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ter Masterthesis zur Erlangung des akademischen Grades Master of Arts (M.A.)

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ter

Amazonentöchter einer neuen Zeit:

Zur Emanzipation der antiken Kriegerinnen in der Populärkultur, dargestellt in

Xena: Warrior Princess und Wonder Woman.

Masterthesis

zur Erlangung des akademischen Grades Master of Arts (M.A.)

Eingereicht für die Studienrichtung „Joint Degree Gender Studies“

an der Karl-Franzens-Universität Graz

vorgelegt von Antje Sarodnick, BA

Betreut von:

Ao. Univ-Prof.

in

MMag.

in

DDr.

in

Theresia Heimerl

Institut für Religionswissenschaft an der Kath.-Theol. Fakultät

der Karl-Franzens-Universität Graz

Graz 2022

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Ehrenwörtliche Erklärung

Ich erkläre ehrenwörtlich, dass ich die vorliegende Arbeit selbständig und ohne fremde Hilfe verfasst, andere als die angegebenen Quellen nicht benutzt und die den Quellen wörtlich oder inhaltlich entnommenen Stellen als solche kenntlich gemacht habe.

Die Arbeit wurde bisher in gleicher oder ähnlicher Form keiner anderen inländischen oder ausländischen Prüfungsbehörde vorgelegt und auch noch nicht veröffentlicht.

Die vorliegende Fassung entspricht der eingereichten elektronischen Version.

Graz, 25.02. 2022 Unterschrift

(3)

Danksagung

„Xena – you've brought out the best in me.

Before I met you – no one saw me for who I was.

I felt – invisible. But you saw all the things that I could be.

You saved me, Xena."

– Gabrielle1

Ich möchte mich an dieser Stelle bei all den Menschen und Situationen bedanken, ohne die diese Masterarbeit wohl auf ewig ein Konjunktiv II in meinem Leben geblieben wäre.

Allen voran gilt mein Dank meiner Betreuerin Ao. Univ-Prof.in MMag.in DDr.in Theresia Heimerl. Danke, dass Sie meinem Themenwunsch aufgeschlossen gegenüberstanden und mich im gesamten Schreibprozess unterstützend begleitet haben. Sie haben mir Sicherheit und Selbstvertrauen gegeben, dieses Projekt tatsächlich zu schaffen.

Des Weiteren danke ich meiner besten Freundin Sarah, Soulbottle und Partnerin in diversen crimes, jeden Punkt in dieser Phase meines (akademischen) Lebens, „an dem ich angerannt bin“, geduldig mitzugehen und gerade umso mehr an mich zu glauben, wenn ich es nicht konnte.

Mein weiterer Dank gilt meiner Partnerin Anne, die in ihrer persönlich schwierigsten Zeit auch noch zusätzlich die Kraft, den Platz und die richtigen Worte gefunden hat, mit meinem „emotional damage“ umzugehen.

Beiden, Sarah und Anne, will ich zudem dafür danken, dass sie sich die Zeit zum Korrekturlesen meiner Arbeit genommen haben und das Feedback nicht nur aus Fragezeichen bestand.

Ich möchte auch meiner Gender-Kernfamilie Anne, Katja und Jasmin danken, dass sie mich unter „liebevoller“ Androhung der Enterbung dazu motiviert haben, mein Studium

1 „Ides of March”, Staffel 4, Folge 21.

(4)

doch noch abzuschließen. In Graz hat es für uns begonnen und in vier unterschiedlichen deutschen Städten geht es auch zusammen weiter. #LoveIt

Mein weiterer Dank gilt Vera, Livie und Katie. Ihr Podcast, Xena: Warrior Podcast, hat mich nicht nur auditiv durch die ganzen Monate hinweg begleitet, sondern auch in meinem Beschluss zum Thema dieser Arbeit noch einmal bestärkt.

Im Laufe meiner Arbeit habe ich zudem sehr viel über Wonder Woman gelernt. Sie ist wirklich eine faszinierende Superheldin, mit einer außerordentlich spannenden Geschichte.

Abschließend will ich noch dem Zufall danken, der mir vor über 20 Jahren Xena:

Warrior Princess in mein Leben brachte. Diese Serie und allen voran natürlich ihre beiden Hauptprotagonistinnen Xena und Gabrielle hatten bzw. haben immer noch so viel Einfluss auf mich als Person, mein Denken und Fühlen, dass es mehr als ein Privileg war, unter anderem über sie eine Abschlussarbeit zu schreiben.

Es war eine lange, aufregende Reise bis hierin, bei der es viele Höhen und Tiefen gab.

Nun tatsächlich angekommen zu sein macht mich stolz und glücklich. Zudem kann ich jetzt auch endlich meinen Eltern sagen: „Ja, ich bin tatsächlich fertig mit Studieren!“

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Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung 1

1.1 Forschungsinteresse 1

1.2 Aufbau und Ziel der Forschungsarbeit 3

2 Amazonen in griechischer Mythologie: Bedeutung und Funktion 6

2.1 Griechische Mythologie 6

2.1.1 Mythosbegriff und Mythologie 6

2.1.2 Mythosfunktionen 8

2.1.3 Literarische Überlieferungen 10

2.1.4 Visuelle Darstellungen 12

2.2 Amazonen in der griechischen Antike 14

2.2.1 Forschungsstand 14

2.2.2 Historischer Ursprung der Amazonen 15

2.2.3 Polyvalenz des Amazonenbildes 16

2.2.4 Funktionalisierung des Amazonenmythos 18

2.2.4.1 Etymologie 18

2.2.4.2 Bedeutung der Amazonen für Heroen und attische Bürger*innen 19

2.2.4.3 Ikonographie 25

3 Amazonenmythos im Kontext feministischer Aneignung 31

3.1 Theoretischer Zugang 31

3.2 Diskurstheoretische Grundlagen 33

3.2.1 Amazonen als Produkt des antiken griechischen Alteritätsdiskurses 34

3.2.1.1 Performative Macht der Normen 36

3.2.1.2 Resignifikation statt Resignation 39

3.3 Von „männergleich“ zu Männern gleich 43

4 Kapitel: Amazonentöchter einer neuen Zeit 46

4.1 Alte Mythen im modernen Medienzeitalter 46

4.2 Amazonen als Heldinnen 50

4.2.1 Wonder Woman im aktuellen Forschungskontext 51

4.2.2 „[…] if you need to end a war, you call Wonder Woman” 52

4.2.3 Wonder Woman im gendertheoretischen Kontext 54

(6)

4.4 „She was Xena...“ 58

4.4.1 Xena im gendertheoretischen Kontext 60

4.4.2 „Anything B.C. is fine“ 62

4.4.3 Gabrielle: The Battling Bard of Poteidaia 64

4.5 Zwischenfazit 66

5 Film- und Fernsehserienanalyse 69

5.1 Methodische Grundlagen 69

5.1.1 Methodisches Vorgehen 70

5.2 „Hooves and Harlots”, Staffel 1, Folge 10 71

5.2.1 „To a strong Amazon Nation“ 88

5.3 Wonder Woman (2017) 90

5.4 You have to fight for your rights 107

6 Fazit 110

7 Literaturverzeichnis 115

Literatur 115

Internetressourcen 121

Filmografie 123

Abbildungsverzeichnis 124

(7)

1 Einleitung

1.1 Forschungsinteresse

Nach Blumenberg verfügen Mythen über zwei Eigenschaften, die sie „traditionsgängig“

machen: „Ihre Beständigkeit ergibt den Reiz, sie auch in bildnerischer oder ritueller Darstellung wieder zu erkennen, ihre Veränderbarkeit den Reiz der Erprobung neuer und eigener Mittel der Darbietung.“2 Vor allem audiovisuelle Massenmedien wie Film und TV nutzen dieses Potenzial, um bekannte antike Mythen nicht nur kulturübergreifend zu popularisieren. Als Mainstream-Produktionen im Zeitalter der Globalisierung werden sie dazu verwendet, um ein nahezu weltweites Publikum zu erreichen.3

Die multimedialen Möglichkeiten beider Hybridmedien konstituieren dabei eine besondere Wirkungsweise. Durch ihre spezifischen technischen Eigenheiten können sie „[...] besonders eindrucksvolle simulierte Welten [...] erzeugen und damit sogar jene Suggestionen und Wirklichkeitskonstruktionen [...] übertreffen, die in früheren Jahrhunderten der Oper und dem Theater mit ihren Illusionstechniken und ihrer oftmals raffinierten Bühnenmaschinerie eigen waren.“4 Das Zusammenspiel von bewegten Bildern, gesprochenen Worten, Schrift und Ton beschränkt sich aber nicht bloß auf eine mediale Erweiterung der Mythenadaption. Film und TV haben durch ihr Aufkommen ab dem 20. Jahrhundert wesentlich dazu beigetragen, „[...] unserer Vorstellung von geschichtlichen und mythischen Stoffen maßgeblich eine Erscheinung, eine projizierte Gestalt oder ein Bild zu geben.“5

Vor allem die Figur des Helden*der Heldin hat in diesem Zusammenhang eine ungebrochene Konjunktur. Das Spektrum filmischer Adaptionen reicht dabei von antiken Heroen wie beispielsweise Achilles (gespielt von Brad Pitt) im Film Troy aus dem Jahre 2004 oder Herkules (gespielt von Dwayne Johnson) aus dem

2 Blumenberg (1979), S.40.

3 Fröhlich; Simonis (2016), S.10.

4 Ebd., S.12.

5 Ebd. Hollywoodproduktionen wie beispielsweise Troy (2004) geben eine konkrete Vorstellung davon, wie die wohl berühmteste Festungsstadt des Altertums ausgesehen haben könnte. Dabei ist es sekundär, ob es die Stadt auch so gegeben bzw. diese so ausgesehen hat. Ebd.

