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4 Kapitel: Amazonentöchter einer neuen Zeit

4.2 Amazonen als Heldinnen

4.4.3 Gabrielle: The Battling Bard of Poteidaia

Im Gegensatz zu Xena oder den Amazonen in X:WP, ist Gabrielle zu Beginn der Serie eine junge, gänzlich kampfunerfahrene Bardin, die zusammen mit ihrer Familie und ihrem Verlobten Perdicas in Poteidaia lebt. Ihr Leben ist von traditionellen patriarchalen und heteronormativen Strukturen bestimmt, aus denen sie auszubrechen die Chance sieht, als sie auf Xena trifft. Diese hatte kurz zuvor interveniert, als Hector, ein Leutnant des Kriegsherrn Draco, und dessen Soldaten Dorfbewohner*innen aus Poteidaia entführten, worunter auch Gabrielle war.

Da Xenas Reputation als gewalttätige Kriegerin bekannt ist, wird sie von Gabrielles Vater, Herodotus, aufgefordert, das Dorf umgehend zu verlassen („We don't want any trouble with you, Xena. We know your reputation. We just want you to leave.")286. Dies ist der Moment für Gabrielle, Xena einen Einblick in ihr Leben zu geben und sie zu bitten, sie mitzunehmen:

GABRIELLE: „You've got to take me with you and teach me everything you know.

You can't leave me here."

XENA: „Why?"

GABRIELLE: „Did you see the guy they want me to marry?"

XENA: „He looks like a gentle soul – that's rare in a man."

GABRIELLE: „It's not the gentle part I have a problem with. It's the dull, stupid part.

Xena, I'm not cut out for this village life. I was born to do so much more."287

286 „Sins of the Past”, Staffel 1, Folge 1.

287 Ebd.

Abb.14: Gabrielle versucht Xena davon zu überzeugen, sie auf ihren Reisen mitzunehmen. Der Gegensatz beider Frauencharaktere wird visuell durch ihre Kleidung und Haarfarbe verdeutlicht: Gabrielle (rechts) trägt einfache praktische Kleidung und ist blond, Xena (links) hingegen präsentiert in ihrem dunklen Lederoutfit, den kniehohen Stiefeln und ihren dunklen Haaren das klassische Bild einer Kriegerin (vgl. dazu Wonder Womans Kostüm im Film, Kapitel 5).

Doch obwohl Xena ihrer Bitte nicht nachkommt und sich alleine weiter auf den Weg nach Amphipolis, ihrem Heimatort, macht, bedeutet dies nicht, dass Gabrielle sich ihrem Schicksal fügt und zurückbleibt. Sie verlässt noch in der Nacht Poteidaia, um Xena zu folgen.288 Die gemeinsame Weiterreise der beiden stellt dabei eine klassische und beliebte Paarkonstellation dar, wie sie Buchanan in seinem Beitrag „‘Side by Side‘:

The Role of the Sidekick“ allgemein für die westlichen „[...] literary and mediated cultures [...]“289 konstatiert. Besonders interessant sind dabei Buchanans allgemeine Ausarbeitungen zu den jeweiligen Funktionen der „Sidekicks“. Als engste*r Vertraute*r des*der (Super-)Helden*Heldin, repräsentiert diese*r „[...] the audience and through the interplay with the main character brings the audience into the story.”290

288 Zwar bleibt ihr Fortgang von ihrer Schwester Leila, mit der sie ein Zimmer teilt, nicht unbemerkt, jedoch kann auch diese Gabrielle nicht aufhalten. Gabrielles Entschlossenheit und ihr Aufbruch entsprechen dabei strukturell der klassischen „Heldenreise“, wie sie vom Mythenforscher Joseph Campbell in seinem Buch Hero with a Thousand Faces aus dem Jahr 1949 theoretisiert wurde.

289 Buchanan (2003), S.15. Als weitere bekannte Beispiele führt Buchanan unter anderen Holmes und Watson sowie Hamlet und Horatio an. Ebd.

290 Buchanan (2003), S.17.

Gabrielle ist es auch, die am ehesten eine realistische Verkörperung und Umsetzung von Held*innentum für die Zuschauer*innen ermöglicht. Auch wenn beispielsweise Wonder Woman und Xena, aber auch die reformierten feministischen Amazonen seit de Pizan erstrebenswerte Ideale und körperliche Stärke vermitteln, stellen sie doch die Ausnahme dar: Wonder Woman wurde durch göttliches Zutun erschaffen; Xena ist zwar menschlich, war in ihrer Vergangenheit aber auch eine grausame, gewaltvolle Kriegsherrin, die zudem mehr als oft die noch menschlich mögliche Stärke mit ihrem Können übertrifft. Und die „historischen“ Amazonen, wie sie de Pizan imaginierte, repräsentierten eher eine feministische Utopie. Gabrielle indes – in ihrer Rolle als

„Sidekick“ – „[...] becomes a lesser model of the hero(ine), one which we can emulate more readily […]”291, ohne dabei das Streben nach den „Hauptheld*innen“ aufgeben zu müssen.292

Gabrielle bietet neben ihrer strukturellen Rolle als „Sidekick“ zudem einen dynamischen Blick auf und in das Leben sowie die Gebräuche der Amazonen in X:WP.

Zu Beginn ermöglicht sie als interessierte und zuweilen naive Außenseiterin noch einen unvoreingenommenen Einblick in deren soziale Strukturen und Kampfethos.

