Washington. Die Reise, an der auch Günter Verheugen und Ludger Volmer teilnahmen, diente u.a. dem Ziel, mögliche internationale Vertrauensdefizite

1128 Vgl. Haftendorn 2001: 413; Krause 2000: 104f.

1129 Resolution 1199 des UN-Sicherheitsrats vom 23. September 1998 zu Kosovo.

1130 Vgl. Pradetto 1998; Krause 2000: 107.

1131 Krause 2000: 111.

1132 Milosevic lenkt im Kosovo-Konflikt ein; Milosevic erklärt sich zum Einlenken bereit; Die Westmächte trauen Milosevic noch nicht.

1133 Gujer 1998a; Haftendorn 2001: 416.

1134 Simmert 2002: 74.

gegenüber einer deutschen Regierung mit bündnisgrüner Beteiligung zu zerstreuen.1135 Neben dem beidseitigen Bekenntnis zur Kontinuität in der transatlantischen Zusammenarbeit stellte auch die Kosovo-Krise einen Teilbereich der Gespräche dar.1136 Da die neue Regierung förmlich noch nicht installiert war, ging es darum, wie sich Deutschland angesichts auch der verfassungspolitisch ungeklärten Legislativ-Situation in der Kosovo-Krise verhalten könnte.1137 Presseberichten zufolge äußerte Präsident Clinton während eines Gesprächs mit Gerhard Schröder zunächst Verständnis für die von den deutschen Vertretern dargestellte innenpolitische Übergangssituation.1138

Kurz nach ihrer Rückkehr in Deutschland erreichte die Delegation jedoch die Meldung, dass man in Washington zwischenzeitlich umgedacht habe und eine Zustimmung zu einem möglichen Einsatz erwarte.1139 Offensichtlich plante die US-amerikanische Regierung, durch frühzeitige

„klare Positionen“ von Deutschland auch die Unterstützung weiterer NATO-Mitgliedstaaten für eine mögliche Militäraktion zu sichern.1140 Das Umdenken ist möglicherweise auf einen Mangel an interner Abstimmung bei den amerikanischen Entscheidungsträgern zurückzuführen.1141 Zu den Vermutungen gehört auch ein mögliches Hinwirken aus dem deutschen Verteidigungsministerium bei der amerikanischen Regierung.1142

Auf der Seite der deutschen Delegation gab es die „Vorstellung“, dass man „draußen bleiben könnte“ aus einem möglichen militärischen Konflikt im Kosovo.1143 Angesichts der Zielsetzung

1135 Wieland 1998.

1136 Interview mit Volmer, 25.4.02.

1137 Interview mit Volmer, 25.4.02.

1138 Außenpolitik, noch vakuumgeschützt; Schelien 2001: 110f.

1139 Interview mit Volmer, 25.4.02. Verschiedentlich wird in diesem Zusammenhang von wenigen Minuten gesprochen, die den Beteiligten blieben, um die Entscheidung zu treffen. Auch Fischer bestätigt dies in einem Interview („Es gibt keinen deutschen Sonderweg“. Interview mit Joschka Fischer(2); vgl. Hofmann 1999;

Albrecht 1999: 11; Maull 2000: 3).

1140 Interview mit Volmer, 25.4.02; vgl. die Aussagen des damaligen NATO-Sprechers Jamie Shea.: „Die politischen Führer spielten nun [während des Kosovo-Konflikts] die entscheidende Rolle für die öffentliche Meinung....Wenn wir die öffentliche Meinung in Deutschland verloren hätten, dann hätten wir sie im ganzen Bündnis verloren" (zitiert nach: Es begann mit einer Lüge.).

1141 Hofmann 1999.

1142 Interview mit Volmer, 25.4.02.

1143 Interview mit Volmer, 25.4.02.

des Besuchs, außen- und sicherheitspolitische Verlässlichkeit einer rot-grünen Regierung zur westlichen Staatenkoalition zu dokumentieren, gaben Fischer und Schröder jedoch die Zusage, Deutschland an einer möglichen Intervention der NATO zu beteiligen. Das „rot-grüne Projekt“

sollte, wie Joschka Fischer in diesem Zusammenhang später sagte, nicht „an internationalen Konditionen scheitern..., bevor es überhaupt gestartet war“.1144 Mit diesem Schritt war die Position der deutschen Regierung im Falle einer weiteren Eskalation der Kosovokrise vorbestimmt, ohne dass die außenpolitischen Akteure die Möglichkeit der Kommunikation innerhalb ihrer Parteien und mit der deutschen Öffentlichkeit gehabt hatten.

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