(8)

gleichnamigen Film Hercules von 2014 bis hin zur Etablierung neuer Superheld*innen,

„[...] die als Extremform des Heroismus die Entgrenzung menschlicher Fähigkeiten ins Unermessliche verkörpern.“6

Die bekannteste Superheldin, deren Herkunftsgeschichte ebenfalls explizit auf einem antiken griechischen Mythos rekurriert, ist die Amazone Diana, besser bekannt als Wonder Woman. Ihr Kinodebüt 2017 sorgte für mehrheitlich euphorische Filmrezensionen, vor allem in Bezug auf seine feministische Bedeutung.7 Unter der Regie von Patty Jenkins greifen die Amazonen nicht nur in zeitgeschichtliche Begebenheiten wie den ersten Weltkrieg ein, sondern präsentieren sich dem Publikum auch als zeitgenössische Heldinnen. Vor allem Diana als Wonder Woman „[...] derives her heroic potential from the fact that she is both insider and outsider of Western society, both contemporary and a messenger from the past.”8

Eine weitere bekannte Heldin, welche der Populärkultur entspringt, ist Xena aus der gleichnamigen TV-Serie Xena: Warrior Princess (1995-2001). Die Serie spielt im antiken Griechenland und ist lose mit der griechischen Mythologie verbunden. Xena und ihre Partnerin Gabrielle treffen im Laufe der insgesamt 134 Folgen immer wieder auf bekannte Figuren daraus, wie z.B. Sisyphus, Prometheus, den olympischen Gottheiten – und den Amazonen. Innerhalb der Serie, deren anhaltende Beliebtheit sich vor allem ihrer progressiven und komplexen Darstellung von Frauen verdankt, werden die mythischen Frauenvölker (in der Serie gibt es mehr als nur eins in Griechenland) für Gabrielle neben Xena zu den wichtigsten Schlüsselbegegnungen und Mentorinnen auf ihrem Weg zur Kriegerin und Heldin.

Noch vor 2000 Jahren wäre es nicht denkbar gewesen, dass eine Amazone wie Diana als Heroine für Gerechtigkeit in der (westlichen) Welt kämpfen würde oder Gabrielle durch die Gemeinschaft der Amazonen lernt, dass ihr immanentes Streben nach Autonomie und umfassender Bildung als etwas Selbstverständliches verstanden wird.

6 Immer; van Marwyck (2013), S.11.

7 Siehe hierzu exemplarisch die Rezensionen von Zoe Williams (2017): „Why Wonder Woman is a masterpiece of subversive feminism” und Babara Schweizerhof (2017): „Comic-Verfilmung ‚Wonder Woman‘. Ein feministischer Meilenstein?“. Dass es auch kritische Gegenstimmen gibt, zeigen die Beiträge von Kyle D. Killian (2018): „How Wonder Woman is, and is Not, a Feminist Superheroine Movie“ sowie Shagun Gupta (2017) „A Feminist Reading Of Wonder Woman“.

8 Lethbridge (2019), S.198.

(9)

Ganz im Gegenteil: In antiken Schilderungen bedrohen die Amazonen die griechische Zivilisation und müssen demzufolge stets aufs Neue durch so bekannte Heroen wie Herakles, Theseus und Achill, aber auch durch mutige athenische Bürger*innen besiegt werden.9 Wie lässt sich diese Ambivalenz in der Amazonenrezeption erklären?

Oder anders gefragt: Wie konnten aus den einst gefürchteten Amazonen beliebte Heldinnen innerhalb der westlichen Populärkultur werden?

1.2 Aufbau und Ziel der Forschungsarbeit

Antworten auf diese Fragen werde ich im theoretischen Teil meiner Masterarbeit geben. Basierend auf den daraus folgenden Erkenntnissen werde ich im anschließenden empirischen Teil meiner Hauptforschungsfrage nachgehen, welche gegenwärtigen Heldinnenideale durch die jeweiligen Amazonenrezeptionen in Wonder Woman (2017)10 und Xena: Warrior Princess (in weiterer Folge abgekürzt als X:WP) geformt werden.11

Meine Arbeit ist demzufolge so aufgebaut, dass ich im ersten Hauptkapitel die Bedeutung und Funktion des Amazonenmythos in der griechischen Mythologie darstelle. Einleitend skizziere ich hierfür die allgemeine Forschungsdiskussion zur griechischen Mythologie und leite daraus grundlegende Definitionen und Charakteristiken für den Amazonenmythos ab. Danach gebe ich den aktuellen Forschungsstand in Bezug auf die Amazonen in der griechischen Antike wieder und untersuche, aus welchen Quellen sich die Vorstellungen von den Kriegerinnen zusammensetzen.

Im zweiten Hauptkapitel werde ich die Ambivalenz in der Tradierung des Amazonenmythos und dessen damit einhergehende Polyvalenz des Amazonenbildes aufgreifen und diskurstheoretisch reflektieren. Da ich mich hierbei auf die

9 Vgl. Watanabe-O’Kelly (2009), S.128.

10 Zur besseren Unterscheidung werde ich in meiner Arbeit Wonder Woman (2017) kursiv setzen, wenn ich mich auf Comicverfilmung beziehe. Wenn ich über die Figur Wonder Woman selbst schreibe bzw. diese meine, verzichte ich auf eine Kursivsetzung.

11 Diese Frage wurde inspiriert und initiiert von Tilgs Artikel zu den Amazonen im Compendium heroicum (Tilg (2021), S.5). Dieses interdisziplinäre Referenzwerk bildet den aktuellen Forschungsstand ab, wie Held*innen in verschiedenen Kulturen entstehen.

(10)

Ausführungen der Poststrukturalist*in Judith Butler12 beziehe, ist es notwendig, zunächst ihre diskurstheoretischen Grundlagen zu erläutern. Darauf aufbauend werde ich am Werk Das Buch von der Stadt der Frauen der französischen Schriftstellerin und Historiographin Christine de Pizan aus dem Jahre 1405 exemplifizieren, wie es zu ei- ner positiven semantischen (Be)Deutungsverschiebung in der Rezeption des Amazonenmythos kommen konnte.

Mit dem anschließenden dritten Hauptkapitel erfolgt ein weiterer größerer Zeitsprung in Bezug auf eine konkrete feministische Amazonenrezeption. Mit ihrem ersten Auftritt im damals noch jungen Massenmedium Comic sollte die Amazone Diana sich nicht nur im männerdominierten Superheldengenre als Superheldin durchsetzen, deren Popularität bis in die Gegenwart anhält. Erfunden vom amerikanischen Psychologen William Moulton Marston in Zusammenarbeit mit seiner Frau Elizabeth (Sadie) Holloway Marston in den 1940er Jahren, mit dem Ziel, eine empowernde Identifikationsfigur für Mädchen und junge Frauen zu sein, avancierte Wonder Woman auch zur ersten Amazonentochter einer neuen Zeit. Wodurch diese charakterisiert ist, wird im Kapitel eingehender beschrieben. Darüber hinaus werde ich mich ausführlich mit der These des Philologen Stefan Tilg auseinandersetzen, der zufolge der archetypische Held oft als ein Krieger gesehen werde, weshalb die Amazonen „[...]

zumindest im griechisch-römisch geprägten Kulturbereich als die archetypischen Heldinnen gelten [können, AS].“13 Darauffolgend werde ich den Entstehungskontext von Wonder Woman im Comic näher darlegen, um ein Grundverständnis für ihre Entwicklung über die Jahrzehnte wie auch ihre filmische Adaption zu ermöglichen. Im zweiten Teil des Kapitels gehe ich ausführlich auf die TV-Serie X:WP ein, was sie mit Wonder Woman verbindet und erörtere vergleichend ihre Bedeutung im Kontext von Gender. Abschließend stelle ich heraus, welche Rolle Xenas Partnerin Gabrielle in Bezug auf die Verkörperung von Heldinnentum zukommt und in welcher Beziehung sie zum Amazonenmythos steht.