Obwohl sie im weiteren Verlauf selbst zur Amazone, genauer zu einer Amazonenprinzessin und später gar Amazonenkönigin wird, bedeutet dies aber nicht, dass ihre gemeinsame Reise mit Xena damit beendet ist. Vielmehr pluralisieren sich im Verlauf der Serie durch Gabrielle die Vorstellungen, was es bedeutet bzw. bedeuten kann, eine Kriegerin zu sein. Beispielsweise ist sie zeitweise eine praktizierende Pazifistin, was auf den ersten Blick konträr zum kriegerisch konnotierten Wesen der Amazonen steht.

4.5 Zwischenfazit

Der kurze Einblick in den Ursprung der Superheldin Wonder Woman und ihrer Bedeutung als erste Amazonentochter einer neuen Zeit, zeigt, welche anhaltende Faszination die antiken Kriegerinnen auch nach über zweitausend Jahren auf die westliche Populärkultur ausüben. Darüber hinaus verdeutlicht er aber auch, welche Entwicklungen ihre Vorstellungen im Laufe der Rezeptionsgeschichte durchlaufen

291 Ebd., S.25.

292 Ebd.

haben. Der ursprüngliche Alteritätsdiskurs, der die mythischen Amazonen hervorgebracht hat, konnte zwar erfolgreich durch Schriftstellerinnen wie de Pizan subversiert werden, indem die Amazonen nicht mehr außerhalb anerkannter kultureller Normen stehen. Und auch die selbstbewussten Porträtierungen von europäischen Herrscherinnen in der Frühen Neuzeit als Amazonen zur Rechtfertigung weiblicher Ausnahmeregentschaften bezeugt die anhaltende Relevanz zur Adaption (und nicht der bloßen Übernahme) des antiken Mythos. Durch Wonder Woman konnten die Amazonen aber erstmals aus sich selbst heraus Heldinnen in der Wahrnehmung eines Millionenpublikums sein. Dies liegt daran, dass sie nicht mehr als Bedrohung perzipiert und gebraucht werden, sondern als moralisch integreres Volk gegenüber der „Man’s World“ vorgestellt werden.

Aus gendertheoretischer Perspektive muss jedoch auch ein Rückschritt in der Schaffung von Wonder Woman adressiert werden, der in der Adaption des antiken Mythos liegt. Grundsätzlich ist es naheliegend für die westliche Populärkultur das Bekannte mit Variationen zu reproduzieren. Die Vorstellung, dass es Kriegerinnen gibt bzw. geben kann, ist „[...] an already established figure in our cultural repertoire.“293 Der Umgang damit wiederum variiert in zeitgeschichtlichen Kontexten, wie vor allem in Kapitel 2 und 3 ausführlich dargelegt wurde. Eins bleibt jedoch konstant: Die grundlegende Frage, ob Frauen genuin Kriegerinnen sein können. In der Antike konnten sie es nur unter der Bedingung sein, dass sie außerhalb der geltenden Geschlechternormen standen (vgl. dazu FN 77). Bei de Pizan im späten Mittelalter und den europäischen Herrscherinnen der Frühen Neuzeit hingegen wird proklamiert, dass es sich bei den Amazonen „[...] um eine angeborene Stärke, nicht um eine Rolle oder die Imitation des Männlichen handelt, um ein von Frauen ererbtes und genealogisches zu vererbendes, von ihnen exklusiv kultiviertes Gut.“294 Der Ursprung der Amazonen als Volk verdankt sich jedoch in den Wonder Woman Comics der griechischen Göttin Aphrodite. Diese „[...] created a race of strong, beautiful women, the Amazons, from clay and made Hippolyta their queen.”295 Erneut ist die „natürliche“ Stärke von Frauen erklärungsbedürftig bzw. wird ihr Ursprung auf göttliche Einwirkung zurückgeführt.

Diese Konzeption würde ich als einen Schritt zurück im feministischen Transformationsprozess der Amazonen werten. Trotz dieser Kritik bleibt Wonder

293 Lethbridge (2019), S.191.

294 Kroll (2010), S.68.

295 Ormrod (2020), S.7.

Woman eine der wichtigsten Galionsfiguren seit der zweiten Frauenbewegung und verhalf den Amazonen zu einem positiven Ansehen im populärkulturellen Mainstream.

Die TV-Serie X:WP indes profitierte von der Popularität des eigenen Mediums, den narrativen Gestaltungsmöglichkeiten von antiken griechischen Mythen und ihren präfigurierten Held*innen. Hinzu kommt, dass der Fokus nicht nur auf einem starken Frauencharakter liegt, wie es bei Wonder Woman der Fall ist. Natürlich ist die Bekanntheit von Xena per se durch den gleichnamigen Titel der Serie größer. Deshalb sind ihr die anderen Hauptfrauencharaktere, wie zum Beispiel Gabrielle, aber nicht untergeordnet, sondern verleihen den Vorstellungen von Kriegerinnen – ob explizit eine Amazone oder nicht – eine zusätzliche Komplexität. Dabei ist es wichtig den zeitlichen Kontext mitzudenken, in dem X:WP produziert wurde: Die 1990er Jahre sind in feministischer Hinsicht geprägt vom Zeitgeist der Postmoderne, in der essentialistische, dichotome Geschlechtervorstellungen und -gewissheiten durch theoretische Debatten wie unter anderen von Judith Butler dekonstruiert und stärker in einen Zusammenhang mit der Wirkmächtigkeit von Sprache und Diskursen gebracht werden.