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Was tun gegen Armut? Philosophie, Armutsbekämpfung und Armenfür

alterlichen Philosophie

14 Armut in der Philosophie der Neuzeit II (Empirismus)

14.2 Was tun gegen Armut? Philosophie, Armutsbekämpfung und Armenfür

sorge in der englischen Neuzeit

Wie man gesehen hat, schafft Armut für diese drei Philosophen nicht nur Verpflichtungen seitens Privat-personen, sondern auch ziviler Regierungen. Zu ihren

Philosophien gehören in dieser Hinsicht spezifische Anweisungen zur Armutsbekämpfung und Armen-fürsorge in England und Großbritannien.

14.2.1 Thomas Hobbes

Hobbes’ Strategien zur Armenfürsorge und Lin-derung der Armut lassen sich auf zwei Maßnahmen zusammenfassen: öffentliche Wohltätigkeit (publique charity) für diejenige, die durch einen Unfall (»by ac-cident unevitable«) behindert werden, und Verhin-derung des Müßiggangs (prevention of idlenesse) für alle körperlich gesunden Erwachsene, die arbeitslos sind (Hobbes 1996 [1651], 239). Solche Maßnahmen entsprechen den üblichen Praktiken für Armenfür-sorge und Armutsbekämpfung der Regimes der Tu-dors (1485–1603) und Stuarts (1603–1714) (Letwin 1972, 162–163; Seaman 1990, 105, 126).

Für Hobbes ist es die Aufgabe des Commonwealth, dafür zu sorgen, dass die Bürger*innen, die nicht ar-beiten können, nicht von der Willkür privater Wohl-tätigkeit und der damit verbundenen Unsicherheit ab-hängig sein müssen. Er behauptet in dieser Hinsicht, dass Charity und Justice »Zwillingsschwestern des Friedens« (twin sisters of peace) sind (Hobbes 1949 [1642], 2).

Wenngleich die nicht behinderten Arbeitslosen für Hobbes zur Arbeit gezwungen werden müssen, ist es die Aufgabe des Souveräns, Beschäftigungsmöglich-keiten zu schaffen, damit sie keine Entschuldigung ha-ben, arbeitslos zu bleiben. Der Souverän hat dafür Ge-setze zu erlassen, die arbeitsbezogene Künste wie An-geln und Landwirtschaft sowie Manufakturen för-dern. Angesichts der Tatsache, dass die Zahl der Armen in seiner Zeit zunehme, schlägt Hobbes darü-ber hinaus die Kolonisierung dünn besiedelter Gebie-te vor (countries not sufficiently inhabited), in deren Land die Armen dank ihrer eigenen Arbeit leben könnten. In diesem Sinne stelle das Bevölkerungs-wachstum eine Herausforderung dar, der sich der Souverän in Zukunft stellen müsse, wenn er den Bür-gerfrieden erhalten möchte, denn »when all the world is overchargd with Inhabitants, the last remedy of all is Warre; which provideth for every man, by Victory, or Death« (Hobbes 1996 [1651], 239; Seaman 1990, 110–

111).

Hobbes’ Theorie der Besteuerung ist auch auf die Armen ausgerichtet. Die »[e]quall imposition of Ta-xes« (Hobbes 1996 [1651], 238) sei gerecht, aber es fol-ge nicht daraus, dass Reiche und Arme gleich besteu-ert werden sollen, denn der Schutz, den das

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wealth den Reichen und ihrem Reichtum gewähren muss, sei größer als das, was bei den Armen notwen-dig sei. Die Besteuerung solle daher nicht für alle gleich sein, sondern sich nach dem richten, was jedes Subjekt konsumiert. Die Reichen entschädigen also das Commonwealth für den Schutz ihres luxuriösen Lebens (ebd., 239).