12 Gemäß eines Interviews und einem Zeitungsartikel im Tagesspiegel von 2020 ist Judith Butler nach eigener Aussage Nicht-Binär (engl. nonbinary). Butlers präferiertes Pronomen sei demnach „they“.

Da es im Deutschen bisher keine konkrete Übersetzung dieses geschlechtsneutralen Pronomens gibt, greife ich auf das im Deutschen noch geschlechtsspezifische Pronomen „sie“ zurück, möchte aber darauf hinweisen, dass es in semantischer Hinsicht geschlechtsneutral gemeint ist. Die Verweise zu dem Interview und dem Zeitungsartikel finden sich im Literaturverzeichnis dieser Arbeit.

13 Tilg (2021), S.1f.

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Im vierten Hauptkapitel erfolgt schließlich die empirische Episoden- und Filmanalyse.

Darin stelle ich einleitend die Ausführungen zum methodischen Filmverstehen des Fernsehwissenschaftlers Lothar Mikos vor und umreiße knapp, welche Relevanz sie für meine Analysen haben. Anschließend lege ich mein weiteres methodisches Vorgehen dar, indem ich leitende Fragen formuliere. Diese dienen mir dazu herauszuarbeiten, welchen Beitrag die TV-Serie X:WP und die Comicverfilmung Wonder Woman (2017) zur Formung gegenwärtiger Heldinnenideale durch die jeweiligen Amazonenrezeptionen leisten.

Meine Forschungsarbeit schließt mit meinem Fazit ab, indem ich meine wichtigsten Ergebnisse aus den vorherigen Kapiteln zusammenfasse. Darüber hinaus werde ich einen Vorschlag für zukünftige Forschungen, die im Kontext mit der populärkulturellen Amazonenrezeption bei X:WP und/oder Wonder Woman stehen, geben.

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2 Amazonen in griechischer Mythologie: Bedeutung und Funktion

2.1 Griechische Mythologie

2.1.1 Mythosbegriff und Mythologie

Im Anfang war das Wort – dies gilt nicht nur in der christlichen Schöpfungsgeschichte, sondern auch für die griechische Mythologie. Mythos (griech. μῦθος) übersetzt bedeutet allgemein auch „Rede“, „Erzählung“, „Geschichte“. Im Gegensatz zur Bibel, wo das Wort bei Gott liegt und eine singuläre Erzählinstanz zumindest bestimmbar ist, zeichnen sich Mythen eben gerade dadurch aus, dass sie keine eindeutigen Urherber*innen haben (ob nun göttlich oder menschlich).14 Dies liegt vor allem daran, dass Mythen zunächst nur mündlich tradiert wurden. Zwar sind der Handlungsablauf und die auftretenden „Dramatis Personae“ in groben Zügen festgelegt, die Art und Weise des Vortrags fällt jedoch unter die Dichterfreiheit und kann zwischen den einzelnen Erzählenden und nach Medienformaten variieren.15 Oder anders gesagt:

„Keine zentrale sakrale Autorität wachte über dem griechischen Mythos, entsprechend gab es nicht die ursprünglich wahre Version, welche von vornherein uneingeschränkten Vorrang gegenüber späteren Traditionen genossen hätte.“16

Der Mythosbegriff erschöpft sich jedoch nicht allein in seiner etymologischen Definition.17 Auch wenn für die Grundbedeutung des Wortes Mythos das narrative Element konstitutiv ist,18 kann der Begriff nicht universal bzw. transkulturell auf alle Erzählungen angewendet werden. Dies liegt nach Irsigler zum einen darin begründet,

„[...] dass in der Mythos-Forschung in den verschiedenen Wissenschaftsgebieten unterschiedliche bzw. unterschiedlich akzentuierte Mythos-Begriffe ausgebildet

14 Vgl. Graf (1985a), S.8.

15 Ebd. Siehe hierzu auch das Beispiel bei Junker in der unterschiedlichen Darstellung der Erzählung von Agamemnon und Klytämnestra bei Homer und Aischylos. Junker (2005a), S.38f.

16 Scheer (2015), S.217.

17 Nach Powell ist die Etymologie von „Mythos“ nicht bekannt. Nach ihm ist der Begriff bereits Homer zu seiner Zeit im 8. Jhd. v. Chr. bekannt, wird jedoch anders von diesem gebraucht. Anhand von Zitaten aus der Illias exemplifiziert Powell seine These und kommt zu dem Schluss: Bei Homer [...], scheint epos die allgemeine Bezeichnung für jede Art von mündlicher Äußerung zu sein [...]. Mythos scheint sich auf eine kraftvolle, autoritäre und längere Ansprache zu beziehen. Homer nimmt allerdings keine strenge Trennung vor, und in manchen Fällen entscheiden einfache metrische Fragen über den Gebrauch des einen oder des anderen Wortes. Powell (2009), S.3f., Herv. i. Orig.

18 Klumbies (2001), S.64.

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wurden [...].“19 So moniert Mohn auch folgerichtig nicht mehr nach einer ontologischen Definition zu fragen („Was ist der Mythos?“)20. Vielmehr sollten die leitenden Fragen lauten, wie über Mythos und Mythen gesprochen werden könne.21

Mohns Frage nach dem wie tangiert dabei unweigerlich auch den Begriff „Mythologie“.

Entgegen der gängigen Verwendung des Suffixes „-logie“ zur Benennung von diversen wissenschaftlichen Disziplinen (Bsp.: Biologie, Ethnologie), markiert der Ausdruck Mythologie nach Matuschek das Bestreben nach Übersicht, stelle aber keine allgemeingültige Lehre dar.22 Die geordnete Zusammenstellung und Auswertung der überlieferten Erzählungen und Darstellungen dürfe aber nicht zur Vorstellung eines einheitlichen Gesamtbilds von Mythen verleiten. Mythologie beschreibt demnach kein Glaubenssystem, sondern ist als „[...] Sammlung und Zusammenstellung von Erzähl- und Darstellungstraditionen [...]“23 zu verstehen. In diesem Zusammenhang ist besonders hervorzuheben, dass die Überlieferungen vielfältig sind und über keine notwendige Kohärenz verfügen. Anstatt also von einem Gesamtbild auszugehen, „[...]

in dem jeder Figur eine bestimmte, durch alle Überlieferungen konstante Eigenschaft und Rolle zuzuweisen wäre [...]“24, muss die dem griechischen Mythos und ihrer Mythologie inhärente Ambiguität anerkannt werden.

Eine vollständige Darstellung der Verwendungsweisen der Begriffe „Mythos“ und

„Mythologie“ ist aufgrund der heterogenen Verwendungsweisen nicht möglich und an dieser Stelle auch nicht notwendig. Wichtig war es zunächst, eine terminologische Sensibilisierung vorzunehmen.25 Für diese Arbeit ist es dafür ausreichend, im Weiteren unter dem Amazonenmythos eine Sammlung an Erzählungen über Kriegerinnen innerhalb der griechischen Mythologie zu verstehen, die sich aus zwei Hauptquellen speist (literarisch und bildnerisch), wobei diese wiederum eine Vielfalt an

19 Irsigler (2013), S.3.

20 Mohn (1998), S.39, Herv. i. Orig.

21 Ebd.

22 Matuschek (2014), S.13. In diesem Zusammenhang weist Matuschek darauf hin, dass kritisch gefragt werden müsse, inwiefern der Grundbegriff von Mythos auch auf außereuropäische Kulturen (beispielsweise ägyptische Mythologie) übertragen werden könne, da er sich am altgriechischen Exempel, und hier insbesondere an den homerischen Epen und an Hesiod gebildet habe. Ebd. Für eine ausführlichere Auseinandersetzung mit der Ambivalenz von Theorie und Mythos gerade im Kontext von Interkulturalität siehe Mohn (1998), S.44f.

23 Matuschek (2014), S14.

24 Ebd., S.13.

25 Vgl. dazu Tepes reflektiertes Vorgehen und sein Beitrag zur Mythosforschung, woraus ich die Bezeichnung „Terminologische Sensibilisierung“ übernommen habe. Tepe (2014), S.29-44.

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Darstellungen, Umfang und Deutungen (realhistorisch/archäologisch oder kulturtheoretisch) 26 aufweisen. Somit ist zunächst ein begrifflicher Definitionsrahmen gesetzt. Bevor konkret auf die überlieferten antiken Erzählungen und Darstellungen von Amazonen eingegangen wird, soll noch nach den grundlegenden Funktionen von griechischen Mythen gefragt werden. Dies ist insofern von Bedeutung, da sie als

„angewandte Erzählung“27 immer auch einen Sinn transportieren.28

2.1.2 Mythosfunktionen

Eine allgemeingültige Systematisierung der überlieferten Mythen gestaltet sich genauso komplex wie bei der einführenden Begriffsdefinition (Kapitel 2.1.1). In der Forschungsliteratur findet sich jedoch der Versuch einer Ordnung von Mythen. In Rekurs auf die griechische Mythologie bedeutet dies, dass drei Themenbereiche unterschieden werden können, wobei diese nicht strikt voneinander getrennt sind bzw.

in einem reziproken Verhältnis zueinanderstehen (können). Vorweg sei gesagt, dass diese Gruppierung lediglich einen Überblick darstellt und nicht über die Komplexität und Vielfalt der Erzählungen hinwegtäuschen soll.29

Unter die erste Gruppe fallen die Schöpfungsmythen (Kosmogonie).30 Diese handeln von der Entstehung der Welt, aber auch von den sich darauf befindlichen Lebewesen (Menschen, Tiere, Pflanzen).31 Die wohl bekanntesten Erzählungen dieser Gruppe sind zum einen jene vom Chaos, dem „Urschlund“, aus dem unter anderem Gaia (die Erde) als schaffende Kraft hervortrat. Diese gebar aus sich heraus Uranos. Aus Gaias und Uranos Vereinigung entstammt wiederum das erste Göttergeschlecht. Zum ande- ren jene von Prometheus, dem Schöpfer und Helfer der Menschen.32

26 Amann (2015), S.75.

27 Junker (2005a), S.35. Der Begriff der „Anwendung“ (auch „tale applied“ genannt) in Zusammenhang mit der Theoretisierung um Mythos wurde indes von Burkert eingeführt. Burkert (1993b), S.17.

28 Worin dieser liegt, variiert dabei je nach Typus und wird seit über 2500 Jahren rege diskutiert. Für eine übersichtliche Darstellung dazu siehe Junker (2005a), S.35; Jamme (2014b), S.20-24.

29 Vgl. dazu Abenstein (2016), S.11.

30 Siehe hierzu die verschiedenen Vorstellungen vom Ursprung der Welt bei Abenstein (2016), S.19.

31 Vgl. Irsigler (2013), S.5.

32 Zu Chaos und Gaia siehe Abenstein (2016), S.19; zu Prometheus siehe ebd., S.106f.

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Die zweite Gruppe bilden die Göttergeschichten (Theogonie). In ihnen wird von dem Entstehen der Gottheiten berichtet (Genealogie). Bevor diese jedoch den Olymp bewohnten, gingen ihnen zwei große Kriege voraus. Im ersten langjährigen Krieg, der Titanomachie, wurde Kronos von Zeus mit Hilfe der Hekatoncheiren und Kyklopen gestürzt.33 Der zweite Krieg, die Gigantomachie, wurde zwischen den sterblichen Giganten34, und den mittlerweile olympischen Göttern und Göttinnen ausgetragen;

siegentscheidender Helfer auf Seiten der Gottheiten war der sterbliche Herakles, Sohn von Alkmene und Zeus.35

Die umfangreichste Gruppe stellen die Heroengeschichten dar.36 Sie sind charakterisiert durch ihre Stellung zwischen den Gottheiten und Menschen. Dadurch haben sie „[...] Anteil am Glanz göttlicher Macht und am Schatten der Sterblichkeit [...]“.37 Heroinen und Heroen sind in erster Linie als Ahnen bestimmter Geschlechter oder Gründer*innen einzelner Orte weitgehend an bestimmte Orte und an lokale Kulte gebunden, können aber auch panhellenisch bekannt sein.38 Für diese Arbeit sind die individuellen Heroen Herakles, Achill und Theseus von Bedeutung, da sie jeweils auf Amazonen treffen.

Wenn nach der Funktion von Mythen gefragt wird, muss stets der Kontext mitbedacht werden: Erzählungen über die Taten von Göttinnen und Göttern verdeutlichten beispielsweise deren Verhältnis untereinander und zu den Menschen, weshalb sie, wie Scheer konstatiert, entsprechend von Bedeutung waren für religiöse Vorstellungen und mitunter als Aitiologien rituelles Handeln erklärten.39 Texte und Bilder wiederum, welche die Taten der Heroinen und Heroen thematisierten, „[...] hatten nicht nur Unterhaltungswert, sondern sie erklärten Kultmale vor Ort, konstruierten mittels ausführlicher genealogischer Anbindung die Vergangenheit von Familien, Städten, Stämmen und Völkern und festigten so lokale und überregionale Identitäten.“40

33 Abenstein (2016), S.20-22.

34 Beschrieben werden sie als „[...] Geschöpfe von menschlicher Riesengestalt, deren Beine in Schlangenleiber ausliefen.“ Abenstein (2016), S.22.

35 Abenstein (2016), S.22. Zur Abstammung sowie Biografie von Herakles siehe ebd., S.170-191.

36 Schmitz (2016), S.5.

37 Abenstein (2016), S.114, Herv. i. Orig. Für die Heroinen und Heroen werden in der Forschung spezifische Charakteristika aufgeführt, die ihnen zu Grunde liegen und somit von

„Normalsterblichen“ unterscheiden.Für eine einführende Auflistung siehe ebd., S.113f.

38 Graf (2000b), S.642.

39 Scheer (2015), S.218.

40 Ebd.; siehe dazu auch Burkert (1993b), S.18f.

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Zusammenfassend lässt sich konstatieren, dass Mythen eine primär erklärende Bedeutung haben, weshalb sie nach Burkert auch von „kollektiver Bedeutsamkeit“

sind.41 Sie haben keine individuellen Autor*innen, sondern sind anonymer Besitz einer kulturellen Gemeinschaft.42 Die Erzählungen stellen auf einer Metaebene eine geistige Auseinandersetzung mit den Naturphänomenen dar, wie sie auch im Bereich sozialer, religiöser und politischer Institutionen eine sinnstiftende und legitimierende Funktion haben. Aber auch außerhalb der menschlichen Erfahrung bieten Mythen Erklärungen dafür an, was nach dem individuellen Tod passiert.43

Abschließend bleibt nun zu eruieren, wie die Vielzahl an Erzählungen überliefert wurden. Diesen Punkt halte ich dabei für den wichtigsten. Dies liegt darin begründet, dass sich dort ein genuines Charakteristikum von Mythen zeigt, welches vor allem für die Rezeption und Adaption des Amazonenmythos bedeutsam ist: ihre Versatilität.

2.1.3 Literarische Überlieferungen

Zu Beginn wurde gesagt, dass griechische Mythen in ihrer Ursprungsform mündlich tradiert wurden. Durch die Erfindung und Etablierung der Schrift, ausgehend von Mesopotamien vor über 2000 Jahren, gelang es schließlich die Mythen niederzuschreiben und je nach Haltbarkeit des Trägermediums (Steintafel, Papyrus, Papier) über Raum- und Zeitgrenzen hinweg zu verbreiten.44 Die früheste und bekannteste – zumindest bis dato – literarische Aufzeichnung stammt von Homer aus dem 8. Jahrhundert v. Chr. Die Illias und Odyssee gehören in literarischer Gattung zum Epos und behandeln Götter- und Heroengeschichten.45 Besonders interessant ist hier nicht nur die Autor*innenfrage, sondern dass mit den beiden Epen etwas fixiert wurde, „[...] was über Generationen hinweg ausschließlich in mündlicher Form, aber mit wachsender Differenzierung hinsichtlich Sprache und Inhalt, praktiziert worden ist.“46 Oder anders formuliert: Die schriftliche Fixierung stellt eine Variante der

41 Zit. nach Graf (2000b), S.633; vgl. dazu auch Burkert (1979a), S.29.

42 Junker (2005a), S.33.

43 Matuschek (2014), S.13.

44 Vgl. zur Bedeutung und Medialität der Schrift Fahlenbrach (2019), S.74ff.

45 Zu näheren Bestimmung von Epos siehe Juncker (2005b), S.65.

46 Ebd., S.66. Auch wenn Homer als Autor der Illias und Odyssee angeführt wird, ist sein Name als Dichter nicht historisch verbürgt; zur leichteren Verständigung wird gemäß Junker aber in der Forschungspraxis an der Person Homer festgehalten. Ebd., S.66.