14.2.2 John Locke

Bei Locke sind die Armen diejenigen, die weniger er-halten, als notwendig ist, um ihren Lebensunterhalt zu sichern. Das bedeutet, dass Arbeitnehmer*innen, die niedrige Löhne erhalten, nicht als arm für Locke gelten. Damit wird die Armutsgrenze auf einem Niveau unterhalb des Einkommens des arbeitsfähi-gen Erwerbstätiarbeitsfähi-gen festgelegt werden (Ashcraft 1995, 50). Es ist dieses Konzept der Armen, das die Maß-nahmen gegen Armut leitet, die Locke für England konzipiert. Sein allgemeines Ziel liegt darin, diejeni-gen, die arbeiten können, zu verhindern, von der Arbeit anderer Menschen zu leben (Locke 2003 [1689], 184, 189).

Er stellt seine Maßnahmen gegen Armut im »Draft of a Representation, Containing [a] Scheme of Me-thods for the Employment of the Poor« dar, eine Ge-setzvorlage, die er in seiner Eigenschaft als Comissio-ner on the Board of Trade zwischen September und Oktober 1697 schreibt (ebd., 182–198). Der Entwurf wird dem Board im Oktober 1697 vorgelegt und an-schließend abgelehnt. Da schlägt Locke Änderungen zum Elisabethanischen Poor Law vor, das die Auf-gaben der Gemeinde (parishes) zur Armenfürsorge festgelegt hat, nämlich Beschäftigungsmöglichkeit für arbeitsfähige Männer zu schaffen, den Lebens-unterhalt aller Armen zu versichern und eine zweck-gebundene Steuer zur Armutsbekämpfung – die so-genannte poor rate – zu erheben. Nach Lockes Gesetz-vorlage sind im Gegensatz dazu Gruppen von Ge-meinden (hundreds oder corporations of the poor) dafür verantwortlich, die Landstreicher (idle vaga-bonds) nach Alter und Geschlecht durch Auspeit-schung, harte Arbeit, und/oder Inhaftierung zu be-strafen sowie working schools einzurichten, wo die Armen von frühester Kindheit an die Arbeitsdisziplin und christliche Werte eingeführt werden sollten (ebd., 182–183). Diese Schulen ergänzen die bereits bestehenden workhouses, in denen die Armen arbei-ten mussarbei-ten, um ihren Lebensunterhalt zu sichern (Ashcraft 1995, 48). Da der Grund für die steigende Armut für Locke in »relaxation of discipline and

cor-ruption of manners« besteht, sind solche Schulen so gestaltet, um Tugend und Industrie in den Armen zu kultivieren (Locke 2003 [1689], 184).

Die Gesetzvorlage sieht immerhin nicht nur die Pflichten der bzw. Strafen für die Armen vor. Sein vor-letzter Artikel (§ 39) zeigt, wie ernst Locke das Recht der Armen auf Lebensunterhalt nimmt. Nach Locke gilt der Tod einer Person aus Mangel an Unterstützung als ein »abscheuliches Verbrechen«, deren Umstände (circumstances) und Abscheulichkeit (heinousness) diktieren, wie hoch die Bestrafung – eine von der lo-kalen Regierung zu zahlende Geldstrafe – sein muss (ebd., 198). Das Recht auf Lebensunterhalt sei daher mehr als ein moralisches Prinzip: Es gehe um ein ein-klagbares Recht (Ashcraft 1995, 45). Arbeitsgeber*in-nen haben darüber hinaus eine gesetzliche Pflicht da-zu, die Armen zu beschäftigen (Locke 2003 [1689], 188, 192–193, 198).

14.2.3 David Hume

Obwohl Hume keine spezifische Maßnahmen gegen Armut für das Großbritannien seiner Zeit vorschlägt, widmet er sich in mehreren Passagen der Essays den Auswirkungen unterschiedlicher Steuersysteme auf die »laborious poor« (Hume 1998, 164–165, 207, 212–

213, 217). Es ist in dieser Hinsicht eine grundlegende Voraussetzung von Humes Wirtschaftsphilosophie, dass Regierungen die Effekte ökonomischer Maßnah-men auf das Armutsniveau und den Anstieg der Ar-beitslosigkeit berücksichtigen müssen (ebd., 185, 207–208). Regierungshandlungen müssen sich in die-sem Zusammenhang – so schreibt er in »On Com-merce« (1752) – an den folgenden Grundsatz halten:

»that policy is violent which aggrandizes the public by the poverty of individuals« (ebd., 160).