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Überlieferungen und nicht ihre definitive Fassung dar.47 Dieser Aspekt ist in zweierlei Hinsicht wichtig: Erstens werden nicht feste Erzählungen, sondern an Akteur*innen gebundene Erzählstrukturen tradiert.48 Das heißt das personelle Ensemble (göttlich wie menschlich) ist in den einzelnen Mythen vorgegeben wie auch der grobe Handlungsablauf, jedoch nicht ihre konkrete Umsetzung (welche wiederum je nach Medium unterschiedliche Möglichkeiten zulässt; einem Film stehen beispielweise bewegte Bilder, Ton und Musik zur Verfügung, um eine Geschichte zu erzählen, wohingegen Bilder auf Vasen, Skulpturen usw. sich auf charakteristische Szenen beschränken müssen). Zweitens ermöglicht der inhärente Konstruktionscharakter griechischer Mythen eine flexible erzählerische Anpassung an die zur Verfügung stehenden Medien und den jeweiligen Zeitgeist.49

Der Übergang von einer ausschließlich oralen hin zu einer literalen Tradierung führte zu mehreren Konsequenzen: Zum einen erhalten Mythen durch ihre schriftliche Sammlung und Fixierung, beginnend bei Homer und Hesiod hin zu den attischen Tragikern Aischylos, Sophokles und Euripides, eine ästhetisch-poetische Distanzierung50; durch die zunehmende Geltung erlangen sie eine epische Kanonisierung, die sich tendenziell dem freien Spiel der fortlaufenden Neuformulierung entzieht.51 Zum anderen erfahren die tradierten Erzählungen aber auch einen ordnenden Eingriff, das heißt Attribute und Zuständigkeiten von Göttinnen und Göttern sind nicht mehr lokal gebunden, sondern geben eine panhellenische Mythologie vor.52

Literarische Kompendien, wie beispielsweise die Schönsten Sagen des klassischen Altertums von Gustav Schwab, tragen zudem dazu bei, den Mythen der klassischen Antike eine scheinbar definitive Form zu geben.53 Dadurch werden sie leichter

47 Nach Junker gab es aber anscheinend ein Bedürfnis nach einer etwas einheitlicheren Tradierung der Stoffe, wenn er schreibt: „Innerhalb des Bereichs der epischen Literatur, die sich mythischen Stoffen widmet, ist in der auf Homer folgenden Zeit eine starke Tendenz in Richtung auf eine vollständige Literarisierung der verschiedenen Sagenkreise der griechischen Mythologie zu beobachten.“ Junker (2005b), S.67.

48 Graf (2000b), S.633.

49 Vgl. dazu auch Schmitz‘ beispielhafte Darlegung, dass Mythen ihrer jeweiligen argumentativen Situation angepasst werden, anhand des Mythos von Niobe, den Achill dem trojanischen König Priamos erzählt. Schmitz (2016), S.6-8.

50 Vgl. Jamme; Matuschek (2014), S.8.

51 Junker (2005b), S.67.

52 Graf (2000b), S.642.

53 Junker (2005a), S.37.

(18)

zugänglich für ihre Rezipient*innen, was eine größere Popularisierung ermöglicht. In diesem Zusammenhang würde ich Junker in dem Punkt widersprechen, dass Schwab dadurch die wesentliche Eigenheit der griechischen Mythen – ihre Wandelbarkeit – beseitigt hätte.54 Wie sich bei den Mythen, in denen die Amazonen vorkommen, zeigen wird, weisen sie eine inhaltliche Varianz auf; sei es was den Handlungsablauf betrifft, sei es, welche Amazonenkönigin letztlich von Theseus nach Athen entführt wurde (mal ist es Antiope, mal Hippolyte).

2.1.4 Visuelle Darstellungen

Griechische Mythenfassungen liegen allerdings nicht nur in literarischer, sondern auch in bildlicher Fassung vor. Dass zwischen diesen beiden konkret unterschieden werden muss, betont Junker: „Vielbenutzte Kompendien vermitteln den Eindruck, als seien die Bilder in aller Regel direkte Entsprechungen von zuvor sprachlich fixierten Sagenerzählungen und sei es [sic!] das primäre Anliegen der Verfertiger solcher Bilder gewesen, so etwas wie Illustrationen zu Texten zu liefern.“55 Zwar fielen, so Junker, die ältesten Sagenbilder mit dem Beginn der Schaffung schriftlicher Mythenfassungen zusammen, daraus folge aber nicht, dass „[...] die Bilder großenteils von den Epen und anderen – erhaltenen – Werken der frühen Literatur direkt abhingen.“56 Dies in aller Ausführlichkeit zu eruieren, würde den Rahmen dieser Arbeit überschreiten. An dieser Stelle reicht es, nur einen wesentlichen Aspekt von Junker hervorzuheben – welchem ich mich auch anschließe –, demnach es notwendig sei, „[...] visuelle Mythendarstellungen gegenüber den sprachlichen als eigenes Feld zu untersuchen.“57 Für beide Medien bestehen nämlich grundlegend unterschiedliche Gestaltungsgesetze und Wirkungsmöglichkeiten.58

Zusammenfasend liegen diese darin, dass sprachliche Fassungen eine größere Bandbreite an Informationsvermittlung zulassen (beispielsweise Kontextualisierung der Handlung in Raum und Zeit; Außen- und Innenschau der Protagonist*innen, ihre Motivation, etc.) wohingegen die bildliche Umsetzung, beschränkt durch das eigene

54 Ebd., S.38.

55 Ebd., S.40.

56 Junker (2005b), S.74.

57 Junker (2005a), S.40.

58 Ebd.

(19)

Medium, vor allem auf die Stoffkenntnis der jeweils Betrachtenden angewiesen ist.59 In diesem Zusammenhang sei noch auf ein weiteres Unterscheidungsmerkmal hingewiesen: Mündlich tradierte Erzählungen setzen in der Regel eine*n anwesende*n Zuhörer*in voraus, welche*r bei Verständnisproblemen direkt bei der*dem Vortragende*n nachfragen kann; bei bildlichen Darstellungen braucht es zusätzliche Erläuterungsinstanzen wie beispielsweise einen erklärenden Text, wer oder was auf dem Bild zu sehen und wie dies zu verstehen ist.

Nun bemerkt Junker zurecht, dass in der Gegenüberstellung der beiden Medien eine Wertung in besser und schlechter, höher und niedriger erfolgen könnte: „Die Tatsache, daß bei der Schaffung von Mythen in aller Regel zuerst die sprachliche Fixierung erfolgt und erst danach eine Auseinandersetzung mit den Mitteln der Bildenden Kunst, könnte gar dazu verleiten, das Sprachliche grundsätzlich als das Primäre, das Bildliche als das Sekundäre und nur Abgeleitete einzustufen.“60 Diese Polarisierung übersieht jedoch, dass auch Sprache mit bildlichen Mitteln arbeitet, wenn auch in anderer Gestalt. Den Mythenerzähler*innen stehen dabei rhetorische Mittel wie Allegorien (beispielsweise Charon als Allegorie für den Tod), Metaphern („von der Muse geküsst werden“) und Vergleiche („stark wie ein Löwe“) zur Verfügung. Die Vorstellungskraft der Rezipient*innen wird also durch die eminent bildhafte Sprache der Erzählungen adressiert.

Das Medium Bild steht grundsätzlich vor der Herausforderung, Handlungen dynamisch darzustellen. Im Laufe der antiken Kunstgeschichte haben sich dabei zwei Grundformen des Darstellungsmotivs der Momentaufnahme entwickelt: „Ein Mythenbild ist entweder als eine Art Momentaufnahme angelegt, oder aber es besteht keine Einheit der Zeit, d. h. es wird statt dessen [sic!] versucht, verschiedene Momente einer Handlung in ein und demselben Bild zu vergegenwärtigen.“61 Eine weitere Herausforderung liegt meines Erachtens nach ferner darin, dass in den tradierten Mythen keine äußerliche Beschreibung der menschlichen Protagonist*innen zu finden ist, anhand derer sich die Kunstschaffenden in der Visualisierung orientieren könnten.

Zwar helfen spezifische Attribute wie z.B. das Löwenfell von Herakles darauf zu schließen, um wen es sich in der Darstellung handeln soll oder beigefügte Namen

59 Ebd., S.61f.

60 Ebd., S.42.

61 Ebd., S.44, Herv. i. Orig.

(20)

geben zusätzliche Auskunft. Doch wie auch in den literarischen Erzählungen obliegt es schließlich den Rezipient*innen, fehlende basale Informationen wie z.B. Alter, Kleidung, Größe usw. zu imaginieren.

2.2 Amazonen in der griechischen Antike 2.2.1 Forschungsstand

Wenn Amann schreibt: „In dem überwiegend von männlichen Helden bevölkerten Erzählkosmos der antiken Mythologie stellt der Amazonen-Mythos eher eine Randepisode dar, die gleichwohl Aufmerksamkeit erregt hat“62, trifft seine These nicht zur vollen Gänze zu. Es stimmt zwar, dass die Anzahl an Heroen – ob individuelle wie Herakles, Perseus oder Agamemnon oder aber im Kollektiv wie die Argonauten – die Mehrheit darstellen und die Amazonen im klassischen griechischen Epos und Drama lediglich eine marginale Erwähnung erfuhren.63 Von dem Amazonen-Mythos als

„Randepisode“ zu sprechen verkürzt diesen aber auf dichterische Überlieferungen.

Wie in Kapitel 2.1.1 erwähnt, umfasst der antike Amazonenmythos jedoch eine Fülle an Quellen und beschränkt sich nicht allein auf literarische Erzählungen. Vielmehr muss der Amazonenmythos, so meine These, als Mosaik betrachtet werden: Im Ganzen gesehen ergibt sich stets das bekannte Bild von Kriegerinnen bzw. das eines autarken, kriegerischen Frauenvolks. Die einzelnen Komponenten, aus denen es zusammengesetzt ist, können dabei allerdings variieren, ohne jedoch die Gesamtkomposition zu unterminieren.64

Wenn nun der Versuch unternommen werden soll, einen Status Quo der Auseinandersetzungen mit dem Amazonenmythos anzugeben, kann dies nur als Überblick der Erkenntnisse aus den verschiedenen Fachrichtungen erfolgen. Die meisten Beiträge sind dabei aus den Literatur-, Kultur- und Altertumswissenschaften.

Anstatt zu fragen, worin sich die einzelnen Untersuchungen unterscheiden, werde ich den Fokus auf die Gemeinsamkeiten legen, um ein schlüssiges Gesamtbild der Amazonen in der Antike zu erhalten. Dieses möchte ich als Grundlage nutzen, um zu

62 Amann (2015), S.74.

63 Sturm (2017), S.11.

64 Vgl. dazu Taubes Beitrag zu den literarischen Amazonenbildern in der Antike. Die Literaturangabe dazu findet sich im Quellenverzeichnis dieser Arbeit.

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eruieren, inwiefern die tradierten Vorstellungen sich im weiteren Verlauf gewandelt haben.

2.2.2 Historischer Ursprung der Amazonen

Eine immer wiederkehrende Frage in der Forschung zu dem Amazonenmythos ist, ob es dafür eine realgeschichtliche Vorlage gegeben hat. Als jüngstes Beispiel kann Adrienne Mayor angeführt werden. Anhand von Skelettfunden in der eurasischen Steppe versucht die Historikerin und Folkloristin in ihrem Buch The Amazons einen empirischen Beweis für die reale Existenz antiker Kriegerinnen zu erbringen.65 Gräber von Frauen mit Waffen werden nach dem Historiker Askold Ivantchik dabei oft als

„Amazonen-Gräber“ interpretiert.66 Hinzu kommt, dass Mayor den Amazonenbegriff auf eine Vielzahl von weiteren weiblichen Kriegerinnen aus alten Kulturen wie Ägypten und China anwendet bzw. überträgt. Damit repräsentiert sie nach Tilg „[...] eine größere Tendenz, wehrhafte Frauen aus allen Zeiten und Kulturen metaphorisch

‚Amazonen‘ zu nennen.“67 Dies ist aber aus zweierlei Gründen problematisch: Zum einen gibt es keinen eindeutigen Nachweis darüber, dass der Amazonenmythos direkt durch nomadische Gesellschaften (wie beispielsweise den Skythen oder Sauromaten) und ihren kulturellen Traditionen über Kriegerinnen beeinflusst wurde68; zum anderen ist es, wie bereits erwähnt (siehe Kapitel 2.1.1), kritisch, kulturspezifische Mythen vorbehaltslos auf andere Gesellschaften zu übertragen. An den Amazonenmythos sind antike griechische Sozialordnungen und Geschlechterrollenvorstellungen geknüpft, welche keine universale bzw. kulturübergreifende Norm, sondern eine Inversion, im Sinne einer Bedrohung bestehender patriarchaler Verhältnisse darstellen.69

Doch nicht nur in der Gegenwart beschäftigen sich Autor*innen mit der Frage nach der Realexistenz von Amazonen. Bereits in der Antike gab es Bemühungen von bekannten Historikern wie Herodot (Historien, 5. Jhd. v. Chr.) Diodor (Universalgeschichte, 1. Jhd.

65 Mayor (2014); Tilg (2021), S.5.

66 Ivantchik (2013), S.73.

67 Tilg (2021), S.5.

68 Vgl. hierzu die Rezension von Eckhart zu Mayors Buch (Eckhart (2016), S.365-367) sowie Ivantchik (2013), S.74.

69 Vgl. Tiersch (2013), S.132f.

(22)

v. Chr.), und Strabon (Geographika) die Amazonen geographisch zu verorten.70 Demnach sollen sie ihren Ursprung am Fluss Thermodon im Norden Kleinasiens haben. Dort hätten sie „in alter Zeit“ in der von ihnen gegründeten Stadt Themiskyra gelebt.71 Interessant daran ist, dass zu den Lebzeiten der antiken Autoren in dieser Gegend keine Amazonen mehr zu finden waren. „Eine Erklärung dafür findet sich beispielsweise bei Herodot und Diodor. Sie berichten von einer großen Schlacht, durch die das Reich der Amazonen unterging“72, wie Börner schreibt. Das heißt, das Wissen um die Amazonen war bereits vor über 2000 Jahren nur retrospektiv über mündliche und schriftliche Tradierungen erfahrbar. Überlieferungen von den Amazonen selbst, in denen sie von sich und ihrer Kultur sprechen, gibt es keine. Zwar schließt dies nicht sofort die Hypothese aus, es habe tatsächlich ein autonomes kriegerisches Frauenvolk in Kleinasien gegeben.73 Es heißt aber, und das ist der wesentliche Punkt, wie sich noch im weiteren Verlauf zeigen wird: das überlieferte Bild der Amazonen basiert in aller erster Linie auf Fremdzuschreibungen, zusammengesetzt aus unterschiedlichen und teils widersprüchlichen Motiven.74

2.2.3 Polyvalenz des Amazonenbildes

Gemäß den antiken Quellen waren die Amazonen zusammenfassend ein „[...]

kriegerisches Frauenvolk, welches, ohne Männer lebend, typische Aufgaben des männlichen Geschlechts übernimmt – reiten, kämpfen, jagen, mit Pfeil und Bogen schießen, Krieg führen, Staatsgeschäfte lenken und Ämter leiten [...].“75 Ihre Beschreibungen sind aber nicht bloß geschlechtskomparativer Art. Sie werden zudem sexualisiert, indem sie als „extrem anziehende Frauen“ dargestellt werden, schriftlich wie bildlich, „[...] die von mehreren griechischen Heroen – Achilles, Theseus, Alexander dem Großen – und von Männern der dem Frauenvolk benachbarter

70 Amann (2015), S.75.

71 Börner (2010a), S.19.

72 Ebd. Ob dieses Ereignis, wie Börner weiterschreibt, tatsächlich meist mit der neunten Aufgabe des Herakles in Verbindung gebracht werden kann, „[...] als dieser den Gürtel der Amazonenkönigin Hippolyte in seinen Besitz bringen sollte und es zu einem vernichtenden Kampf mit den Amazonen kam [...]“, muss an dieser Stelle als Frage offenbleiben, da Börner nicht angibt, ob die antiken Autoren diesen Zusammenhang selbst herstellen oder dieser im weiteren Verlauf der Forschung entstanden ist.

73 Vgl. dazu den Stand der Forschung zusammengefasst bei Schubert; Weiß (2013), S.1-10 sowie Tiersch (2013), S.114.

74 Vgl. Taube (2013), S.39.

75 Ebd.

(23)

Stämme – Skythen, Lelegern, Gelern, Gargariern – begehrt wurden, und mit diesen lockere oder feste Beziehungen eingingen.“76 Daneben treten sie auch als „[...] Städte- und Heiligtumsgründerinnen und Stifterinnen von Kultbildern auf, vor allem in Westkleinasien, aber auch in Lakedaimon.“77

Trotz ihrer offensichtlichen Popularität finden sich in den Quellen aber auch Attribute, welche die Amazonen als „männerhassend“ porträtieren. Dies äußert sich vor allem darin, dass, je nach Überlieferung, Amazonen männliche Angehörige bzw.