Steuern, wenn sie mäßig sind, können für Hume die Industrie der Armen stärken, da die Armen mehr arbeiten müssen, um so leben zu können, wie sie frü-her gelebt haben (Hume 1994, 161). Eine Regierung könne in diesem Sinne Steuern als »artificial burdens«

gegen Müßiggang verwenden (ebd., 62). Wenn Steu-ern übermäßig und willkürlich seien, schrecken sie je-doch die Industrie der Armen ab. Das wäre für Hume in Frankreich der Fall (Hume 1998, 55). Wie Hobbes ist Hume auch ein Verfechter der proportionalen Be-steuerung. Steuern dürfen nicht die Fähigkeit der Ar-men gefährden, sich das zum Überleben Notwendige (the necessaries of life) anzueignen. Sie sollten diesbe-züglich vor allem auf Luxusgüter erhoben werden (ebd., 208; Hume 1994, 161).

II Armut in der Geschichte der Philosophie

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14.3 Fazit

Eine Rückkehr zu Hobbes, Locke und Hume ist für heutige Philosophiehistoriker*innen von grundlegen-dem Interesse. Ihre Überlegungen zur Armut haben nicht nur Generationen von britischen Denker*innen und Entscheidungsträger*innen beeinflusst (Ashcraft 1995), sondern auch diejenigen, die bislang ihre Phi-losophie in die liberale oder libertäre Tradition ein-schreiben. Dieses Interesse ist immerhin nicht nur historisch. Aus systematischer Sicht können Philoso-phen*innen in den Werken dieser drei Philosophen Inspirationsquellen finden, um weiter über die Bezie-hung zwischen Armut und traditionellen philosophi-schen Themen wie Eigentumsrecht, Widerstand, und Wohltätigkeit nachzudenken.

Literatur

Hobbes, Thomas: De Cive or The Citizen [1642]. New York 1949.

Hobbes, Thomas: The Elements of Law. Natural and Politic [1650]. London 1969.

Hobbes, Thomas: Leviathan – Or the Matter, Form, and Power of a Commonwealth, Ecclesiastical and Civil [1651]. Cambridge 1996.

Hume, David: Political Essays. Cambridge 1994.

Hume, David: Selected Essays. Oxford 1998.

Hume, David: A Treatise of Human Nature [1739/1740].

Oxford 2007.

Locke, John: ›Two Treatises of Government‹ and ›A Letter Concerning Toleration‹ [1689]. New Haven/London 2003.

Locke, John: Political Essays. Cambridge 2007.

Ashcraft, Richard: Lockean Ideas, Poverty, and the Develop-ment of Liberal Political Theory. In: John Brewer/Susan Staves (Hg.): Early Modern Conceptions of Property. Lon-don 1995, 43–61.

Cunningham, Andrew: David Hume’s Account of Luxury.

In: Journal of the History of Economic Thought 27/3 (2005), 231–250.

Guillin, Vincent: L ’empirisme peut-il avoir une histoire?

Petite généalogie d’une catégorie historiographique.

Mimeo, unveröffentlicht (2017).

Josephson, Peter: Hobbes, Locke, and the Problems of Politi-cal Economy. In: Ryan Hanley (Hg.): Economic Freedom and Human Flourishing. Perspectives from Political Phi-losophy. Washington 2016, 9–29.

Letwin, William: ›The Economic Foundations of Hobbes’

Politics‹. In: Maurice Cranston/Richard Peters (Hg.):

Hobbes and Rousseau. A Collection of Critical Essays.

New York 1972, 143–164.

Macpherson, Crawford: The Political Theory of Possessive Individualism. Hobbes to Locke. Oxford 1962.

Seaman, John: Hobbes on Public Charity and the Prevention of Idleness. A Liberal Case for Welfare. In: Polity 23/1 (1990), 105–126.

Tully, James: A Discourse on Property. John Locke and his Adversaries. Cambridge 1980.

Eraldo Souza dos Santos

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