Nachkommen töteten, an ein benachbartes Volk gaben oder aber physisch verstümmelten, sodass sie das Jagd- und Kriegshandwerk nicht ausüben konnten, was den weiblichen Amazonen vorbehalten blieb.78 Aber auch vor Verletzungen am eigenen Körper machten die Amazonen zufolge nicht Halt: So sollen sie sich die rechte Brust kauterisiert oder aber abgeschnitten haben, zum besseren Umgang mit Pfeil und Bogen.79 Dass der Wahrheitsgehalt dieser Vorstellung jedoch bereits in der Antike angezweifelt wird, zeigen unter anderem diverse bildliche Quellen.80 In den sogenannten Amazonomachien wurden beispielsweise mythische Kämpfe und Schlachten zwischen griechischen Heroen wie Achill, Herakles sowie Theseus und Amazonen visualisiert. Aber auch einzeln dargestellte Amazonen waren ein beliebtes Bildmotiv, vor allem auf den bekannten attischen Vasen.81 Keine der Arbeiten zeigen dabei Amazonen mit einer fehlenden Brust (vgl. dazu auch die Abbildungen in Kapitel 2.2.4.2 und 2.2.4.3).

Gleichwohl Teil der griechischen Mythologie sind die Amazonen selbst keine Griechinnen. Alle Gebiete, in denen sie gelebt haben sollen, liegen deutlich außerhalb

76 Ebd., S.40.

77 Ebd., S.39f.

78 Vgl. dazu Graef (1894), Spalte 1754f. sowie Börner (2010), S.20.

79 Vgl. Taube (2013), S.41. Nach Tiersch wurde unter anderem das Ausbrennen der Brust „[...]

weniger zur Abqualifizierung der Amazonen genutzt als vielmehr dazu, durch gleichsam wissenschaftliche Instrumentarien Binnenerklärungen zu finden für die übermenschliche kriegerische Tüchtigkeit bei diesen Frauen.“ Tiersch (2013), S.131.

80 Nichtdestotrotz hält sich diese Vorstellung hartnäckig bis in die Gegenwart hinein. So nahm das Schweizer Online-Nachrichtenportal Watson das Erscheinen des Wonder Woman Films 2017 zum Anlass, um populärwissenschaftlich über den Amazonenmythos einzuführen, in dem es reißerisch titelte: „Warum hat Wonder Woman zwei Brüste? Der antike Mythos der Amazonen.“, Rothenfluh (2017).

81 Siehe dazu als einführendes Beispiel die Darstellung des Kampfs der Amazonen gegen Theseus auf einem Dinos. Britisches Museum (2021).

(24)

des griechischen Kulturraums.82 Dieser Umstand ist dabei Ausgangspunkt vieler Diskussionen in der Forschung, die unter dem Begriff „Alterität“ subsumiert werden können. Demnach unterschieden sich die Amazonen von den Griech*innen nicht nur hinsichtlich ihrer Kultur, sondern auch bezüglich der Geschlechterverhältnisse und ihren -rollen. Beide Diskurse können zwar für sich alleinstehen, weisen aber auch immer wieder Überschneidungen auf.

2.2.4 Funktionalisierung des Amazonenmythos 2.2.4.1 Etymologie

Was den Namen der Amazonen (altgriech. Ἀμαζόνες) betrifft, ist die Etymologie ungeklärt und anhaltender Gegenstand zahlreicher vergangener wie gegenwärtiger Debatten. Taube stellt vier antike etymologische Deutungen zusammen, die zwar „[...]

allesamt den Ursprung des Namens vermutlich nicht richtig deuten, aber gleichwohl eine Vorstellung von der in der antiken Literatur evozierten Fremdheit und Andersartigkeit der Amazonen vermitteln.“83 Am aufschlussreichsten und in dieser oder ähnlicher Form auch in anderen Forschungsbeiträgen diskutiert, sind dabei meines Erachtens nach folgende zwei Herleitungen: Demnach waren die Amazonen erstens die „Brustlosen“ bzw. die „ohne Brust“ (nach Isidor von Sevilla, 600 n. Chr.)84, da das Ausbrennen der Brust ihre Körperkraft und Kampfähigkeit erhöhe; in dieser Deutung werden die Amazonen hauptsächlich durch ihre körperliche Andersartigkeit definiert, indem die geschlechtsspezifisch konnotierte Physis von Frau und Mann vertauscht wurde.85 Zweitens weist etymologisch ihr Name auf einen Mangel hin, der mit ihrer Ernährung in Verbindung stehe. Folglich habe ihre Nahrung hauptsächlich aus Fleisch (Schlangen, Eidechsen, Schildkröten) bestanden, was daran liegt, dass ihr nomadischer Lebensstil keinen Ackerbau kannte, „[...] dessen Einführung und Verbreitung doch ein grundlegendes Zivilisationsmerkmal [für die Hellen*innen, A.S.]

war.“86

82 Börner (2010a), S.19; ihre geographische Verortung reicht dabei von Libyen (womit in der Antike ganz Nordafrika gemeint ist), über Thrakien, den Kaukasus und Skythien. Für eine grafische Verortung der Amazonenmythen in der Antike siehe Palm (o.J.).

83 Taube (2013), S.40.

84 Amann (2015), S.75, FN 1.

85 Taube (2013), S.41.

86 Ebd., S.42.

(25)

Was sich in den antiken etymologischen Deutungsversuchen abzeichnet, ist die Porträtierung der Amazonen als Alterität zur griechischen Kultur und Gesellschaft. Das martialische Verhalten des kriegerischen Frauenvolkes mitsamt seiner „unzivilisierten“

Lebensform stellt dabei eine Gegenwelt dar, „[...] die sich den Regeln, Idealen und Traditionen des wohlgeordneten oikos und der wohlgeordneten polis entzog.“87 Damit einhergehend werden auch patriarchale Gesellschaftsstrukturen legitimiert. In der Forschung besteht Konsens darüber, dass im antiken Griechenland Frauen und Männer getrennte Aufgabenbereiche und Wirkungskreise hatten: Sache der Frauen war es, den Geschäften innerhalb des Hauses nachzugehen, sich um die Vorräte zu kümmern und Textilien herzustellen; die Männer hingegen waren für die Feldarbeit zuständig und dafür in den Krieg zu ziehen.88 So weit, so traditionell. Dass diese Grenzen jedoch perforiert sind, zeigen zeitgenössische Berichte, in denen auch Frauen an Kriegshandlungen beteiligt waren. Wagner-Hasel bringt diesen Aspekt dabei gut auf den Punkt, wenn sie schreibt: „Die Grenzen des Hauses unversehrt zu wahren und die Mauern der Stadt zu verteidigen, war eben nicht nur Männersache.“89

Die scheinbare Eindeutigkeit im Entwurf der Amazonen als das vollkommen „Andere“

ist nicht widerspruchsfrei, wie Taube hervorhebt.90 Dies lässt sich besonders gut an den bildlichen Darstellungen exemplifizieren. So bemerkt Börner: „Wenn Amazonen auf Vasenbildern einen gesellschaftlichen Gegensatz zum Ausdruck bringen, dann geschieht dies nicht durch Darstellung von Unterdrückung oder gar Kindermord.“91 Zwar bleibt die gesellschaftliche Inversion grundsätzlich aufrechterhalten, dadurch dass es Frauen sind, die sich für den Krieg rüsten und dementsprechend kleiden.

Allerdings werden sie als ehrenvolle Gegnerinnen geachtet, die in einer Schlacht zu schlagen vor allem Prestige für die großen Heroen der griechischen Mythologie – Achill, Herakles und Theseus – bedeutet.

2.2.4.2 Bedeutung der Amazonen für Heroen und attische Bürger*innen

Einstens kam ich sogar in Phrygiens Rebengefilde, Wo ich rossetummelnde Phryger in Massen erblickte,

87 Taube (2013), S.47, Herv. i. Orig.

88 Wagner-Hasel (2010), S.58.

89 Ebd.

90 Taube (2013), S.48.

91 Börner (2010a), S.20.

(26)

Otreus' Volk und das Heer des götterähnlichen Mygdon, Die sich am Ufer des Flusses Sangarios damals gelagert;

Wurde doch ich als Bundesgenoß zu ihnen gerechnet

Jenes Tags, da mit männlicher Kraft Amazonen sich nahten.

Doch so zahlreich waren sie nicht wie die stolzen Achaier!92

Erzähler dieser Begegnung mit den Amazonen ist Priamos, der letzte König von Troja.

In Homers Illias erinnert er sich an das Ereignis in seiner Jugend zurück, wo er gemeinsam mit seinen Bundesgenossen gegen das sagenumwobene Kriegerinnenvolk kämpfte und schließlich auch besiegte. Diese Erzählung ist nun in mehrerer Hinsicht interessant. Die Amazonen finden beispielsweise hier ihre erste literarische Erwähnung. Da weder Priamos selbst noch Homer näher auf die Kriegerinnen eingehen, folgt, dass den Protagonist*innen innerhalb und den Rezipient*innen außerhalb des Epos diese bereits bekannt sein mussten.93 Das Wissen um die Amazonen bei den Griech*innen in der Antike muss also noch weiter zurück als 800 v. Chr. datiert werden. Ivantchik führt in diesem Zusammenhang auch ikonographische Beweise an, demnach „[...] die frühesten bekannten Darstellungen der sogenannten Amazonomachien schon um ca. 700 v. Chr. datieren.“94 Ferner erfolgt durch Priamos auch eine indirekte Beschreibung von der Stärke der Amazonen:95 Nicht wegen mangelnden Könnens, sondern aufgrund ihrer zahlenmäßigen Unterlegenheit schienen sie letztlich den Kampf gegen die Phryger verloren zu haben.96 Ob es sich bei Bellerophon genauso verhielt, als er gegen die Kriegerinnen kämpfte, wie in der Illias ebenfalls berichtet, wird dabei nicht erwähnt.

Nur dass der griechische Held „[...] die männerähnliche Schar Amazonen [...]“

erschlug.97

Werden die Amazonen zu Beginn ihrer literarischen Überlieferung noch vage konturiert, ändert sich dies vor allem durch drei geschlossene Sagenkomplexe aus der

92 Homer, Illias: III Gesang, 184 – 190; Übers. H.Raupé (2014), S.99.

93 Vgl. Fornasier (2007), S.34f.

94 Ivantchik (2013), S.76.

95 Das homerische Epitheton „ἀντιάνειραι“ wird dabei aber zumeist als „männergleich“ übersetzt. Zur ausführlicheren Auseinandersetzung mit dem Epitheton siehe ebd., S.74f.

96 Der Vergleich der Amazonen mit den Achaiern interpretiert Fornasier vor allem als rhetorischen Kunstgriff, die bedrohliche Situation, in der sich Troja befindet, für die Zuhörer*innen noch effektiver hervorzuheben: „Nicht einmal die sagenumwobenen Amazonen, auf die Priamos einst traf und die wir [Zuhörer*innen, AS] aus unseren eigenen Mythen als unbarmherzige Gegnerinnen kennen, waren derart zahlreich und gefährlich wie die Achaier vor den Toren Trojas, die den Raub der Helena sühnen wollen.“ Fornasier (2007), S.34.

97 Homer, Illias: VI Gesang, 155 – 220; Übers. H.Raupé (2014), S.203.

(27)

nachomerischen Zeit, die zudem „[...] der Dichtung und bildlichen Kunst den Stoff zu Darstellungen liefern“98. Die erste Erzählung, erstmals fixiert in dem heute verlorenen Epos Aithiopis, schließt direkt an die Ereignisse der Illias an.99 Als Verbündete der Trojaner, kämpfen die Amazonen gegen die Griechen, dessen Höhepunkt der Zweikampf zwischen Achilles und der Amazonenkönigin Penthesilea darstellt.100 Doch wie kam es dazu? Je nach Überlieferung soll Penthesilea in ihrer thrakischen Heimat während einer gemeinsamen Jagd aus Versehen ihre Schwester Hippolyte getötet haben.101 Um ihre Schuld zu mindern, suchte die Amazonenkönigen Entsühnung mit den Göttinnen und Göttern durch den Kampf für Troja. Suizid war per se ausgeschlossen, denn als genuine Kriegerin konnte sie nur einen ehrenhaften Tod auf dem Schlachtfeld erlangen. Viele glorreiche Taten soll sie zusammen mit ihren Kriegerinnen vollbracht haben, bis sie schließlich im Zweikampf gegen Achilles unterlag. Als tragisches Element kommt hinzu, dass sich Achilles in dem Moment, als er Penthesilea tötete, in sie verliebt haben solle.102 Das Liebesmotiv außen vor, bietet diese Erzählung jedoch nicht nur eine Individualisierung, sondern auch „[...] erstmals räumliche und genealogische Angaben zu dieser Amazone: Penthesilea wurde als Tochter des Ares und als Thrakerin dargestellt.“103

Abb.1 Abb.2

Achilles tötet Penthesilea im direkten Zweikampf (550/40 v.Chr.). Der Moment, in dem sich der Heros in die Amazonenkönigin verliebt, wird dabei durch den Blickkontakt zwischen beiden bildnerisch realisiert. Spätestens seit dem 6. Jhd. v. Chr. gehört dieses Motiv zum Repertoire der griechischen Vasenmalerei.

98 Graef (1894), Spalte 1758.

99 Eine*n namentliche*n Verfasser*in gibt es nicht. Dass die Amazonen-Erzählung der Aithiopis überhaupt bekannt bleiben konnte, liegt wiederum auf dem darauf beruhenden ersten Buch von Quintus von Smyrna (3. Jhd. n. Chr.), dem Epos Posthomerica. Tilg (2021), S.5.

100 Vgl. Tilg (2021), S.2.

101 In anderen Quellen wird anstatt Hippolyte auch Glauke oder Melanippe als Schwester genannt.

Fornasier (2007), S.37f.

102 In anderen Darstellungen soll es auch bei Penthesilea Liebe auf den ersten Blick gewesen sein.

Am Beispiel von Kleists Drama Penthesilea (1808) zeigt sich erneut der Konstruktionscharakter und das Erweiterungspotenzial von Mythen: In Kleists Version verliebte sich die Amazonenkönigin in Achilles und tötete ihn auf dem Schlachtfeld vor Troja. Vgl. dazu Fornasier (2007), S.38 sowie Amann (2015), S.78-81. Zur Beliebtheit des Motivs in der bildenden Kunst siehe Fornasier (2007), S.38 sowie Amann (2015), S.77.

103 Tiersch (2013), S.116.

(28)

Die zweite Sage handelt von Herakles, der im Rahmen seiner zwölf Aufgaben das Wehrgehänge oder auch den Gürtel – je nach Übersetzung – der Amazonenkönigin Hippolyte für Admete, Tochter des Eurystheus, König von Mykene und Tiryns, beschaffen soll104. Wie Herakles es gelang, seine Aufgabe zu erfüllen und den Gürtel zu erhalten, variiert je nach Erzählung. In der einen übergab Hippolyte den Gürtel freiwillig105; in einer anderen wurde er ihr gewaltsam entwendet; einer weiteren Version nach hätte Herakles eine gefangene Amazone gegen den Gürtel eingetauscht.106 Interessanterweise sind in allen drei Versionen die Amazonen zunächst grundsätzlich kommunikationsbereit. Erst als sie/ihre Königin (vermeintlich) bedroht werden/wird, verteidigen sie sich gewaltsam.107

Abb.3: Herakles, zu erkennen an seinem charakteristischem Löwenfell, im Kampf gegen die Amazonen. Ob es sich bei der ihm gegenüberstehenden Kriegerin um die Amazonenkönigin Hippolyte handelt, kann nicht eindeutig bestimmt werden, da keine klärende Beischrift vorhanden bzw. auch kein Gürtel an ihr erkennbar ist.108

Der Mythos um Theseus komplettiert den Sagenkomplex um die Amazonen. In diesem soll der athenische König und Staatsheros Theseus die Amazonenkönigin Antiope entführt haben, woraufhin die Amazonen, angeführt von Antiopes Schwester Oreithyia, gegen Athen in den Krieg zogen.109 Vor der attischen Hauptstadt angekommen,

104 Der Gürtel wiederum soll ein Geschenk des Kriegsgottes Ares gewesen sein.

105 Hera, erzürnt darüber, dass Herakles seine Prüfung so leicht bestehen solle, gab den Amazonen vor, dieser plane ihre Königin zu entführen, woraufhin die Kriegerinnen die griechischen Gefährten angriffen, wobei unter anderem Hippolyte umkam.

106 Rudolph (2010), S.31.

107 Vgl. dazu Fornasier (2007), S.40.

108 Ebd., S.42.

109 Ob Theseus als Gefährte von Herakles gemeinsam zu den Amazonen zum Thermodon fuhr oder erst Jahre später dieses Unterfangen allein bestritt, variiert dabei, wie so oft, je nach Überlieferung.

Fornasier (2007), S.45. Gleiches gilt für den Namen der entführten Amazonenkönigin: In manchen Versionen heißt sie auch Hippolyte, Melanippe oder Glauke. Graef (1894), Spalte 1759.

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